# taz.de -- Trans Menschen und Feministinnen: In Eigenregie l(i)eben | |
> Unsere Antagonist*innen verleumden uns nach Kräften. Dabei ist und | |
> bleibt das Transgendersein etwas Natürliches. | |
Bild: Unter dem Pseudonym „Robert Galbraith“ verbreitet J.K. Rowling transp… | |
„Die Würde des Menschen ist unten antastbar“, so heißt der Titel eines | |
Tongedichts, das ich einst in einem Neuköllner Venue uraufführte. Das Stück | |
befasst sich mit der Art und Weise, auf die man mit uns Angehörigen der | |
[1][Transgender-Community] umgeht. „Mitglied, ohne Glied, noch nicht das | |
Ende vom Lied. Ihr seid lustig, feiern wir Pride. Solange Ihr nicht zu | |
stolz seid.“ Fakt ist, wir werden als Faszinationsobjekte begrapscht und | |
als Feindbilder bedrängt. Unsere Bedürfnisse werden häufig totgeschwiegen. | |
Dafür labert man lebhaft über uns, unsere Gender-Gaga, unsere Genitalien – | |
und über unsere Köpfe hinweg. | |
Als „Frau ohne Menstruationshintergrund, aber mit Herzblut, in der Regel“ | |
habe ich diesbezügliche Erfahrungen am eigenen Leibe gesammelt. Man spricht | |
euphemistisch von „Transphobie“, aber diese Angst vor uns artikuliert sich | |
allzu oft als Hetze in Wort und Bluttat, ob online oder auf offener Straße. | |
Zu unseren erbittertsten Widersacher*innen zählen religiöse | |
Fundamentalist*innen, Neonazis, Maskulinisten und nicht zuletzt die | |
[2][TERFS], eine seit 1970 gängige Selbstbezeichnung für Trans Exclusionary | |
Radical Feminists. Eine unheilige Allianz, in der besorgte Bürger*innen | |
Mobbing als Ausdruck der Meinungsfreiheit auf allen Kanälen betreiben. | |
TERFs schrecken dabei vor dem rassistischen Revisionismus auch nicht | |
zurück. Die Ikone Marsha P. Johnson (1945 – 1992), jene Schwarze trans* | |
Frau, die 1969 beim Gay-Rights-Aufstand in der New Yorker Christopher | |
Street den ersten Stein von Stonewall warf, wird von ihnen gar nicht | |
anerkannt, sondern ausgelacht und geleugnet. | |
Für TERFs, wie auch für unsere anderen Widersacher*innen, sei das | |
Geschlecht nicht frei wählbar, sondern ausschließlich und unabänderlich | |
biologisch bedingt. Somit zelebrieren sie binäre, heteronormative | |
Körperideale. Dabei offenbaren sie auch eine ableistische Haltung, die | |
Menschen mit Behinderung in mikroagressiver Mitleidenschaft zieht. | |
Wir in der Trans-Community erleben die TERF-Bewegung als eine | |
soziopathische Sekte, die psychoterroristisch agiert und agitiert. | |
Missgendern, Mobbing, Mordaufrufe. Während ihre Gefährlichkeit von den | |
Medien und von der Justiz noch unterschätzt wird, bilden TERFs – sehenden | |
Auges und mit blinder Besessenheit – eine unheilige Allianz mit der | |
besorgten Bürgerschaft des Patriarchats. | |
TERFs teilen auch die Überfremdungsängste der rechten Rattenfänger*innen, | |
obwohl Transgenderpersonen mitsamt non-binären Personen knapp 2 bis 5 | |
Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Umso bedauerlicher ist es, dass man | |
TERFs eine gewisse Salonfähigkeit verleiht. Hochschulen, besonders jene, | |
die eine nicht aufgearbeitete Tradition systemischer Diskriminierung | |
aufweisen, lassen sich ja bekanntlich dazu nötigen, solchen | |
Demagog*innen eine Plattform zu bieten. | |
Es ginge um die „Wissenschaftsfreiheit“. Na ja, auch die Flat Earthers (die | |
Erde sei eine Scheibe) stehen auf einem „wissenschaftlichen Fundament“, | |
aber eben auf einem aus dem 15. Jahrhundert. Für ein Referat beispielsweise | |
über die moderne Astrophysik wären Flatearthers allerdings nicht geeignet. | |
Ihnen die Auftrittsmöglichkeit deshalb zu verweigern, hätte also nichts mit | |
Zensur zu tun. | |
Den berüchtigten HU-Vortrag möchte ich inhaltlich nicht kommentieren. | |
Außer: Von einer Meeresbiologin, die über Transsexualität referiert, hätte | |
ich der Vollständigkeit halber etwas über „Seepferdchen-Papas“ der humanen | |
Sorte erwartet. So nennen sich trans* Männer, die – noch über ihre | |
weiblichen Geschlechtsorgane verfügend – Kinder gebären. Ja, Männer können | |
schwanger werden. Das war Gegenstand des 2020 an der University of Leeds | |
durchgeführten Symposiums Trans Pregnancy, bei dem das Sujet ohne | |
polemische Verengung, sondern unter interdisziplinären Gesichtspunkten | |
(Medizin, Psychologie, Recht und Soziologie) erörtert wurde. | |
Prominente wie J. K. Rowling twittern transfeindliche Sticheleien. Wenn sie | |
nicht als Harry-Potter-Autorin unterwegs ist, schreibt Rowling übrigens | |
unter dem Pseudonym Robert Galbraith. Der Arzt Robert Galbraith Heath | |
(1915–1999) war ein glühender Verfechter der abscheulichen | |
Konversionstherapie, die „zur Heilung“ homo- und transsexueller | |
Zwangspatient*innen teilweise nach wie vor eingesetzt wird. Ein | |
Zufall? Doch damit nicht genug: Als Robert Galbraith veröffentlicht Rowling | |
eine Krimireihe, in der „feminin verkleidete“ Männer immer wieder als | |
Übeltäter auftauchen. So bedient sie sich eines verleumderischen | |
Klischees, mit denen die Community seit Langem zu tun hat. | |
Trans* Frauen als Kerle, die in Weiberklamotten herumlaufen, nach jener | |
Möglichkeit lechzend, sich auf der Damentoilette sexuell zu befriedigen und | |
Opfer zu vergewaltigen. Allerdings, wenn die Erzähler*innen solcher | |
Gruselstorys darum gebeten werden, mit konkreten Beispielen aufzuwarten, | |
kommen sie in Bedrängnis. Schließlich erwähnen sie irgendeinen obskuren, im | |
Hörensagen verwurzelten Fall, in dem ein cis Mann sich als Frau verkleidet, | |
um seine fetischartigen Übeltaten zu begehen. | |
Anschließend zieht sich der Täter wieder männlich an. Er hat freilich | |
überhaupt kein Interesse daran, in seinem alltäglichen Umfeld weiblich | |
unterwegs zu sein, geschweige denn, dass er auf die Idee käme, an seiner | |
amtlichen Identität als Mann zu rütteln. Denn dadurch würde seine Tarnung | |
auffliegen. Zum Vergleich: Wenn ein Weißer seine Haut mit dunkler Farbe | |
kaschiert, um bei einer x-beliebigen Straftat den Verdacht auf Nichtweiße | |
fallen zu lassen, ist es dann gerecht, wenn unbeteiligte Schwarze in | |
Sippenhaft genommen werden? Doch genau das passiert mit uns. | |
Mit solchen Hirngespenstern hantieren auch hierzulande unsere | |
Antagonist*innen. Emma-Feministin Alice Schwarzer meldet sich zu Wort, mit | |
einem vor dem „Trend Transsexualität“ eindringlich warnenden Band, der tief | |
im Bunker der Binarität verwurzelt ist. Dabei ist und bleibt das | |
Transgendersein etwas Natürliches. Denn was könnte natürlicher sein als das | |
Bedürfnis, in Eigenregie zu lieben und zu leben? Dass die übersichtliche | |
Welt unserer Widersacher*innen dadurch erschüttert wäre, dürfte uns | |
nicht zum Nachteil gereichen. Sie stützen sich auf Autokratie (Verbote, | |
Toilettenkontrollen), wir dahingegen verkörpern Autonomie. | |
Eigentlich wollen wir mehrheitlich keine Sonderrechte, sondern Rechte. Die | |
Verabschiedung des [3][Selbstbestimmungsgesetzes] ist deshalb wichtig, | |
damit das Unrecht des seit 1981 geltenden Transsexuellengesetzes beseitigt | |
werden kann. Kein Allheilmittel, aber ein Schritt in Richtung Würde und | |
eine gesetzlich verankerte Kampfansage an alle, die durch Hetze und | |
Halbwahrheiten unsere Existenz infrage zu stellen versuchen. | |
21 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Michaela Dudley | |
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