# taz.de -- Alice Schwarzer wird 80: Feindbild und Ikone | |
> Ein Biopic, eine Doku und ein Podcast beschäftigen sich mit dem Leben von | |
> Schwarzer. Was erzählt wird, ist eine politische Entscheidung. | |
Bild: Schon 1971 kämpfte Schwarzer für die Legalisierung von Abtreibungen… | |
Wer sich in Deutschland als Feministin bezeichnet, hat zwangsläufig eine | |
Position zu Alice Schwarzer. Für die einen ist sie eine feministische | |
Ikone, für andere eine Einzelkämpferin, die dem Feminismus geschadet hat. | |
Pünktlich zu ihrem 80. Geburtstag am 3. Dezember widmen sich nun einige | |
Fernseh- und Audioproduktionen dem Leben von Schwarzer. Wie man zu ihr | |
steht, ist auch eine Frage der Sozialisation und der eigenen Generation. | |
Geht es darum, eine Geschichte von Schwarzer zu erzählen, ist es deswegen | |
auch immer interessant, wer sie erzählt. | |
Eine der ersten Erinnerungen, die ich an Alice Schwarzer habe, stammt aus | |
dem Jahr 2007: Ich bin gerade 16 Jahre alt, in einer Maischberger-Sendung | |
liest sie den Rap-Text „Du nichts, ich Mann“ vom sogenannten Pornorapper | |
„King Orgasmus One“ vor. Ein eher harmloses Zitat daraus: „Mach mir was zu | |
essen und danach gehst du putzen, so wie sich das gehört.“ Es hat etwas | |
Komisches, wie Schwarzer die sexistischen Lyrics kühl von einem | |
DIN-A4-Zettel vorliest, während ihr der Rapper fast schon verschüchtert | |
gegenübersitzt. Das Youtube-Video davon wird ein Dauerbrenner in unserem | |
Freund*innenkreis, wir können es auswendig mitsprechen. Der Name Alice | |
Schwarzer war mir schon ein Begriff, klar, aber wirklich etwas wusste ich | |
über sie damals nicht. Sie hat in meiner Politisierung keine Rolle | |
gespielt. | |
Erst 2016, als Schwarzer [1][die Kölner Silvesternacht] | |
instrumentalisierte, um rassistische Stereotype zu verbreiten, habe ich | |
mich intensiver mit ihr auseinandergesetzt. Mit den Schlüsselmomenten aus | |
ihrem Leben wie dem [2][Stern-Cover „Wir haben abgetrieben“ von 1971], der | |
Gründung der Emma und ihrem Bestseller „Der kleine Unterschied – und die | |
Folgen“. Aber auch mit ihrer einseitigen Haltung zum Thema Pornografie, | |
Prostitution und dem Kopftuch sowie ihre ausschließenden und | |
diskriminierenden [3][Positionen zu Transgeschlechtlichkeit]. Denn auch das | |
alles ist Alice Schwarzer. Sie blickt auf ein ereignisreiches Leben zurück. | |
Dass eine Fernseh- oder Audioproduktion nur einen Teil davon thematisieren | |
kann, ist klar. Doch was erzählt und was weggelassen wird, ist auch eine | |
politische Entscheidung. | |
## Der Blick ins Private | |
Das dreistündige ARD-Biopic „Alice“ macht es sich einfach und konzentriert | |
sich auf die 60er und 70er Jahre: Von Schwarzers Leben in Paris bis zur | |
ersten Ausgabe der Emma. Der Zweiteiler von Nicole Weegmann zeichnet | |
chronologisch ihren Lebensweg als aufstrebende Journalistin und Aktivistin | |
nach – Skandale lässt er aus. Der erste Teil beginnt mit Schwarzer (Nina | |
Gummich) am Strand in der Bretagne, wo sie zum ersten mal auf Bruno (Thomas | |
Guené) trifft, der für zehn Jahre ihr Liebespartner sein wird. Es ist | |
ungewöhnlich, dass der Blick ins Private hier einen Schwerpunkt bekommt. | |
Das Biopic zeigt sie als liebevolle Babysitterin, fürsorgliche Freundin, | |
Tochter und Liebhaberin. | |
Im Kontrast dazu wird dann gezeigt, wie sich Schwarzer zunächst als | |
Journalistin und Frauenrechtlerin gegen alle Widerstände einen Namen macht. | |
Ausgelöst wird ihr Engagement durch ihre Freundin Renate (Lou Strenger), | |
die nach einer illegalen Abtreibung blutend vor ihrer Wohnungstür liegt. So | |
wird der Kampf für die Legalisierung von Abtreibung zu einem ihrer | |
Lebensthemen. Der Sexismus und der Hass, der ihr in den Jahren | |
entgegenschlägt, scheint Schwarzer nicht wirklich zu tangieren. Die Energie | |
der französischen Studentenproteste Ende der 60er nimmt sie mit nach | |
Deutschland, um dort den legendären Stern-Titel zu organisieren oder sich | |
später in einer Talkshow mit der damals bekannten Antifeministin Esther | |
Vilar (Katharina Schüttler) zu duellieren. Hier fällt der viel zitierte | |
Satz: „Sie sind nicht nur Sexistin, sie sind auch Faschistin.“ Schwarzer | |
ist eben eine, die austeilen kann. | |
Das Biopic ist fiktiv, doch in seiner Erzählung nah an der Realität | |
geblieben: Die Eckdaten stimmen, Zitate von Schwarzer wurden teils wörtlich | |
übernommen. Trotz allem bleibt es eine Weichzeichnung, die Kritisches | |
einfach weglässt oder anders erzählt. Einerseits liegt es daran, dass die | |
Filme auf die „schwierigen Jahre“ Schwarzers verzichten – inklusive | |
Steuerskandal, islamfeindliche und putinfreundliche Aussagen oder | |
umstrittene Bild-Kampagnen. | |
## Schwarzer selbst war beteiligt | |
Doch nicht nur das. Wer Schwarzer kritisiert oder mit ihrer Art nicht | |
klarkommt, wird in den zwei Filmen als Verlierer*in dargestellt. | |
Kritiker*innen, die bei ihren Buchpremieren auftauchen, werden als naive | |
Antikapitalist*innen dargestellt. Der Versuch, gemeinsam mit | |
Student*innen ein feministisches Buch zu schreiben, scheitert. 15 | |
frustrierte Student*innen reisen abrupt aus ihrer Pariser Wohnung ab und | |
brechen die Zusammenarbeit ab. Schwarzer reagiert darauf nur salopp mit | |
„Schreib ich halt meine eigenen Bücher“. Und das ist der Sound des ganzen | |
Biopics: Aus jedem Streit, jeder Kritik und jedem Verlust geht Schwarzer | |
als Siegerin hervor. Sie wird nicht als eine Frau dargestellt, mit der es | |
schwer ist zusammenzuarbeiten, sondern als eine erfolgreiche | |
Alleingängerin, mit der keine*r mithalten kann. | |
Es verwundert also nicht, wenn man herausfindet, dass Schwarzer selbst an | |
dem Biopic beteiligt war. Auf Anfrage der taz, wie diese Zusammenarbeit | |
ausgesehen hat, antwortet die ARD, die Autor*innen Daniel Nocke und | |
Silke Steiner hätten eigenständig kreativ gearbeitet, jedoch viele sehr | |
„persönliche und intensive Gespräche“ mit Schwarzer zur Recherche geführ… | |
Zudem hatte sie Mitspracherecht bei der Besetzung der drei Hauptfiguren. | |
Vielleicht auch, um diesem sehr positiven Bild etwas entgegenzusetzen, | |
strahlte die ARD nach dem Zweiteiler die Dokumentation „Die Streitbare – | |
wer hat Angst vor Alice Schwarzer?“ aus, in der auch kritische Stimmen zu | |
Wort kommen. Diese hangelt sich an den Reizthemen Schwarzers entlang und | |
lässt Wegbegleiter*innen und Feministinnen unterschiedlicher | |
Generationen zu Wort kommen. Während die Journalistin Beate Wedekind und | |
Schwarzers Verleger Helge Malchow ihren Stellenwert als feministische Ikone | |
hervorheben, erzählt Grünen-Abgeordnete Renate Künast, wie sie im Streit | |
über den rechtlichen Umgang mit Prostitution mit Schwarzer | |
aneinandergeraten ist. Obwohl weitere kritische Stimmen wie die von Autorin | |
Emilia Roig („Nein, ich bin ihr nicht dankbar“) zu Wort kommen, bleibt die | |
Doku doch an der Oberfläche – mit einer eindeutigen Schlagrichtung: | |
Schwarzer hat für mehr Gerechtigkeit gesorgt und solle bloß nicht aufhören, | |
laut zu sein. Gerechtigkeit für wen, wird allerdings nicht thematisiert. | |
## Ein Darstellung ohne Weichzeichner? | |
Sowohl das Biopic als auch die Doku lassen die Chance verstreichen, eine | |
differenzierte Auseinandersetzung mit Alice Schwarzer zu zeigen. Ist das | |
Nachzeichnen von Schwarzers Leben also nur mit Weichzeichner möglich? | |
Der sechsteilige Podcast „Who the f*** is Alice?“ des SZ-Magazins zeigt, | |
dass es auch anders geht. Der Ton ist hier von Anfang an ein anderer. Die | |
Stimme der Redakteurin Gabriela Herpell (Jahrgang 1959) ist zu hören: „In | |
diesem Podcast geht es um die Geschichte eines Aufstiegs, eines ziemlich | |
einzigartigen Aufstiegs. Um eine Frau, die aus einfachsten Verhältnissen | |
kam und das Leben aller Frauen verändern sollte – zum Besseren.“ Kurz | |
darauf wird sie von ihrer Kollegin Susan Djahangard (Jahrgang 1991) | |
unterbrochen: „Gaby, so geht das gar nicht.“ Und weiter: „Dieser Podcast | |
ist eine Geschichte des Niedergangs. Eines ziemlichen Niedergangs sogar. | |
Von einer Frau, die zwar total viel für die deutsche Frauenbewegung getan | |
hat, ihr dann aber auch extrem geschadet hat. Weil sie auf ihren Positionen | |
von gestern verharrt, während die Welt sich weiterdreht.“ | |
Auch der Podcast beginnt seine Erzählung dann relativ chronologisch mit | |
Schwarzers Aufwachsen und ihren Pariser Jahren. Doch er hält nicht an der | |
Erzählung „Früher gut, heute schlecht“ fest, sondern zeigt Kontinuitäten | |
auf; beispielsweise, dass Schwarzers Feminismus schon früh zu | |
Vereinfachungen neigte und ihre blinden Flecken dafür sorgten, dass ihr | |
scheinbarer Kampf für alle Frauen eher einer für einen bestimmten Typus der | |
weißen kinderlosen Frau aus der BRD war. Dass Streitgespräch mit Verona | |
Pooth (damals Feldbusch) ist nur ein Beispiel von vielen dafür. Auch dass | |
Schwarzer wiederholt die Arbeit anderer an sich gerissen und den Erfolg für | |
sich deklariert hat, wird thematisiert. Schön ist, dass der Podcast an | |
dieser Stelle nicht stehen bleibt, sondern wichtige Feministinnen wie Helke | |
Sander und Sigrid Rüger, die durch einen Tomatenwurf berühmt wurden und | |
damit die zweite Feminismus-Welle in Deutschland auslösten, würdigt. | |
Obwohl die Eingangsstatements von Herpell und Djahangard eindeutig klingen, | |
sind die beiden – und das ist das große Plus des Podcasts– bereit, ihre | |
Haltung zu Schwarzer zu hinterfragen. Ohne dass dabei ihre problematischen | |
Aussagen und Aktionen verharmlost werden. | |
Auf der Suche nach Antworten auf die Frage, wie Schwarzer so hoch auf- und | |
so tief absteigen konnte, kommen vielzählige Stimmen zu Wort. Die wohl | |
kritischste ist Bascha Mika, ehemals taz-Chefredakteurin und | |
Alice-Schwarzer-Biografin, die, seit Schwarzer versucht hatte, die | |
Biografie zu verhindern, als ihre Lieblingsfeindin gilt. Mika resümmiert | |
klar: „Sie hat den Feminismus nicht vorangebracht.“ Auch Zeit-Autorin Jana | |
Hensel kann Schwarzer nicht viel abgewinnen. Als dann die ehemalige | |
WDR-Chefin und Emma-Mitarbeiterin Sonia Mikich die engagierte Arbeit | |
Schwarzers lobt, sagt Herpell: „Ich bin fast schon froh, wenn Menschen auch | |
mal gut über Alice Schwarzer sprechen.“ Dass in den ersten vier Episoden | |
mehr Kritiker*innen als Fans zu Wort kommen, ist keine | |
Recherche-Faulheit. Vielmehr hat Schwarzer mit der Zeit immer mehr | |
Fürsprecher*innen verloren. Viele frühere Wegbegleiter*innen haben | |
sich von ihr abgewandt – oder wollen nicht mit der Presse sprechen. | |
Trotz allem entsteht im Podcast durch die Gespräche mit Feministinnen | |
verschiedener Generationen und einer Collage aus Archivmaterial eine | |
differenzierte und vielschichtige Auseinandersetzung mit Alice Schwarzer. | |
Meine eigene Haltung zu Schwarzer haben weder die ARD noch der Podcast des | |
SZ-Magazins ins Wanken gebracht. Das muss auch gar nicht das Ziel sein. | |
Denn unabhängig davon, ob man in ihr nun eine Ikone oder ein Feindbild | |
sieht, steht fest: Sie hat den Feminismus in Deutschland mitgeprägt. Wer | |
heutige Konflikte in der feministischen Bewegung in Deutschland verstehen | |
will, kommt um Schwarzer nicht herum. | |
3 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /5-Jahre-Koelner-Silvesternacht/!5734263 | |
[2] /50-Jahre-Wir-haben-abgetrieben/!5772855 | |
[3] /Transfeindliche-Feministinnen/!5827790 | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
## TAGS | |
Feminismus | |
Doku | |
ARD | |
GNS | |
Podcast | |
Alice Schwarzer | |
Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk | |
Alice Schwarzer | |
Feminismus | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Hausbesuch bei Georgine Kellermann: Katholisch, konservativ, woke | |
Georgine Kellermann blickt zurück auf eine erfolgreiche Karriere als | |
Journalistin. Auch im Ruhestand ist sie alles andere als still. Ein Besuch. | |
Alice Schwarzers 80. Geburtstag: Die Expertin, die wir nicht brauchen | |
Alice Schwarzer hat im Kampf für Frauenrechte viel einstecken müssen. Das | |
entschuldigt nicht, dass sie beim Thema Transrechte Polemik verbreitet. | |
Dokumentarfilm über Alice Schwarzer: Unbeirrbar und unwidersprochen | |
Der Lebensleistung der feministischen Ikone Alice Schwarzer widmet sich ein | |
neuer Dokumentarfilm. Das Porträt ist allerdings zu unkritisch. | |
Warnung vor weiterer Kriegseskalation: Offener Brief an Scholz polarisiert | |
In der „Emma“ warnen Prominente aus Kultur und Medien den Kanzler vor einem | |
Dritten Weltkrieg. Der Brief sorgt für eine Kontroverse. |