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# taz.de -- Ausladung von UN-Beauftragter an FU: Freie Rede – aber für alle …
> Die jüngste Absage passt nicht zu freiem Meinungsaustausch auf einem
> Uni-Campus – genauso wenig wie die Ausladung einer Biologin oder
> Niederschreien.
Bild: Zwei, die stritten und doch Freunde waren: Die früheren US-Supreme-Court…
„Obwohl ich völlig anderer Meinung bin als Sie, würde ich mein Leben dafür
geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen.“ Voltaire soll das
angeblich doch nicht gesagt haben, obwohl ihm dieses Zitat fest anheftet.
Aber es passt eben zum freien Denken des Philosophen.
Von einem „marketplace of ideas“ und Wettbewerb der besten Argumente
schwärmte vor 30 Jahren in einem Seminar an einer US-Universität auch ein
Dozent und Watergate-Reporterveteran. Der war fast erschüttert, vom
Schreiber dieser Zeilen zu hören, in Deutschland gebe es da zu Recht einige
Einschränkungen – etwa, dass die Leugnung des Holocaust unter Strafe steht.
Doch auch mit rechtlichen Leitplanken: Mit einem solchen Wettbewerb der
Argumente hat wenig zu tun, was auf einem Uni-Campus in Berlin mit der
Ausladung einer Rednerin derzeit passiert. Ja, man kann völlig anderer
Meinung sein, als [1][die UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten
Gebiete Palästinas, Francesca Albanese], man kann sogar – wie es in einer
anderen Übersetzung des angeblichen Voltaire-Zitats heißt – verabscheuen,
was sie über Israel sagt.
Aber das rechtfertigt keine Ausladung durch die Freie Universität und keine
politische Einmischung. Natürlich kann Kai Wegner (CDU) als Regierender
Bürgermeister eine Meinung zu Albanese haben und – wenn er meint, das tun
zu müssen – einen möglichen Auftritt auch als „Schande“ bezeichnen. Und
dass der israelische Botschafter Ron Prosor sich dagegen wendet, ist sogar
sehr nachvollziehbar. Doch falls so etwas zu einer Absage durch eine
Uni-Leitung führt, ist das der falsche Weg.
## Nicht-behelligt-Werden als Anspruch
Es ist dann genauso falsch wie [2][das Einknicken der Humboldt-Universität
2022], als eine Biologin bei der „Langen Nacht der Wissenschaft“ darüber
referieren wollte, dass es biologisch nur zwei Geschlechter gebe. Protest
formierte sich, „Keine Bühne für queer- und transfeindliche Ideologien an
der HU!“ hieß es in einem Demonstrationsaufruf.
Die Uni sagte schließlich ab, [3][begründete das mit Sicherheitsbedenken],
gab aber an, man bedaure die Absage. Doch falls man das wirklich tat –
wieso ermöglichte man dann der Biologin nicht mit Sicherheitspersonal, in
der „Langen Nacht“ vortragen zu können?
In anderen Fällen und an anderen Universitäten gibt es wiederholt das
Niederbrüllen missliebiger Meinungen. Aus den USA ist seit Jahren vermehrt
der Anspruch zu hören, nicht mit Meinungen konfrontiert zu werden, die dem
eigenen Weltbild widersprechen, weder in Seminaren noch in Büchern. Eine
„trigger warning“ sei auszusprechen oder in Literaturverzeichnissen zu
vermerken.
Ganz schlimm wird es, wenn sich Organisatoren von Debatten sorgen, es
könnte ja ein geschulter extremistischer Redner auftauchen. Oder
grundsätzlich niemanden jenseits der eigenen Blase einladen. Wie wäre es
denn stattdessen, selbst argumentativ bestens vorbereitet in einen solchen
Diskussionsabend zu gehen?
## Gesetze und Gerichtsurteile als Rahmen
Das alles hat mit dem Ideal vom Uni-Campus als Austauschort, als
„marketplace of ideas“, auf dem sich die überzeugendste durchsetzt, nichts
mehr zu tun.
Eine Pro-Palästina-Aktivistin muss genauso auf dem Campus reden dürfen wie
ein glühender Verfechter von Benjamin Netanjahus Politik, linke Studenten
müssen eine Heidi Reichinnek genauso einladen dürfen wie die CDU-nahe
Studentenorganisation RCDS einen Friedrich Merz. Und bei anschließenden
Diskussionen muss klar sein, dass man und frau eine andere Meinung nicht
dadurch widerlegt, indem man sie durch Niederschreien unhörbar macht.
Den Rahmen dafür hat keine in keinem Gesetzbuch definierte political
correctness zu bilden und auch keine lautstarke Demonstrantengruppe,
sondern allein, was Gesetze und Gerichtsurteile in Deutschland vorgeben.
Aufruf zum Rassenhass? Muss eine Anzeige und Abbruch zur Folge haben.
Verherrlichung der Nazi-Herrschaft? Dito. Volksverhetzung [4][gemäß
Strafgesetzbuch Paragraf 130] über Verbreiten der Weg-mit-Israel-Parole
„From the river to the sea“? Genauso. Und dass drumherum niemand politisch
Andersdenkende beleidigt oder prügelt sowieso.
## Schier märchenhaftes Gegenbeispiel
Das alles klingt gegenwärtig wie ein Lichtjahre entferntes Utopia. Und doch
gibt es immer wieder Beispiele, wie Menschen völlig gegensätzlicher Meinung
respektvoll miteinander umgehen können. Die in linken Kreisen
[5][Kultstatus genießende 2020 verstorbene liberale US-Verfassungsrichterin
Ruth Bader Ginsburg] etwa tickte juristisch und politisch völlig anders als
ihr äußerst konservativer Supreme-Court-Kollege Antonin Scalia.
Hielt sie das von gegenseitigem Respekt ab? Nein, die beiden [6][waren
vielmehr miteinander befreundet]. Daraus wurde [7][sogar eine Oper] – auch
wenn ihr Inhalt in der gegenwärtigen Stimmung wie ein Märchen anmutet.
15 Feb 2025
## LINKS
[1] /!6065380&s=albanese+bax&SuchRahmen=Print/
[2] https://www.spiegel.de/wissenschaft/berlin-humboldt-universitaet-sagt-vortr…
[3] https://www.tagesspiegel.de/berlin/gender-zoff-mit-biologin-humboldt-uni-gi…
[4] https://dejure.org/gesetze/StGB/130.html
[5] /Dokumentation-ueber-Ruth-Bader-Ginsburg/!5555923
[6] https://eu.usatoday.com/story/news/factcheck/2020/09/27/fact-check-ruth-bad…
[7] https://www.fnp.de/kultur/ungewoehnliche-freundschaft-oper-ueber-oberste-us…
## AUTOREN
Stefan Alberti
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