# taz.de -- Autoren über rechte Hetze im Netz: „Pöbelei und Propaganda“ | |
> Die sozialen Medien sind der Motor des Rechtsextremismus, sagen die | |
> Autoren des Buchs „Digitaler Faschismus“. Sie fordern eine staatliche | |
> Kontrolle. | |
Bild: Hinter den Erfolgen der Rechten weltweit steht eine komplexe Digitalstrat… | |
taz am wochenende: Herr Fielitz, Herr Marcks, als Angela Merkel das | |
Internet als Neuland bezeichnete, haben alle gelacht. Dabei wissen wir von | |
den Zurichtungen durch die digitale Revolution weniger, als wir denken. Sie | |
konstatieren in Ihrem Buch nun einen „digitalen Faschismus“. Was ist das? | |
Maik Fielitz: Der Rechtsextremismus hat sich über seinen Medienaktivismus | |
neu erfunden. Seine Mythen von der nationalen Bedrohung, der ein nationales | |
Erwachen folgen soll, verbreiten sich nun vor allem digital und sind nicht | |
mehr so sehr an eine Organisation gebunden. Er vereint eine wabernde Masse | |
aus Freizeitprovokateuren, [1][Wutbürgern, Verschwörungsideologen] und | |
knallharten Neonazis, die [2][über soziale Medien Ängste schüren], | |
Verwirrung stiften und den Eindruck einer großen wütenden Masse | |
suggerieren. | |
Welche Dynamiken der sozialen Medien machen sich Rechtsextreme zunutze? | |
Holger Marcks: Zum Beispiel die Logik der Zahlen, die in den sozialen | |
Medien besonders stark ausgeprägt ist. Sie verstärken den sogenannten | |
Matthäus-Effekt: Wer hat, dem wird gegeben. Sachen, die eine gewisse | |
Aufmerksamkeit genießen, strahlen Relevanz und Glaubwürdigkeit aus. Durch | |
einen gezielten Onlineaktivismus kann die extreme Rechte ihre Version der | |
Realität nun besser auf den Radar vieler Menschen bringen. Die extreme | |
Rechte profitiert dabei von Rating- und Rankingstrukturen. Es entstehen | |
regelrechte Like- und Teilkartelle, in denen man sich gegenseitig | |
ermuntert, Inhalte zu verbreiten. | |
Fielitz: Die Beschleunigung, Personalisierung und Emotionalisierung der | |
öffentlichen Kommunikation spielt den Rechten in die Tasten. Drama und | |
Provokation, die Klicks versprechenden Inhalte, werden in sozialen Medien | |
algorithmisch gefördert. Rechtsextreme Akteure erstellen damit eine | |
wirkungsvolle Collage der Realität, die zu ihren Erzählungen passt. So | |
beschwört sie etwa bürgerkriegsähnliche Zustände in Deutschland, obwohl die | |
Statistik der Kapitalverbrechen das nicht hergibt. | |
Weil in den sozialen Medien alles nebeneinander existiert, fällt es | |
Wutbürgern auch in der Realität nicht auf, dass sie gemeinsame Sache mit | |
den Nazis machen? | |
Marcks: Digitaler Faschismus wirkt unschuldig, weil kein klares | |
Organisationszentrum erkennbar ist. Mit einem Klick wird man vom | |
Konsumenten schon zum Produzenten von Nachrichten, indem man sie teilt, | |
liked oder auch nur kommentiert, was ihre Sichtbarkeit erhöht. Dem muss | |
keine ideologisch feste Überzeugung zu Grunde liegen. Es ist häufig eine | |
Mischung aus Pöbelei und Propaganda. | |
Wäre das nicht auch die kürzeste Definition des analogen Faschismus? | |
Fielitz: Die neue Qualität des digitalen Faschismus besteht darin, dass | |
seine Narrative nicht durch einen zentralen Propagandaapparat gesteuert | |
werden und somit Leute leichter erreichen können. Vielfach merken sie gar | |
nicht, dass sie gerade rechtsextreme Propaganda liken oder teilen. Sie | |
folgen keinem Befehl eines Führers mehr. Der digitale Faschismus zieht | |
seine Dynamik stärker aus Affekten und Emotionen. | |
Smileys und Herzen sind die neuen Runen? | |
Fielitz: Nach außen hin ja. Die rechtsextreme Dynamik verbirgt sich hinter | |
Ironie und Doppeldeutigkeit. | |
Die AfD ist also überflüssig? | |
Marcks: Nein. [3][Rechtsextreme Organisationen] dienen auch weiter dazu, | |
den vermeintlichen Volkswillen, den sie vorgeblich repräsentieren, | |
einigermaßen glaubwürdig erscheinen zu lassen. Aber die horizontalen | |
Strukturen der sozialen Medien bringen eine dezentralisierte Form des | |
Faschismus hervor. Menschen identifizieren sich heute schneller mit einer | |
Facebook-Gruppe als mit einer Parteimitgliedschaft. Der Schwarm ist heute | |
der Volkskörper. Insofern hat die digitale Freiheit auch im | |
Rechtsextremismus zur Erosion traditioneller Autoritäten beigetragen. | |
Trotzdem gibt es Leute wie Höcke, Bolsonaro, Orbán. | |
Fielitz: Ja, aber ihr Erfolg ist ohne deren digitale Schattenarmeen nicht | |
zu verstehen. Die AfD ist ein stark aufgestellter Digitalakteur. Keine | |
andere Bundestagspartei hat derart hohe Interaktionszahlen auf Facebook. | |
Das Paradoxe ist, dass die vermeintlich antiautoritären Strukturen der | |
sozialen Medien autoritären Politikmodellen in die Hände spielt. | |
Den Rechtsextremismus hätte es ohne das Zeitalter seiner digitalen | |
Reproduzierbarkeit gar nicht mehr gegeben? | |
Marcks: So einfach ist es natürlich nicht. Die Bildung von Zellen, die | |
dezentrale Organisation war in den 90er Jahren ein defensives | |
Überlebenskonzept der extremen Rechten. Mit der Entwicklung der sozialen | |
Medien ist aus dem sogenannten führerlosen Widerstand ein Erfolgsrezept | |
geworden, auch weil es durch die dauerhafte Organisierung über soziale | |
Medien keiner „realen“ Interaktionen zwischen Individuen bedarf. Die | |
Unmittelbarkeit, die soziale Medien bieten, ist der Traum eines jeden | |
Demagogen. | |
Fielitz: In den sozialen Medien fehlt es an demokratischer Kontrolle. In | |
anderen Medien wurden aus der Erfahrung zweier Weltkriege presserechtliche | |
Standards entwickelt und journalistische Normen etabliert, um | |
Massenmanipulation einzuhegen. Die sozialen Medien als neues Tool der | |
Massenkommunikation haben diese Prinzipien zur sachlichen Verständigung | |
ausgehebelt. Soziale Medien funktionieren so, als würde die taz jeden | |
eingesandten Text unredigiert abdrucken. Das ist durchaus etwas, vor dem | |
man Angst haben sollte. | |
„Digital ist besser“ hieß das erste Album der Band Tocotronic von 1995. | |
Sänger Dirk von Lowtzow hat jetzt für Ihr Buch den Klappentext hinzugefügt: | |
„Mitnichten“. Als Tool der Freiheit gestartet, heute zur Bedrohung für die | |
Demokratie geworden – wie konnte das den sozialen Medien passieren? | |
Marcks: Aus Sicht der extremen Rechten sind die sozialen Medien immer noch | |
ein Ort der Freiheit, weil an ihm die eigene Wahrheit verkündet werden | |
kann. [4][Rechtsextreme agieren nicht cleverer], sondern einfach ruchloser. | |
Sie mussten sich weniger an den digitalen Modus anpassen als andere: Sie | |
scheuen weder die Lüge noch die Gewalt. | |
Für Sie ist die Haltung von Facebook-Chef Mark Zuckerberg Teil des | |
Problems, weil er die Intoleranz der anderen für Meinungsfreiheit hält? | |
Marcks: Er sagt, er sei unparteiisch. Aber ein Unparteiischer, ein | |
Schiedsrichter, guckt bei einem Foul nicht weg, sondern setzt die Regeln | |
durch. Immerhin hat er jetzt angekündigt, den Holocaust leugnende Beiträge | |
zu löschen. | |
Wäre die effektivste antifaschistische Demo derzeit ein | |
Social-Media-Boykott? | |
Fielitz: Besser wäre, darüber zu diskutieren, wie [5][alternative soziale | |
Medien aussehen] könnten. Das kommt viel zu kurz. Wenn der politische | |
Diskurs im Sog von Unwahrheiten und Unfug untergeht, macht das Demokratien | |
sicher nicht stabiler. | |
Sind wir also alle verantwortlich für das Erstarken der Rechten? | |
Marcks: Sicher. In den sozialen Medien können unbedachte Interventionen | |
auch nicht intendierte Folgen haben. Es kann manchmal sogar kontraproduktiv | |
sein, Aussagen extremer Rechter mit Fakten kontern zu wollen. Denn es geht | |
den Rechten nicht ums Recht, sondern um Aufmerksamkeit. Das macht den | |
digitalen Faschismus so perfide. | |
Wie also bekämpfen, wenn man nicht mal richtig weiß, wen und was? | |
Marcks: Die Antwort kann nicht in einem digitalen Wettrüsten liegen. Die | |
Strukturen müssen verändert werden, damit die Verstärkereffekte | |
rechtsextremer Dynamiken ausgehebelt werden. Die Zersetzung des sozialen | |
Friedens kann nur durch eine kluge politische Regulierung gestoppt werden. | |
Wie könnte das aussehen? | |
Fielitz: Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird oft mit dem Recht auf | |
Reichweite verwechselt. Eine demokratische Kontrolle über zentrale | |
Kommunikationskanäle wird benötigt, um einen verständigungsorientierten | |
Diskurs zu fördern. | |
Marcks: Die EU-Kommission arbeitet an einem Digitalgesetz, der erste | |
Entwurf soll im Dezember kommen. Die Frage ist, wie weitreichend die | |
Forderung nach mehr inhaltlicher Verantwortung der Betreiber umgesetzt | |
wird. Die Eigentumsfrage sollte allerdings dringend diskutiert werden, | |
einschließlich der Frage, ob soziale Medien in die öffentlich-rechtliche | |
Hand gehören. | |
16 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /ProSieben-Doku-ueber-Rechtsextremismus/!5713152&s=wutb%C3%BCrger/ | |
[2] /Bedrohungen-ausgeloest-von-Welt-Autor/!5705120&s=rechte+hetze+im+netz/ | |
[3] /Rechte-Chatgruppe-bei-der-Polizei-Berlin/!5717565&s=rechte+organisatio… | |
[4] /Neue-Anker-fuer-rechte-Stroemungen/!5718744&s=afd/ | |
[5] /Studie-zu-Angriffen-im-Netz/!5717728&s=facebook/ | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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