# taz.de -- Kolumne Schlagloch: Der entfesselte Kulturkampf | |
> Die rechtspopulistische Verschwörung trägt Züge einer Kulturrevolution. | |
> Der Vergleich mit Mao und seinen Fehlern hilft, ihr entgegenzutreten. | |
Bild: Was Mao entfesselte, hinterließ tiefe Wunden | |
Die rechtspopulistische Propaganda steht auf drei Säulen: die Vorstellung | |
von den linksliberalen „Eliten“, die „das Volk“ verraten, die Grenzen | |
öffnen und auf die „Heimat“ scheißen. Dann die Flüchtlingsströme aus | |
Kopftuchmädchen, Terroristen und Messermigranten sowie islamistischen | |
Wirtschaftsschmarotzern, die unsere Jobs und unsere Frauen wollen und | |
Deutschland per Umvolkung abschaffen wollen. | |
Und schließlich der „Kulturkampf“ gegen die grünlinksversiffte Theater- u… | |
Musikszene, die von unseren Steuergeldern bezahlt wird, gegen | |
nestbeschmutzende Literatur und „artfremde“ Kunst, die unsere gute | |
Leitkultur zersetzen, und die Lügenpresse, den öffentlich-rechtlichen | |
Staatsfunk und seine linke Brut. | |
Im Jahr 2018 erklärten die Politiker der italienischen Regierung aus | |
rechtspopulistischer Lega und irgendwie „links“-populistischem M5S | |
einhellig, ihr Angriff auf die „elitäre“ Presse, die dem Volk „unsaubere… | |
Gedanken einrede und natürlich nur vom Ausland gesteuert sein könne, sei | |
eine „kulturelle Revolution“. | |
Diese Propaganda für eine Kulturrevolution von rechts funktioniert, weil | |
sie auf ein vages Gefühl von Unsicherheit, Enttäuschung und Kränkung mit | |
einer geschlossenen Erzählung reagiert, in der zwar nichts stimmt, aber | |
alles perfekt aufeinander bezogen ist. Sie funktioniert aber auch wegen | |
der Schwäche der Angegriffenen. | |
## Der superfreie Markt der Narrative | |
Jeder dritte Kulturdepp jammert, dass die liberale Kultur ja an alledem mit | |
schuld sei. Und jeder/jede dritte Linke möchte am liebsten noch auf einen | |
Populismuszug aufspringen, bevor gar nichts mehr geht. | |
Ganz zu schweigen von einer Kultur, bei der Theater, Museen und | |
Sendeanstalten sofort klein beigeben, wenn von rechts gedroht wird. In der | |
sich eine Junge Union nicht zu schade ist, gegen die künstlerische | |
Zweckentfremdung eines Coca-Cola-Plakats als Anti-AfD-Statement zu | |
protestieren. Eine Kultur, in der so viel Schiss, Opportunismus und | |
vorauseilende Selbstfaschisierung am Werk sind, bietet leichte Beute für | |
die kulturelle Revolution von rechts. | |
Die Vertreter einer demokratischen Kultur sehen sich in einer Zwickmühle: | |
Von den Rechten werden sie ideologisch attackiert, von den neoliberalen | |
Medienkonglomeraten ökonomisch. | |
Bemerkenswerterweise treffen sich da, im Angriff auf das | |
„Zwangsgebührenfernsehen“ und die „Subventionskultur“, scheinbar | |
unterschiedliche Impulse: Was den einen als willkommenes Objekt im | |
„Kulturkampf“ vor der Machtübernahme gilt, ist den anderen ein | |
brachliegender Markt, der sich dem superfreien Markt der Narrative | |
entgegenstellt. In der Kulturrevolution von rechts wird allzu deutlich, wie | |
Rechtspopulisten dem neoliberalen Kapital die Drecksarbeit erledigen. | |
## Machtkampf innerhalb der Oligarchie | |
Diese Allianz ist offensichtlich. Wie viele Vertreter der ökonomischen | |
Oligarchie sind in den Führungsriegen der Rechtspopulisten? Wie viel Geld | |
und Organisationskraft wird „aus Wirtschaftskreisen“ in Wahlkämpfe, | |
Parteistrukturen und rechte Medien gepumpt? Wie viele Wirtschaftsvertreter | |
in aller Welt ziehen ein Bündnis mit postdemokratischen, autokratischen und | |
halbfaschistischen Regimes jeder demokratischen Kontrolle vor? Und wie | |
viele Vertreter kleptokratischer Clans bringen es zu politischer Macht, von | |
den USA bis Brasilien? | |
Und andererseits: Wer gehört zu den meistgehassten, meistverleumdeten | |
Feindbildern der Rechten? Ein Milliardär namens [1][George Soros], dessen | |
Vergehen, abgesehen antisemitischer Verschwörungsfakes, darin besteht: Er | |
gehört zu den wenigen Vertretern der globalen ökonomischen Elite, die sich | |
explizit gegen die neoliberale Agenda aussprechen. Er erinnert daran, dass | |
es auch im internationalen Kapitalismus eine Fraktion gibt, die die | |
destruktiven Züge des Neoliberalismus erkennt und nach einer Gegensteuerung | |
sucht. | |
Derselbe Kampf zwischen einer neoliberalen Mehrheit und einer dissidenten | |
Minderheit findet in der Ideologieproduktion statt, die sich als Ökonomie | |
wissenschaftlich maskiert. Allein für die Forderung nach | |
„Methodenpluralismus“ gegen die neoliberale Agenda, die sich hier | |
„Neoklassik“ nennt, kann man seine Karriere an deutschen Unis gefährden. | |
Kurzum: Es findet nicht nur ein Kampf der mehr oder weniger neuen | |
ökonomischen Eliten gegen den Rest der Bevölkerung statt, der viel zitierte | |
„Klassenkampf von oben“, es gibt auch einen Machtkampf innerhalb der | |
ökonomischen Oligarchie selber. Und das [2][erinnert] uns an etwas. | |
## Gewalt, Demütigung und Unterdrückung | |
Die „Kulturrevolution“ in Mao Zedongs China wurde 1966 ausgelöst, um einer | |
internen Schwächung des Systems zu entgehen und die politischen Gegner der | |
Führung sowie eine mögliche Opposition auszulöschen. Die damit | |
einhergehende Entfesselung von Gewalt, Demütigung und Unterdrückung, die | |
Bekämpfung von „bürgerlichen“, „dekadenten“, „elitären“, „volk… | |
und „ausländischen“ Strömungen, konnte abstruser kaum sein. | |
Aber die zehn Jahre, in denen die Kulturrevolution wütete, warfen die | |
Entwicklung der chinesischen Gesellschaft um mindestens ein halbes | |
Jahrhundert zurück. Sie kosteten, vorsichtig geschätzt, etwa 600.000 | |
Menschen das Leben, hinterließen tiefe Wunden. Was Mao im Kampf gegen seine | |
„liberalen“ Widersacher entfesselte, waren paradoxerweise die Energien | |
derer, die sich durch das Scheitern des „großen Sprungs nach vorn“ um ihre | |
Hoffnungen betrogen sahen: Im internen Machtkampf rekrutieren die Eliten | |
ihre Opfer, um Konkurrenz und Kritik auszuschalten. | |
Das ist in der rechten Kulturrevolution nicht anders. Es geht um Festigung | |
einer nach Totalität strebenden Macht, Erledigung interner Gegner und | |
Opferung der Sündenböcke, bevor die Unzufriedenheit die Macht selbst | |
infrage stellt. | |
Natürlich wiederholen sich die Dinge nicht einfach. Allerdings könnte uns | |
die Analogie von maoistischer Kulturrevolution und rechter „kultureller | |
Revolution“ zu denken geben. Und uns motivieren, sich ihr tapferer | |
entgegenzustellen als bisher. | |
15 Dec 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Debatte-Trumps-Rhetorik-und-Pittsburgh/!5546664 | |
[2] /K-Gruppen-in-Westdeutschland/!5553224 | |
## AUTOREN | |
Georg Seeßlen | |
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