# taz.de -- Philosoph über Abschaffung von Erbe: „Parallelgesellschaft der R… | |
> Der Gerechtigkeitstheoretiker Stefan Gosepath will das Erben komplett | |
> abschaffen. Er erklärt, wie unbesteuerte Erbschaften die Demokratie | |
> untergraben. | |
Bild: Jährlich werden in der Bundesrepublik circa 400 Milliarden Euro vererbt | |
taz: Herr Gosepath, Sie sind Gerechtigkeitstheoretiker. Leben wir in einer | |
gerechten Gesellschaft? | |
Stefan Gosepath: Nein, natürlich nicht! Aber wir haben die moralische | |
Verpflichtung, die Welt immer gerechter zu machen, auch wenn wir den | |
Idealzustand niemals erreichen werden. Gerechtigkeit ist menschengemacht | |
und wenn sich genug Leute zusammentun, kann man Verbesserung Stück für | |
Stück erreichen. | |
Nun gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, was gerecht ist. | |
In der Gerechtigkeitstheorie begeben wir uns hinter den Schleier des | |
Nichtwissens. Wir fragen uns: Wie würden wir die Welt einrichten, wenn wir | |
nicht wüssten, welche Rolle wir darin einnehmen? Dann kann ich nicht | |
parteiisch gegenüber einer bestimmten Klasse, einem Geschlecht oder einer | |
Position sein, weil ich mich selbst darin wiederfinden könnte. So kommen | |
wir zu einer unparteilichen Vorstellung einer gerechten Gesellschaft, die | |
weitgehend anschlussfähig ist. | |
Sie hätten eine konkrete Vorstellung, was zu einer gerechteren Gesellschaft | |
führen würde. Welche? | |
Erbschaft gehört abgeschafft. Es ist eine ungerechte Lotterie, weil es der | |
pure Zufall ist, ob ich reiche Eltern hatte oder nicht. Erbschaften | |
verletzen wesentlich die Chancengleichheit. Auch wenn man in Deutschland | |
meistens erst ab 50 bis 60 erbt und die Berufslaufbahn da eigentlich schon | |
gelaufen ist, sind Erbschaften Chancen, weil sie ja wissen, dass sie ein | |
Sicherheitsnetz haben oder schon vorher davon profitieren. | |
Wenn jemand in der Schule, der Universität oder der Ausbildung bessere | |
Karten hat, weil er reiche Eltern hat, gilt das als ungerecht. Das ist | |
gesellschaftlicher Konsens. Alle sollten die gleichen Startchancen haben, | |
damit wir eine fairere Gesellschaft bekommen. Um Chancengleichheit | |
herzustellen, sollten wir den ganz Reichen etwas wegnehmen, um es den ganz | |
Armen zu geben. | |
Tatsächlich wäre viel zu holen: Jährlich werden circa [1][400 Milliarden | |
Euro vererbt]. Die Einnahmen aus der Erbschaftssteuer lagen 2021 nur bei | |
9,8 Mrd. Das ist nur ein winziger Bruchteil der 814,9 Milliarden Euro | |
jährlichen Steuereinnahmen in Deutschland. | |
Wir besteuern in Deutschland Erbschaften viel zu wenig. Der Fiskus verdient | |
fast nichts an Erbschaften, obwohl sie rund 10 Prozent des | |
Bruttoinlandsprodukts ausmachen. | |
Trotzdem traut sich da niemand so richtig ran. Warum setzen sich selbst | |
vorgeblich auf Gerechtigkeit ausgerichtete nominal eher linke Parteien | |
nicht ernsthaft für höhere Erbschaftssteuern ein, selbst wenn es in ihren | |
Programmen steht? | |
Die frustrierende Antwort ist: Die eigenen Wähler goutieren das nicht. Die | |
Parteien haben Angst vor ihren eigenen Wählerinnen. Umfragen belegen, dass | |
die [2][Erhöhung der Erbschaftssteuer] unpopulär ist. Dabei gibt es gerade | |
in Deutschland noch sehr hohe Freibeträge für Vererbung an die Kinder. Oma | |
ihr klein Häuschen, wie man so schön sagt, lag immer im Freibetrag. Das war | |
auch immer von der Sozialdemokratie gewollt. | |
Ich wäre bereit, da politisch mitzugehen. Erstens sehe ich den emotionalen | |
Punkt: Wenn es das Elternhaus ist, in dem man groß geworden ist. Zweitens | |
würde es politisch noch schwieriger, wenn man allen die Familienhäuser | |
wegnimmt. Wenn man es dabei beließe und alles darüber besteuert, versteht | |
man nicht so ganz, warum Leute im niedrigen Einkommenssektor etwas gegen | |
die Erbschaftssteuer haben. Sie wären davon nicht betroffen, sind aber | |
trotzdem gegen Steuererhöhungen. | |
Ist es ein Aufklärungsdefizit oder wie erklären Sie sich das? | |
Entweder das oder sie denken, sie könnten mal einen Lottogewinn machen oder | |
reich werden und das soll dann ein paar Jahre halten. Es gibt aber nicht | |
allzu viele Untersuchungen dazu. In einer der wenigen Studien haben | |
Befragte in Interviews zunächst gesagt, sie seien gegen die Erhöhung der | |
Erbschaftssteuer. Als ihnen jedoch erklärt wurde, wie hoch die Freibeträge | |
sind, haben sie ihre Meinung geändert. | |
Sie hingegen wollen das Erben gleich ganz abschaffen. Wie wollen Sie das | |
denn jemandem erklären, der schon Angst um Oma ihr Häuschen hat? | |
Klar, meine These klingt erst mal radikal. Aber die Idee ist nicht, die | |
Erbschaft für alle abzuschaffen, sondern [3][allen ein Erbe zu geben]. Ich | |
will nicht alle runterziehen, sondern alle raufziehen. Wenn jemand aus | |
einem blöden Zufall heraus auf einem Auge blind ist, kann man natürlich | |
nicht fordern, dass ich mir auch ein Auge aussteche. Die Idee muss sein, | |
den Einäugigen in die Lage zu versetzen, dass er auch mit einem Auge gut | |
zurechtkommt. | |
Politisch gesehen ist die Lösung: Oma ihr klein Häuschen für alle. Man | |
müsste eine hohe Erbschaftssteuer von 100 Prozent dafür nutzen, viel | |
breiter auszuschütten. | |
Toll! Bekomme ich dann bei 400 Milliarden pro Jahr jährlich 5.000 Euro | |
extra oder kann ich die ganze Kohle direkt nach meinem Schulabschluss auf | |
einer Weltreise verballern? | |
Ich finde nicht, dass man alles bar auf die Kralle kriegen sollte. Ein | |
bisschen meinetwegen – über Details kann man ja debattieren. Aber bei | |
Vorschlägen wie 20.000 Euro für jeden ab 18 Jahren bin ich skeptisch aus | |
verschiedenen Gründen. 18 Jahre erscheint mir viel zu früh. Dann kaufen sie | |
sich einen alten Porsche und bleiben am nächsten Baum in Brandenburg | |
hängen. Das kann nicht Sinn der Sache sein. | |
Wenn Chancengleichheit das Ziel ist, muss es eine strukturelle Investition | |
in die Zukunft sein: In Schulen, Hochschulen und die Gesundheitsvorsorge. | |
Eigentlich gehört das Geld in soziale Infrastruktur, weil das den Ärmsten | |
besser zu Chancen verhilft. Die öffentlichen Institutionen müssen dazu | |
führen, dass alle einen guten Start ins Leben haben können. Dann ist es | |
auch eine langfristige Investition. | |
Was bedeutet für Sie Eigentum? | |
Es heißt, dass ich andere von Gütern oder Boden ausschließen darf. Eigentum | |
muss begründet werden. Die Standardrechtfertigung dafür ist, dass es zu | |
meiner Freiheit beiträgt. Ich brauche Eigentum, um frei zu sein. Arme haben | |
aber zumindest von ihrer Freiheit viel weniger als Reiche, weil sie nicht | |
die Ressourcen haben, ihre Freiheit zu nutzen. In der liberalen Demokratie | |
gilt aber nicht nur Freiheit für alle, sondern auch Gleichheit. Eigentum | |
als Mittel zur Freiheit soll zumindest gleich verteilt sein. | |
Es ist genau wie in der Coronapandemie: Meine Freiheit endet da, wo ich die | |
Gesundheit des anderen gefährde. Mein Eigentum endet da, wo ich die | |
Freiheit anderer gefährde. Demnach darf es nicht zu große Vermögen geben, | |
weil diese die Freiheiten anderer einschränken können. Aus der Gleichheit | |
ergeben sich sofort Grenzen von Eigentum. | |
Wann endet Eigentum? | |
Meine sehr radikale These ist: mit dem Tod. Wenn Eigentum meine Freiheit | |
bedeutet und nach dem Tod meine Freiheit verschwindet – im Himmel brauche | |
ich keine Freiheitsrechte –, brauche ich auch keine Mittel mehr. Richtig | |
ausbuchstabiert, ergibt sich aus Freiheit und Gleichheit also, dass alle | |
Eigentumstitel nach dem Tod wegfallen. | |
Gab es einen derartig tiefgreifenden Einschnitt überhaupt schon einmal? | |
Das Vorbild ist die Französische Revolution. Dort wurde am Anfang übrigens | |
auch die Abschaffung des Erbes diskutiert. Das ist dann aber nicht | |
umgesetzt worden. Was aber immerhin kam, war die Abschaffung der | |
dynastischen Erbfolge von Macht. In ähnlicher Weise kann man hoffen, dass | |
wir irgendwann auch die finanzielle Herrschaft abschaffen werden. | |
Vielleicht ist das der größere Schritt, aber der erste war gegen 2.000 | |
Jahre Geschichte auch ein großer Schritt. | |
Hängt das eine nicht auch mit dem anderen zusammen? | |
Ja, beides ist häufig gekoppelt: Wenn man die Vererbung von | |
mittelständischen Betrieben oder Familienunternehmen nimmt, stellen die in | |
kleinen Dörfern oder Gemeinschaften natürlich Machtfaktoren dar. Hier wird | |
also im Prinzip Macht doch noch vererbt. Dass das hart verteidigt wird, | |
müsste einem eigentlich zu denken geben als guter Demokrat. | |
Inwiefern untergräbt das Erben am Ende die Demokratie? | |
Es gefährdet einerseits den politischen Zusammenhalt, weil vererbte | |
ökonomische Macht sich natürlich leicht in politische Macht übersetzen | |
lässt. Und es bedroht den sozialen Zusammenhalt, weil es ein soziales | |
Kastensystem schafft, wie man es in den USA schon sehen kann. In England | |
und den USA kann man die Erbschaftswelle seit 300 Jahren beobachten, dort | |
gibt es tief verwurzelte Familiendynastien. Die Schere ist schon sehr weit | |
auseinander durch die Aggregierung von Erbschaften. | |
Eine zu große Ungleichheit gefährdet laut Ökonomen wie Piketty die | |
Volkswirtschaft. Es braucht eine breite Verteilung von Vermögen, sodass | |
viele Leute investieren können und nicht nur ein Segment mit extrem hohen | |
Gewinnen existiert, das allein entscheidet, wo investiert wird. | |
Wie ist die Lage in Deutschland? | |
Das Spezifische an Deutschland sind zwei verlorene Weltkriege und hohe | |
Inflation, die nach 1945 zumindest in Westdeutschland als Gleichmacher | |
wirkten. Dennoch hat das Wirtschaftswunder mittlerweile zu einer großen | |
Vermögensungleichheit geführt: Die damals angehäuften Reichtümer werden | |
jetzt an die Babyboomer-Generation vererbt. Bis zur jetzigen | |
Erbschaftswelle waren wir eine noch relativ egalitäre Gesellschaft. Diese | |
Welle müssten wir jetzt eigentlich brechen – wobei wir sind schon ein | |
bisschen zu spät dran sind. | |
Wie ist die Situation in Ostdeutschland? | |
Im Osten ist die Situation noch einmal anders, weil es vor 1990 keine | |
großen Individualvermögen und deshalb auch nichts zu vererben gab. Ein | |
weiterer ungerechter Zufallsfaktor: Ob ich etwas erbe, hängt also nicht nur | |
davon ab, in welche Familie ich geboren werden, sondern auch in welchem | |
politischen System. | |
Was passiert, wenn wir die jetzige Erbschaftswelle nicht brechen? | |
Praktisch werden Reiche in exklusiven Quartieren, Vororten oder | |
Villenvierteln leben. Dann gibt es Effekte, wie man sie aus den Gated | |
Communities in den USA oder Südamerika kennt: Die Schulen, Krankenhäuser, | |
Sportmöglichkeiten sind in den Reichenvierteln nicht sehr überraschend | |
besser. Schließlich sind die Lebensbedingungen in verschiedenen Orten des | |
selben Landes ganz unterschiedlich. Ob jemand eine Yacht besitzt, kann | |
einem ja egal sein, aber wenn sich die grundsätzlichen Lebensbedingungen | |
stark unterscheiden, ist das ein großes Problem. Sobald soziale | |
Distinktionsmerkmale dazu führen, dass es eine Hierarchie gibt, fällt die | |
Gesellschaft auseinander. | |
Man redet immer von Parallelgesellschaften und meint damit die armen | |
Migranten in Kreuzberg. Tatsächlich aber gibt es die Tendenz einer | |
Parallelgesellschaft von Reichen, die in höchstem Maße demokratiefeindlich | |
ist. Wo das endet, sehen wir an gespaltenen Gesellschaften, in denen | |
Single-Issue-Parteien entstehen, die eine verlässliche Demokratie | |
untergraben. | |
Trotz allem halten sich in der Debatte um die Erbschaftssteuer beharrlich | |
Gegenargumente: Neben dem der Doppelbesteuerung von Einkommen, die ja schon | |
deswegen hinfällig ist, weil jeder Supermarkteinkauf eine Doppelbesteuerung | |
ist, gibt es noch das der Familie als gesellschaftlichen Kitt, die ohne | |
Erben angeblich unterminiert würde. Was sagen Sie dazu? | |
Die Familie ist eine wichtige Institution der bürgerlichen Gesellschaft, | |
wenn sie denn funktioniert. Aber die wichtigsten Stichpunkte für eine | |
gelungene Familienbande, in der Kinder vermutlich am besten groß werden, | |
sind elterliche Liebe und Fürsorge – und nicht Geld. Es ist völlig unklar, | |
warum Erbschaft zu einer funktionierende Familie gehören soll – im | |
Gegenteil könnte es gerade schädlich sein, wenn Kinder sich nur den | |
Familien verpflichtet fühlen, weil sie Geld erwarten oder Eltern sich das | |
Wohlwollen ihrer Kinder durch Geld erkaufen. | |
Was ist mit dem vererbten mittelständischen Familienbetrieb, dem viel | |
zitierten Rückgrat der deutschen Wirtschaft? | |
Volkswirtschaftlich ist es richtig, den Betrieb nach dem Todesfall des | |
Gründers zu erhalten, weil Arbeitsplätze dran hängen. Die Herausforderung | |
ist: Wie vermeiden wir die Nachteile einer Erbschaft – nämlich, dass | |
Machtpositionen und Geld als reiner Zufall vererbt werden – und erhalten | |
den Betrieb trotzdem? Eine Möglichkeit: Erben bekommen das Unternehmen, | |
dürfen es aber nicht verkaufen und so entfällt der finanzielle Anreiz, die | |
Firma nach ein paar Jahren zu kapitalisieren. Dann lässt man sich das | |
häufig bemühte Argument, dass das Unternehmen in Familienhand bleiben soll, | |
einfach schriftlich und verpflichtend geben. | |
Wie wollen Sie mit vererbten Führungspositionen umgehen? | |
Man könnte den Manager oder CEO wählen wie in anderen Unternehmen auch. | |
Ebenso ließe sich überlegen, inwieweit der Betrieb sozialisiert wird. Man | |
könnte auch die Belegschaft im Erbschaftsfall beteiligen. Dann hat man eben | |
nicht nur einen Betriebsrat, sondern Anteilseigner, die alle nicht | |
verkaufen dürfen, und zusammen den Geschäftsführer wählen. Wie in einer | |
Genossenschaft. | |
Was ist mit Kapitalflucht? | |
Einerseits baue ich darauf, dass bestimmte Familienunternehmen eben stolz | |
sind, hier zu sitzen und eben nicht in China zu produzieren. Andererseits | |
lebt es sich in einer demokratischen Gesellschaft mit einer fairen | |
Grundstruktur besser. Schon jetzt leben Reiche lieber hier, obwohl sie im | |
Prinzip steuerflüchtig werden könnten. Hier gibt es ein gutes | |
Gesundheitssystem, ein gutes Schulsystem, eine sichere Welt, in der sie | |
nicht in Gated Communities mit Maschinengewehren bewacht leben müssen. | |
Wenn das Erben abgeschafft wird: Arbeitet man ab einem gewissen Vermögen | |
dann überhaupt noch weiter, wenn man weiß, dass man nichts weitergeben | |
kann? | |
Gute Frage. Gute Frage heißt immer, man hat keine richtige Antwort. Das | |
müsste man empirisch überprüfen. Aber ich wehre mich gegen Leute, die schon | |
jetzt wissen, dass die Leute dann nicht mehr genug arbeiten. | |
Die reichsten Männer der Welt, es sind ja nur Männer, arbeiten alle weiter, | |
obwohl sie jetzt schon ein Vermögen haben, das sie in Lebzeiten selbst | |
nicht mehr ausgeben können – Macht und Anerkennung ist genauso wichtig wie | |
Einkommen. Bill Gates arbeitet nicht für Geld, sondern für seinen Ruhm. | |
Warren Buffet gibt seinen Enkelkindern auch nur einen kleinen Teil und | |
vergibt den Großteil seines Vermögens philanthropisch. Wenn aber alle mit | |
40 volkswirtschaftliche die Schippe hinlegen würden, müsste man natürlich | |
sehen, woran das liegt. | |
Was ist eigentlich mit materiellem Erbe: Also Gegenständen, Hausstand, | |
Möbel, Bilder? | |
Symbolische Güter würde ich natürlich erlauben. Das Poesiealbum der Oma zum | |
Beispiel. Etwas Persönliches, an dem Erinnerungen hängen. | |
Und wenn der Ururopa Kaiser Wilhelm II. und das Erbe die Burg Hohenzollern | |
und jede Menge Tafelsilber wäre? | |
Es muss eine Obergrenze eingeführt werden. Sonst hat jemand gleich | |
Millionen auf dem Konto, weil er alles bei Sotheby’s versteigert hat. Wo | |
man diese Grenze zieht, kann man gesellschaftlich verhandeln. Das wird ein | |
Stück weit willkürlich sein. | |
Was machen wir mit ansteigenden Immobilienpreisen? Zuletzt ging die Debatte | |
trotz wachsender Ungleichheit in die entgegengesetzte Richtung, weil Häuser | |
auf einmal knapp über dem Freibetrag lagen und Erben empört waren, dass sie | |
darauf steuern zahlen mussten. | |
Ich war kürzlich in einer Radiosendung im bayerischen Rundfunk. Da | |
argumentierten Anrufer damit, dass es doch ein Zufall sei, dass ihre | |
Immobilie am Ammersee liegt und jetzt 2 Millionen wert ist und sie deswegen | |
jetzt Steuern zahlen müssten. Auch CSU-Chef Söder hat so argumentiert. Aber | |
die Steuern werden von marktgängigen Preis erhoben und die Preise ändern | |
sich eben. Da bin ich ganz Marktwirtschaftler – auch wenn das manche Leute | |
angesichts meiner anderen Thesen überraschend finden. Wenn Oma ihr kleines | |
Häuschen teurer wird, muss man eben die Steuer dafür bezahlen. | |
Das beliebteste Gegenargument ist ja: Wenn das Haus plötzlich eine Million | |
wert ist und man 500.000 Euro versteuern muss, obwohl das Einkommen dafür | |
nicht ausreicht, müssen sie das Haus verkaufen. Das erscheint vielen Erben | |
ungerecht. | |
Das wird überdramatisiert. Normalerweise gibt ihnen dafür jede Bank ein | |
Darlehen und das können sie dann über 20 Jahre abbezahlen. Sonst könnte man | |
immer noch entgegenkommen und sagen: Der Staat gibt einen Kredit, der | |
gestundet wird, weil man den Aspekt des symbolischen Gutes ernst nimmt. Da | |
bin ich kompromissbereit. Die Leute sollen nur nicht auf die Idee kommen, | |
dass eine Riesenvilla, in der sie wohnen, ihnen deshalb schon irgendwie qua | |
Erbschaft gehören darf. Das ist schlicht unfair. | |
Warum diskutieren wir eigentlich so viel über die Vermögenssteuer, wenn die | |
eigentlich im Vergleich zur Erbschaftssteuer pillepalle ist – gerade wenn | |
ein solcher Generationenwechsel wie derzeit ansteht? | |
Das wird häufig gegeneinander ausgespielt. Es ist aber kein entweder oder. | |
Man sollte beides einführen. Aber die Erbschaftssteuer ist ein besonders | |
guter Punkt, um gegen Ungleichheit anzusetzen. Erben können nicht | |
weglaufen, weil alles notariell abgewickelt werden muss: Man muss ein Erbe | |
gesetzlich geregelt reklamieren. Sobald sie das Wort Vermögenssteuer gesagt | |
haben, ist das Geld schon außer Landes. | |
Zeigt sich hier beim Erben auch, dass die FDP eine verkappte Reichenpartei | |
ist, weil sie sich ausdauernd gegen Steuer- und Chancengerechtigkeit | |
einsetzt? Die FDP nimmt ja am Ende den Gedanken der Leistungsgesellschaft | |
gar nicht ernst, wenn sie gegen die Erbschaftssteuer ist. Oder muss das nur | |
mal jemand Christian Lindner erklären? | |
Das würde ich gerne übernehmen! Tatsächlich ist die FDP über diese Frage | |
gespalten. Ich bin von Teilen der FDP schon häufiger angefragt worden, weil | |
das Erbe der Leistungsgesellschaft widerspricht und nicht wenige meine | |
Forderung richtig finden. Diese Kräfte kommen in der Partei aber politisch | |
nicht durch. Wie die FDP diese kognitive Dissonanz aushält, ist mir nicht | |
klar. Wenn man den Verdienstgedanken und Leistung politisch hochhält, kann | |
man nicht sagen: Erbschaft ist okay. | |
Was löst es bei Ihnen aus, wenn CDU-Chef Friedrich Merz höhere Freibeträge | |
fordert? | |
Es ist eine politische Frage, wo diese künstliche Kappungsgrenze angesetzt | |
wird. Die vielen negativen Effekte für demokratische, relationale und | |
ökonomische Gleichheit setzen ohnehin erst ab hohen Vermögen ein – deswegen | |
kann der Freibetrag von mir aus auch relativ hoch sein. | |
Sagen Sie doch mal eine Zahl! | |
Ich finde 500.000 Euro ganz okay. Von mir aus auch 600.000, wenn die | |
Immobilienpreise jetzt so stark gestiegen sind. | |
Klingt viel. | |
Beim Kampf über die Freibetragsgrenzen befindet man sich im falschen | |
Schützengraben. Wichtig ist es, die Steuersätze für die Beträge darüber | |
progressiv zu erhöhen: Wenn das Haus eben 501.000 Euro kostet, muss man für | |
die 1.000 darüber natürlich noch nicht gleich den vollen Steuersatz zahlen, | |
sondern klein anfangen – dann aber nachher richtig hochgehen. Wir brauchen | |
eine steile progressive Besteuerung über einen auszuhandelnden, meinetwegen | |
auch relativ hohen Freibetrag. Das wäre die echte Transformation in | |
Deutschland, die viel ändern würde. Die Höhe der Freibeträge nicht – auß… | |
dem politischen Widerstand. | |
Um mal indiskret zu werden: Wie ist es denn bei Ihnen? Wollen Sie das Haus | |
ihrer Eltern nicht erben? | |
Lassen sie es mich diplomatisch so sagen. Ich bin ein Bevorzugter, und | |
genau deshalb engagiere ich mich für das Thema. Erbschaften sind eine | |
offensichtliche Ungerechtigkeit. | |
8 Aug 2023 | |
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