| # taz.de -- Sozialpsychologe über politische Konflikte: „Die Gefahr wurde un… | |
| > Spinner, Rechtsextreme, Populisten – das neue Normal? Der | |
| > Konfliktforscher Andreas Zick spricht über neue unheilige Allianzen und | |
| > Toleranzgrenzen. | |
| Bild: Denn sie wissen nicht, was sie tun? | |
| taz am wochenende: Herr Zick, wie gravierend sind unsere gesellschaftlichen | |
| Konflikte im Zusammenhang mit der [1][Coronakrise im Augenblick]? | |
| Andreas Zick: Wir sind ja nicht konfliktfrei in diese Krise hineingekommen. | |
| Es gab bereits vor der Coronakrise einen stärkeren Zusammenhang zwischen | |
| antidemokratischen Orientierungen und Gewaltbilligung, der sich auch in der | |
| Krise auswirkt. Außerdem gab es zunehmende Spaltungen, die sich zum | |
| Beispiel in den menschenfeindlichen Ressentiments gegen Minderheiten, | |
| Amtsträger und andere Gruppen gezeigt haben. | |
| Das hat zu neuen antidemokratischen Gemeinschaftsbildungen geführt – etwa | |
| zu einem Anstieg von rechtem Verschwörungsglauben –, die sich in Teilen | |
| radikalisiert haben, während umgekehrt bei anderen das Vertrauen in die | |
| Demokratie noch weiter gewachsen ist. Zu dieser politischen Polarisierung | |
| kommen aber auch ökonomische und soziale Verwerfungen, die im Auslauf von | |
| Krisen und Pandemien immer zunehmen und zu erhöhter Ungleichheit führen. | |
| Insofern stehen uns weitere Konflikte, auch die eigentlichen | |
| Wertekonflikte, erst noch bevor. | |
| Geht es aktuell beim Aufbrechen der sozialen Konflikte tatsächlich vor | |
| allem um ökonomische Verteilungskämpfe, oder spielt die politische | |
| Kommunikation oder [2][„Beziehungsebene“] vielleicht sogar eine größere | |
| Rolle? Und was ist hier falsch gelaufen? | |
| Aus der Perspektive der Konfliktforschung wird es immer dann problematisch, | |
| wenn Konflikte nicht mehr konstruktiv regulierbar sind. Das kann für | |
| Verteilungskonflikte gelten, die für einige Teile der Gesellschaft momentan | |
| verschärft stattfinden, während diese Menschen aber kaum eine politische | |
| Stimme haben. Das gilt aber auch für Gruppenbildungen einer national | |
| eingefärbten, radikalen Identität, die diese Gruppen sehr destruktiv | |
| durchzusetzen versuchen. | |
| In einer Pandemie ist es für die Politik allerdings sehr schwierig, | |
| präventiv eine destruktive Konfliktlösung zu vermeiden. Es kommt hier | |
| darauf an, dass die Bürger:innen sich aus eigener Überzeugung an Regeln | |
| halten, es braucht informierte Einwilligung, keinen autoritären Gehorsam. | |
| Hier hat die Politik zum Teil auch Fehler gemacht, etwa indem Fragen nach | |
| einer Identifizierung von Risikogruppen sehr stereotyp gestellt wurden. | |
| Risiken und Gefahren gehen eben auch von Coronaleugner:innen, Rassismus | |
| und Rechtsextreminsmus aus. Der Rechtsextremismus ist extrem bedrohlich | |
| geworden. | |
| Wenn Sie sagen, dass uns die eigentlichen Wertekonflikte erst noch | |
| bevorstehen: Müssen wir die Konflikte zwischen verschiedenen | |
| gesellschaftlichen Gruppen, wie sie etwa in den Berliner Demonstrationen | |
| gegen die Coronaverordnungen zum Vorschein kommen, ein Stück weit einfach | |
| aushalten? Oder sollten wir ihnen aktiv etwas [3][entgegensetzen]? | |
| Die Spitzenpolitik hat hier ja den Aspekt der Meinungsfreiheit lange sehr | |
| hochgehalten. Ich würde sagen, die Debatte muss viel tiefer gehen. Denn die | |
| entscheidende Frage ist für mich die, wovon genau wir uns als Gesellschaft | |
| hier eigentlich distanzieren müssen. | |
| Bei den zynischerweise so genannten Hygienedemonstrationen hätte man | |
| von Anfang an viel entschiedener darauf hinweisen müssen, dass dort massiv | |
| rassistische, stereotype Vorstellungen propagiert werden, die allein über | |
| gemeinsame Feindbilder, etwa Politik- und Wissenschaftsfeindlichkeit oder | |
| Antisemitismus, funkionieren. Mit Blick auf diese Feindbilder kann man sich | |
| dann überlegen, was für eine Gesellschaft die Demonstranten eigentlich | |
| durchsetzen wollen. Und hier müsste sich mehr Zivilcourage regen. | |
| Wie lässt sich die „unheilige Allianz“ zwischen gemäßigten, vielleicht | |
| sogar eher linken besorgten und verwirrten Bürgern mit offen Rechtsextremen | |
| wieder auflösen? | |
| Wir müssen hier hinter die Propaganda und den Populismus gucken: Wer sind | |
| die treibenden Kräfte, und was will deren Protest? Will er tatsächlich | |
| Freiheiten herstellen, oder will er eine andere Form von Gesellschaft | |
| durchsetzen? Hier können wir an die Grenze der in einer Demokratie | |
| notwendigen Toleranz geraten, etwa wenn es gegen die Menschenwürde geht. | |
| Zugleich besteht die Notwendigkeit von moderierenden Instanzen und | |
| Institutionen, die die Menschen an den Rändern solcher Protestbewegungen zu | |
| erreichen versuchen müssen. | |
| Solche Instanzen – aus Politik wie Zivilgesellschaft – und geeignete | |
| Dialogorte sehe ich noch nicht. Hier wurde systematisch die Gefahr | |
| unterschätzt, dass Menschen aus der Mitte sich durch solche Bewegungen | |
| radikalisieren. Wir halten uns und andere ja oft für toleranter, als wir es | |
| sind. Eine entscheidende Diskrepanz liegt darin, dass unseren Studien | |
| zufolge zwar 28 Prozent aus der Mitte der Gesellschaft offen für neurechte, | |
| demokratiefeindliche Ideologien sind, 80 Prozent von ihnen aber zugleich | |
| behaupten, überzeugte Demokraten zu sein. | |
| Haben wir also aus all den Jahren intensiver Diskussion über | |
| Rechtspopulismus nichts gelernt, oder müssen wir einfach das Wesen der | |
| Demokratie besser verstehen? Aber ist das eine Option für die breite | |
| Gesellschaft? | |
| „Breite Gesellschaft“ ist ein gutes Stichwort: Wir müssen uns fragen, ob | |
| die Idee einer normausgleichenden Mitte überhaupt noch trägt. Wir haben den | |
| Anteil politischer Bildung in den Schulen heruntergefahren, bräuchten | |
| gerade in solchen Konfliktsituationen aber mündige Bürgerinnen und Bürger. | |
| Stattdessen nimmt in der breiten Bevölkerung der Mitte die Legitimierung | |
| von Hass- und Gewalttaten zu. Aber wir ignorieren diese Fakten. | |
| Was kann jede:r Einzelne, aber auch die Politik zum konstruktiven Umgang | |
| mit diesen Konflikten beitragen? | |
| Die Politik muss endlich wieder in den systematisch zurückgefahrenen | |
| Bereich der politischen Bildung investieren und zivilgesellschaftliches | |
| Engagement, gerade auch in den Kommunen, stärken. Denn hier entstehen | |
| informierte, mündige Bürger:innen und wird Zivilcourage gelernt. Liegt | |
| dieser Bereich brach, wird er sofort von rechten Identifikationsangeboten | |
| besetzt. | |
| Bereits in der Migrationskrise haben wir gesehen, dass es ein riesiges | |
| Potenzial für bürgerliches Engagement in der Gesellschaft gibt. Aber die | |
| Politik hat es in vielen Teilen versäumt, dieses Potenzial zu stärken und | |
| zu verstetigen. | |
| Könnte man also sagen, dass im Moment die etablierte Politik der | |
| politischen Entwicklung der Gesellschaft gewissermaßen hinterherhinkt und | |
| noch nicht ganz verstanden hat, dass sich längst ein neues, | |
| partizipativeres, weniger technokratisches Politikverständnis etabliert, | |
| das es vor einer Besetzung von rechts zu schützen gilt? | |
| Richtig. Und die Partizipation wird vor allem da relevant, wo Menschen das | |
| Gefühl haben, demokratisch zu handeln. Es müssen hier neue Formen der | |
| Mitbestimmung, des Dialogs und neue, offene Debattenorte | |
| institutionalisiert werden, die in Ansätzen längst da sind, sich aber in | |
| Ermangelung öffentlicher Strukturen in der Obskurität des Internets | |
| verlieren. Und das ist übrigens nicht etwa eine Generationenfrage oder eine | |
| der politischen Richtung, sondern eine des grundsätzlichen | |
| Politikverständnisses. | |
| 6 Sep 2020 | |
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