# taz.de -- Bundesregierung nach den Landtagswahlen: Zeit zum Investieren | |
> Für die Ampel-Parteien sind die Landtagswahlergebnisse ein Debakel. | |
> Aufgaben gibt es genug, die gegen die Krise wirken könnten. | |
Bild: Spiegelei oder Wackelpudding? Die Ampel macht im Moment eher einen wackel… | |
## Her mit den Investitionen: Schuldenbremse aussetzen, Einnahmen | |
verbessern | |
Der Staat braucht Geld. In den vergangenen Jahren konnte er üppige Kredite | |
aufnehmen, indem er die seit 2009 im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse | |
aussetzte. Die sieht vor, dass der Staat nicht mehr ausgeben darf, als er | |
einnimmt. Ausnahmen gelten für Naturkatastrophen und außergewöhnliche | |
Notsituationen. Dazu zählte auch die Coronakrise. [1][Nun aber heißt es | |
sparen, obwohl der Staat eigentlich kräftig investieren müsste: in den | |
klimaneutralen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, in Bildung, | |
Gesundheit und Infrastruktur.] | |
Die Schuldenbremse war von Anfang an umstritten, viele | |
Wirtschaftswissenschaftler:innen halten sie für falsch. „Die | |
Schuldenbremse ist eine in der Verfassung verankerte Dummheit“, meint etwa | |
der Makroökonom Patrick Kaczmarczyk. Um sie im Grundgesetz zu streichen | |
oder zu ändern, bräuchte die Ampel allerdings eine Zweidrittelmehrheit, und | |
die ist nicht in Sicht. | |
Sie könnte die Schuldenbremse aber umgehen, indem sie weitere Sondertöpfe | |
(oder auch Schattenhaushalte) einrichtet, wie das | |
100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr. Das sind 100 | |
Milliarden an zusätzlichen Schulden. Neue Kredite aufzunehmen sei | |
gerechtfertigt, meint Michael Schrodi, der finanzpolitische Sprecher der | |
SPD-Bundestagsfraktion. „Wir müssen vom Bedarf her denken. Schulen und | |
öffentliche Wohnungen bauen, Digitalisierung und Klimaschutz | |
voranzubringen, das ist nicht einfach nice to have, sondern Voraussetzung | |
dafür, dass Unternehmen hier in den nächsten Jahren weiter Arbeitsplätze | |
schaffen.“ | |
Lehnt man neue Schattenhaushalte ab – [2][wie der Finanzminister und seine | |
FDP] –, kann man immerhin noch an Stellschrauben drehen. Indem man die | |
Konjunkturkomponente der Schuldenbremse nutzt, die es erlaubt, in | |
wirtschaftlich schwierigen Zeiten doch mehr Kredite aufzunehmen. Oder | |
klima- und umweltschädliche Subventionen streicht, das hat sich die Ampel | |
im Koalitionsvertrag ohnehin vorgenommen. So könnte etwa laut | |
Bundesumweltamt [3][die Streichung des Dienstwagenprivilegs, also die | |
Flatrate für alle, die ihren oft fetten Dienstwagen privat nutzen, 3 | |
Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen] bringen. (ale) | |
## Raus aus der Wohnungsnot: weniger Profit, mehr Gemeinwohl | |
Für die Glaubwürdigkeit müsste die Ampelregierung zuallererst ihre | |
politischen Pokerspiele beenden. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) | |
[4][weigert sich, eine vereinbarte Mietrechtsnovelle umzusetzen], weil er | |
seine Verhandlungsposition beim Thema Vorratsdatenspeicherung stärken will. | |
Das betrifft unter anderem die Verlängerung der Mietpreisbremse bis 2029 | |
oder eine Maßnahme, die den Mietenanstieg bei bestehenden Mietverträgen | |
begrenzen soll. | |
Wahr ist: Angesichts der Mietenexplosion sind das bloß Tropfen auf den | |
heißen Stein. Die Ampel konnte sich nur auf so wenige Mieterschutz-Vorhaben | |
einigen, weil sich die politischen Überzeugungen fundamental unterscheiden. | |
Die FDP war immer eine Gegnerin der Mietpreisbremse und ist grundsätzlich | |
gegen mehr Regulierung auf dem Mietmarkt. Deshalb herrscht Stillstand bei | |
bekannten Problemen: [5][Abzocke beim möblierten Wohnen] ist nur ein | |
Beispiel. | |
Dabei hat sich die Lage seit den Koalitionsverhandlungen weiter verschärft: | |
Modernisierungsmaßnahmen, die zur Erreichung der Klimaziele notwendig sind, | |
befeuern den Mietenanstieg. [6][Indexmietverträge], bei denen die Miethöhe | |
an die Inflation gekoppelt ist, werden immer beliebter. Toxisch ist, dass | |
die Wohnungsnot [7][mit einer Baukrise] zusammenfällt. Vom Ziel der 400.000 | |
gebauten Wohnungen pro Jahr ist die Regierung meilenweit entfernt. Die | |
Anzahl der Sozialwohnungen sinkt sogar. | |
Angesichts dessen muss die Ampel neu verhandeln, und dafür gilt: | |
Mieter:innen brauchen dringend eine Verschnaufpause durch einen zeitlich | |
begrenzten Mietendeckel. Und: Fördergelder müssen immer auf bezahlbaren, | |
gemeinwohlorientierten Wohnraum abzielen. Dafür braucht es ein gut | |
ausgestattetes öffentliches Wohnungsbauprogramm. Wer jetzt nicht | |
investiert, stärkt die politische Rechte und schwächt die Wirtschaft | |
nachhaltig: Ohne verfügbaren Wohnraum kommt keine Fachkraft. (jak) | |
## Weniger abschotten: Migrationsrealität anerkennen, Chancen ermöglichen | |
In ihrem Koalitionsvertrag hatte [8][die Ampel einen „Neuanfang“ in der | |
Migrationspolitik versprochen: Der Bund wolle sich konstant an den Kosten | |
der Länder und Kommunen beteiligen] und Menschen, die bereits hier sind, | |
neue Chancen eröffnen. [9][Inzwischen hat sie, unter dem Druck von rechts,] | |
eine halbe Rolle rückwärts gemacht. Doch gerade hier könnte sie Tempo | |
machen. | |
Flüchtlinge könnten viel schneller in Arbeit kommen. Bisher dürfen sie in | |
den ersten drei Monaten keinen Job annehmen, sondern in der Regel erst, | |
wenn ihr Asylantrag anerkannt wurde. Oder, wenn das Verfahren zu lange | |
dauert, spätestens nach neun Monaten. [10][Die Grünen finden, sie sollten | |
vom ersten Tag an arbeiten dürfen] – auch Menschen, deren Antrag noch | |
geprüft wird,oder abgelehnte Asylbewerber, die nicht abgeschoben werden | |
können und darum geduldet werden. Das ist eine gute Idee, denn viele | |
Branchen suchen händeringend nach Arbeitskräften, auch für einfache Jobs. | |
Zudem sollte sich Deutschland darauf einstellen, dass auch in Zukunft jedes | |
Jahr rund 300.000 Menschen bei uns Zuflucht suchen werden. Ob man das dann | |
einen Richtwert, eine „Obergrenze“ oder einen „atmenden Deckel“ nennt, … | |
zweitrangig. Wichtig ist, dass Deutschland künftig die Kapazitäten und | |
Mittel bereit hält, um so viele Menschen pro Jahr aufzunehmen. In | |
Ausnahmefällen könnten es mehr werden, wie der Krieg in der Ukraine gezeigt | |
hat. Denn die Gründe, warum Menschen fliehen, werden auch in Zukunft nicht | |
weniger werden. Umso wichtiger ist es, darauf vorbereitet zu sein. | |
Ein Land wie Deutschland, die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, sollte | |
dazu in der Lage sein und es verkraften. Es wird auch davon profitieren, | |
so, wie es in der Vergangenheit von Zuwanderung profitiert hat. Denn | |
angesichts einer alternden Bevölkerung droht uns sonst die Vergreisung und | |
der wirtschaftliche Abstieg. (bax) | |
## Raus aus den Fossilen: Kosten gerecht verteilen, Klimageld jetzt | |
Es wäre ein wichtiges Signal an die Bürger:innen, dass die Kosten des | |
ökologischen Umbaus nicht vor allem zulasten derjenigen gehen, die wenig | |
oder gerade mal durchschnittlich verdienen. [11][Die Bundesregierung sollte | |
das im Koaltionsvertrag versprochene Klimageld bereits 2024 einführen] und | |
nicht auf die lange Bank schieben. Bislang kümmern sich die Ampelparteien | |
aber nicht um die Finanzierung. | |
Das Klimageld soll die Belastungen abfedern, die durch den steigenden | |
CO2-Preis anfallen. Für den Verbrauch fossiler Energien ist ein Preis pro | |
Tonne CO2 zu zahlen. Die Bundesregierung erhöht diesen Preis zum | |
Jahresanfang von 30 auf 40 Euro, bis 2026 steigt er auf 60 Euro. Danach | |
soll ein europäisches Handelssystem greifen. Kommt das, wird der CO2-Preis | |
steil in die Höhe gehen – und Sprit und Heizen werden sehr viel teurer. Und | |
viele Produkte wohl auch, denn höhere Transportkosten werden | |
erfahrungsgemäß auf Güter umgelegt. | |
Die Idee des Klimageldes: Alle Bürger:innen bekommen den gleichen Betrag | |
als Ausgleich für die steigenden Preise. Menschen mit wenig Einkommen | |
verursachen weniger CO₂-Ausstoß, also bleibt ihnen mehr vom Klimageld als | |
Wohlhabenden. Österreich hat bereits so einen Bonus, der zwischen 110 und | |
220 Euro pro Person und Jahr liegt – je nach Region. Ursprünglich sollten | |
auch in Deutschland die Einnahmen aus dem CO2-Preis an die Bürger:innen | |
zurückgegeben werden, und zwar über den Klima- und Transformationsfonds, in | |
den das Geld fließt. Den Klimafonds nutzt die Regierung, um den | |
ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft zu finanzieren, | |
allerdings auch für Projekte, die nur mit viel Fantasie dazu zu zählen | |
sind, etwa [12][milliardenschwere Subventionen für die Ansiedlung einer | |
Chipfabrik von Intel.] Der Finanzplan des Klimafonds geht insgesamt von | |
Ausgaben von mehr als 200 Milliarden Euro bis 2027 aus – das Klimageld ist | |
nicht dabei. Das sollte die Bundesregierung umgehend ändern, denn: soziale | |
Abfederung fördert die Akzeptanz für Klimapolitik. (akr) | |
## Gegen Energiearmut: Heizen nicht verteuern | |
Heizen ist für viele teurer geworden. Dass die Rechnung nicht noch höher | |
ausfällt, liegt unter anderem daran, dass die Bundesregierung die | |
Mehrwertsteuer auf Gas nach der Sabotage der Erdgasleitung Nordstream von | |
19 auf 7 Prozent gesenkt hatte. Eigentlich bis zum Frühjahr 2024, [13][aber | |
nun will Finanzminister Christian Lindner, FDP, die Steuer schon ab Januar | |
wieder anheben,] also mitten in der Heizperiode. | |
Das brächte rund 2 Milliarden Euro an Mehreinnahmen für Bund, Länder und | |
Kommunen, die politisch aber teuer erkauft wären. Obwohl sich die | |
Dankesschreiben an die Bundesregierung wegen nur moderat gestiegener | |
Betriebskosten in Grenzen halten, wäre die Empörung wohl umso größer, wenn | |
die Steuer mitten im Winter erhöht würde. Um die 270 Euro kämen laut | |
Berechnungen zusätzlich auf einen Durchschnittshaushalt zu. Die Ampel | |
sollte am besten nach anderen Einnahmequellen suchen. (ale) | |
13 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Oekonom-ueber-die-Schuldenbremse/!5952705 | |
[2] /Haushaltsstreit-in-der-Ampel/!5936346 | |
[3] /Haushaltsentwurf-der-Bundesregierung/!5957850 | |
[4] /FDP-verschleppt-besseren-Mieterschutz/!5922641 | |
[5] /Wohnungsmarkt-in-Deutschland/!5952539 | |
[6] /30-Prozent-Anstieg-in-Neuvertraegen/!5907530 | |
[7] /Wohnungen-in-Deutschland/!5960858 | |
[8] /Rechtsruck-nach-den-Landtagswahlen/!5965661 | |
[9] /Flucht-und-Migration/!5959324 | |
[10] /Die-Gruenen-in-der-Migrationspolitik/!5964693 | |
[11] /Klimageld-fuer-soziale-Gerechtigkeit/!5959656 | |
[12] /Geplante-Intel-Fabrik-in-Magdeburg/!5939815 | |
[13] /Mehrwertsteuer-auf-Erdgas-und-Fernwaerme/!5958155 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
Jasmin Kalarickal | |
Anja Krüger | |
Anna Lehmann | |
## TAGS | |
Ampel-Koalition | |
Mietenwahnsinn | |
Klimaneutralität | |
FDP | |
Grüne | |
Asyl | |
SPD | |
Wohnen | |
Transformation | |
Schuldenbremse | |
Energiepreise | |
SPD | |
Landtagswahl Bayern | |
Landtagswahl Bayern | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
SPD analysiert Wahlniederlagen: Scholz ist nicht mehr unantastbar | |
Die Unzufriedenheit in der SPD wächst, viele fordern vom Kanzler mehr | |
Führung ein. Außerdem soll die SPD mehr auf soziale Themen setzen. | |
Lehre aus den Landtagswahlen: Klimaschutz geht nur sozial | |
Klima und Energie waren für die Wähler:innen wichtig. Für die bestraften | |
Ampelparteien heißt das: Ihre Klimapolitik muss besser und sozialer werden. | |
Rechtsruck nach den Landtagswahlen: Wie man die AfD groß macht | |
In Bayern und Hessen wurde gewählt – mit deutlichem Trend nach rechts. Das | |
Ergebnis sollte Anlass sein, in der Asyldebatte verbal abzurüsten. |