| # taz.de -- Transfeindlichkeit an Universität: Angst vor Meinungsfreiheit | |
| > Nach der Absage eines umstrittenen Gendervortrags findet an der Berliner | |
| > Humboldt-Universität eine Diskussionsrunde statt – leider zum falschen | |
| > Thema. | |
| Bild: Studierende demonstrieren gegen den Vortrag von Marie-Luise Vollbrecht | |
| Eine renommierte Universität sollte es stören, wenn das | |
| Bundesverfassungsgericht [1][ihr in puncto Gleichstellung] Vorgaben machen | |
| muss. Wie im Jahr 2017. Da urteilte Karlsruhe, dass die beiden Optionen | |
| „männlich“ und „weiblich“ nicht mehr ausreichen, um das Geschlecht von | |
| Personen zu erfassen. Für Menschen, die sich als trans, inter oder | |
| nicht-binär identifizieren, war das ein Meilenstein. | |
| Endlich durften sie sich offiziell einem dritten (oder keinem) Geschlecht | |
| zuordnen. Die meisten Universitäten interessierte das damals wenig. Auch | |
| anderthalb Jahre nach dem Urteil hatte nur ein Fünftel der deutschen | |
| Universitäten ihre Immatrikulationsunterlagen überarbeitet. Die | |
| Humboldt-Universität zu Berlin gehörte nicht dazu. | |
| Bei der erregten Debatte, in deren Zentrum die Exzellenz-Uni seit Tagen | |
| steht, lässt sich etwas Ähnliches beobachten: Für die (wahren) Betroffenen | |
| zeigt die HU wenig Sensibilität. Auch nur nach einem Impuls von außen. Die | |
| Diskussionsveranstaltung, die dort am Mittwoch stattfindet, bestätigt den | |
| Eindruck. | |
| ## „Sicherheitsgründe“ | |
| Die Biologin Marie-Luise Vollbrecht sollte Anfang Juli im Rahmen der | |
| „Langen Nacht der Wissenschaften“ an der HU einen Vortrag mit dem Titel | |
| „Geschlecht ist nicht gleich Geschlecht. Sex, Gender und warum es in der | |
| Biologie nur zwei Geschlechter gibt“ halten. | |
| Weil ein Teil der Studierendenschaft zu Protesten aufrief, sagte die | |
| Unileitung den Vortrag [2][aus Sicherheitsgründen ab]. Seither wird vor | |
| allem über Wissenschaftsfreiheit geredet, die gefährdet sei. Und über | |
| angeblich intolerante Studierende, die Unliebsames wegcanceln. Selbst die | |
| Bundesbildungsministerin schaltete sich mahnend in die Diskussion ein. | |
| Worüber bislang kaum gesprochen wird: Warum ausgerechnet eine Expertin für | |
| die Regeneration von Gehirnzellen bei Fischen [3][zum Verhältnis zwischen | |
| Geschlecht und Gender] beim Menschen sprechen sollte. Die wenige Wochen | |
| zuvor als Co-Autorin in einem Gastbeitritt in der Welt mit wenig | |
| wissenschaftlichen Thesen („Wie ARD und ZDF unsere Kinder indoktrinieren“) | |
| aufgefallen ist. Selbst Springer-Chef Mathias Döpfner bezeichnete den | |
| Beitrag als „intolerant, herablassend und ressentimentgeladen“ und | |
| „wissenschaftlich bestenfalls grob einseitig“. Was Vollbrechts Auftritt bei | |
| der Langen Nacht noch fragwürdiger macht, ist das diesjährige Motto der | |
| Veranstaltung – Wissenschaft als Antwort auf Fake News, | |
| Verschwörungstheorien und fatale Irrtümer. | |
| ## Unverhohlene Transfeindlichkeit | |
| Hinzukommt, dass eine Geschlechterforschung, die bei eindeutiger Binarität | |
| stehen bleibt, nicht mehr zeitgemäß ist. Es ist wissenschaftlicher Konsens, | |
| dass die so genannten Geschlechtschromosomen XX und XY weder das äußere | |
| Geschlecht noch die geschlechtliche Selbstwahrnehmung eines Menschen | |
| eindeutig festlegen. Weil solche Erkenntnisse auch bei ZDF & Co vorgestellt | |
| werden, unterstellt Vollbrecht den Öffentlich-Rechtlichen Indoktrination. | |
| Zu den fachlichen Fragezeichen kommen die unverhohlen transfeindlichen | |
| Äußerungen. Nach der Absage ihres HU-Vortrages stempelte Vollbrecht – | |
| erneut in der Welt – die Trans-Bewegung als „Hype“ ab, warnte vor | |
| Vergewaltigungen, sollten „selbsterklärte“ Transfrauen in geschützte | |
| Frauenräume eindringen, und bezeichnete das dritte Geschlecht als | |
| „juristische Fiktion“. Von den transfeindlichen Äußerungen Vollbrechts hat | |
| sich mittlerweile auch die HU distanziert. | |
| Es ist eine berechtigte Frage, ob die Biologin für einen Vortrag zum Thema | |
| Gender geeignet ist. Dass Studierende der HU sie stellen, ist keine | |
| Cancel-Culture. Der Vortrag wurde von der Uni abgesagt, nicht von jemanden | |
| gestört oder verhindert. Dennoch hat die HU mit ihrer Entscheidung diesen | |
| Eindruck erweckt. Das ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Erstens, | |
| weil die Absage dem Narrativ antiemanzipatorischer Kreise in die Hände | |
| spielt, wonach öffentliche Räume wie Hochschulen von einer kleinen | |
| ideologieverblendeten Minderheit dominiert und terrorisiert würden. | |
| Zweitens, weil die HU-Leitung aus einem berechtigten Wunsch nach | |
| öffentlicher Debatte um die fachliche Eignung einer Wissenschaftlerin | |
| gleich ein unmittelbares Sicherheitsrisiko gemacht hat. Das ist mindestens | |
| unsensibel gegenüber denen, die wegen ihrer geschlechtlichen Identität | |
| tatsächlich Ausgrenzung, Ablehnung oder Anfeindungen erfahren. | |
| ## Gefahren für trans Personen | |
| Womit wir bei der anfänglichen Beobachtung sind – für viele Hochschulen hat | |
| ein diskriminierungsfreier Raum offenbar keine Priorität. | |
| Zu diesem Schluss kommt auch die Bundeskonferenz der Frauen- und | |
| Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen. In einem aktuellen Bericht | |
| stellt sie fest, dass „Trans*Personen einem spezifischen und erhöhten | |
| Risiko für sexualisierte Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt“ sind – und | |
| fordert die Unis auf, eine bessere diskrimierungsfreie Infrastruktur zu | |
| schaffen. | |
| ## Paneldiskussion | |
| Dass die HU hier nicht sehr weit ist, kritisieren Studierende seit Jahren. | |
| So erlauben andere Unis trans Personen schon länger, bei internen | |
| Unterlagen ihre Vornamen zu ändern, um nicht dauernd falsch angesprochen zu | |
| werden. An der HU ist das auch nach einem fast zweijährigem | |
| Aushandlungsprozess nicht möglich. | |
| Die Uni muss dringend darüber reden, wie sie die Gleichbehandlung aller | |
| Studierenden sicherstellen kann. Einen besseren Anlass als den Wirbel um | |
| den Anti-Gender-Vortrag hätte sie sich nicht wünschen können. Doch an der | |
| Paneldiskussion am Donnerstagabend geht es nicht um den Umgang mit trans | |
| Personen – sondern um den Umgang mit Wissenschaftsfreiheit. Neben vier | |
| HU-Professor:innen und der Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger | |
| sind auch zwei Personen aus der queeren Community eingeladen. | |
| Marie-Luise Vollbrecht hat ihre Teilnahme abgesagt. Sie hält ihren Vortrag | |
| auch am Donnerstag – in einem Kilometer entfernten HU-Gebäude. So holt die | |
| umstrittene Biologin ihren umstritten Vortrag nach, ohne dass es zum | |
| Austausch mit ihren Kritiker:innen kommt. Die Vertreter:innen der | |
| queeren Community dürfen sich gegenüber den HU-Honoritäten zur | |
| Meinungsfreiheit bekennen. | |
| 13 Jul 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ralf Pauli | |
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