# taz.de -- Debatte weißer Feminismus: Ja, wir sind ungeduldig | |
> Weiße Feministinnen agieren häufig im Sinne des Patriarchats. Denn weiße | |
> Mittelmäßigkeit kann vorteilhaft sein. | |
Bild: Protest am internationalen Frauentag | |
Es gibt Äußerungen, die sich als „K(r)ampfansagen“ etikettieren lassen. | |
Etwa die folgende Behauptung: „Wenn Redaktionen im Namen des Antirassismus | |
eine Schwarze Frau zum vermeintlichen Sprachrohr von rassistischen | |
Erfahrungen in Deutschland machen, führt das dazu, dass wieder nur ein | |
Standard reproduziert wird.“ So Sophie Passmann im Interview neulich mit | |
der Schweizer Zeitschrift Annabelle. Auf den ersten Blick erweckt die | |
Aussage den Eindruck, ein ungeschickter Versuch zu sein, den Tokenismus | |
anzuprangern. Doch gleich daraufhin fügt Passmann unmissverständlich hinzu: | |
„Wer spricht am lautesten, am funkiesten in ein Interview-Mikrofon hinein? | |
Ohne dabei irgendetwas gegen Rassismus getan zu haben.“ Deshalb habe sie | |
sich bereits vor zwei Jahren [1][aus dem „Politik-Scheiß“ komplett | |
zurückgezogen]. | |
Doch eben mit der nach Ressentiment klingenden Rhetorik ist es der | |
Influencerin gelungen, wieder in die Schlagzeilen und diesmal auch in die | |
Kritik zu geraten. In der BIPoC-Community nennen wir es White Girl Tears, | |
weibliche Tränen als Ausdruck weißer Fragilität. Fakt ist, Passmanns | |
Passagen strotzen nicht gerade vor Solidarität mit jenen Opfern sozialer | |
und sexueller Marginalisierung, die zugleich durch systemischen Rassismus | |
unterdrückt werden. Dementsprechend machten etliche Afrodeutsche, darunter | |
die Bestseller-Autorin [2][Jasmina Kuhnke, ihrer Indignation Luft.] Laura | |
Hertreiter, Ressortleiterin bei der Süddeutschen, [3][leistete Passmann | |
Schützenhilfe]. Es folgte ein heftiger Shitstorm, in dessen Verlauf Kuhnke | |
und Verbündete mit üblen Hasskommentaren überschüttet wurden, ausdrücklich | |
auch von erklärten Feministinnen. Hertreiter und andere rieten, Schwarze | |
Frauen sollen sich eher darauf konzentrieren, sich bei weißen | |
Feminist*innen verständlicher zu machen. | |
Nun eine Eilmeldung: Die Misogynoir, nämlich der Hass auf Schwarze Frauen, | |
ist kein Hirngespinst, sondern Realität. Dieser Hass artikuliert sich zum | |
einen als die Exotisierung und Erotisierung unserer Körper. Parallel werden | |
uns höhere geistige Fähigkeiten abgesprochen, auch wenn Weiße sich ständig | |
an der Schatzkiste unserer intellektuellen und kreativen Leistungen | |
vergreifen. Erheben wir unsere Stimme, ohne dabei Blues, Gospel oder Pop zu | |
schmettern, werden die Tone-Polizist*innen losgeschickt, um uns zu | |
dressieren und von den Vorzügen devoter Dankbarkeit zu überzeugen. | |
Ja, wir sind ungeduldig. Angry Black Women halt. Woher kommt das nur? Und | |
warum richten wir unsere Wut ausgerechnet auf andere Feminist*innen? | |
Dem weiß dominierten Feminismus wohnt ein Rassismus inne, der historisch | |
tief verwurzelt ist. Umso bedauerlicher ist es, dass viele „moderne“ | |
Feministinnen dieses Problem leugnen und, mit geschichtsrevisionistischer | |
Arroganz, die Errungenschaften Schwarzer Frauenrechtlerinnen ignorieren. | |
Hier sind nur drei der vielen afroamerikanischen Vorreiter*innen, die mir | |
am Herzen liegen: Die als Versklavte geborene Widerstandskämpferin | |
Sojourner Truth (1797–1883) verkörperte bereits Mitte des 19. Jahrhunderts | |
intersektionale Ansätze gegen die Mehrfachdiskriminierung, lange bevor die | |
White Suffragettes ihren Black Friday (1910) erlebten. Die Mathematikerin | |
Katherine Johnson (1918–2020) berechnete Flugbahnen für die Nasa im | |
Vorfelde der Mondlandung und ebnete dabei den Weg auch für weiße Frauen bei | |
der Raumfahrtbehörde. Marsha P. Johnson (1945–1992) warf 1969 als trans* | |
Frau den ersten Stein von Stonewall und gab der schwulen, lesbischen | |
Bewegung somit wichtige Impulse. Trotz alledem werden wir eher als Bitches | |
und Bittstellerinnen angesehen. Bei feministischen Stammtischen kommt es | |
immer noch vor, dass Weiße uns in die Haare fassen wollen. Von wegen Safe | |
Spaces. Tragen wir ein Kopftuch, ob aus modischen oder religiösen Gründen, | |
können wir mit Putzfrauenwitzen rechnen. | |
Weiße Feministinnen agieren häufig im Sinne des Patriarchats. So begegnen | |
sie vielen Fortschritten in puncto Diversity mit demagogisch artikulierter | |
Ablehnung. Welche marginalisierte Feministin, ob als Muslima, trans* Frau | |
oder beides, möchte auf die Gnade einer Alice Schwarzer angewiesen sein? | |
Die im Feminismus herrschende Misogynoir existiert nicht in einem Vakuum, | |
sondern in einer brodelnden Biosphäre, in der besorgte Bürger*innen | |
gegen die wirklich Benachteiligten unerbittlich kämpfen. | |
Es ist nicht das Ziel vieler weißer Feminist*innen, Gerechtigkeit für alle | |
Frauen zu erlangen. Nein, sie sind von Angst vor Privilegienverlust | |
getrieben. Denn sie haben sich mittlerweile darauf eingestellt, dass die | |
weiße Mittelmäßigkeit, als gesellschaftliche Norm von heteronormativen | |
Männern eingeführt, an und für sich vorteilhaft sein kann. Wir | |
BIPoC-Frauen, die trotz struktureller Unterdrückung unermüdlich nach oben | |
streben, jagen den Ewiggestrigen allerdings einen Schreck ein. Denn | |
Privilegierte wittern, dass wir erfolgreicher mit Widrigkeiten umgehen | |
können. Schon unsere Beherrschung der Mikroaggressionen, denen wir | |
tagtäglich ausgesetzt sind, härtet ab und sensibilisiert zugleich. | |
Stehvermögen mit Soft Skills. Viele Unternehmen haben das erkannt und | |
belohnen uns, wenngleich schleppend und nicht ohne Schönheitsfehler, mit | |
beruflichen Positionen, die für uns eine Generation zuvor gar nicht infrage | |
kamen. | |
Privilegierte Feministinnen und ihre Fürsprecherinnen haben grundsätzlich | |
das Recht, die Welt von ihrer Warte aus zu beschreiben, ohne Weitsicht oder | |
Nächstenliebe zeigen zu müssen. Sie müssen uns auch nicht den roten Teppich | |
ausrollen – aber wir sind keine Fußmatten. So sollten sie sich nicht | |
wundern, dass es noch lange nicht leise wird. Gerade dadurch wird die | |
Gesellschaft unaufhaltsam bunter und reflektierte Frauen jeglicher Couleur | |
werden die Strukturen der Diskriminierung gezielt und gemeinsam bekämpfen. | |
26 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.annabelle.ch/leben/sophie-passmann-ich-kann-buecher-schreiben-u… | |
[2] https://twitter.com/ebonyplusirony | |
[3] https://www.sueddeutsche.de/meinung/sophie-passmann-annabelle-tolentino-fem… | |
## AUTOREN | |
Michaela Dudley | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
IG | |
Feminismus | |
White Privilege | |
Feminismus | |
Schwerpunkt Rassismus | |
TV-Serien | |
Diversität | |
Feminismus | |
Kolumne Great Depression | |
Zivilgesellschaft | |
Podcast „Weißabgleich“ | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
taz Salon über Frauen im Protest: „Rhetorisch krasse Frauen“ | |
Die Gesichter der Klimabewegung sind weiblich. Denn die Protestierenden | |
wissen, dass das Aufmerksamkeit sichert, sagt Medientrainerin Emily Laquer. | |
Misogynie gegen Schwarze Frauen: Jenseits des Glamour-Feminismus | |
Misogynie und Rassismus gibt es hier und in den USA. Doch anders als in | |
Deutschland ist es dort für eine Schwarze Frau möglich, Präsidentin zu | |
werden. | |
„Eine Frage der Chemie“ auf Apple TV+: Aggregatzustand von Bratenkruste | |
Den Erfolgsroman „Eine Frage der Chemie“ gibt es jetzt als TV-Serie. Warum | |
sie dem Buch gerecht wird – zumindest weitgehend. | |
Grenzen der Vielfalt: Hinter den Schaufenstern | |
„Diversität“ ist das Schlagwort der Stunde, alle setzen heute auf Vielfalt. | |
Nur: Das gängige Verständnis davon greift viel zu kurz. | |
Dokumentarfilm über Alice Schwarzer: Unbeirrbar und unwidersprochen | |
Der Lebensleistung der feministischen Ikone Alice Schwarzer widmet sich ein | |
neuer Dokumentarfilm. Das Porträt ist allerdings zu unkritisch. | |
Mikroaggressionen und Psyche: Kaum sichtbar, aber sehr toxisch | |
Mikroaggressionen können krank machen. Und sie treffen hauptsächlich | |
marginalisierte Gruppen. Das Empfinden von Betroffenen muss anerkannt | |
werden. | |
Initiative gegen Hatespeech: „Hassmelden“ braucht eine Pause | |
Seit 2019 hilft die Initiative Hassmelden Betroffenen von Hass im Netz | |
juristisch. Jetzt legt das Team seine Arbeit nieder – wegen Überlastung. | |
Podcast „Weißabgleich“: Vielfalt in den Medien | |
Wir sprechen über Sichtbarkeit und Tokenism, Privilegien und schlechte | |
Bezahlung im Journalismus. |