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# taz.de -- Publizist Yannick Haan über das Erben: „Ein Großteil erbt gar n…
> Der Autor und SPD-Politiker Yannick Haan hat genug Geld für eine eigene
> Wohnung geerbt. Das ist ungerecht, sagt er – und will ein Grunderbe für
> alle.
Bild: Wenn das Bafög nicht reicht: Plakat bei der Bildungsstreik-Demo 2009 in …
wochentaz: Herr Haan, Ihr Buch trägt den Titel „Enterbt uns doch endlich!“
Sie sehen Erben als eines der letzten gesellschaftlichen Tabus, es sei
leichter, mit Freund:innen über den Besuch beim Psychologen zu reden, als
darüber, ob und wie viel Geld man erbt. Warum?
Yannick Haan: Das Thema Erben berührt ein Konglomerat an Themen, die wir
als Gesellschaft lieber vermeiden: den Tod, den Wert von Familie,
Ungerechtigkeit. Und natürlich Geld. Wir reden schon ungern über das
Arbeitseinkommen, beim Thema Vermögen wird es noch schwieriger. Es gibt da
auch eine gewisse Intransparenz. Wenn man Zahlen zu Reichtum in Deutschland
sucht, wie ich es für dieses Buch getan habe, landet man immer bei
ungefähren Schätzungen. Armut hingegen ist gut erforscht, weil arme
Menschen transparent dem Staat gegenüber leben müssen.
Für Sie selbst war Erben lange kein Thema. Das änderte sich, als Ihre
Mutter Ihnen eine größere Summe vererbt hat. Sie sagen, das habe sie von
Ihren Freund:innen entfremdet?
Ja, vorher waren wir alle in einer ähnlichen Situation. Wir hatten Jobs,
mit denen wir gut über die Runden gekommen sind, waren aber nicht wirklich
vermögend. Durch das Erbe hat sich meine finanzielle Situation plötzlich
verändert, obwohl meine berufliche Situation annähernd gleich geblieben
war. Ich habe mir von dem Geld eine Eigentumswohnung gekauft, die ich
vermiete. Ich habe damit jetzt eine Sicherheit, die ich vorher nicht hatte
und die auch in meiner Generation nur wenige haben.
Sie schreiben im Buch auch über Ihren privilegierten Hintergrund, der Ihnen
ein längeres Praktikum in den USA ermöglichte oder schlecht bezahlte Jobs
abzulehnen. Hat das Erbe nicht eher Unterschiede verdeutlicht, die ohnehin
da waren?
Die Privilegierung war eigentlich die ganze Zeit da, ja. Ich war
beispielsweise nicht so gut in der Schule. Meine Eltern konnten es sich
aber leisten, mich zu fördern. Dann konnte ich Praktika machen, die
richtigen Menschen kennenlernen. So etwas zieht sich durch das ganze Leben,
ohne dass es einem immer bewusst ist. Das Erbe kommt dann noch hinzu. Das
ist auch das Problem daran: Dass die, die ohnehin privilegiert aufgewachsen
sind, noch Geld obendrauf bekommen, ein Großteil der Gesellschaft aber gar
nichts erbt. Das ist rückschrittlich.
Dabei hat Erben früher auch gesellschaftlichen Fortschritt bedeutet,
schreiben Sie. Wie meinen Sie das?
Das Erbschaftsrecht hat gesellschaftliche Veränderungen sogar angestoßen.
Denken Sie an das Erstgeburtsrecht. Früher erbte nur der erstgeborene Sohn,
inzwischen erben alle Kinder. Damit wurde die Gleichstellung von Mann und
Frau im Erbrecht verankert. Gesellschaftlicher Fortschritt also. Heute
hingegen zementiert Erben eher gesellschaftliche Ungleichheiten, etwa
zwischen Ost- und Westdeutschland. Wir reden viel über die Angleichung der
Löhne, gehen aber nicht an den Kern des Problems: den Umstand, dass in
Ostdeutschland kaum Vermögen vorhanden ist. Und das liegt auch am Erben.
In den USA und Großbritannien haben sich zwei Drittel der Superreichen
ihren Reichtum selbst erarbeitet, klassische Aufsteiger-Biografien. In
Deutschland führen einer Studie zufolge 67 Prozent der Superreichen ihren
Reichtum vor allem auf ein Erbe oder Schenkungen zurück. Wie erklären Sie
sich diese Unterschiede?
Das hat zwei Gründe. Zum einen die Wirtschaftsstruktur. Die ist in
Deutschland stark von Familienunternehmen geprägt. Die sind oftmals sehr
vermögend und geben ihr Vermögen von Generation zu Generation weiter. Der
zweite Grund ist die geringe Besteuerung von Vermögen in Deutschland, etwa
[1][über die Erbschaftsteuer]. Dass Superreiche vor allem übers Erben reich
werden, stellt übrigens auch unser Mantra der individuellen Leistung
infrage; dieses Versprechen, dass man es mit Leistung finanziell zu etwas
bringen kann. Das hat mit der Realität nichts mehr zu tun.
Sie meinen: Egal wie sehr man sich anstrengt, man kommt doch nicht
vorwärts? Ist das nicht fatalistisch?
Diese Idee, dass man alles schaffen kann, ist einfach eine Lüge.
Deutschland steht in Europa auf einem der hintersten Plätze, wenn es um
soziale Mobilität geht. Hinzu kommt eine extreme Vermögensungleichheit. Man
sollte sich eingestehen, dass wir ein gesellschaftliches Problem haben. Und
dass wir noch viele Probleme haben werden, wenn wir an dieser Situation
nichts ändern.
Sie plädieren für ein „Grunderbe“, wie es auch das Deutsche Institut für
Wirtschaftsforschung (DIW) vorschlägt. Eine einmalige Zahlung von 20.000
Euro für jeden. Erhalten soll man das Geld zur Volljährigkeit. Warum gerade
dann?
Es ist ein Alter, in dem man wichtige Entscheidungen trifft: Macht man eine
Ausbildung, studiert man, gründet man eine Firma? An diesem Punkt die
notwendigen Finanzen zu haben, kann den weiteren Lebensweg entscheidend
beeinflussen. Ich selbst konnte mich während des Studiums beispielsweise
politisch engagieren, ohne noch drei Jobs nebenher machen zu müssen.
Natürlich gibt es dafür auch das Bafög. Aber wir sollten uns als
Gesellschaft fragen: Wollen wir jungen Menschen in dieser Phase ihres
Lebens wirklich Schulden aufbürden? Oder wollen wir ihnen nicht lieber eine
Starthilfe geben, die sie ausgeben können?
Soll das Geld frei verfügbar sein?
Zur genauen Ausgestaltung gibt es unterschiedliche Ideen. [2][Das DIW
schlägt vor], das Geld an ein Studium oder eine Ausbildung zu knüpfen. Ich
hingegen glaube, es sollte komplett bedingungslos sein. Man kann Vertrauen
in die Menschen haben, dass sie es vernünftig ausgeben würden. Es würde
auch komplizierter und bürokratischer, wenn man es an Bedingungen knüpft.
Meine Befürchtung ist, dass dann genau die Menschen davor zurückschrecken
würden, es zu beantragen, die es am nötigsten bräuchten.
Finanziert werden soll das „Grunderbe“ über eine Erhöhung der
Erbschaftsteuer. Was entgegnen Sie Menschen, die sagen: „Warum sollte ich
für mich und meine Kinder etwas aufbauen, wenn der Staat mir wieder einen
großen Teil davon nimmt?“
Grundsätzlich ist es ein positiver Gedanke, der nächsten Generation etwas
weitergeben zu wollen. Allerdings ist die Vermögensungleichheit in
Deutschland inzwischen zu groß. Und sie verstärkt sich immer mehr, wenn wir
keine Maßnahmen dagegen ergreifen. Wenn man da beschließt, einen Teil
umzuverteilen, ist das für die gesamte Gesellschaft förderlich. Diejenigen,
die das Glück haben, eine gute Erbschaft zu bekommen, können das auch gut
finanzieren, ohne in den finanziellen Ruin getrieben zu werden. Es ist ein
Akt der Solidarität.
Sie haben für Ihr Buch mit der Unternehmerin Paula Schwarz, reiche Erbin
des Pharma-Unternehmens Schwarz, gesprochen, die sich für eine gerechtere
Vermögensverteilung einsetzt. „Tax me now“, ein Zusammenschluss von
Superreichen, fordert, härter besteuert zu werden. Ist da gesellschaftlich
was in Bewegung?
Ich finde es gut, wenn reiche Menschen die Vermögensverhältnisse
anprangern. Aber man muss das im Verhältnis sehen: Es ist die Ausnahme. Der
überwiegende Teil der Superreichen in Deutschland zieht sich komplett
zurück, auch aus den Medien. Wo sich hingegen wirklich etwas ändert, ist
bei der jüngeren Generation. Vermögende Menschen, [3][die unzufrieden sind
mit der Situation und nach Lösungen suchen]. Das gibt mir Hoffnung für die
Zukunft.
Große Änderungen bei der Erbschaftsteuer finden sich im Koalitionsvertrag
nicht. An Sie als SPD-Politiker: Warum?
Was wir in der Politik verlernt haben, auch in der SPD, ist, Steuern wieder
als ein Mittel zur gesellschaftlichen Umverteilung zu sehen. Wir haben in
den letzten 20 Jahren gesehen, wie sich immer mehr Vermögen gebildet hat
und dem einfach zugeschaut. Mehr noch: Wir haben die Steuern so gesenkt,
dass Vermögende kaum noch Steuern zahlen. Wir brauchen eine Debatte
darüber, wie wir das ändern können. Man sollte sich dabei auch nicht von
der FDP und ihrem Mantra „keine Steuererhöhungen“ abspeisen lassen. Es
gibt, wie gezeigt, Lösungen. Und die sind auch nicht übermäßig kompliziert.
1 Jan 2023
## LINKS
[1] /Volkswirt-ueber-Erbschaftsteuer/!5902927
[2] https://www.diw.de/de/diw_01.c.831664.de/wohlstand_fuer_alle_____durch_grun…
[3] /Erbe-Antonis-Schwarz-ueber-Umverteilung/!5814347
## AUTOREN
Sascha Lübbe
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