# taz.de -- Dokumentarfilm über Alice Schwarzer: Unbeirrbar und unwidersprochen | |
> Der Lebensleistung der feministischen Ikone Alice Schwarzer widmet sich | |
> ein neuer Dokumentarfilm. Das Porträt ist allerdings zu unkritisch. | |
Bild: Alice Schwarzer bei der Arbeit | |
Alice Schwarzer ist eine Reizfigur. Ist es schon immer gewesen und wird es | |
wahrscheinlich auch immer bleiben. Das ist einer der Schlüsse, der sich | |
nach dem Dokumentarfilm von [1][Sabine Derflinger („Die Dohnal“)] über die | |
wohl bekannteste deutsche Feministin der Gegenwart aufdrängt. | |
Zugegebenermaßen ist das für sich genommen keine sehr erhellende | |
Erkenntnis. Man kennt es aus Gesprächen, Artikeln, Tweets: Fällt ihr Name, | |
ist er in der Regel mit einer starken Reaktion verknüpft. Meist der | |
negativen Sorte. Allerdings zeigt der Film auch, ohne es ausdrücklich | |
anzusprechen, wie sehr sich verlagert hat, woher die vehemente Ablehnung | |
ihrer Positionen, gar ihrer Person selbst, kommt. | |
Durch eine Montage aus alten TV-Beiträgen, Zeitungsartikeln und aktuellen | |
Interviews hangelt sich die Doku, nicht ganz chronologisch, an den | |
Meilensteinen von Schwarzers Engagement und Karriere als Emma-Herausgeberin | |
entlang. Im Zuge der Sexismus-Klage gegen die Zeitschrift Stern empört sich | |
etwa der damalige Chefredakteur Henri Nannen über Schwarzers juristisches | |
Vorgehen gegen mehrere „frauenerniedrigende“ Cover. Von Boulevardblättern | |
ebenso wie in seriöseren Publikationen wird ihr vorgeworfen, dass sie | |
„Männerhass“ predige, man bezeichnet sie als „Hexe“. | |
Auch im Rahmen der von Schwarzer initiierten „Wir haben | |
abgetrieben“-Kampagne, bei der sich zahlreiche Frauen öffentlich zum | |
Schwangerschaftsabbruch bekannten, um gegen den Paragraf 218 zu | |
protestieren, kommen die schärfsten Anfeindungen hauptsächlich von Männern. | |
Doch je weiter sich der Film der Gegenwart nähert, desto stärker verändern | |
sich die Kontexte für die Ablehnung, die die Feministin erfährt. | |
Waren es zunächst das gekränkte Patriarchat und konservative Stimmen, die | |
sich an ihr rieben, sind es spätestens seit ihrem Engagement für ein | |
Prostitutionsverbot, [2][ihrem Buch über die Silvesternacht von Köln] und | |
der restriktiven Haltung gegenüber dem Kopftuch vermehrt | |
Vertreter:Innen der progressiven Linken wie sexpositive Feministinnen | |
und Antirassismus-Aktivisten, die die deutlichste Kritik an ihr üben. Was | |
Derflinger hier anschneidet, aber nicht weiter beleuchtet, ist nicht | |
weniger als die Spaltung des Feminismus, wie wir sie gerade verstärkt | |
erleben. „Alice Schwarzer“ verpasst es so, in der hitzig geführten – oft, | |
aber nicht ausschließlich an Generationengrenzen entlang verlaufenden – | |
Debatte ein differenzierter Beitrag, gar ein Vermittlungsversuch zu sein. | |
Im Gegenteil: Den aktuelleren Standpunkten Schwarzers werden nicht nur zu | |
keinem Zeitpunkt etwaige Gegenstimmen gegenübergestellt. Durch Redebeiträge | |
von ihren Wegbegleitern und Mitstreiterinnen werden diese schlicht als | |
abstrus abgetan und Schwarzers Kampf wird so als der einzig gerechte | |
dargestellt. Die [3][besonders in der LGBTQ-Community umstrittenen | |
Äußerungen Schwarzers zu Transgeschlechtlichkeit] werden vollständig | |
ausgespart. | |
Unabhängig davon, ob oder wie man sich selbst in der Feminismus-Debatte | |
verortet, ist dieser unbeschwerte Umgang mit kontrovers diskutierten Themen | |
nicht nur dem aufklärenden Potenzial des Dokumentarfilms abträglich. Selbst | |
wenn er sich in erster Linie als Würdigung einer großen Lebensleistung | |
verstanden wissen will, ist der Film ein Porträt, das seiner Protagonistin | |
in seiner ausschließlich affirmativen Haltung gegenüber Alice Schwarzer, | |
die sich ja selbst stets bewundernswert konfliktbereit präsentiert, nicht | |
gerecht wird. | |
Sehenswert ist der Dokumentarfilm damit vor allem aufgrund der Momente, die | |
vor Augen führen, wie kurz es her ist, dass die Gleichberechtigung der Frau | |
erstritten wurde, wie fragil und unvollständig die Lage bis in die | |
Gegenwart ist. Im Hinblick auf die heutige, bisweilen prekäre Situation des | |
Feminismus ist der Film eher unfreiwillige Problemdiagnose – und Mahnung, | |
dass seine Spaltung überwunden werden muss, um gegen emanzipatorische | |
Rückschritte anzukämpfen. | |
„Alice Schwarzer“. Regie: Sabine Derflinger. Österreich/Deutschland 2022, | |
100 Min. | |
13 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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