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# taz.de -- Londoner Gender-Klinik wird geschlossen: Umgang mit Kindern „unge…
> Die Gender-Abteilung der Tavistock-Klinik muss schließen. Eine
> Untersuchung wies Englands einziger solcher Einrichtung schwere Mängel
> nach.
Bild: Die Tavistock-Klinik in London
London taz | Das einzige Zentrum des öffentlichen Gesundheitssystems NHS in
England für junge Menschen mit Geschlechtsdysphorie, der Gender Identity
Development Service (GIDS) der [1][Tavistock-Klinik in London], wird im
Frühjahr 2023 schließen. Angeordnet vom NHS aufgrund großer Mängel, ist die
am Freitag verfügte Schließung das Ergebnis des Zwischenberichts einer
[2][seit 2020 laufenden unabhängigen Untersuchung] der in England
verfügbaren Dienste und Behandlungszentren im Bereich der
Geschlechtsidentität für Kinder und Jugendliche.
Es sollen nun neue „familiennahe regionale Zentren“ entstehen, welche „den
holistischen Bedürfnissen von verletzlichen Patient:innen“ in diesem
Bereich entgegenkommen sollen. Diese sollen zunächst im berühmten Londoner
Kinderkrankenhaus von Great Ormond Street, im Alder-Hey-Krankenhaus in
Liverpool und in der Kinderklinik von Manchester entstehen.
Das wurde offiziell von allen Seiten begrüßt, nicht zuletzt auch von der
Tavistock-Klinik selbst, deren Warteliste für Behandlungen von 136 im Jahr
2010 auf knapp 5.000 im Jahr 2021 angewachsen ist. Laut dem
Untersuchungsbericht, der bereits im Februar herauskam, wurde die Klinik
diesem Andrang nicht mehr gerecht. Oft mussten junge Patient:innen bis
zu zwei Jahre auf einen Termin warten.
Die Untersuchung kritisierte vor allem die Methoden der Klinik selbst. Die
Leiterin der Untersuchung, die Kinderärztin und ehemalige Präsidentin des
britischen Kinderärzt:innenverbandes Dr. Hilary Cass, sagt, GIDS
setze junge Menschen einem „beachtlichen Risiko der Beeinträchtigung ihrer
psychischen Gesundheit“ aus und könne Patient:innen schaden.
## Kritische Fragen gab es seit Langem
Kritische Fragen zur Methodik der Klinik wurden vor allem nach einem
Gerichtsfall gestellt. [3][Keira Bell], heute 25, besuchte im Alter von 15
Jahren die Klinik. Zwecks ihrer Transition von Frau zu Mann wurden ihr ein
Jahr später Pubertätsblocker und danach Testosteron verschrieben. Im Alter
von 20 Jahren ließ sie sich beide Brüste entfernen. Später bedauerte sie
diese Schritte, aber es war zu spät. Bell verklagte die Klinik und gewann
zunächst, verlor aber vergangenes Jahr in der Berufung, als geurteilt
wurde, dass Richter:innen nicht in einen klinischen Befund eingreifen
dürften.
Bell lebt heute als lesbische Frau und sagt, dass das behandelnde Team im
Tavistock auf ihrem Weg zur Gender-Transition nicht genug Fragen stellte.
Bell erklärte der BBC, dass sie als Kind mit Zweifeln an ihrer sexuellen
Identität einfach nur eine psychologische Therapie benötigt hätte, keinen
körperlichen Eingriff.
Nach kritischen Berichten von Whilstleblower:innen stellte eine
NHS-Prüfung Mängel in der Tavistock-Klinik fest und erklärte das GIDS
offiziell für ungenügend.
Schon vor einigen Jahren hatten einige Angestellte der Tavistock-Klinik das
Vorgehen der Klinik in Frage gestellt. Zwischen 2018 und 2019 und in einem
internen Bericht beschrieb der einst in der Klinik arbeitende
Psychoanalytiker [4][David Bell], dass die Klinik unzulänglich arbeite.
Statt darauf einzugehen, habe die Klinik versucht, ihn und andere mit
Disziplinarverfahren und dem Vorwurf der Transphobie zum Schweigen zu
bringen, sagt er.
In ihrer Untersuchung stellte Kinderärztin Cass erhebliche grundsätzliche
Mängel fest. So nahm die Klinik weder wichtige Daten zu ihren
Patient:innen auf, noch war sie in der Lage, Änderungen im
Patient:innenprofil zu erklären. Immer öfter verschrieb sie physische
Geschlechtsumwandlungen auf unsicherer Basis und behandelte sogar Kinder im
autistischen Spektrum mit Gender-Transition.
Einerseits gebe es beim medizinischen Fachpersonal keinen Konsens darüber,
was genau die Diagnose „Geschlechtsdysphorie“ heißt, auf deren Grundlage
Kinder an das GIDS überwiesen wurden; andererseits nehme diese Diagnose
keine Rücksicht auf Unterschiede im Alter oder im kulturellen Hintergrund,
auf psychologische Bedürfnisse oder wie gefestigt die angegebene
Selbstidentifikation der Kinder sei. „Manche Kinder und Jugendliche blühen
beim Hinterfragen des Genders auf, für andere kann es von einem Ausmaß von
Verzweiflung begleitet sein, das ihre Entwicklung signifikant beeinflusst“,
so der Bericht.
Eine einheitliche Ursache für „Geschlechtsdysphorie“ sei „sehr
unwahrscheinlich“ und damit führe eine einheitliche Therapie, vor allem
wenn sie „potentiell irreversibel“ sei, zu „Streit und Polarisierung“, …
aber mangels einer offenen Diskussionskultur nicht in Lösungen münde. Viele
junge Patient:innen hätten „komplexe Bedürfnisse“, die aber alle unter
dem Label „Geschlechtsdysphorie“ vereinheitlicht und hormonell behandelt
würden.
Für den Einsatz von Hormonblockern fehle ein klarer klinischer Nachweis,
dass dies nicht zu späteren Gesundheitsschäden führe. „Pubertätsblocker
könnten zur zwischenzeitlichen oder dauerhaften Unterbrechung der
Entwicklung des Gehirns führen“, heißt es im Cass-Bericht. Die Anwendung
von Pubertätsblockern soll Patient:innen theoretisch Zeit geben, über
die nächsten Schritte nachzudenken, und währenddessen den sexuellen
Reifeprozess pausieren lassen – doch wie sich diese Behandlung auf den
Körper insgesamt und auf den psychosexuellen und geschlechtlichen
Reifeprozess nach seiner Wiederaufnahme auswirke, sei unklar.
Angestellte des GIDS sollen trotz solcher Unklarheiten unter Druck
gestanden haben, weder Entscheidungen und Motive noch das Wort der jungen
Patient:innen zur Gender-Identität zu hinterfragen. Die Möglichkeit
anderer potenziell vorliegender Probleme wurde ignoriert. Die Behandlung im
GIDS gewähre langfristig keine Sicherheit für die jungen Patient:innen, so
der Bericht. Der Endbericht der Untersuchung wird nächstes Jahr erwartet.
## Ein in psychologische Dienste vernetztes System
Cass empfahl statt dem derzeitigen zentralisierten System ein dezentrales
System von regionalen Zentren, die „von erfahrenen Kinderpraxen geleitet
werden sollten und einen Fokus auf die Gesundheit von Kindern und ihrer
Entwicklung anbieten, mit starken Verbindungen zu Diensten im Bereich der
psychischen Gesundheit.“
In Zukunft dürfen Pubertätsblocker überdies an Kinder unter 16 Jahren nur
noch verabreicht werden, wenn sie Teil eines klinischen Testverfahrens
sind, welches die Behandlung und die Folgen aufs genaueste beobachtet und
dokumentiert.
Viele in der Trans-Community glauben, dass Pubertätsblocker Leben retten
können. Tatsächlich gibt es Studien, die eine starke Senkung von Depression
und Suiziden feststellen. Doch weitere Forschung, vor allem bezüglich der
Langzeitwirkung, ist notwendig.
Organisationen der Trans-Community heißen bessere Behandlungszentren für
Gender-Identität generell willkommen. In der britischen LGBTQIA+ Zeitung
[5][Pink News] begrüßten auch Eltern von Trans-Kindern die Entwicklung und
bezeugten mangelhafte und traumatisierende Behandlung beim GIDS. Eine
anonyme Mutter warnte jedoch vor einer „Überpathologisierung“ der
Betroffenen.
Die Tavistock-Leitung erklärte, sie sei stolz auf ihre Leistung. Kritiker
aber rechnen mit neuen Entschädigungsklagen, da einige Schritte der
Geschlechtsumwandlung, wie im Fall von Keira Bell, nicht mehr rückgängig
gemacht werden können.
31 Jul 2022
## LINKS
[1] https://tavistockandportman.nhs.uk/
[2] https://cass.independent-review.uk/
[3] https://twitter.com/klbfax
[4] https://www.theguardian.com/society/2021/may/02/tavistock-trust-whistleblow…
[5] https://www.pinknews.co.uk/
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
## TAGS
Transgender
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