| # taz.de -- Populismus aus Sicht eines Politologen: „Es geht nicht um alte we… | |
| > Die Globalisierung stärkt im Süden der EU Linkspopulisten, im Norden | |
| > Rechtspopulisten. Der Politikwissenschaftler Philip Manow erklärt, warum. | |
| Bild: Demonstration von Podemos-Anhängern 2015 in Madrid | |
| taz: Herr Manow, Sie erklären in Ihrem Buch „Die Politische Ökonomie des | |
| Populismus“, warum im europäischen Süden Linkspopulisten besonders stark | |
| sind, im europäischen Norden aber Rechtspopulisten. Im Norden gehe der | |
| Populismus gegen die freie Bewegung von Personen, im Süden gegen die freie | |
| Bewegung des Kapitals. Warum ist das so? | |
| Philip Manow: Ich behaupte in Anlehnung an Dani Rodrik, dass für die | |
| politischen Ökonomien der Länder die Bewegungen von Kapital und Personen | |
| unterschiedlich problematisch sind. Je nachdem, ob die Wachstumsmodelle wie | |
| im Norden exportgetrieben sind oder es um heimische Nachfrage geht wie im | |
| Süden. Für das eine wird die eine Form der Globalisierung problematischer, | |
| für die anderen die andere Form. | |
| Sie sagen, ein Wachstumsmodell, das auf hochproduktiver Facharbeit wie das | |
| nordeuropäische beruht, befördere genau jene Art von Migration, die in | |
| dieses Modell nicht hineinpasst. | |
| In Nordeuropa deckt der Sozialstaat die Bedürfnisse des exportgetriebenen | |
| Wachstumsmodells ab, das auf einer langfristigen Abstimmung zwischen | |
| Unternehmen und Gewerkschaften und einer hochgradig spezialisierten | |
| Qualifikation der Arbeiter beruht. Dieses Arrangement ist gegenüber | |
| Schwankungen des Weltmarkts sehr verletzlich – und deshalb federt der | |
| Wohlfahrtsstaat die Statussicherung und Lebensstandardsicherung stark ab. | |
| Das macht es für Immigration von Niedrigqualifizierten sehr attraktiv. | |
| Und im Süden … | |
| … gibt es diese Art von exportgetriebenem Wirtschaftsmodell nicht so | |
| deutlich. Weshalb der Sozialstaat dort nicht so sehr für alle zugänglich | |
| und eher auf die Klientel der Parteien zugeschnitten ist, etwa über eine | |
| generöse Rentenversicherung oder einen großen öffentlichen Dienst, aber | |
| oftmals keine soziale Grundsicherung bereithält. Das lädt nicht so sehr zur | |
| Migration ein. | |
| Und deshalb kommen Migranten vor allem nach Nordeuropa, weshalb hier die | |
| Rechtspopulisten stark werden – und im Süden protestieren die Menschen | |
| gegen Sozialkürzungen im Zuge der Eurokrise und sie wählen links. Das ist | |
| Ihre These. Aber im europäischen Süden waren früher kommunistische Parteien | |
| stark. Haben nicht Parteien wie Podemos oder Syriza nur deren Potenzial | |
| geerbt? | |
| Zum Teil ist es wohl so. Aber ich würde die Kausalitäten ein bisschen | |
| anders stricken. Weil die extreme Linke im Süden schon historisch immer so | |
| stark war, hat sich keine längerfristige Koordination von Unternehmen und | |
| Gewerkschaften etabliert und deshalb kein exportgetriebenes Wirtschafts- | |
| und Wachstumsmodell. Die Wirtschaft basiert auf heimischer Nachfrage, die | |
| sich durch Staatsausgaben stimulieren lässt. Jedenfalls so lange, bis im | |
| Zuge der Eurokrise die EU drastische Ausgabenkürzungen verlangt. | |
| Verkürzt könnte man sagen: Weil die radikale Linke im Süden stark war und | |
| ist, gibt es heute wenig Anreiz für Migranten, dort hinzuziehen. Nun werden | |
| in Deutschland gerne der Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, oder | |
| auch die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, zustimmend zitiert, die | |
| sich beide für mehr Einwanderung starkmachen. Halten Sie das für bigott? | |
| Italien hat 2017 so viele Migranten aufgenommen wie Nordrhein-Westfalen. | |
| Was am italienischen Sozialstaat liegt, der Migranten kaum Sozialleistungen | |
| gewährt. Deshalb sind viele Migranten, wenn sie nicht nach Nordeuropa | |
| weiterwandern, in die informelle Ökonomie eingebunden, oft in | |
| sklavenähnlichen, mafiösen Zuständen. Wir reden viel über die politische | |
| Reaktion auf Migration, etwa durch die Lega in Italien, aber wenig über die | |
| Ausbeutungsmodelle. | |
| In Italien gibt es eine links- und eine rechtspopulistische | |
| Regierungspartei, die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega. Widerspricht das | |
| Ihrer These? | |
| Nein, im Gegenteil. Italien hat zwei Ökonomien. Eine weltmarktorientierte | |
| im Norden und den abgehängten Süden, der auf Sozialtransfers angewiesen | |
| ist. Im Norden ist die Lega stark, im Süden die Fünf Sterne. | |
| Der zweite Sonderfall ist Frankreich, wo wir gleichzeitig eine starke | |
| radikale Linke mit Jean-Luc Mélenchon und eine starke radikale Rechte mit | |
| Le Pen haben, die auch regional nicht sonderlich ausdifferenziert ist. Wie | |
| passt das in Ihr Modell? | |
| Frankreich ist ein Zwischenfall zwischen dem kontinentalen und dem | |
| südeuropäischen Modell. Und wenn es ein Zwischenfall ist, dann ist es auch | |
| nicht so überraschend, dass wir dort sowohl Links- als auch | |
| Rechtspopulismus in einer starken Ausprägung sehen. | |
| Der universalistische Sozialstaat ist in Frankreich etwas stärker | |
| ausgebaut als im sonstigen Süden … | |
| … die Sozialleistungen sind stärker einklagbar, und es hat ein | |
| Wirtschaftsmodell zwischen Exportorientierung und heimischer Nachfrage. | |
| Bisher dominieren andere Erklärungen, warum Rechtspopulisten stark werden … | |
| … vor allem kulturelle – etwa die eines Backlashs, wonach alte weiße Männ… | |
| mit dem Wertewandel seit den 60er Jahren nicht mehr zurechtkommen. Das | |
| hilft uns aber nicht zu verstehen, warum wir in unterschiedlichen Ländern | |
| unterschiedliche Entwicklungen haben. Nicht einmal, warum der Süden und | |
| Norden Italiens zwischen Links- und Rechtspopulisten gespalten ist, kann | |
| man damit erklären. Gemäß der Backlash-Theorie müsste doch eher der | |
| konservative italienische Süden rechtspopulistisch wählen, der liberale | |
| Norden linkspopulistisch. Auch die beliebte Erklärung mit kosmopolitischen | |
| Eliten und einer kommunitaristischen, an den Ort gebundenen | |
| Normalbevölkerung, die gegen Einwanderung sei, ist mir zu breitflächig. | |
| Weshalb wählen kommunitaristische Wähler in Spanien die linke Podemos? | |
| Sie haben selbst vor einiger Zeit eine Studie mitverfasst, wonach die AfD | |
| in Gebieten stark ist, wo schon früher rechtspopulistische oder | |
| rechtsextreme Bewegungen stark waren. Bei der Landtagswahl 1968 hatte die | |
| NPD in Baden-Württemberg ihr stärkstes Ergebnis einer Landtagswahl, später | |
| waren dort die „Republikaner“ besonders erfolgreich. Heute ist dort die AfD | |
| so stark wie nirgends sonst im Westen. | |
| Natürlich gibt es eine Korrelation zwischen der Wahl der „Republikaner“ in | |
| den frühen 90er Jahren und der der AfD heute. Wie erklärt man das? Die | |
| „Republikaner“ waren 1992/93 ein ähnliches Phänomen wie die AfD heute –… | |
| reagierten vor allem auf die Flüchtlingszuwanderung nach dem Fall des | |
| Eisernen Vorhangs. | |
| Baden-Württemberg gehörte immer zu den konservativen Bastionen in | |
| Deutschland. | |
| Die katholischen Regionen waren am ehesten immun gegen den | |
| Nationalsozialismus. Mich überzeugen weder die kulturellen Erklärungen für | |
| die Wahl der AfD noch die, dass die Modernisierungsverlierer | |
| rechtspopulistisch wählen würden. Die abgehängten Regionen in Deutschland | |
| sind im Westen in Schleswig-Holstein oder Niedersachsen – dort gibt es aber | |
| relativ wenige AfD-Wähler. | |
| Dann komme ich bei unserer Europareise auf Österreich. Der Aufstieg der FPÖ | |
| in den 80er Jahren widerspricht Ihrer These vielleicht am meisten. Zu | |
| dieser Zeit gibt es kein großes Migrationsproblem in Österreich. Die FPÖ | |
| gewinnt, weil sie für Männer mit NS-Vergangenheit wie Kurt Waldheim Partei | |
| ergreift. Sie macht antisemitische Anspielungen. Haider greift immer wieder | |
| die slowenische Minderheit in Kärnten an. Die FPÖ gewinnt, weil sie | |
| Rassisten und Altnazis eine Heimat gibt. | |
| Die rechtspopulistischen Parteien haben teilweise eine lange Tradition. Die | |
| Dansk Folkeparti und die SVP beginnen als Steuerrebellenparteien, die ein | |
| wild gewordenes Kleinbürgertum vertreten. Was Sie für die FPÖ sagen, trifft | |
| auch für den alten Front National mit seinem Antisemitismus zu. Aber diese | |
| Parteien sind wie alle Parteien sehr wandlungsfähig. Wenn es ein neues | |
| Thema gibt, greifen sie das sehr schnell auf. Insofern muss man | |
| unterscheiden: Die meisten populistischen Parteien graben lange nur 5 oder | |
| 6 Prozent ab, manchmal ein bisschen mehr, wenn sie eine charismatische | |
| Persönlichkeit an der Spitze haben. Aber der richtige Schub kommt in den | |
| 2000er Jahren, als es neue Problemlagen gibt. In Deutschland sehen wir das | |
| bei der AfD ganz deutlich: Sie wird erst durch die Eurokrise stark, dann | |
| noch stärker durch die Flüchtlingskrise. | |
| Trotzdem: Ist nicht eine Mischung von Motivlagen wahrscheinlich? Wenn Sie | |
| mit Wählern der AfD sprechen, kommt oft auch Rassismus durch. Sie wählen | |
| selten aus rein rationalen Gründen die AfD, etwa, weil sie nur etwas gegen | |
| Migration in den Sozialstaat haben. | |
| Das ist sicher richtig. Wenn eine Partei 15 Prozent bekommt, haben Sie | |
| natürlich eine Mischung an Motiven unter ihren Wählern, eine Mischung an | |
| Milieus. Aber wenn man sich den europäischen Kontext anschaut, kommt man | |
| mit Rassismus als Erklärungsmuster nicht weit. | |
| 12 Dec 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Reeh | |
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