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# taz.de -- Transfeindlichkeit im Netz: Die Hetze ausschalten
> Im Onlineforum Kiwi Farms organisieren User:innen Stalking-Aktionen
> auch gegen trans Personen. Doch die Betroffenen wehren sich.
Bild: Initiiert wurde die Social-Media-Kampagne zur Abschaltung der Seite im Au…
Eigentlich würden sich Jerrica Moore und Brittney Miller nicht als
ängstlich bezeichnen. Doch seit ein paar Tagen schließen die beiden trans
Frauen die Tür ab, wenn eine von ihnen mit dem Hund spazieren geht. Auf der
Straße drehen sie sich um, schauen, ob noch jemand anderes unterwegs ist.
Das Paar aus Seattle im US-Bundesstaat Washington führt Protokoll, wer wann
nach Hause kommt – um sofort zu wissen, ob das Türklopfen ein ungebetener
Gast sein könnte.
Der Grund für ihre Vorsicht: Transfeindliche User:innen haben die zwei
Frauen am 1. September im Online-Forum Kiwi Farms gedoxxt – heißt: ihren
Wohnort, ihre Geburtstage und Arbeitsplätze zusammen mit mehreren Fotos im
Internet veröffentlicht. „Das war ein totaler Schock“, sagt die 38-jährige
Moore. „Wir halten seitdem die Augen offen und posten keine Bilder mehr auf
Social Media von uns“, fügt ihre Partnerin im Gespräch mit der taz hinzu.
Warum Moore und Miller in dem Forum zur Zielscheibe wurden, können die
trans Frauen nur vermuten. Sie spekulieren, dass es derselbe Grund war, der
vier Tage später zur kurzzeitigen Abschaltung von Kiwi Farms führte: Moore
und Miller hatten bei Twitter unter dem Hashtag #DropKiwiFarms vehement ein
Verbot des Forums gefordert.
Seit der Gründung 2013 trieft die Seite nur so vor Hass. Die Mitglieder
spotten über queere Menschen, teilen rechtsextremes sowie misogynes
Gedankengut und rufen zu organisierten Stalking-Aktionen auf. Die richten
sich vor allem gegen Feminist:innen, queere Aktivist:innen, Menschen
mit psychischen Problemen, Journalist:innen und Gamer:innen.
US-amerikanischen Medienberichten zufolge haben sich in der Vergangenheit
drei Menschen das Leben genommen, nachdem sie auf Kiwi Farms Opfer einer
orchestrierten Hasskampagne geworden waren.
## Stalking über Landesgrenzen hinweg
Initiiert wurde die Social-Media-Kampagne zur Abschaltung der Seite im
August von der kanadischen Videospielstreamerin und trans Aktivistin Clara
Sorrenti, im Netz bekannt unter dem Namen Kefalls. Sorrenti war in den
vergangenen Wochen Opfer von sogenanntem Swatting geworden. Auf Kiwi Farms
hatten sich User:innen dazu verabredet, bei der Polizei einen Notfall
vorzutäuschen. In der Folge stürmten bewaffnete Polizisten die Wohnung der
28-Jährigen. Daraufhin flüchtete Sorrenti aus den USA. Doch das Stalking
ging weiter: Anhand von Details auf von ihr geposteten Fotos, etwa der
Hotelbettwäsche, fanden Kiwi-Farms-Mitglieder ihren Aufenthaltsort heraus
und belästigten sie auch in Nordirland.
Daraufhin entschloss sich Sorrenti, öffentlichen Druck auf Cloudflare
auszuüben, den Sicherheitsdienstleister von Kiwi Farms. Cloudflare ist ein
Unternehmen aus San Francisco, das sich darauf spezialisiert hat, Websites
und die dahinter stehenden Server vor Angriffen zu schützen. Zu seinen
Kund:innen gehörte bis vor wenigen Tagen auch Kiwi Farms. Am 3. September
teilte Cloudflare-Geschäftsführer Matthew Prince dann mit, die Rhetorik und
die Drohungen auf der Website seien „so eskaliert, dass wir glauben, dass
eine unmittelbare Bedrohung für das menschliche Leben vorliegt“.
Anschließend war die Seite für sechs Tage nicht erreichbar.
Kurz darauf ging Kiwi Farms wieder mit einer Domain des russischen
Sicherheitsdienstleisters DDoS-Guard online. Nur einen Tag später beendete
das Unternehmen jedoch die Zusammenarbeit, nachdem mehrere Nutzer:innen
Verstöße gegen die Nutzungsbedingungen des Dienstleisters reklamiert
hatten. Josh Moon, Gründer von Kiwi Farms und ehemaliger Administrator bei
8chan, dem Forum, auf dem sich unter anderem die Täter von Christchurch und
Halle radikalisierten, schrieb in einem Telegram-Channel, er sei dennoch
„absolut sicher, dass wir diesen Shitstorm überstehen“.
Und tatsächlich: Am Donnerstagabend ging Kiwi Farms wieder online.
Gegenüber US-amerikanischen Medien bestätigte Nick Lim, Gründer des
IT-Dienstleisters VanwaTech mit Sitz im Bundesstaat Washington, dass sein
Unternehmen nun die Server für die Seite bereitstelle. VanwaTech
beherbergte 2019 auch das Forum 8kun, früher bekannt als 8chan. Bereits
2017 geriet VanwaTech in die Schlagzeilen, weil die Neonazi-Website „The
Daily Stormer“ über ihre Server lief.
Bei Kiwi Farms gibt es auch einen deutschsprachigen Teil, in dem
transfeindliche Äußerungen und Drohungen gegenüber mehreren deutschen trans
Personen geäußert wurden. Einige Betroffene suchen Hilfe bei HateAid,
einer Beratungsstelle bei digitaler Gewalt. Für Anna Wegscheider, Juristin
bei HateAid, kam die vorübergehende Abschaltung von Kiwi Farms eher
„überraschend“. Weniger verwundert ist Wegscheider darüber, dass die Seite
wieder unter einer neuen Webadresse erreichbar ist. „Um Betroffene wirklich
zu schützen, bräuchte es eine dauerhaftere Lösung“, sagt die Juristin.
Jerrica Moore und Brittney Miller waren sehr erleichtert, als das Forum vom
Netz genommen wurde, doch das währte nur kurz. Den beiden Frauen ist
bewusst, dass der Hass nicht mit der Abschaltung einer Website
verschwindet. „Wir werden diese Leute nicht davon abhalten können, uns zu
hassen“, sagt Moore. Und die Hetze? „Sie werden erst damit aufhören, wenn
sie rechtlich zur Verantwortung gezogen werden.“
11 Sep 2022
## AUTOREN
Aaron Wörz
## TAGS
Transgender
Social Media
Hetze
Homophobie
Server
IG
Transgender
Trans Serie
Schwerpunkt LGBTQIA
Schwerpunkt LGBTQIA
Schwerpunkt AfD
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