# taz.de -- Polizei und trans Personen: Aus Angst nicht zur Staatsgewalt | |
> Ausweiskontrolle, Zeugenbefragung oder eine Anzeige erstatten: Für trans | |
> Personen sind solche Vorfälle und Schritte besonders sensibel. | |
Bild: Von Ergänzungsausweisen für trans Personen haben viele Beamte noch nie … | |
HAMBURG taz | In einem Schreiben der Hamburger Polizei an die Mutter eines | |
Jugendlichen heißt es: „Ihre Tochter“ sei als Zeugin vorgeladen. Es geht | |
bei dem Vorgang um ein Foto vor einer Polizeiwache, das der Jugendliche | |
gemeinsam mit einigen Freunden im Frühjahr aufnahm. Sie hatten sich vor die | |
Wache gestellt – mit einem eilig gemalten Transparent, auf dem ein Gruß an | |
einen Freund stand. Sie wollten diesen Schnappschuss als eine solidarische | |
Botschaft direkt an ihren Bekannten schicken, der von der Polizei | |
festgenommen und dabei verletzt worden war. | |
Die Jugendlichen knipsten also lediglich ein Foto, doch die Polizei wollte | |
in dem kurzen Treffen vor der Polizeiwache eine illegale Versammlung | |
erkannt haben – und leitete daher ein Strafverfahren ein. Vor Ort nahm sie | |
die Personalien eines Jugendlichen auf, der nur wenige Wochen später per | |
Post eine Zeugenvorladung erhielt – vom Staatsschutz des Landeskriminalamts | |
Hamburg. Diese verweigerte er, wenig später meldete sich die Polizei | |
erneut, nun führte sie „die Tochter“ als Beschuldigte. | |
## Ergänzungsausweis sollte anerkannt werden | |
Bei dem Jugendlichen handelt es sich um eine trans Person; der Polizei | |
zeigte er seinen Ergänzungsausweis der Deutschen Gesellschaft für | |
Transidentität und Intersexualität (dtgi). Doch die Beamten wiesen diesen | |
seinen Angaben zufolge zurück, das Dokument sei ihnen nicht bekannt | |
gewesen, berichtet der Jugendliche im Gespräch mit der taz. Sie notierten | |
zwar die Angaben, nutzten aber die amtlichen Angaben und schrieben in den | |
an die Mutter adressierten Briefen mehrfach von „Ihrer Tochter“, anstatt | |
zumindest eine geschlechtsneutrale Formulierung zu nutzen. Das Geschlecht | |
spiele bei dem Sachverhalt ohnehin überhaupt keine Rolle, sagt der | |
Betroffene. | |
Der Ergänzungsausweis der dgti solle von der Polizei eigentlich anerkannt | |
oder zumindest erkannt werden, betont Petra Weitzel von der Deutschen | |
Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität. So gebe es unter | |
anderem in Rheinland-Pfalz und Bayern Richtlinien, in denen der | |
Ergänzungsausweis erwähnt werde und die dazu aufforderten, „das geäußerte | |
Geschlecht zu berücksichtigen, auch wenn die amtlichen Dokumente | |
abweichen“. Allerdings seien diese Richtlinien intern und nicht öffentlich, | |
so Weitzel. | |
Die dgti-Vorsitzende erklärt, alle Polizist*innen hätten die | |
Möglichkeit, in einem Informationssystem (DOKIS) nach dem Ergänzungsausweis | |
zu suchen. Dort sei es als ein beim Bundesinnenministerium registriertes | |
Zusatzdokument zu finden, betont Weitzel und verweist auf die | |
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die allen trans Personen die | |
Ansprache und schriftliche Kommunikation im geäußerten Geschlecht durch | |
staatliche Stellen zuspreche. Eine Personenstandsänderung sei dazu nicht | |
notwendig, erklärt die dgti-Vorsitzende: „Dies nicht zu beachten, ist ein | |
Verstoß gegen Persönlichkeitsrechte“ – im konkreten Fall aber nur mit ein… | |
langwierigen Verfahren vor einem Verwaltungsgericht zu lösen. Der Abschluss | |
eines solchen Verfahrens stehe noch aus. | |
## Fehlendes Vertrauen kann fatale Folgen haben | |
Markus Ulrich, Sprecher des Lesben- und Schwulenverband Deutschlands | |
(LSVD), erklärt, der Umgang der Polizei mit trans Menschen sei ein | |
„riesiges Thema“. Dazu gehöre beispielsweise die Frage, wer von wem | |
durchsucht werde. Oder ob eben Ergänzungsausweise bekannt und akzeptiert | |
würden. Ulrich sagt, viele trans Personen trauten der Polizei nicht. | |
Ähnliche Erfahrungen machen andere Fachleute und Verbände aus der | |
LGTBQI*-Community. [1][Eine Studie aus den USA aus dem vergangenen Jahr] | |
kam zu dem Ergebnis, dass 22 Prozent der befragten LGBTQI-Personen eher | |
darauf verzichteten, die Polizei zu kontaktieren. Bei der Gesamtbevölkerung | |
liegt dieser Wert demnach lediglich bei 6 Prozent. | |
Das fehlende Vertrauen in die Polizei kann fatale Folgen haben – | |
beispielsweise für Opfer von Straftaten, die sich aus Angst vor | |
diskriminierendem Verhalten nicht trauen, Vorfälle anzuzeigen. Dadurch | |
dürfte es insbesondere eine Untererfassung transfeindlicher Delikte geben. | |
Die Statistik über politisch motivierte Kriminalität (PMK) soll seit einem | |
Jahr auch transfeindliche Straftaten darstellen. Für das Jahr 2021 weist | |
das Bundeskriminalamt in der PMK-Statistik 340 Straftaten | |
„Geschlecht/sexuelle Identität“ aus, darunter 57 Gewaltdelikte – also im | |
Schnitt eine Gewalttat pro Woche. Eine deutliche Steigerung zum Vorjahr, | |
was allerdings auch damit zusammenhängen kann, dass die Kategorie noch | |
recht neu ist und erst nach und nach von der Polizei genutzt wird. | |
Die Kategorie soll ab 2022 weiter ausdifferenziert werden in die | |
Themenfelder „Frauenfeindlich“, „Geschlechtsbezogene Diversität“, | |
„Männerfeindlich“. LSVD-Sprecher Ulrich hält es zwar für eine positive | |
Entwicklung, dass die Statistik um neue Kategorien erweitert wird – doch | |
seien diese teilweise schwammig und unklar, könnten sogar zu Verzerrungen | |
führen. So fehle eine eindeutige Kategorie für transfeindliche Straftaten. | |
Wo nun genau ein Übergriff auf eine trans Person lande, sei wohl eher | |
Zufall, vermutet Ulrich. Denn so könnte eine Straftat gegen einen | |
homosexuellen trans Mann in einer anderen Kategorie erfasst werden als ein | |
Übergriff auf eine trans Frau, selbst wenn es sich bei beiden Motiven | |
tatsächlich um Transfeindlichkeit handelt. | |
In vielen Bundesländern gibt es bei den Polizeien spezielle Stellen für | |
LGTBQI-Personen, diese werden zumeist als „Ansprechpartner für | |
gleichgeschlechtliche Lebensweisen“ (AgL) bezeichnet. Doch sind deren | |
Aufgaben und die Ausstattung höchst unterschiedlich. Petra Weitzel von der | |
dgti betont, die Ansprechpartner*innen der Polizei in den Ländern | |
mühten sich redlich, hätten aber viel zu knappe Zeitbudgets. Zudem seien | |
einige zuständig für externe Personen, einige nur für interne oder für | |
beide Personenkreise; in dem bevölkerungsreichsten Bundesland NRW gebe es | |
eine solche Stelle überhaupt nicht. Berlin gilt hingegen als Vorreiter in | |
diesem Bereich. Von einer einheitlichen Regelung ist man in der | |
Bundesrepublik aber weit entfernt. | |
Das Bundesinnenministerium verwies bei einer Anfrage, ob es Empfehlungen | |
für eine geschlechtsneutrale Sprache bei den Polizeien gebe oder Pläne für | |
Maßnahmen, um das Vertrauen von trans Personen in die Polizei zu | |
verbessern, auf die Zuständigkeit der Länder. Allerdings betrifft dieses | |
Thema auch das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei. Der Verband | |
Velspol, ein Mitarbeiternetzwerk für LSBT in Polizei, Justiz und Zoll, | |
erklärte auf Anfrage, betroffene Personen könnten sich an die Organisation | |
wenden, denn diese setze sich „genau bei solchen Fällen dafür ein, dass | |
dies aufgeklärt und sichtbar gemacht wird“. | |
## Nicht nur bei der Polizei | |
Die Hamburger Polizei teilte auf Anfrage mit, sie richte sich bei | |
geschlechtsneutraler Sprache nach den [2][für die hamburgische Verwaltung | |
geltenden Vorgaben des Senats]. Zudem komme dem dgti-Ergänzungsausweis | |
„eine gewichtige Rolle“ zu. Dieser sei „ein fester Bestandteil der Aus- u… | |
Fortbildung“. Dabei werde „darauf hingewiesen, dass die sich ausweisende | |
Person mit dem auf dem dgti-Ergänzungsausweis genannten Namen und | |
Personalpronomen anzusprechen ist“. In den polizeilichen Auskunftssystemen | |
sei bis zum Abschluss einer Personenstandsänderung zwar der Name und das | |
Geschlecht aus dem amtlichen Ausweisdokument zu verwenden, im Freitext sei | |
aber „unter kurzer Erläuterung mit der Geschlechtsidentität der Person | |
fortzufahren“. Auch der Schriftverkehr sei „an das gelebte Geschlecht der | |
Person zu adressieren bzw. in der Anrede zu verwenden“. Dies ist in dem | |
geschilderten Fall nicht geschehen. | |
Die Polizei Hamburg betont zudem, dass bereits seit vielen Jahren versucht | |
werde, die Anzeigebereitschaft von LGBTQI-Personen zu erhöhen – durch zwei | |
hauptamtliche Ansprechpartnerinnen und Fortbildungen. „Durch die | |
Intensivierung von (bestehender) Netzwerkarbeit sollen Kontakte und | |
Vertrauen in der Community aufgebaut und weiter gestärkt werden.“ Man | |
verstehe sich „als bunte, moderne und offene Großstadtpolizei. Unsere | |
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind grundsätzlich auf einen sehr | |
sensiblen und wertschätzenden Umgang bedacht. Situationen, bei denen es im | |
Einzelfall vielleicht nicht so geklappt hat, wie es wünschenswert gewesen | |
wäre, sind uns Ansporn zur Verbesserung.“ | |
Bis sich die Praxis überall durchgesetzt hat, dürfte wohl noch etwas Zeit | |
vergehen. Doch nicht nur durch Kontakt mit der Polizei, auch beispielsweise | |
bei Fahrscheinkontrollen in der Bahn kann es zu diskriminierenden Verhalten | |
und einem Zwangsouting von trans Personen kommen – wenn diese nämlich | |
zusätzlich zur Fahrkarte den Ausweis zeigen müssen und das dort | |
eingetragene Geschlecht nicht zu den gängigen Normen für das jeweilige | |
Aussehen passt. | |
Die Ampelkoalition will daher [3][das Selbstbestimmungsgesetz] so schnell | |
wie möglich realisieren, so dass trans Menschen ihre offiziellen Papiere | |
ohne demütigende Prozeduren schneller anpassen können. Für sie bleibt somit | |
zum einen die Hoffnung auf eine zeitnahe Umsetzung – und bis dahin zum | |
anderen nur die Option, sich im Alltag möglichst allen Situationen zu | |
entziehen, die potenziell zu unangenehmen Nachfragen und Zwangsoutings | |
führen könnten. | |
Im Fall des Hamburger Jugendlichen schreibt die Polizei laut | |
taz-Informationen in den Akten, dass es gar keine Versammlung mit einer | |
Außenwirkung gegeben habe. Mit anderen Worten hätte man dem Jugendlichen | |
sowohl den rechtlichen Ärger als [4][auch die Diskriminierung] einfach | |
sparen können. | |
2 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://williamsinstitute.law.ucla.edu/press/lgbq-people-six-times-more-lik… | |
[2] https://www.hamburg.de/bwfgb/15185602/geschlechtersensible-verwaltungssprac… | |
[3] /Kritik-am-Selbstbestimmungsgesetz/!5862300 | |
[4] /Transfeindlichkeit-an-Universitaet/!5864307 | |
## AUTOREN | |
Patrick Gensing | |
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