| # taz.de -- Umstrittener Gender-Vortrag in Berlin: „Nicht ihr Fachgebiet“ | |
| > Die Absage eines Vortrags an der Humboldt-Universität sorgte für viel | |
| > Wirbel. Nun wurde er nachgeholt – begleitet von einer | |
| > Diskussionsveranstaltung. | |
| Bild: Das Denkmal Alexander von Humboldts vor der HU in Berlin | |
| Berlin taz Ist die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr? Hat die Berliner | |
| Humboldt Universität (HU) alles richtig gemacht? Und welche Schlüsse zieht | |
| die Unileitung aus der massiven Kritik an der Biologin Marie-Luise | |
| Vollbrecht? | |
| Nach [1][dem Wirbel um ihren verschobenen Genderbeitrag] auf der Langen | |
| Nacht der Wissenschaften in Berlin suchte am Donnerstagabend ein | |
| siebenköpfiges Panel Antworten auf diese Fragen. Um es vorwegzunehmen: In | |
| vielen Punkten wurden sich die vier HU-Vertreter:innen, die beiden | |
| Aktivist:innen der queeren Community und Bundesbildungsministerin | |
| Bettina Stark-Watzinger (FDP) im gut besuchten Hörsaal II am Campus Nord | |
| nicht einig. | |
| Allen voran bei der Frage, ob die Unileitung richtig auf den angekündigten | |
| Protest zu dem umstrittenen Gendervortrag reagiert hat: „Eine Veranstaltung | |
| nicht stattfinden zu lassen, bedarf der Erklärung“, sagte Stark-Watzinger, | |
| die als einzige der Diskussion zugeschaltet war. „Wir können zurecht stolz | |
| darauf sein, dass Deutschland beim Academic Freedom Index weltweit auf | |
| Platz eins steht.“ | |
| HU-Präsident Peter Frensch hingegen verteidigte die kurzfristige Absage des | |
| Vortrags erneut mit Sicherheitsbedenken. „Wir mussten mit 100 bis 150 | |
| Protestierenden und 80 bis 100 Gegendemonstranten rechnen“, sagte Frensch. | |
| Selbst bei einem Einsatz der Polizei hätte die Universität die Sicherheit | |
| der Besucher:innen auf der Langen Nacht der Wissenschaften nicht | |
| garantieren können. Deshalb sei der Vortrag auf einen anderen Termin | |
| verschoben worden. | |
| ## Zweifel an Qualifikation | |
| Auf die Kritik des Arbeitskreises kritischer Jurist*innen, dass die | |
| Unileitung ihren Protest gegen einen aus ihrer Sicht transfeindlichen | |
| Vortrag mit dem Sicherheitsrisiko durch eine gewaltbereite Gruppe | |
| gleichgesetzt habe, ging Frensch nicht wirklich ein. Man habe die Quellen | |
| „aus dem Umfeld“ des Protestes für verlässlich gehalten. „Wir würden, … | |
| wir nochmal in diese Situation kommen, wieder genauso handeln“, versicherte | |
| Frensch. | |
| Strittig blieb auch die Frage, inwieweit sich die Universität zu den | |
| [2][scharf kritisierten Äußerungen Vollbrechts in der Welt] zu verhalten | |
| habe, die viele als klar transfeindlich bewerten. Und ob dies eine Rolle | |
| bei der Bewertung der Wissenschaftlerin Vollbrecht spielen sollte, die | |
| schließlich an der HU promoviert und die Universität bei der Langen Nacht | |
| der Wissenschaften nach außen vertreten sollte. Die Unileitung hatte sich | |
| zwar klar von Vollbrechts Äußerungen in der Welt distanziert, deshalb aber | |
| nicht ihren Vortrag als solches in Frage gestellt. | |
| Die Geschichtswissenschaftlerin und Biologin Kerstin Palm hält die Trennung | |
| jedoch für problematisch. Schließlich lasse der Vortrag „Geschlecht ist | |
| nicht (Ge)schlecht: Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei | |
| Geschlechter gibt“ durchaus auf die politische Haltung Vollbrechts | |
| schließen. „Sie hat sich auf eine Theorie in der Geschlechterforschung | |
| konzentriert“, sagte Palm. „Und zwar eine, die nicht in entferntester Weise | |
| den Grundlagen der Genderforschung entspricht.“ So zu tun, als sei diese | |
| eine Perspektive die absolute Wahrheit, sei nicht „wissenschaftlich | |
| redlich“. | |
| Eine Kritik, die der Biologe Rüdiger Krahe, der auch Vollbrechts | |
| Doktorvater an der HU ist, zurückweist. Aus wissenschaftlicher Sicht | |
| erkenne er kein Problem in dem Vortrag und der Darstellung der | |
| Zweigeschlechtlichkeit im Tierreich. Krahe räumt aber ein, dass seine | |
| Doktorandin sich in dem Vortrag einem Thema widmet, dass „nicht ihr | |
| Fachgebiet“ sei und vom Niveau her „einem Grundkurs Biologie entspricht“. | |
| Ein Umstand, der auch die HU-Leitung zum Umdenken bewegt hat. „Wir haben | |
| aus diesem Vorfall gelernt, dass nur wirkliche Experten auf ihrem | |
| Fachgebiet solche Vorträge halten sollen“, erklärte HU-Präsident Frensch. | |
| Bislang würde nur intern rumgefragt, wer auf der Langen Nacht der | |
| Wissenschaften einen Beitrag halten wolle. Eine Prüfung der eingereichten | |
| Vorträge auf Wissenschaftlichkeit finde bislang nicht statt. „Das müssen | |
| wir künftig ändern“, versprach Frensch. | |
| ## Nicht ohne Kontext | |
| Ein Ergebnis, das auch Heiner Schulze vom Schwulen Museum Berlin begrüßte. | |
| „Es ist ja nicht so, dass Marie-Luise Vollbrecht eine unschuldige Biologin | |
| wäre“, sagte Schulze. Das belegten ihre privaten Äußerungen auf Twitter und | |
| in der Welt, die Ressentiments gegen queere Menschen schürten. Schulze | |
| begrüßte, dass die HU den Vortrag verschoben habe und nun durch eine | |
| Podiumsdiskussion ergänze. „Der Vortrag der Wissenschaftlerin Vollbrecht | |
| muss in den Kontext gesetzt werden“, sagte er. | |
| Marie-Luise Vollbrecht selbst sieht das anders. Zwei Stunden vor der | |
| Panel-Diskussion stand sie auf der Bühne im Ernst-Reuter-Saal der HU, keine | |
| zwei Kilometer vom Audimax II entfernt. Zu Beginn ihres Vortrags machte sie | |
| noch einmal ihren Standpunkt in der Debatte klar. Ihr Vortrag sei | |
| wissenschaftlich und müsse nicht kontextualisiert werden. Ihre politischen | |
| Ansichten, die sie außerhalb der Hochschule tätige, seien für die | |
| Grundlagen der Biologie, um die es ihr gehe, „irrelevant“. | |
| Aus diesen Gründen habe sie die Teilnahme an der Podiumsdiskussion | |
| abgesagt. Aus der Zusammensetzung der Teilnehmenden habe sie zudem | |
| geschlossen, dass es bei dem Panel „nicht um Biologie geht“. Der HU danke | |
| sie aber, dass sie den Vortrag nachholen könne. Für Presseanfragen stehe | |
| sie nicht zur Verfügung. | |
| Danach redete Vollbrecht eine Stunde über Zweigeschlechtlichkeit bei Tieren | |
| und Menschen und warum Zwitter im Pflanzen- und Tierreich nicht | |
| irrtümlicherweise auf ein drittes Geschlecht schließen lassen. Gestört | |
| wurde ihr Vortrag nicht. Im Gegenteil. Offenbar sind nur die gekommen, die | |
| Vollbrechts Sicht der Dinge teilen. Die Polizei, die vor dem Gebäude | |
| positioniert war, musste nicht eingreifen. | |
| ## Protest von Studierenden | |
| Diejenigen, die den Vortrag kritisch sehen, demonstrierten zeitgleich an | |
| einem anderen Ort. Am nahe gelegenen Robert-Koch-Platz trafen sich eine | |
| Gruppe von trans, inter und nichtbinären Studierenden. Von der HU-Leitung | |
| forderten sie eine klare Positionierung gegen transphobe Meinungen. Die HU | |
| habe einer menschenverachtenden Meinung eine Bühne gegeben, sagte ein | |
| Mitglied der Gruppe zur taz. Und Vollbrecht habe sich der kritischen | |
| Debatte entzogen. | |
| Ob eine Universität Meinungen wie die der Biologin Vollbrecht aushalten | |
| muss, war später auch auf dem Panel Thema. Unipräsident Peter Frensch | |
| formulierte es vorsichtig: „Eine Universität drängt nicht danach, sich | |
| politisch zu äußern. Sie drängt danach, sich wissenschaftlich zu äußern.“ | |
| Politisch äußere sie sich nur dann, wenn sie unbedingt müsse. | |
| Etwas klarer äußerte sich Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Mit | |
| dem Selbstbestimmungsgesetz habe sich die Bundesregierung klar | |
| positioniert. Stark-Watzinger betonte, dass Universitäten einerseits Orte | |
| der freien Debatten seien. „Die Wissenschaftsfreiheit hat aber klare | |
| Grenzen. Und die fängt bei der Würde und dem Respekt des Gegenübers an.“ | |
| 15 Jul 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ralf Pauli | |
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