# taz.de -- Feminismus und Schönheit: Spieglein, Spieglein | |
> Sollten sich Feminist*innen überhaupt mit ihrem Aussehen | |
> beschäftigen? Zwei Perspektiven aus der taz zum feministischen Kampftag. | |
Bild: Die langen Nägel zum feministischen Kampf ausgefahren | |
## Adefunmi Olanigan findet: JA! | |
Zwar verstehe ich den Wunsch nach einer Welt ohne Vergleiche, in der | |
Schönheit und Aussehen keine Rolle mehr spielen. Doch diese Welt existiert | |
nicht. | |
Schönheit und Aussehen sollten nicht zum Mittelpunkt der eigenen Existenz | |
gemacht werden. Dennoch spielen sie eine Rolle in den Fragen: Wer erhält | |
Zugang zu welchen Berufen und finanziellen Vorteilen? Wer darf sprechen und | |
erhält Sichtbarkeit? Wessen Sicherheit ist zusätzlich bedroht? | |
Die Diskussionen um Schönheit findet zumeist aus einer privilegierten | |
Perspektive statt. Wenn unser [1][Feminismus intersektional sein soll], | |
müssen wir die Lebensrealitäten vieler mitdenken und ihren Blick auf | |
Schönheit. | |
Für mich persönlich hat mein Aussehen Bedeutung darin, wie ich als Frau | |
wahrgenommen werde, aber auch Rassismus erlebe. So wurde mir gesagt, der | |
hellere Braunton einer Freundin sei sowieso der allerschönste. So dunkel | |
wie mein Vater, das fänden andere hässlich. Und ich sei aber hübsch für | |
eine Schwarze. | |
Mein Aussehen ist in dem Sinne auch politisch. Nicht nur in der Frage, ob | |
ich mich schön mache, sondern auch, welchem Ideal ich folge. Ob ich aus | |
einem Gefühl von Sicherheit versuche, mich an eine akzeptierte Vorstellung | |
anzupassen oder daraus auszubrechen. | |
## Auf den ersten Blick | |
Was wir als schön ansehen und was wir mit Aussehen von Menschen verbinden, | |
ist nicht universell. Im ersten Eindruck zählt der oberflächliche Blick. | |
Egal, wie wer handelt, immer sieht man auf irgendeine Art und Weise aus und | |
andere ordnen es ein. Sie packen das, was eine*n auf den ersten Blick | |
vermeintlich ausmacht, in Boxen und versuchen, eine Person als Ganzes zu | |
erfassen. | |
Vom Aussehen lesen Menschen viel voneinander ab. Sie schließen auf Alter, | |
Herkunft, Femininität und Maskulinität, sexuelle Orientierung, Armut und | |
Reichtum, Intelligenz und körperliche Fähigkeiten. Dagegen ist nichts zu | |
machen. Und es wäre kein Problem, würden nicht vorschnelle Annahmen zu | |
Ausgrenzung und Diskriminierung führen. | |
Ignorieren wir die Rolle von Aussehen, weil wir doch alle | |
Feminist*innen sind, ist das wie zu sagen: „Ich sehe keine Hautfarben“, | |
weil wir doch alle Menschen seien. Es ist, als würden wir nicht [2][über | |
Colourism reden], weil Rassismus grundsätzlich problematisch ist. Das ist | |
ignorant gegenüber anderen Lebensrealitäten. | |
Für mehrfach marginalisierte FLINTA* verzahnt sich das Thema Aussehen mit | |
anderen Diskriminierungsformen. Dann, wenn FLINTA* vorgeschrieben wird, wie | |
sie mit ihrem Aussehen umgehen, ob sie ein Kopftuch tragen dürfen oder | |
eines tragen müssen. | |
In der Frage, wem ein Frausein zugesprochen wird. Inwieweit erfahren | |
trans* Frauen oder trans* Männer Akzeptanz, wenn sie nicht ein | |
Geschlechts- und Schönheitsideal erfüllen? Inwieweit erfahren sie dann mehr | |
Diskriminierung und [3][was machen wir als Gemeinschaft dagegen]? Wenn | |
Menschen vor einem vermeintlich unangepassten Auftreten zurückschrecken, | |
ist es unsere Pflicht, auch das zum Diskurs zu machen. | |
## Wer übers Schönsein bestimmt | |
Und nicht darauf zu warten, dass eine bestimmte Körperform, bestimmter | |
Haarstil [4][erst durch Kim Kardashian normalisiert] wird. Oder dass | |
bodenlange Kleider in Kombination mit einem Kopftuch bei der weißen | |
Schauspielerin Anya Taylor zur Premiere von Dune 2 gefeiert werden, während | |
Schüler*innen in Frankreich das Tragen einer Abaya verboten wird. Wer | |
bestimmt den Diskurs, was gesellschaftlich als schön empfunden wird? | |
In diese Machtstrukturen muss unser Feminismus einhaken. Wenn wir also über | |
Schutz vor Gewalt sprechen, über Ungleichbehandlung in der Arbeitswelt, | |
über Selbstbestimmung unserer Körper, dann müssen wir auch über das | |
vermeintlich Äußerliche sprechen. | |
Dafür müssen wir Diskriminierungsformen und Missstände, die FLINTA* | |
aufgrund ihres Äußeren erfahren, zunächst anerkennen und immer wieder | |
beleuchten. Dann können wir über die Ungleichverteilung von Kapital | |
sprechen, darüber, wie sich gesetzliche Rahmenbedingungen von Grund auf | |
ändern müssen. Aber zugleich Lösungen dafür suchen, dass zwar mehr Frauen | |
in bedeutende Positionen kommen, Bewerber*innen mit Kopftuch oder | |
hyperfemininen Aussehen dennoch geringere Chancen haben. | |
Wir können fordern, dass Täter härter belangt werden müssen, statt Opfer in | |
Gruppen aufzuteilen, denen mehr oder weniger geglaubt wird – je nach | |
Aussehen. Dadurch kann das Sprechen zu einem intersektionalen Feminismus | |
mit vielfältigen Perspektiven anregen. Denn Missstände sind nie losgelöst | |
vom Äußeren. | |
## Katrin Gottschalk findet: NEIN! | |
Kann ich noch Feministin sein, wenn ich mich schminke, mir Botox spritzen | |
lasse, nicht zu meinem dicken Bauch stehe? Wen Fragen wie diese umtreiben, | |
lebt womöglich am Feminismus vorbei. | |
Die [5][US-amerikanische Autorin bell hooks definiert Feminismus] kurz und | |
knapp als „Bewegung, um Sexismus, sexuelle Ausbeutung und sexuelle | |
Unterdrückung zu beenden.“ Feminismus will das Patriarchat abschaffen. | |
Feminismus muss also systemverändernd sein. Eine glatte Stirn trägt dazu | |
weder bei noch stört sie – sie ist einfach nicht zentral. Dennoch reden wir | |
ständig über das Aussehen. | |
Natürlich ist Schönheit als Konstrukt ein feministisches Thema. Welche | |
Körper gelten als schön? Warum? Wer definiert das? Naomi Wolf beschrieb | |
schon vor 30 Jahren, dass der Mythos Schönheit ein Auswuchs des | |
Patriarchats sei. Mit zunehmendem Zugang von Frauen im Westen zum | |
Arbeitsmarkt sei ihnen neben Care- und Erwerbsarbeit eine dritte Schicht | |
auferlegt worden: die Schönheitsarbeit, die im Prinzip nie ein Ende findet, | |
denn keine ist perfekt. | |
Frauen, so Wolf, seien den Schönheitsmythos erst dann los, wenn sie sich | |
wirklich frei entscheiden könnten, was sie mit ihrem Gesicht und Körper | |
anstellen. Eine freie Entscheidung ist aber eine vage Sache in einem | |
System, das Schönheit belohnt. Das Nicht-Streben nach Schönheit könnte für | |
Frauen zu finanziellen Nachteilen führen, pretty privilege ist hier das | |
Stichwort. Frauen verdienen mehr, wenn sie gut aussehen. | |
Männer auch, nur ist bei ihnen ist die Definition von schön sehr breit. Bei | |
Frauen heißt sie: jung, schlank, mädchenhaft. Das ist kein Zufall. [6][Alte | |
Frauen sind stärker, erfahren]. Sie haben gelernt, zu widersprechen. | |
## Warum mit dem Jungbleiben stressen? | |
Wir werden aber alle alt. Warum sollten Frauen sich mit dem Jungbleiben | |
stressen? Schönheitsarbeit ist Arbeit, deshalb wirken Menschen, die sich | |
dieser Arbeit verweigern, auch immer sehr lässig. Menschen, die sagen: Ich | |
lasse alle Falten zu, ich scheiß auf die Normen, ich lasse meine Bein- und | |
Achselhaare wachsen. | |
Sie widersetzen sich sichtbar dem Schönheitsdruck, und das wirkt sehr cool. | |
Aber letztlich ist auch das erst einmal nur Styling. Eine Person kann wie | |
ein*e Vorbildfeminist*in aussehen, sich aber wie ein unsolidarisches | |
A*loch verhalten. Ein*e Genoss*in mit immer [7][perfekt gemachten Nägeln] | |
kann für die feministische Sache die härtesten Krallen ausfahren. | |
Es gibt keine Definition davon, wie eine gute Feminist*in auszusehen | |
hat. Dementsprechend kann kein Aussehen feministisch oder unfeministisch | |
sein. Das hält natürlich keinen Menschen davon ab, diese Verbindung immer | |
wieder herzustellen. Leute sagen: „Die sieht aus wie eine Emanze!“ Und | |
Thomas Gottschalk sagt in Bezug auf die deutsche Rapperin Shirin David, | |
dass es ja wohl kein Zeichen von Feminismus sei, „wenn man sich hübscher | |
machen lasse.“ Was macht eine Person wirklich zur Feminist*in, das ist doch | |
die Frage. Was heißt es, feministisch zu leben? | |
Für die Autorin Sara Ahmed ist Feminismus eine Störung, Feminist*innen | |
seien deshalb immer in der Rolle der Spaßbremse, der killjoys. Das, worauf | |
sich alle geeinigt haben, was die Norm ist, wird von Feminist*innen in | |
Frage gestellt. In ihrem „killjoy manifesto“ schreibt Ahmed etwa als | |
Grundsatz: „Ich bin nicht gewillt, dazuzugehören, wenn Zugehörigkeit | |
bedeutet, einem System anzugehören, das ungerecht, gewalttätig und ungleich | |
ist.“ | |
## Was feministisches Handeln bedeutet | |
Das ist ein harter Punkt, bezieht man ihn etwa auf den Ort, an dem man | |
arbeitet und Geld verdient. Führen meine feministischen Grundsätze | |
womöglich dazu, einen Job zu kündigen? Kann man Organisationen wirklich | |
nicht von innen heraus verändern? Unter welchen Bedingungen doch? | |
Feministisch handeln ist der Versuch, sexistische Strukturen zu verändern – | |
der Schönheitsmythos ist so eine Struktur. Welches Verhalten, welche | |
Aktionen sind dazu geeignet, hier etwas zu verändern? Ich persönlich habe | |
Zweifel daran, dass normkonformes Styling ein widerständiges Potenzial hat. | |
Sich anzupassen ist aber auch in Ordnung, natürlich. | |
Naomi Wolf meint, es sei [8][noch immer unmöglich für eine Frau, richtig | |
auszusehen]. Erst, wenn man das einmal verstanden habe, könnten wir endlich | |
darauf achten, was die Frau sagen wolle. Wir sollten mehr darauf achten, | |
was gesagt und getan wird, als wie wir dabei aussehen. Feminismus ist keine | |
Frage des individuellen Looks. Feminismus ist eine Frage der kollektiven | |
Emanzipation. | |
7 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Adefunmi Olanigan | |
Katrin Gottschalk | |
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