# taz.de -- Trans* in den Medien: „Berichterstattung schürt Angst“ | |
> Vor einem Jahr lancierten Trans*vereine eine Petition für bessere | |
> Berichterstattung über Trans*themen. Jenny Wilken über den Stand der | |
> Debatte. | |
Bild: Eine Frage des Respekts: Eine falsche Anrede hat psychische Konsequenzen | |
taz: Trans*feindliche oder zumindest unsensible Beiträge sind in | |
deutschen Medien leider keine Seltenheit. Was löst das in Ihnen aus? | |
Jenny Wilken: Es ärgert mich. Solche Beiträge erscheinen immer noch in | |
schöner Regelmäßigkeit. Von rechten Medienbeiträgen mal abgesehen. Oft sind | |
die Sendung oder auch die Journalist:innen sehr uninformiert. Im besten | |
Fall wissen sie es nicht besser. Im schlimmsten Fall machen sie es mit | |
Absicht. Inklusion von queeren Menschen ist nicht erst seit gestern ein | |
Thema. Es gibt schon seit über zehn Jahren gute Medien-Leitfäden. Der | |
Bundesverband Trans* hat viel dazu gemacht. Und ich weiß, dass die | |
Öffentlich-Rechtlichen, also ARD und ZDF, diesen Sommer eine Schulung zum | |
Thema trans*sensible Sprache und Berichterstattung angeboten haben. | |
[1][Die Petition der dgti mit Namen „Transmedienwatch“] wurde vor einem | |
Jahr veröffentlicht. Was war der konkrete Anlass dafür? | |
Zum einen eben genau solche diskriminierenden Beiträge. Zum anderen hat uns | |
die Berichterstattung rund um das damals entstehende | |
[2][Selbstbestimmungsgesetz] zur Petition getrieben. Es war so viel Meinung | |
im Umlauf und so wenig Wissen. Dem wollten wir zusammen mit den anderen | |
Institutionen etwas entgegensetzen. | |
Sind Sie zufrieden mit dem Outcome? | |
Jein. Gerade öffentlich-rechtliche Medien nehmen die dgti immer stärker als | |
Vertretung wahr und fragen uns für Berichte, Recherchen und Interviews an. | |
Das ist gut. Andererseits gibt es immer noch viele unsensible, | |
unreflektierte Beiträge, bei denen man sich denkt: Sind die in den | |
Fünfzigern stecken geblieben? | |
Anscheinend werden zumindest vermehrt Betroffene als Expert:innen | |
angefragt. | |
Und das ist absolut wünschenswert. Wir haben das Fachwissen und geben es | |
gerne weiter, wenn wir gefragt werden. | |
Was sind im Moment noch die größten Probleme in der Berichterstattung über | |
trans* Personen? | |
Es wird Angst geschürt. Ganz beliebt ist das „Bedrohungsframing“ à la: | |
Jetzt kommt etwas ganz Schlimmes auf uns zu. Dabei geht von queeren | |
Menschen keinerlei Gefahr aus. Wir wollen niemandem etwas Böses. Außerdem | |
werden trans* Personen oft einseitig und eindimensional porträtiert. Die | |
Trans*Identität steht im Fokus und nicht der Mensch dahinter. Die | |
Person wird zu etwas Exotischem gemacht. Dass eine trans* Frau durchaus | |
erfolgreich sein kann, ein Unternehmen leitet oder sonst irgendetwas | |
Großartiges macht, darüber wird nicht berichtet. Als wäre die | |
Trans*Identität allein das, was sie ausmacht. | |
Fällt Ihnen ein Fauxpas ein, der wirklich einfach zu vermeiden wäre und | |
trotzdem immer wieder gemacht wird? | |
[3][Die Benennung des „Deadname“]. Das ist der abgelegte Name, der nicht | |
mehr verwendet werden sollte. Ein banales Beispiel: Vera Müller, vorher | |
Peter Müller, hat eine Geschlechtsangleichung hinter sich. Dann steht in | |
der Schlagzeile: Peter lebt jetzt als Frau. Das ist plakativ gesprochen, | |
passiert aber genau so. Der Name hat aus guten Gründen nichts in der | |
Öffentlichkeit zu suchen, weil es nicht der Name ist, der zur Identität | |
passt. | |
Trans* Personen haben in den letzten Jahren trotz allem [4][mehr | |
Sichtbarkeit in den Medien] erfahren. Eine wichtige Entwicklung, die | |
anscheinend auch im deutschen Fernsehen angekommen ist. | |
In der Fernsehlandschaft hat sich einiges getan. Trans* Personen werden in | |
Filmen und Serien auch von real life trans* Personen gespielt. Im | |
„Polizeiruf“ hatten sie letztes Jahr den trans* Mann Jonathan Perleth in | |
der Hauptrolle. Diese Sichtbarkeit ist vor allem für junge Menschen enorm | |
wichtig, die mit ihrer Identität hadern. Und für den Rest dreht sich die | |
Welt doch trotzdem weiter. | |
Hat die erhöhte Sichtbarkeit Konsequenzen für queere Menschen? | |
Es kommen mehr Anfeindungen. Das liegt aber nicht allein an der erhöhten | |
Sichtbarkeit, sondern auch am gesellschaftlichen Rollback. Alles, was mit | |
Vielfalt und Offenheit zu tun hat, wird angegriffen. Konservative Kräfte | |
drehen das Rad zurück, [5][kommen mit dem Wandel nicht zurecht]. Auch die | |
Pandemie, wirtschaftliche Krisen und soziale Ungleichgewichte sind | |
Nährboden für Unzufriedenheit. Große Anti-Gender-Kampagnen aus den USA oder | |
Russland, die massiv mit Geldern gefördert werden, unterstreichen das. | |
Unzufriedenheit ist bekanntlich ein guter Nährboden für Hass. Von bösen | |
Zungen wird oft behauptet, dass die queere Community zu stark polarisiere. | |
Sie kann gar nicht genug polarisieren. Queere Menschen sind nach wie vor | |
rechtlich gesehen im Nachteil. Ihnen wird keine volle Gleichberechtigung | |
zuteil. Darauf aufmerksam zu machen, diese Missstände immer wieder zur | |
Sprache zu bringen, das ist notwendig und hat nichts mit radikalen | |
Forderungen gemein. Wenn das schon „zu viel“ ist, dann weiß ich auch nicht | |
weiter. | |
Eine beliebte Kritik, auch in Bezug auf die leidige Gender-Debatte, ist, | |
dass Menschen mit Lernschwäche oder Migrationshintergrund bei dem | |
„Wirrwarr“ ja gar nicht mehr durchblicken. Wie nehmen wir alle | |
Leser:innen mit auf die Reise zu einer inklusiven und sensiblen Sprache? | |
Sensibilisierung und Aufklärung, also Bildungsarbeit letztlich. Es gibt | |
wunderbare Materialien zu LSBTI und auch für Deutsch als Fremdsprache und | |
Zweitsprache. Mit der Einführung der dritten und vierten Option im | |
Personenstandsregister – also divers und freilassen – hat der Gesetzgeber | |
versäumt, für Klarheit zu sorgen, was sprachliche Regelungen betrifft. Das | |
müssen wir jetzt nachholen. Denn es ist schlicht eine Frage des Respekts, | |
Menschen, die weder männlich noch weiblich sind, entsprechend richtig | |
anzusprechen und auch mittels Gendersternchen mit zu nennen. Deswegen bin | |
ich auch die Debatte übers Gendern leid. Sprache verändert sich schon | |
immer. Heute wird keine junge Frau mehr als Fräulein angesprochen, hoffe | |
ich jedenfalls. Die Rechtschreibreform hat auch jede:r mitgemacht und | |
verstanden. | |
An Schulen in Sachsen und Sachsen-Anhalt soll das Gendern verboten werden. | |
Was würde die Unterlassung bedeuten? | |
Eine falsche Anrede hat psychische Auswirkungen auf Jugendliche, die in | |
ihrer Findungsphase oder ihrem Coming-out stecken. Im schlimmsten Fall geht | |
es hier um Leben oder Tod. Genau dafür müssen wir sensibilisieren. Queere | |
Menschen wollen niemanden schikanieren. Wir haben vier Personenstände und | |
die müssen sprachlich abgebildet werden. Das erkennt auch der Rat für | |
deutsche Rechtschreibung an. | |
27 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://innn.it/transmedienwatch | |
[2] /Selbstbestimmungsgesetz-beschlossen/!5955715 | |
[3] /Klage-gegen-Julian-Reichelts-Medienfirma/!5940771 | |
[4] /Trans-Menschen-in-den-Medien/!5881060 | |
[5] /Entwurf-des-Selbstbestimmungsgesetzes/!5952781 | |
## AUTOREN | |
Eva Keller | |
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