# taz.de -- Populisten-Hochburg Facebook: Teile und herrsche | |
> Facebook behauptet, die Welt näher zusammenzubringen. Doch immer mehr | |
> zeigt sich, wie das Netzwerk Menschen auseinandertreibt – und Populisten | |
> stärkt. | |
Bild: Fake-Zuckerbergs gegen Fake News: Protest in Washington D.C. 2018 | |
Als Facebook 2012 an die Börse ging, erklärte Gründer Mark Zuckerberg in | |
einem Brief an Investoren die Philosophie seines Unternehmens. Die meisten | |
wachsenden Firmen bremsten zu sehr ab, weil sie mehr Angst vor Fehlern | |
hätten, als davor, Chancen durch zu viel Langsamkeit zu versäumen, schrieb | |
er. Facebook sei da anders. „Wir haben ein Sprichwort: ‚Move fast and break | |
things.‘ Die Idee ist, wenn du nie etwas kaputt machst, bist du | |
wahrscheinlich nicht schnell genug.“ Das Firmenmantra „Move fast and break | |
things“ stand groß auf den Wänden des Unternehmenssitzes 50 Kilometer vor | |
San Francisco. | |
Acht Jahre später lässt sich feststellen: Facebook war schnell und vieles | |
ist kaputtgegangen. Für den Konzern, zu dem inzwischen auch der | |
Messaging-Dienst Whatsapp und das Foto-Netzwerk Instagram gehört, | |
entwickelten sich die Dinge erfreulich. Er verfügt nun mit all seinen | |
Plattformen über mehr als drei Milliarden Nutzer, rund 40 Prozent der | |
Weltbevölkerung. Knapp jeder zweite erwachsene Internetnutzer in | |
Deutschland verwendet Facebook, mehr als zwei Drittel Whatsapp, jeder | |
Vierte Instagram. Diese Marktmacht hat zu einem gigantischen Börsenwert | |
geführt. Mit rund 650 Milliarden Euro Marktkapitalisierung steht Facebook | |
auf Platz fünf der wertvollsten börsennotierten Firmen der USA. | |
Doch auch auf der Welt hat sich seit dem Börsengang vieles verschoben. | |
Populistische Politiker sind in vielen Ländern an die Regierung oder ins | |
Parlament gelangt. Autoritäre Regierungsformen haben zugenommen. | |
Gesellschaften sind zutiefst gespalten. Verschwörungstheorien haben an | |
Popularität gewonnen. Antisemitismus ist erstarkt. Falschinformationen | |
können sich rasant verbreiten. Der Tonfall im Netz ist verroht und Empörung | |
zur Grundstimmung vieler politischer Debatten geworden. Und es mehren sich | |
die Anzeichen, dass der Facebook-Konzern zu dieser Verschiebung beigetragen | |
hat, weil ihm Schnelligkeit von jeher wichtiger ist als Sicherheit – und | |
Wachstum wichtiger als Verantwortung. | |
„Man muss davon ausgehen, dass Facebook einen Anteil an der Zunahme an | |
Polarisierung, Populismus und verschwörungstheoretischem Denken hat“, sagt | |
Ulrike Klinger, Professorin für digitale Demokratie an der | |
Europa-Universität in Frankfurt an der Oder. „Wir haben nicht die Daten, um | |
das zu quantifizieren, aber aufgrund der Studien, die es gibt, und was über | |
interne Studien von Facebook bekannt ist, gehe ich davon aus.“ Das | |
Unternehmen ergreife im Gegensatz zu anderen Netzwerken zwar relativ viele | |
Gegenmaßnahmen. „Aber Facebook unterschätzt noch immer sehr, wie disruptiv | |
es auf öffentliche Diskurse wirkt und wie tief das im Geschäftsmodell und | |
der prinzipiellen Funktionsweise dieser Plattform verankert ist.“ | |
Ein Team im Facebook-Konzern kam zu einem ähnlichen Schluss. Bei interner | |
Forschung fand es 2018 heraus: Die Programmierung des Netzwerks treibt | |
Menschen teilweise auseinander. „Unsere Algorithmen nutzen aus, dass das | |
menschliche Gehirn sich von Spaltung angezogen fühlt“, hieß es in einer | |
Präsentation. Werde dem nicht nachgegangen, würde Facebook seine Nutzer | |
„mit immer mehr entzweienden Inhalten“ versorgen, „um ihre Aufmerksamkeit | |
zu gewinnen“ und ihre „Zeit auf der Plattform zu verlängern“. | |
Mitarbeiter erarbeiteten Vorschläge für Änderungen. Doch Zuckerberg und | |
andere leitende Angestellte blockten oder schwächten die Bemühungen ab – | |
und stellten die Forschung weitgehend zurück. Die Zeitung [1][Wall Street | |
Journal hatte dies im Mai dieses Jahres enthüllt]. Facebook verteidigte | |
sich, mehrere Faktoren, die zu Polarisierung beitragen können, bereits | |
angegangen zu sein. | |
Schon vor dieser Aufdeckung ging es mit Facebooks Ruf seit Jahren bergab, | |
weil die Verfehlungen des Konzerns immer neue globale Dimensionen erreicht | |
hatten. Besonders drei Fälle haben das Vertrauen der Öffentlichkeit | |
erschüttert. | |
2017 wurde bekannt, dass vor der US-Wahl 2016 eine koordinierte russische | |
Kampagne Millionen Bürger auf der Plattform erreichen konnte – und für den | |
späteren Präsidenten Donald Trump warb. Bald darauf stellte sich heraus, | |
dass das Militär im mehrheitlich buddhistischen Myanmar die Plattform | |
nutzen konnte, um systematisch zu Hass und Gewalt gegen die verfolgte | |
muslimische Rohingya-Minderheit anzustiften. 2018 wurde öffentlich, dass | |
die Politikberatungsfirma Cambridge Analytica an Daten von bis zu 87 | |
Millionen Nutzern gelangen konnte. | |
Kaum ein Unternehmen übersteht drei solche Skandale innerhalb kurzer Zeit | |
wirtschaftlich unbeschadet. Facebook wuchs weiter. | |
Doch der Ton gegenüber dem Konzern änderte sich. Ehemalige führende | |
Mitarbeiter begannen, vor Facebook zu warnen, darunter Zuckerbergs | |
Co-Gründer Chris Hughes, Ex-Firmenpräsident Sean Parker, | |
Whatsapp-Co-Gründer Brian Acton und Zuckerbergs früherer externer Berater | |
Roger McNamee. Der Marketing-Professor und Big-Tech-Beobachter Scott | |
Galloway erklärte Zuckerberg zur „gefährlichsten Person der Welt“. [2][Das | |
Magazin New Yorker fragte]: „Kann Mark Zuckerberg Facebook reparieren, | |
bevor es die Demokratie kaputt macht?“ | |
## Aufstand gegen Zuckerberg | |
Vor der Präsidentschaftswahl am 3. November sind in den USA solche Fragen | |
wieder häufiger zu hören. Das Netflix-Dokudrama „Das Dilemma mit den | |
sozialen Medien“ thematisiert aktuell, wie Nutzer von Plattformen | |
manipuliert und beeinflusst werden. Schon im Frühjahr hatte Zuckerberg | |
durch seinen Umgang mit einem Post Trumps einen Aufstand gegen sich | |
ausgelöst. | |
Nach dem gewaltsamen Tod des Schwarzen George Floyd durch einen Polizisten | |
hatte der Präsident Demonstranten auf Facebook mit Gewalt gedroht: „Wenn | |
die Plünderungen beginnen, wird geschossen“. Twitter ergänzte den gleichen | |
Beitrag Trumps mit dem Hinweis, er verstoße gegen die Regeln der Plattform | |
zur Gewaltverherrlichung und schränkte die Verbreitung ein. | |
Zuckerberg entschied persönlich, den Post unverändert zu lassen – und | |
brachte damit die Kritik an unzureichender Moderation von Inhalten auf | |
Facebook wieder in Gang. Aufgestauter Ärger entlud sich. | |
Bürgerrechtsgruppen riefen zu einem Anzeigenboykott unter dem Motto „Stop | |
Hate For Profit“ auf. Hunderte Unternehmen strichen ihre Werbung, darunter | |
Microsoft, Coca-Cola, Starbucks und Adidas. | |
Auch im eigenen Haus formierte sich Widerstand. Mitarbeiter streikten | |
virtuell, kritisierten die Entscheidung auf der internen Plattform, | |
unterschrieben Petitionen oder widersprachen öffentlich auf Twitter. Es | |
wurden die größten Proteste der Firmengeschichte. „Facebook ist ein | |
Unternehmen, das eine offene Gesprächskultur pflegt und in dem auch | |
Bedenken und Kritik offen geäußert werden können“, sagt Sprecherin Anne | |
Laumen der taz. | |
Es blieb nicht bei Gesprächen. Einige kündigten. Andere gaben Firmeninterna | |
an Journalisten. Hierzulande wurden keine Proteste von Angestellten | |
bekannt. „Bei Facebook in Deutschland herrscht ein ziemlicher Korpsgeist | |
vor“, sagt einer, der sich seit Langem beruflich mit dem Unternehmen | |
beschäftigt. „Da wird meist nach dem Prinzip verfahren: ‚Mark hat das so | |
gesagt.‘“ | |
## „Eine ziemlich verrückte Idee“ | |
Die Eskalation in der US-Zentrale ist auch eine Spätfolge des | |
einschneidenden Jahres 2016. Der Gedanke, zu Trumps Aufstieg beigetragen | |
haben zu können, quält viele der meist progressiv gesinnten Mitarbeiter bis | |
heute. Zuckerbergs damalige Reaktion steuerte dazu bei. „Die Idee, dass | |
Fake News auf Facebook, die ein sehr kleiner Teil des Inhalts sind, die | |
Wahl auf irgendeine Art beeinflusst haben, ist eine ziemlich verrückte | |
Idee“, sagte er zwei Tage nach der Wahl auf einem Podium. „Wähler treffen | |
Entscheidungen auf der Basis ihrer gelebten Erfahrungen.“ | |
Doch es mehrten sich Hinweise, dass sein Beiseiteschieben dieser Bedenken | |
voreilig war. Schon Tage später [3][zeigte eine Auswertung des | |
Online-Mediums Buzzfeed], wie viel Resonanz Falschnachrichten zur Wahl auf | |
Facebook durch Teilen, Reaktionen und Kommentare im Vergleich zu | |
Nachrichten der größten US-Medien erhalten hatten. | |
Nach und nach wurde klar, wie koordiniert Desinformation auf der Plattform | |
aus dem Ausland zur Beeinflussung der Wahl eingesetzt worden war. Die | |
kremlnahe russische Firma Internet Research Agency hatte über Jahre eine | |
gezielte Kampagne durchgeführt – zunächst um Spaltung zu verstärken, | |
schließlich um Trump zu unterstützen und Kontrahentin Hillary Clinton in | |
Verruf zu bringen. Rund 29 Millionen US-Bürger sahen 2015 bis 2017 auf | |
Facebook Inhalte russischer Fake-Accounts und Gruppen, musste der Konzern | |
nach Dementis 2017 zugeben. Durch Interaktionen verbreiteten sie sich | |
potenziell an weitere Dutzende Millionen US-Nutzer. | |
Russische Manipulation war eine Seite. Eine andere waren Trumps Anzeigen. | |
38 Millionen Euro steckte er von Juni bis November 2016 in Werbung auf | |
Facebook, Hillary Clinton gab 24 Millionen aus. Der Konzern bot beiden | |
Wahlkampfbüros eingebettete Mitarbeiter seiner Anzeigenabteilung an. Trumps | |
Team nahm an, Clintons lehnte ab. | |
Ein Facebook-Angestellter half Trumps Leuten, Banner für Spenden zielgenau | |
einzurichten. Innerhalb von Tagen brachten sie Trump Millionen Dollar für | |
den Wahlkampf ein, erzählte der Mitarbeiter später. Verantwortlich für | |
Anzeigen-Technologie bei Facebook war damals Andrew Bosworth. Ende 2019 | |
schrieb der Vertraute Zuckerbergs seinen Kollegen über Trumps Sieg: „Er | |
wurde gewählt, weil er die beste digitale Anzeigenkampagne durchführte, die | |
ich je von einem Werbenden gesehen habe.“ | |
Hinter Trumps Anzeigen steckte dessen Wahlkampf-Digitalchef Brad Parscale. | |
„Ich habe früh verstanden, dass Facebook der Weg war, wie Trump gewinnen | |
wird“, sagte er in der Fernsehsendung „60 Minutes“. „Facebook war die | |
Methode. Es war die Autobahn, auf der sein Wagen fuhr.“ | |
Seit Trump im Amt ist, haben er und Zuckerberg sich mindestens zweimal | |
getroffen. Im September 2019 saßen sie bei Cola im Oval Office. Trump | |
postete ein Foto der beiden und schrieb dazu: „Nettes Treffen“. Mitgekommen | |
war Facebooks Policy-Chef Joel Kaplan, Ex-Mitarbeiter Präsident George W. | |
Bushs im Weißen Haus. Schon bald verabredeten sich Trump und Zuckerberg | |
erneut. | |
Im Oktober 2019 aßen sie abends gemeinsam im Blue Room des Weißen Hauses. | |
Dabei waren auch Facebook-Verwaltungsratmitglied und Trump-Unterstützer | |
Peter Thiel sowie Trumps Berater Jared Kushner, zu dem Zuckerberg Kontakt | |
pflegt. Das Treffen blieb wochenlang geheim. Der Präsident erzählte später, | |
sein Gast aus dem Silicon Valley habe an diesem Abend zu ihm gesagt: „Ich | |
würde Ihnen gerne gratulieren. Sie sind Nummer eins auf Facebook.“ | |
Die Verbindung der beiden ungleichen mächtigsten Männer der USA lässt | |
Medien stutzen. „Haben Mr. Trump und Mr. Zuckerberg eine Art von | |
Übereinkunft erzielt?“, [4][fragte die New York Times]. Sicher ist: Für | |
Trump ist es von Vorteil, wenn Facebook seine Beiträge und Anzeigen nicht | |
einschränkt. In Zuckerbergs Interesse ist, dass Trump Facebook nicht | |
reguliert, dass er gegen die chinesische App Tiktok vorgeht, viel für | |
Anzeigen ausgibt und mit polarisierender Politik das Engagement auf seiner | |
Plattform erhöht. Es gebe keinen Deal, sagt Zuckerberg. Die Idee sei | |
„ziemlich lächerlich“. | |
Rund läuft es für Trump auf Facebook in jedem Fall. Er mag von einem | |
Amtsbonus und seiner globalen Prominenz profitieren, doch die Zahlen sind | |
sehr deutlich. So hat Trumps Profil etwa 30 Millionen Likes, Herausforderer | |
Joe Biden nur rund drei Millionen. Auch bei Interaktionen auf eigene | |
Beiträge hängt Trump Biden noch mehr ab als 2016 Clinton, [5][zeigt eine | |
Analyse]. Draußen, außerhalb der Plattform, sieht es anders aus. Biden | |
führt in Umfragen klar. Die Offline-Welt und die Facebook-Welt zeigen ein | |
sehr unterschiedliches Bild. | |
Facebook ist deshalb selbst Wahlkampfthema. Immer wieder geht es um die | |
Frage, was dort verbreitet werden darf. Nach dem TV-Duell etwa schaltete | |
Trumps Team Anzeigen. Sie zeigten ein manipuliertes Foto Bidens. Ihm war | |
ein Sender ins Ohr retuschiert worden. Er habe vor der Debatte eine | |
Ohrenuntersuchung verweigert, stand dabei. Die Betrugsvorwürfe waren | |
erfunden. Facebook veröffentlichte die Werbung. Millionen sahen sie. Kurz | |
zuvor hatte Bidens Wahlkampf-Managerin Zuckerberg vorgeworfen, sich auf | |
Machthabende auszurichten. Bidens Team fordert strengere Moderation. Trump | |
wirft Facebook Zensur vor. Seit Monaten machen beide Druck auf den Gründer. | |
Zwei Monate vor der Wahl begann Zuckerberg, Schutzmaßnahmen anzukündigen. | |
Er verbot neue politische Anzeigen für die Woche vor der Wahl und vorerst | |
danach. Behauptungen, Bürger würden sich beim Wählen mit Corona infizieren, | |
sollen gelöscht werden. Posts, die die Rechtmäßigkeit des Resultats | |
abstreiten, einen Hinweis bekommen. Anzeigen, die das tun, sind untersagt. | |
Sollte ein Kandidat vorzeitig den Sieg beanspruchen, will Facebook zum | |
offiziellen Stand verlinken. | |
Die Regelungen sind ein Fortschritt. Doch sie kamen erst vier Jahre nach | |
2016, betreffen spezielle Fälle und lassen die meisten Probleme | |
unangetastet. Fehlinformationen in Posts bleiben größtenteils | |
unberücksichtigt. Unwahrheiten in Anzeigen von Politikern sind weiter | |
gestattet. Und selbst direkt vor der Wahl ist politische Werbung möglich: | |
Bereits existierende Anzeigen dürfen bis zur Wahl weiterlaufen. | |
Twitter schaffte politische Werbung ab – Facebook nicht, macht aber | |
Vorgaben. Politische Anzeigen benötigen einen Disclaimer mit dem Namen des | |
Bezahlenden. Doch deklariert ein Werbender eine politische Anzeige nicht | |
als solche, erscheint sie mitunter trotzdem – ohne Disclaimer. | |
Das ist auch in Deutschland so. Die taz entdeckte in Facebooks Werbearchiv | |
einen Banner des Absenders „Schutzzone Wolfsburg“ von 2019. Was dieser Name | |
auf den ersten Blick nicht verriet: Es war eine [6][Bürgerwehr-Kampagne der | |
rechtsextremen NPD]. Sechs Tage wurde die Anzeige gezeigt – bis Facebook | |
sie wegen des fehlenden Disclaimers schließlich deaktivierte. Gegen seine | |
Werberichtlinien verstieß die NPD-Annonce nicht – obwohl die Polizei gegen | |
die Gruppierung vorgegangen war. | |
## AfD dominiert Facebook | |
Besonders erfolgreich ist in Deutschland auf Facebook eine andere Partei – | |
die AfD. Unter den im Bundestag vertretenen Parteien lässt sie auf der | |
Plattform alle anderen weit hinter sich. Das zeigen schon die über 500.000 | |
Likes ihres Profils. Die Linke hat etwa 250.000, CSU, Grüne, CDU und SPD | |
liegen dahinter etwa gleichauf mit 190.000 bis 220.000, die FDP hat nur | |
knapp 150.000 „Gefällt mir“. | |
Die AfD dominiert Facebook, das zeigen Untersuchungen. 2,6 Millionen | |
Interaktionen erreichte die Partei innerhalb von elf Wochen bei der | |
Europawahl 2019 auf ihren Seiten – zehnmal mehr als jede andere Partei, | |
[7][fanden zwei Forscher heraus]. Unter den 100 Partei-Postings mit den | |
meisten Interaktionen stammten im Wahlkampf 84 von der AfD, [8][so das | |
Ergebnis einer anderen Studie]. | |
Der Erfolg der AfD auf Facebook liege „ganz klar“ auch daran, dass die | |
Plattform algorithmisch Empörung und Emotionalität belohnt und Nuancierung | |
bestraft, sagt Cornelius Puschmann, Professor für digitale Kommunikation an | |
der Universität Bremen. „Inhalte, die stark auf Emotionalisierung, Empörung | |
und Verärgerung setzen, passen besonders gut zum Prinzip algorithmischer | |
Selektion von Facebook. Die ist sehr kongruent mit der Botschaft von | |
Rechtspopulisten“, sagt er. „Das sind die Inhalte, die auf Facebook viel | |
Resonanz erzeugen und im Sinne der Plattform funktionieren.“ | |
Wissenschaftlerin Ulrike Klinger sagt: „Populistische Parteien sind auf | |
Facebook sehr viel erfolgreicher als nicht-populistische.“ | |
Ein spezielles Problem auf der Plattform ist Antisemitismus. Facebook hat | |
seine Richtlinien in diesem Jahr verschärft. Doch judenfeindliche Inhalte | |
sind noch immer häufig zu finden. [9][Ein Interview von 2018] gibt einen | |
Hinweis, wie es dazu kommen konnte. | |
Zuckerberg sprach mit Tech-Journalistin Kara Swisher darüber, was Facebook | |
löscht und was nicht. Er wollte seine Haltung mit dem Beispiel | |
Holocaust-Leugnung verdeutlichen. „Ich bin jüdisch und es gibt eine Reihe | |
von Leuten, die leugnen, dass der Holocaust passiert ist“, sagte er. „Ich | |
finde das zutiefst beleidigend. Aber letztlich glaube ich nicht, dass | |
unsere Plattform das entfernen sollte, weil ich denke, dass es Dinge gibt, | |
bei denen unterschiedliche Leute falsch liegen. Ich glaube nicht, dass sie | |
absichtlich falsch liegen.“ Die Interviewerin unterbrach ihn, bei | |
Holocaust-Leugnern könne es durchaus Absicht sein. Zuckerberg fuhr fort, es | |
sei schwierig, Absichten nachzuvollziehen. Viele Menschen würden häufig | |
falsche Dinge sagen. | |
Holocaust-Leugner strömten weiter auf Facebook. Die taz entdeckte im | |
September vier Gruppen, die den NS-Völkermord leugnen. Eine bestand bereits | |
seit 2014 und hatte knapp 2.000 Mitglieder. Die taz informierte den Konzern | |
über die vier in Deutschland illegalen Gruppen und einen Film auf Facebook, | |
der den Genozid abstreitet. Das Unternehmen sperrte die Gruppen und das | |
Video in Deutschland – allerdings vorerst nicht weltweit. | |
Ende September fragte die taz nach, ob die Gruppen und das Video in allen | |
Ländern außerhalb Deutschlands noch erreichbar sind und ob sie gegen die | |
Gemeinschaftsstandards verstoßen. Facebook antwortete nicht. Doch im | |
Hintergrund bewegte sich etwas. Es stellte sich heraus, dass der Konzern | |
ohnehin gerade eine Änderung vorbereitete. Am 12. Oktober kündigte Facebook | |
an, weltweit Inhalte zu verbieten, die den Holocaust leugnen oder | |
verharmlosen. „Mein eigenes Denken hat sich weiterentwickelt, als ich Daten | |
gesehen habe, die eine Zunahme antisemitischer Gewalt zeigen“, [10][sagte | |
Zuckerberg]. | |
Der Zentralrat der Juden bezeichnet die Entscheidung als „überfällig“. Sie | |
„könnte ein wichtiger Schritt“ zur Eindämmung antisemitischer Inhalte auf | |
Facebook sein, sagt Präsident Josef Schuster der taz. „Insgesamt braucht es | |
allerdings noch größere Anstrengungen, um Rassismus und Antisemitismus aus | |
diesem sozialen Netzwerk zu verbannen.“ Tatsächlich entdeckte die taz noch | |
in dieser Woche Gruppen zur Holocaust-Leugnung. | |
## Gruppen tarnen sich | |
1,8 Milliarden Menschen nutzen Gruppen jeden Monat. Extremisten verwenden | |
meist geschlossene. Verstöße sind dort schwieriger zu entdecken. Einige | |
Gruppen tarnen ihre Namen. Eine im September von der taz entdeckte | |
Fangruppe für den britischen Holocaust-Leugner nannte sich „Jews for David | |
Irving“. Verschwörungstheoretiker von QAnon nennen sich mitunter wie | |
Kinderschützer „Save the children“. QAnon-Anhänger glauben entgegen von | |
Fakten, eine Elite demokratischer Politiker handele weltweit mit Kindern – | |
und Trump bekämpfe dies. | |
Facebook wird vorgeworfen, maßgeblich zur Verbreitung dieser Bewegung | |
beigetragen zu haben. Erst Jahre nach ihrem Anwachsen kündigte der Konzern | |
Anfang Oktober an, alle QAnon-Gruppen zu entfernen. Noch immer lassen sich | |
viele finden. Das Unternehmen teilt zu seinem generellen Umgang mit | |
problematischen Gruppen mit: „Wir haben unsere Regeln in den letzten Jahren | |
verschärft, in Technologie investiert und mehr Mitarbeiter eingestellt, die | |
sich um Sicherheitsthemen kümmern und Inhalte überprüfen“, sagt Sprecherin | |
Anne Laumen. | |
Thomas Heilmann hat Facebooks Umgang mit Extremismus erlebt. Er kennt den | |
Konzern aus verschiedenen Perspektiven. Er sitzt für die CDU im Bundestag, | |
hat aber nicht gerade eine typische Abgeordnetenbiografie. Nach der Wende | |
baute der Dortmunder Jurist in Dresden eine Werbeagentur und einen | |
Radiosender auf. Er wurde Chef der Agenturgruppe Scholz & Friends und sehr | |
reich, indem er frühzeitig in Internetfirmen wie das Job-Netzwerk Xing | |
investierte. | |
2008 suchte Facebook Gesellschafter in Europa. Viele winkten ab. Die | |
Weltwirtschaftskrise hatte begonnen. Die Firma war erst vier Jahre alt. Sie | |
machte zig Millionen Euro Verlust pro Jahr. Heilmann schlug zu. Er kaufte | |
Anteile von ausscheidenden Mitarbeitern für „ein paar Hunderttausend Euro“. | |
„Damals haben alle gesagt: Das ist ja völliger Irrsinn, da einzusteigen“, | |
erzählt er im Garten des Reichstagspräsidentenpalais am Bundestag. Er | |
selbst habe damals gedacht: „Das Geld kann auch verloren sein.“ Es kam | |
anders. Ende 2010 verkaufte er seine Anteile. Ihr Wert war nach oben | |
geschossen. Um wie viel genau wisse er aus dem Kopf nicht, sagt Heilmann. | |
Er hat jedenfalls sehr viel Geld mit Facebook verdient. | |
Doch seine Begeisterung für den Konzern ist verflogen. „Ich finde Facebook | |
unethisch“, sagt er inzwischen und nennt dafür vier Gründe. Den ersten | |
erlebte er, als er 2012 Berliner Justizsenator wurde und damals | |
feststellte, dass „sie bei der Strafverfolgung nicht unterstützen“, etwa | |
bei Holocaust-Leugnung. Sein zweiter Kritikpunkt: die Verstärkung von | |
Polarisierung durch Facebook. Dass der Konzern sich jahrelang „dafür | |
überhaupt nicht verantwortlich fühlte, finde ich einen Skandal“, sagt er. | |
Sein dritter Einwand: Facebooks Monopol. Der vierte: der Umgang des | |
Unternehmens mit Nutzerdaten. | |
Heilmann will den Konzern deshalb hartem Wettbewerb aussetzen. Er erwartet, | |
dass sich dadurch Missstände bessern. Er möchte auf EU-Ebene einem | |
„Konnektivitätszwang“ den Weg ebnen. Jede Plattform soll verpflichtet | |
werden, seinen Nutzern Nachrichten anderer Plattformen zuzustellen – und | |
das Versenden in andere Netzwerke zu ermöglichen. Vorbild soll der | |
Mobilfunk sein. | |
Er verlangt zudem eine Diskussion über geschlossene Gruppen. „Wenn Leute | |
darin überwiegend politischen Content verbreiten, könnte man ja sagen: Die | |
Gruppe muss öffentlich gestellt werden.“ Das wäre aber eine „weitgehende | |
Regulierung“. Die Politik täte sich mit der Regulierung des Konzerns so | |
schwer, weil sie die destruktive Wirkung nicht gut genug verstünde. An | |
Sympathien liege es nicht. „Facebook hat im Bundestag keine Fans mehr – | |
außer bei der AfD.“ | |
## „Gefahr für die Demokratie“ | |
In Datenschutzbehörden saßen die Fans noch nie. Johannes Caspar ist seit | |
2009 Hamburger Datenschutzbeauftragter. Kurz nachdem er anfing, eröffnete | |
Facebook seine deutsche Zentrale in der Hansestadt. Caspar wurde damit | |
Ansprechpartner für Beschwerden aus Deutschland über das Unternehmen. | |
Seitdem geht es zwischen dem habilitierten Juristen und Facebooks Anwälten | |
hin und her. Kürzlich erließ er ein Bußgeld über 51.000 Euro, weil der | |
Konzern den Wechsel eines Datenschutzbeauftragten nicht mitgeteilt hatte. | |
Das Problem ist aus seiner Sicht aber größer. „Facebook kann über | |
Profilbildung als Instrument genutzt werden, um politische Meinungen zu | |
steuern“, sagt er. „Die Möglichkeit zu Hate Speech und falschen | |
Informationen vergiftet das Miteinander in unserer Gesellschaft. Das ist | |
eine Gefahr für die Demokratie. Diese Gefahr wächst zusehends.“ | |
Professorin Ulrike Klinger würde das gerne verneinen. „Aber wir wissen es | |
nicht. Es ist wichtig, dass wir herausfinden, ob bestimmte Diskursdynamiken | |
Facebooks eine Gefahr für die Demokratie sind.“ Das zu erforschen, sei | |
derzeit jedoch nicht möglich. Twitter sei gut untersucht. Bei Facebook | |
kämen Forscher aber kaum an Daten. „Facebook ist eine Blackbox“, sagt sie. | |
Die Eigendynamik dieser Blackbox hat zu einer Überforderung aller geführt. | |
Facebook überfordert die Politik. Es überfordert die Nutzer. Es überfordert | |
den Gründer. Mark Zuckerberg maximiert die Größe und die Anzeigenerlöse | |
seiner Maschine. Er minimiert seine Verantwortung für ihre Inhalte, für die | |
Auswirkungen ihrer Grundprogrammierung und für die Folgen ihres | |
Geschäftsmodells. Er konnte nicht in die enorme Aufgabe hineinwachsen, die | |
seine Position erfordert. Er erklärte es zu seiner Mission, die Welt näher | |
zusammenzubringen. Doch immer mehr weist darauf hin, dass er Menschen | |
auseinandertreibt. Seine Erfindung ist ihm entglitten. | |
23 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.wsj.com/articles/facebook-knows-it-encourages-division-top-exec… | |
[2] https://www.newyorker.com/magazine/2018/09/17/can-mark-zuckerberg-fix-faceb… | |
[3] https://www.buzzfeednews.com/article/craigsilverman/viral-fake-election-new… | |
[4] https://www.nytimes.com/2020/06/21/business/media/facebook-donald-trump-mar… | |
[5] https://theconversation.com/trump-v-biden-who-is-engaging-the-most-follower… | |
[6] /Uniformierte-Patrouille-durch-Wolfsburg/!5615575 | |
[7] https://www.medienanstalt-nrw.de/fileadmin/user_upload/lfm-nrw/Foerderung/F… | |
[8] https://www.fes.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=41827&token=6e1… | |
[9] https://www.vox.com/2018/7/18/17575156/mark-zuckerberg-interview-facebook-r… | |
[10] https://www.facebook.com/zuck/posts/10112455086578451 | |
## AUTOREN | |
Timo Hoffmann | |
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