# taz.de -- Haushaltsentwurf der Bundesregierung: Lindners Plan der Widersprüc… | |
> Der Entwurf des Finanzministers für den Haushalt 2024 ist realitätsfremd. | |
> Er bildet weder die ökologischen noch die ökonomischen Herausforderungen | |
> ab. | |
Bild: Wofür wir Geld ausgeben, sagt viel über uns als Gesellschaft aus | |
Es wird zu wenig über Geld geredet. Im privaten Bereich sowieso: Wer ist | |
schon bereit, seinen Freund:innen ehrlich mitzuteilen, wie viel man | |
verdient? Man möchte sich nicht schämen müssen, will Konventionen nicht | |
verletzen oder hat Angst vor Neid. Ganz heikel kann es werden, wenn eine | |
[1][Erbschaft vom Himmel] fällt – was hierzulande oft vorkommt, vor allem | |
in Westdeutschland. Viele sind reich, ohne es sich einzugestehen. | |
Wer eine Eigentumswohnung im Wert von 600.000 Euro besitzt, gehört schon zu | |
den reichsten 5 Prozent der Bevölkerung. Das ist politisch relevant. Nicht | |
sprechen bedeutet nicht wissen. Und die eigenen materiellen Verhältnisse im | |
Ungefähren zu lassen, korrespondiert mit der Unfähigkeit, die öffentlichen | |
Finanzen zu verstehen. Wer kann schon zwei, drei [2][Basisdaten des | |
Bundeshaushalts] nennen, der Anfang September im Bundestag diskutiert | |
wurde? | |
Sein Volumen, den Anteil der Sozialausgaben, der Subventionen für | |
Unternehmen, der Investitionen in öffentliche Infrastruktur? Dabei spiegeln | |
sich die großen gesellschaftlichen Debatten in den tatsächlichen Einnahmen | |
und Ausgaben des Staates wider. Wofür geben wir gemeinsam Geld aus, welche | |
Ziele wollen wir damit erreichen, wie soll unser Land in 20 Jahren | |
aussehen? Zahlen können nerven, vor allem so große, schwer zu fassende wie | |
Milliarden Euro. Dabei sagen sie so viel. | |
Zwei kleine Beispiele: Einerseits wollen die Koalitionspartner SPD, Grüne | |
und FDP 200 Millionen Euro im Haushalt 2024 kürzen. 200 Millionen Euro, die | |
im laufenden Jahr noch für Programme ausgegeben werden, um | |
[3][Langzeitarbeitslose] für neue Tätigkeiten zu befähigen. So dürfte es | |
für viele Menschen noch schwerer werden, ins Berufsleben zurückzufinden, | |
und das ausgerechnet in einer Zeit, da Mangel an Beschäftigten herrscht. | |
## Steuerfreies Kerosin | |
Andererseits verzichtet die Bundesregierung komplett auf die | |
[4][Besteuerung von Kerosin], das Flugzeuge als Treibstoff tanken. | |
Ausweislich einer Berechnung des Umweltbundesamts gehen dem Staat dadurch | |
bis zu 8 Milliarden Euro pro Jahr verloren. Nebenbei verursacht das | |
erhebliche Umweltschäden, weil die Flugunternehmen weniger Anreiz zum | |
Spritsparen haben. Die Regierung leistet sich eine umweltschädliche | |
Subvention der Fliegerei, während sie für 200 Millionen Euro Sozialausgaben | |
zugunsten Langzeitarbeitsloser nicht genug Geld zu haben meint. | |
Dieser Widerspruch – einer von vielen – findet sich im Haushaltsplan 2024, | |
den Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) kürzlich mit der Ansage | |
vorstellte, die Zeit des großzügigen Geldausgebens müsse nun vorbei sein. | |
Nach der hohen Verschuldung der Jahre 2020 bis 2022, ausgelöst durch die | |
Coronapandemie und den [5][russischen Angriff auf die Ukraine], solle jetzt | |
wieder finanzielle Disziplin herrschen. Aber spart Lindner – und mit ihm | |
die Ampelkoalition – nicht am falschen Ende? | |
Die Sparpolitik scheint aktuell ohnehin nicht zum Ziel zu führen. Während | |
der Finanzminister auf der einen Seite ein paar kleinere Streichungen | |
durchsetzt, soll der Haushalt von Bundesarbeits- und Sozialminister | |
Hubertus Heil (SPD) im kommenden Jahr trotzdem auf fast 172 Milliarden Euro | |
wachsen. Das sind etwa 5 Milliarden Euro mehr als 2023. So macht Heils Etat | |
dann fast zwei Fünftel des gesamten Budgets aus, welches insgesamt 446 | |
Milliarden Euro umfasst. | |
## Nur die Inszenierung einer Sparpolitik | |
Die Gründe für die Anhebung: unter anderem höhere Zuschüsse an die | |
Rentenversicherung und [6][zusätzliche Ausgaben für das Bürgergeld], das | |
Hartz IV abgelöst hat. Die öffentlich breit diskutierten Kürzungen im | |
Sozialbereich, unter anderem bei der Förderung Langzeitarbeitsloser, werden | |
also durch Mehrausgaben an anderer Stelle mindestens ausgeglichen. Das ist | |
kein sozialer Kahlschlag, sondern eher die Inszenierung einer | |
vermeintlichen Sparpolitik. | |
Der Entwurf des Bundeshaushalts 2024 ist nicht auf der Höhe der Zeit. Statt | |
die Ausgaben massiv zu senken, wäre an entscheidenden Stellen mehr Geld | |
nötig. Denn die globalen, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen | |
bilden sich in der augenblicklichen Haushaltspolitik nicht ausreichend ab. | |
So sollen in der Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine die hiesigen | |
[7][Ausgaben für Militär und äußere Sicherheit] dauerhaft auf 2 Prozent der | |
Wirtschaftsleistung wachsen, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) | |
unlängst wieder im Bundestag. | |
Im Vergleich zu heute wären das über 30 Milliarden Euro mehr pro Jahr. | |
Augenblicklich enthält der Etat von Verteidigungsminister Boris Pistorius | |
(SPD) 52 Milliarden Euro. Noch kann er die fehlenden Mittel aus dem | |
schuldenfinanzierten [8][Sondervermögen für die Bundeswehr] bestreiten. Auf | |
Dauer jedoch wird das nicht reichen. Dann sind sehr hohe zusätzliche | |
Beträge nötig. Doch ein Plan dafür existiert nicht einmal ansatzweise. | |
Parallel zum Krieg sortiert sich auch die Geopolitik neu. In Frontstellung | |
zu Russland und China sowie in Konkurrenz zu den USA strebt die Europäische | |
Union eine gewisse Selbstversorgung mit strategischen Produkten an. Deshalb | |
erhalten plötzlich ausländische Unternehmen, die in Deutschland | |
Computerchips, Elektrobatterien oder Solarzellen herstellen wollen, | |
[9][Milliarden Euro Subventionen] – eine teure, wenngleich nötige Politik, | |
um die ökonomischen Souveränität in Konfliktfällen zu gewährleisten. | |
## Investitionsbedarf: 100 Milliarden Euro | |
Die geplante Transformation zur Klimaneutralität kommt hinzu. Bis 2045, | |
in nur 22 Jahren, soll sie nahezu abgeschlossen sein. Stahlhersteller wie | |
Salzgitter oder Thyssenkrupp, die vom Brennstoff Kohle auf grünen | |
Wasserstoff umstellen, unterstützt die Bundesregierung ebenfalls mit | |
gigantischen Beträgen. Noch lässt sich das benötigte Kapital aus dem | |
teilweise kreditfinanzierten Klima- und Transformationsfonds des | |
Wirtschaftsministeriums bestreiten, doch mittelfristig könnten dessen | |
eigene Einnahmen hinter den Ausgaben zurückbleiben. | |
Schon jetzt beziffern Wirtschaftsforscher:innen den zusätzlichen | |
Investitionsbedarf des Bundes auf eine Größenordnung von 100 Milliarden | |
Euro jährlich. Das ist ungefähr die doppelte Summe dessen, was | |
Finanzminister Lindner in den kommenden Jahren als Investitionen anpeilt. | |
Wo die fehlenden Mittel herkommen könnten, weiß in der Ampelregierung | |
augenblicklich niemand. | |
Dieser Mechanismus würde sich freilich anbieten: Investitionen des Bundes | |
und der Länder könnten von der Schuldenbremse im Grundgesetz ausgenommen | |
werden. Setzte man gleichzeitig eine Obergrenze der jährlichen | |
Investitionsverschuldung von beispielsweise 1 Prozent im Verhältnis zum | |
Bruttoinlandsprodukt fest, würde die Gesamtverschuldung wohl nicht | |
zunehmen. Denn man kann davon ausgehen, dass die Wirtschaft im Trend um | |
mehr als 1 Prozent zulegt – stärker als die Zunahme der Kredite. | |
Die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen bliebe gewahrt. Wobei die Lage auch | |
heute nicht besorgniserregend erscheint. Trotz Pandemie und Krieg liegt die | |
deutsche Staatsverschuldung bei 67 Prozent der Wirtschaftsleistung, was der | |
mit Abstand niedrigste Wert der reichen Staaten der G7-Gruppe ist. Ein | |
zweiter Weg könnte darin bestehen, die umweltschädlichen Subventionen zu | |
verringern. Neben der Steuerbefreiung für Kerosin finden sich im Bericht | |
des Umweltbundesamts (UBA) zahlreiche eindrucksvolle Posten. | |
## 30 Milliarden könnten aus dem Verkehrsektor kommen | |
Weil beispielsweise Diesel niedriger besteuert wird als Benzin, leistet | |
sich der Staat eine jährliche Mindereinnahmen von rund 8 Milliarden Euro. | |
Die Begünstigung von Dienstwagen von Unternehmen schlägt mit rund 3 | |
Milliarden Euro zu Buche. So bezifferten die UBA-Expert:innen die gesamten | |
Steuerverluste allein im Verkehrssektor mit rund 30 Milliarden Euro. | |
Sicherlich stellte der Entzug dieser Vergünstigungen zusätzliche | |
Belastungen für die Autonutzer:innen dar. | |
Angesichts der Finanzierungserfordernisse könnte die Regierung aber | |
mindestens erwägen, die Subventionen nach und nach abzuschmelzen. Das | |
stünde auch im Einklang mit der Transformationslogik zur Klimaneutralität. | |
Die Debatte über diese Vorschläge ist allerdings nicht neu. Und bisher | |
verlief sie fruchtlos. Denn eine Spar-Partei – Union oder FDP – sitzt immer | |
in der Bundesregierung. | |
Den Abbau umweltschädlicher Subventionen lehnen die Konservativen und | |
Liberalen weitgehend ab, weil es sich um Steuererhöhungen handele – was ja | |
auch stimmt. | |
Klein-Klein-Sparpolitik, eine Milliarde Soziales hier-, eine andere | |
dorthin, gepaart mit der Behauptung, es gäbe keine finanziellen Spielräume, | |
erscheint ihnen offenbar als die leichtere Alternative. Aber selbst bei SPD | |
und Grünen sind manche Politiker:innen nicht davon überzeugt, dass es | |
eine gute Idee wäre, die Schuldenbremse aufzuweichen. | |
## Ein politisches Geschäft machen | |
Vielleicht aber ließe sich die blockierte Diskussion verflüssigen, indem | |
man ein politisches Geschäft macht: Steuersenkungen für Unternehmen im | |
Gegenzug für die Ausweitung der staatlichen Einnahmen bei Subventionen und | |
Krediten. Die im internationalen Maßstab vergleichsweise hohen Sätze der | |
hiesigen Gewinnsteuern für Firmen brennen den Wirtschaftspolitikern von | |
Union und FDP unter den Nägeln. | |
Während hierzulande viele Kapitalgesellschaften über 30 Prozent zahlen, | |
haben Staaten wie USA, Frankreich und Großbritannien ihre Abgaben auf 26 | |
Prozent und weniger gesenkt. Dass Deutschland nachzieht, könnte auch die | |
gegenwärtige Wirtschaftsschwäche mildern und ein positives Zeichen für | |
einen Aufschwung senden. | |
Jedenfalls erscheint dringend nötig, auf neue Art über Geld zu reden, | |
privat und öffentlich. Gerade Erbschaften sind so ein Schnittstellen-Thema. | |
Gerade wer viel erbt, wird hierzulande erstaunlich niedrig besteuert. | |
Sollten wir uns das leisten? Sparpolitik in Bund, Ländern und Kommunen | |
bedeutet heute, künftigen Wohlstand, Sicherheit und Selbstbestimmung aufs | |
Spiel zu setzen. | |
17 Sep 2023 | |
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