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# taz.de -- Schönheit und Öffentlichkeit: „Scham ist ein mächtiges Instrum…
> Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, werden permanent auf
> Äußerlichkeiten angesprochen und verspottet, sagt die grüne
> Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer.
Bild: „Für Frauen gibt es kein Stück Stoff, das uns vor Gewalt schützt“:…
taz: Frau Ganserer, was ist für Sie Schönheit?
Tessa Ganserer: Schöne Menschen bringen in meinem tiefsten Inneren etwas
zum Schwingen. Es geht gar nicht darum, dass diese Menschen aussehen, wie
uns das irgendwelche Hochglanzbroschüren glauben machen wollen. Sondern
schöne Menschen leuchten im Inneren.
Was macht Schönheit bei Ihnen selbst aus?
Oh Gott, ich sehe schon wieder manche schäumen, wenn ich darauf antworte.
Eigentlich habe ich auch gar keine Lust, zu antworten, weil ich es so leid
bin, dass mein Frausein ständig in Frage gestellt wird. Aber gut: Wenn ich
in den Spiegel schaue und sehe, dass meine Augen strahlen, wenn ich
schmunzle, weil es mir gerade gut geht, dann gefalle ich mir. Dann bin ich
auch in der Lage, wirklich frei zu entscheiden, wonach mir ist. Was ich zum
Beispiel tragen möchte, wie ich aussehen möchte.
Sie sind nicht immer in der Lage, das frei zu entscheiden?
Ich finde es extrem hart, wie sehr uns gesellschaftliche Normen einbläuen
möchten, was wir als schön zu empfinden haben. Wenn ich ehrlich bin, kann
ich wahrscheinlich selbst nicht immer auseinanderhalten, ob ich gerade
wirklich etwas schön finde oder ob ich einfach so geprägt davon bin, was
mir und uns subtil täglich vermittelt wird und was ich deshalb sicher auch
selbst zu reproduzieren versuche. Gerade Frauen werden in unserer
Gesellschaft viel mehr als männlich gelesene Personen an ihrem Äußeren
bewertet und müssen sich viel mehr damit beschäftigen, was schön ist und ob
sie diesen Idealen genügen.
[1][Sie haben selbst lange in einer männlichen Rolle gelebt.] Hätte sich
die Frage nach Schönheit damals für Sie anders angefühlt?
Ich habe lange versucht, eine Rolle zu leben und auszufüllen, die mir von
außen zugeschrieben worden ist, die aber nicht meinem Innersten entsprach.
[2][Jetzt ist die Gesellschaft in der Lage, mich so wahrzunehmen, wie ich
bin]. Aber sie trägt gleichzeitig auch bestimmte Maßstäbe und Erwartungen
an mich heran. Ich werde permanent auf Äußerlichkeiten und Körperlichkeiten
angesprochen oder deswegen verspottet oder angegriffen. Gleichzeitig
betrifft das ja nicht nur mich, sondern hat gegenüber Frauen, die in der
Öffentlichkeit stehen, System.
Warum geht es da so schnell um Äußerlichkeiten?
Mir ist wichtig zu betonen, dass Welten liegen zwischen dem, was ich im
Internet erlebe und in der analogen Realität. Im Alltag habe ich so gut wie
nie ernsthafte Probleme. Aber in den sozialen Medien vergeht kein Tag, an
dem ich nicht verhöhnt oder beleidigt werde, bis hin zu regelrechter
Gewaltandrohung. Bei [3][Hate Speech] geht es darum, Menschen zu verletzen,
indem man sie beschämt, beleidigt oder bedroht – und sie so letztlich aus
dem Diskurs zu drängen. Deshalb trifft so etwas auch signifikant mehr
weiblich gelesene Personen, queere Menschen, Menschen mit
Migrationshintergrund, andere marginalisierte Gruppen und im Allgemeinen
Menschen, die auf gesellschaftspolitische Probleme hinweisen. Auf
Äußerlichkeiten loszugehen ist dabei besonders verletzend. Durch Mode kann
ich ja vielleicht noch etwas ändern. Aber am Körper etwas zu ändern ist
natürlich deutlich schwieriger.
Warum ist dieses Beschämen so effektiv?
Das hat, glaube ich, mit der menschlichen Urangst zu tun, von der
Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden. Diese panische Angst, plötzlich
allein gelassen zu werden, ausgestoßen, verlassen. Das ist furchtbar. Und
diese Angst davor, überall wo man hinkommt, dieselbe Ausgrenzung zu
erfahren, dieselbe Erniedrigung. Scham ist ein mächtiges gesellschaftliches
Regulierungsinstrument.
Gibt es gerade bei trans Frauen einen gewissen Druck, [4][klassischen
Schönheitsidealen] zu entsprechen?
Ich empfinde einen brutalen, manchmal absolut unerträglichen
gesellschaftlichen Normierungsdruck auf trans geschlechtliche Körper. Trans
Personen wird in unserer Gesellschaft beigebracht, sich für ihre
normabweichenden Körper zu hassen. Auch chirurgische Eingriffe, die Körper
korrigieren, hinterlassen Narben. Und trotz allem werden trans Personen
viel zu oft nicht in ihrem realen Geschlecht wahrgenommen.
Ist das gesellschaftliche Ideal heute zumindest weniger starr als früher?
Schönheitsideale verändern sich. Männer mit langen Haaren sind zum Beispiel
überhaupt kein gesellschaftskritisches Statement mehr. Trotzdem sortieren
wir unterbewusst 1.000 Mal am Tag Menschen in Kategorien von „männlich“
oder „weiblich“, „schön“ oder „nicht schön“ ein. Eine Frau mit Gl…
einem behaarten Gesicht wird noch immer als nicht schön und nicht weiblich
gelesen. Und als trans Person werde ich tagtäglich daran gemessen, wie sehr
ich gesellschaftlichen Normen entspreche und mich brav ins binäre System
einsortiere. Was soll ich denn machen, drauf scheißen? Auf den ganzen
Normierungsdruck des binären Geschlechtersystems? Klar, aber das ist echt
hart.
Geht es da auch um den Schutz vor [5][Angriffen und Gewalt]?
Das spielt eine ganz entscheidende Rolle. Wenn ich mich als weiblich
gelesene Person so halbwegs im gesellschaftlich attraktiven Mittelfeld
bewege, muss ich schlicht damit rechnen, Cat Calling zu erleben. Und zwar
gleich morgens auf den ersten 100 Metern zum Bäcker und bis ich spät abends
in der U-Bahn nach Hause fahre. Für Frauen gibt es kein Stück Stoff, keine
Rocklänge, die uns vor sexistischen Übergriffen und Gewalt schützt. Und auf
je mehr Ebenen eine Person von der Norm abweicht, desto mehr ist sie
gefährdet – sei es, weil sie of Color ist, eine Behinderung hat oder eben
transgeschlechtlich ist.
Was bedeutet das für Sie?
Es ist egal, ob ich freundlich lächle oder nicht, ob ich auf Männer stehe
oder auf Frauen, ob ich meine Haare kurz oder im Zopf trage, ob ich mir die
Lippen und Nägel anmale oder nicht: Wenn mich jemand als trans erkennt, und
dieser jemand hat echte Probleme mit dem Thema Akzeptanz, dann muss ich
eben damit rechnen, im schlimmsten Fall körperliche Gewalt zu erleben.
Was würde es für trans Personen heißen, wenn [6][Geschlechterrollen] noch
deutlich durchlässiger wären, als sie es heute sind?
Wenn sich Geschlechterrollen plötzlich in Luft auflösen würden, wäre dann
gleichzeitig auch alle Geschlechtlichkeit verschwunden? Ich weiß nicht,
inwiefern das möglich ist. Trans geschlechtliche Menschen wären dann
vielleicht freier. Sie wären glücklicher und selbstbestimmter. Aber ich
kann mir nicht vorstellen, dass sie dann gar keine medizinischen Maßnahmen
mehr vornehmen lassen würden.
Würde das nicht gerade dazu beitragen, die Binarität der Geschlechter zu
zementieren?
An gesellschaftlichen Normen von Schönheit und Geschlecht etwas zu ändern
ist eine enorme, gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Trans und nicht binäre
Personen machen ein halbes Prozent der Bevölkerung aus. Es kann nicht sein,
dass das allein auf unserem Rücken ausgetragen wird. Geschlechterklischees
zu sprengen ist verdammt noch mal nicht unser Job! Ich muss es auch
niemandem recht machen, außer einer: mir selbst. Ich muss in einen Spiegel
schauen können und sagen: So, passt schon. Ich mag dich so, wie du bist.
7 Mar 2024
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## AUTOREN
Dinah Riese
Patricia Hecht
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