Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Philosoph über Abschaffung von Erbe: „Parallelgesellschaft der R…
> Der Gerechtigkeitstheoretiker Stefan Gosepath will das Erben komplett
> abschaffen. Er erklärt, wie unbesteuerte Erbschaften die Demokratie
> untergraben.
Bild: Jährlich werden in der Bundesrepublik circa 400 Milliarden Euro vererbt
taz: Herr Gosepath, Sie sind Gerechtigkeitstheoretiker. Leben wir in einer
gerechten Gesellschaft?
Stefan Gosepath: Nein, natürlich nicht! Aber wir haben die moralische
Verpflichtung, die Welt immer gerechter zu machen, auch wenn wir den
Idealzustand niemals erreichen werden. Gerechtigkeit ist menschengemacht
und wenn sich genug Leute zusammentun, kann man Verbesserung Stück für
Stück erreichen.
Nun gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, was gerecht ist.
In der Gerechtigkeitstheorie begeben wir uns hinter den Schleier des
Nichtwissens. Wir fragen uns: Wie würden wir die Welt einrichten, wenn wir
nicht wüssten, welche Rolle wir darin einnehmen? Dann kann ich nicht
parteiisch gegenüber einer bestimmten Klasse, einem Geschlecht oder einer
Position sein, weil ich mich selbst darin wiederfinden könnte. So kommen
wir zu einer unparteilichen Vorstellung einer gerechten Gesellschaft, die
weitgehend anschlussfähig ist.
Sie hätten eine konkrete Vorstellung, was zu einer gerechteren Gesellschaft
führen würde. Welche?
Erbschaft gehört abgeschafft. Es ist eine ungerechte Lotterie, weil es der
pure Zufall ist, ob ich reiche Eltern hatte oder nicht. Erbschaften
verletzen wesentlich die Chancengleichheit. Auch wenn man in Deutschland
meistens erst ab 50 bis 60 erbt und die Berufslaufbahn da eigentlich schon
gelaufen ist, sind Erbschaften Chancen, weil sie ja wissen, dass sie ein
Sicherheitsnetz haben oder schon vorher davon profitieren.
Wenn jemand in der Schule, der Universität oder der Ausbildung bessere
Karten hat, weil er reiche Eltern hat, gilt das als ungerecht. Das ist
gesellschaftlicher Konsens. Alle sollten die gleichen Startchancen haben,
damit wir eine fairere Gesellschaft bekommen. Um Chancengleichheit
herzustellen, sollten wir den ganz Reichen etwas wegnehmen, um es den ganz
Armen zu geben.
Tatsächlich wäre viel zu holen: Jährlich werden circa [1][400 Milliarden
Euro vererbt]. Die Einnahmen aus der Erbschaftssteuer lagen 2021 nur bei
9,8 Mrd. Das ist nur ein winziger Bruchteil der 814,9 Milliarden Euro
jährlichen Steuereinnahmen in Deutschland.
Wir besteuern in Deutschland Erbschaften viel zu wenig. Der Fiskus verdient
fast nichts an Erbschaften, obwohl sie rund 10 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts ausmachen.
Trotzdem traut sich da niemand so richtig ran. Warum setzen sich selbst
vorgeblich auf Gerechtigkeit ausgerichtete nominal eher linke Parteien
nicht ernsthaft für höhere Erbschaftssteuern ein, selbst wenn es in ihren
Programmen steht?
Die frustrierende Antwort ist: Die eigenen Wähler goutieren das nicht. Die
Parteien haben Angst vor ihren eigenen Wählerinnen. Umfragen belegen, dass
die [2][Erhöhung der Erbschaftssteuer] unpopulär ist. Dabei gibt es gerade
in Deutschland noch sehr hohe Freibeträge für Vererbung an die Kinder. Oma
ihr klein Häuschen, wie man so schön sagt, lag immer im Freibetrag. Das war
auch immer von der Sozialdemokratie gewollt.
Ich wäre bereit, da politisch mitzugehen. Erstens sehe ich den emotionalen
Punkt: Wenn es das Elternhaus ist, in dem man groß geworden ist. Zweitens
würde es politisch noch schwieriger, wenn man allen die Familienhäuser
wegnimmt. Wenn man es dabei beließe und alles darüber besteuert, versteht
man nicht so ganz, warum Leute im niedrigen Einkommenssektor etwas gegen
die Erbschaftssteuer haben. Sie wären davon nicht betroffen, sind aber
trotzdem gegen Steuererhöhungen.
Ist es ein Aufklärungsdefizit oder wie erklären Sie sich das?
Entweder das oder sie denken, sie könnten mal einen Lottogewinn machen oder
reich werden und das soll dann ein paar Jahre halten. Es gibt aber nicht
allzu viele Untersuchungen dazu. In einer der wenigen Studien haben
Befragte in Interviews zunächst gesagt, sie seien gegen die Erhöhung der
Erbschaftssteuer. Als ihnen jedoch erklärt wurde, wie hoch die Freibeträge
sind, haben sie ihre Meinung geändert.
Sie hingegen wollen das Erben gleich ganz abschaffen. Wie wollen Sie das
denn jemandem erklären, der schon Angst um Oma ihr Häuschen hat?
Klar, meine These klingt erst mal radikal. Aber die Idee ist nicht, die
Erbschaft für alle abzuschaffen, sondern [3][allen ein Erbe zu geben]. Ich
will nicht alle runterziehen, sondern alle raufziehen. Wenn jemand aus
einem blöden Zufall heraus auf einem Auge blind ist, kann man natürlich
nicht fordern, dass ich mir auch ein Auge aussteche. Die Idee muss sein,
den Einäugigen in die Lage zu versetzen, dass er auch mit einem Auge gut
zurechtkommt.
Politisch gesehen ist die Lösung: Oma ihr klein Häuschen für alle. Man
müsste eine hohe Erbschaftssteuer von 100 Prozent dafür nutzen, viel
breiter auszuschütten.
Toll! Bekomme ich dann bei 400 Milliarden pro Jahr jährlich 5.000 Euro
extra oder kann ich die ganze Kohle direkt nach meinem Schulabschluss auf
einer Weltreise verballern?
Ich finde nicht, dass man alles bar auf die Kralle kriegen sollte. Ein
bisschen meinetwegen – über Details kann man ja debattieren. Aber bei
Vorschlägen wie 20.000 Euro für jeden ab 18 Jahren bin ich skeptisch aus
verschiedenen Gründen. 18 Jahre erscheint mir viel zu früh. Dann kaufen sie
sich einen alten Porsche und bleiben am nächsten Baum in Brandenburg
hängen. Das kann nicht Sinn der Sache sein.
Wenn Chancengleichheit das Ziel ist, muss es eine strukturelle Investition
in die Zukunft sein: In Schulen, Hochschulen und die Gesundheitsvorsorge.
Eigentlich gehört das Geld in soziale Infrastruktur, weil das den Ärmsten
besser zu Chancen verhilft. Die öffentlichen Institutionen müssen dazu
führen, dass alle einen guten Start ins Leben haben können. Dann ist es
auch eine langfristige Investition.
Was bedeutet für Sie Eigentum?
Es heißt, dass ich andere von Gütern oder Boden ausschließen darf. Eigentum
muss begründet werden. Die Standardrechtfertigung dafür ist, dass es zu
meiner Freiheit beiträgt. Ich brauche Eigentum, um frei zu sein. Arme haben
aber zumindest von ihrer Freiheit viel weniger als Reiche, weil sie nicht
die Ressourcen haben, ihre Freiheit zu nutzen. In der liberalen Demokratie
gilt aber nicht nur Freiheit für alle, sondern auch Gleichheit. Eigentum
als Mittel zur Freiheit soll zumindest gleich verteilt sein.
Es ist genau wie in der Coronapandemie: Meine Freiheit endet da, wo ich die
Gesundheit des anderen gefährde. Mein Eigentum endet da, wo ich die
Freiheit anderer gefährde. Demnach darf es nicht zu große Vermögen geben,
weil diese die Freiheiten anderer einschränken können. Aus der Gleichheit
ergeben sich sofort Grenzen von Eigentum.
Wann endet Eigentum?
Meine sehr radikale These ist: mit dem Tod. Wenn Eigentum meine Freiheit
bedeutet und nach dem Tod meine Freiheit verschwindet – im Himmel brauche
ich keine Freiheitsrechte –, brauche ich auch keine Mittel mehr. Richtig
ausbuchstabiert, ergibt sich aus Freiheit und Gleichheit also, dass alle
Eigentumstitel nach dem Tod wegfallen.
Gab es einen derartig tiefgreifenden Einschnitt überhaupt schon einmal?
Das Vorbild ist die Französische Revolution. Dort wurde am Anfang übrigens
auch die Abschaffung des Erbes diskutiert. Das ist dann aber nicht
umgesetzt worden. Was aber immerhin kam, war die Abschaffung der
dynastischen Erbfolge von Macht. In ähnlicher Weise kann man hoffen, dass
wir irgendwann auch die finanzielle Herrschaft abschaffen werden.
Vielleicht ist das der größere Schritt, aber der erste war gegen 2.000
Jahre Geschichte auch ein großer Schritt.
Hängt das eine nicht auch mit dem anderen zusammen?
Ja, beides ist häufig gekoppelt: Wenn man die Vererbung von
mittelständischen Betrieben oder Familienunternehmen nimmt, stellen die in
kleinen Dörfern oder Gemeinschaften natürlich Machtfaktoren dar. Hier wird
also im Prinzip Macht doch noch vererbt. Dass das hart verteidigt wird,
müsste einem eigentlich zu denken geben als guter Demokrat.
Inwiefern untergräbt das Erben am Ende die Demokratie?
Es gefährdet einerseits den politischen Zusammenhalt, weil vererbte
ökonomische Macht sich natürlich leicht in politische Macht übersetzen
lässt. Und es bedroht den sozialen Zusammenhalt, weil es ein soziales
Kastensystem schafft, wie man es in den USA schon sehen kann. In England
und den USA kann man die Erbschaftswelle seit 300 Jahren beobachten, dort
gibt es tief verwurzelte Familiendynastien. Die Schere ist schon sehr weit
auseinander durch die Aggregierung von Erbschaften.
Eine zu große Ungleichheit gefährdet laut Ökonomen wie Piketty die
Volkswirtschaft. Es braucht eine breite Verteilung von Vermögen, sodass
viele Leute investieren können und nicht nur ein Segment mit extrem hohen
Gewinnen existiert, das allein entscheidet, wo investiert wird.
Wie ist die Lage in Deutschland?
Das Spezifische an Deutschland sind zwei verlorene Weltkriege und hohe
Inflation, die nach 1945 zumindest in Westdeutschland als Gleichmacher
wirkten. Dennoch hat das Wirtschaftswunder mittlerweile zu einer großen
Vermögensungleichheit geführt: Die damals angehäuften Reichtümer werden
jetzt an die Babyboomer-Generation vererbt. Bis zur jetzigen
Erbschaftswelle waren wir eine noch relativ egalitäre Gesellschaft. Diese
Welle müssten wir jetzt eigentlich brechen – wobei wir sind schon ein
bisschen zu spät dran sind.
Wie ist die Situation in Ostdeutschland?
Im Osten ist die Situation noch einmal anders, weil es vor 1990 keine
großen Individualvermögen und deshalb auch nichts zu vererben gab. Ein
weiterer ungerechter Zufallsfaktor: Ob ich etwas erbe, hängt also nicht nur
davon ab, in welche Familie ich geboren werden, sondern auch in welchem
politischen System.
Was passiert, wenn wir die jetzige Erbschaftswelle nicht brechen?
Praktisch werden Reiche in exklusiven Quartieren, Vororten oder
Villenvierteln leben. Dann gibt es Effekte, wie man sie aus den Gated
Communities in den USA oder Südamerika kennt: Die Schulen, Krankenhäuser,
Sportmöglichkeiten sind in den Reichenvierteln nicht sehr überraschend
besser. Schließlich sind die Lebensbedingungen in verschiedenen Orten des
selben Landes ganz unterschiedlich. Ob jemand eine Yacht besitzt, kann
einem ja egal sein, aber wenn sich die grundsätzlichen Lebensbedingungen
stark unterscheiden, ist das ein großes Problem. Sobald soziale
Distinktionsmerkmale dazu führen, dass es eine Hierarchie gibt, fällt die
Gesellschaft auseinander.
Man redet immer von Parallelgesellschaften und meint damit die armen
Migranten in Kreuzberg. Tatsächlich aber gibt es die Tendenz einer
Parallelgesellschaft von Reichen, die in höchstem Maße demokratiefeindlich
ist. Wo das endet, sehen wir an gespaltenen Gesellschaften, in denen
Single-Issue-Parteien entstehen, die eine verlässliche Demokratie
untergraben.
Trotz allem halten sich in der Debatte um die Erbschaftssteuer beharrlich
Gegenargumente: Neben dem der Doppelbesteuerung von Einkommen, die ja schon
deswegen hinfällig ist, weil jeder Supermarkteinkauf eine Doppelbesteuerung
ist, gibt es noch das der Familie als gesellschaftlichen Kitt, die ohne
Erben angeblich unterminiert würde. Was sagen Sie dazu?
Die Familie ist eine wichtige Institution der bürgerlichen Gesellschaft,
wenn sie denn funktioniert. Aber die wichtigsten Stichpunkte für eine
gelungene Familienbande, in der Kinder vermutlich am besten groß werden,
sind elterliche Liebe und Fürsorge – und nicht Geld. Es ist völlig unklar,
warum Erbschaft zu einer funktionierende Familie gehören soll – im
Gegenteil könnte es gerade schädlich sein, wenn Kinder sich nur den
Familien verpflichtet fühlen, weil sie Geld erwarten oder Eltern sich das
Wohlwollen ihrer Kinder durch Geld erkaufen.
Was ist mit dem vererbten mittelständischen Familienbetrieb, dem viel
zitierten Rückgrat der deutschen Wirtschaft?
Volkswirtschaftlich ist es richtig, den Betrieb nach dem Todesfall des
Gründers zu erhalten, weil Arbeitsplätze dran hängen. Die Herausforderung
ist: Wie vermeiden wir die Nachteile einer Erbschaft – nämlich, dass
Machtpositionen und Geld als reiner Zufall vererbt werden – und erhalten
den Betrieb trotzdem? Eine Möglichkeit: Erben bekommen das Unternehmen,
dürfen es aber nicht verkaufen und so entfällt der finanzielle Anreiz, die
Firma nach ein paar Jahren zu kapitalisieren. Dann lässt man sich das
häufig bemühte Argument, dass das Unternehmen in Familienhand bleiben soll,
einfach schriftlich und verpflichtend geben.
Wie wollen Sie mit vererbten Führungspositionen umgehen?
Man könnte den Manager oder CEO wählen wie in anderen Unternehmen auch.
Ebenso ließe sich überlegen, inwieweit der Betrieb sozialisiert wird. Man
könnte auch die Belegschaft im Erbschaftsfall beteiligen. Dann hat man eben
nicht nur einen Betriebsrat, sondern Anteilseigner, die alle nicht
verkaufen dürfen, und zusammen den Geschäftsführer wählen. Wie in einer
Genossenschaft.
Was ist mit Kapitalflucht?
Einerseits baue ich darauf, dass bestimmte Familienunternehmen eben stolz
sind, hier zu sitzen und eben nicht in China zu produzieren. Andererseits
lebt es sich in einer demokratischen Gesellschaft mit einer fairen
Grundstruktur besser. Schon jetzt leben Reiche lieber hier, obwohl sie im
Prinzip steuerflüchtig werden könnten. Hier gibt es ein gutes
Gesundheitssystem, ein gutes Schulsystem, eine sichere Welt, in der sie
nicht in Gated Communities mit Maschinengewehren bewacht leben müssen.
Wenn das Erben abgeschafft wird: Arbeitet man ab einem gewissen Vermögen
dann überhaupt noch weiter, wenn man weiß, dass man nichts weitergeben
kann?
Gute Frage. Gute Frage heißt immer, man hat keine richtige Antwort. Das
müsste man empirisch überprüfen. Aber ich wehre mich gegen Leute, die schon
jetzt wissen, dass die Leute dann nicht mehr genug arbeiten.
Die reichsten Männer der Welt, es sind ja nur Männer, arbeiten alle weiter,
obwohl sie jetzt schon ein Vermögen haben, das sie in Lebzeiten selbst
nicht mehr ausgeben können – Macht und Anerkennung ist genauso wichtig wie
Einkommen. Bill Gates arbeitet nicht für Geld, sondern für seinen Ruhm.
Warren Buffet gibt seinen Enkelkindern auch nur einen kleinen Teil und
vergibt den Großteil seines Vermögens philanthropisch. Wenn aber alle mit
40 volkswirtschaftliche die Schippe hinlegen würden, müsste man natürlich
sehen, woran das liegt.
Was ist eigentlich mit materiellem Erbe: Also Gegenständen, Hausstand,
Möbel, Bilder?
Symbolische Güter würde ich natürlich erlauben. Das Poesiealbum der Oma zum
Beispiel. Etwas Persönliches, an dem Erinnerungen hängen.
Und wenn der Ururopa Kaiser Wilhelm II. und das Erbe die Burg Hohenzollern
und jede Menge Tafelsilber wäre?
Es muss eine Obergrenze eingeführt werden. Sonst hat jemand gleich
Millionen auf dem Konto, weil er alles bei Sotheby’s versteigert hat. Wo
man diese Grenze zieht, kann man gesellschaftlich verhandeln. Das wird ein
Stück weit willkürlich sein.
Was machen wir mit ansteigenden Immobilienpreisen? Zuletzt ging die Debatte
trotz wachsender Ungleichheit in die entgegengesetzte Richtung, weil Häuser
auf einmal knapp über dem Freibetrag lagen und Erben empört waren, dass sie
darauf steuern zahlen mussten.
Ich war kürzlich in einer Radiosendung im bayerischen Rundfunk. Da
argumentierten Anrufer damit, dass es doch ein Zufall sei, dass ihre
Immobilie am Ammersee liegt und jetzt 2 Millionen wert ist und sie deswegen
jetzt Steuern zahlen müssten. Auch CSU-Chef Söder hat so argumentiert. Aber
die Steuern werden von marktgängigen Preis erhoben und die Preise ändern
sich eben. Da bin ich ganz Marktwirtschaftler – auch wenn das manche Leute
angesichts meiner anderen Thesen überraschend finden. Wenn Oma ihr kleines
Häuschen teurer wird, muss man eben die Steuer dafür bezahlen.
Das beliebteste Gegenargument ist ja: Wenn das Haus plötzlich eine Million
wert ist und man 500.000 Euro versteuern muss, obwohl das Einkommen dafür
nicht ausreicht, müssen sie das Haus verkaufen. Das erscheint vielen Erben
ungerecht.
Das wird überdramatisiert. Normalerweise gibt ihnen dafür jede Bank ein
Darlehen und das können sie dann über 20 Jahre abbezahlen. Sonst könnte man
immer noch entgegenkommen und sagen: Der Staat gibt einen Kredit, der
gestundet wird, weil man den Aspekt des symbolischen Gutes ernst nimmt. Da
bin ich kompromissbereit. Die Leute sollen nur nicht auf die Idee kommen,
dass eine Riesenvilla, in der sie wohnen, ihnen deshalb schon irgendwie qua
Erbschaft gehören darf. Das ist schlicht unfair.
Warum diskutieren wir eigentlich so viel über die Vermögenssteuer, wenn die
eigentlich im Vergleich zur Erbschaftssteuer pillepalle ist – gerade wenn
ein solcher Generationenwechsel wie derzeit ansteht?
Das wird häufig gegeneinander ausgespielt. Es ist aber kein entweder oder.
Man sollte beides einführen. Aber die Erbschaftssteuer ist ein besonders
guter Punkt, um gegen Ungleichheit anzusetzen. Erben können nicht
weglaufen, weil alles notariell abgewickelt werden muss: Man muss ein Erbe
gesetzlich geregelt reklamieren. Sobald sie das Wort Vermögenssteuer gesagt
haben, ist das Geld schon außer Landes.
Zeigt sich hier beim Erben auch, dass die FDP eine verkappte Reichenpartei
ist, weil sie sich ausdauernd gegen Steuer- und Chancengerechtigkeit
einsetzt? Die FDP nimmt ja am Ende den Gedanken der Leistungsgesellschaft
gar nicht ernst, wenn sie gegen die Erbschaftssteuer ist. Oder muss das nur
mal jemand Christian Lindner erklären?
Das würde ich gerne übernehmen! Tatsächlich ist die FDP über diese Frage
gespalten. Ich bin von Teilen der FDP schon häufiger angefragt worden, weil
das Erbe der Leistungsgesellschaft widerspricht und nicht wenige meine
Forderung richtig finden. Diese Kräfte kommen in der Partei aber politisch
nicht durch. Wie die FDP diese kognitive Dissonanz aushält, ist mir nicht
klar. Wenn man den Verdienstgedanken und Leistung politisch hochhält, kann
man nicht sagen: Erbschaft ist okay.
Was löst es bei Ihnen aus, wenn CDU-Chef Friedrich Merz höhere Freibeträge
fordert?
Es ist eine politische Frage, wo diese künstliche Kappungsgrenze angesetzt
wird. Die vielen negativen Effekte für demokratische, relationale und
ökonomische Gleichheit setzen ohnehin erst ab hohen Vermögen ein – deswegen
kann der Freibetrag von mir aus auch relativ hoch sein.
Sagen Sie doch mal eine Zahl!
Ich finde 500.000 Euro ganz okay. Von mir aus auch 600.000, wenn die
Immobilienpreise jetzt so stark gestiegen sind.
Klingt viel.
Beim Kampf über die Freibetragsgrenzen befindet man sich im falschen
Schützengraben. Wichtig ist es, die Steuersätze für die Beträge darüber
progressiv zu erhöhen: Wenn das Haus eben 501.000 Euro kostet, muss man für
die 1.000 darüber natürlich noch nicht gleich den vollen Steuersatz zahlen,
sondern klein anfangen – dann aber nachher richtig hochgehen. Wir brauchen
eine steile progressive Besteuerung über einen auszuhandelnden, meinetwegen
auch relativ hohen Freibetrag. Das wäre die echte Transformation in
Deutschland, die viel ändern würde. Die Höhe der Freibeträge nicht – auß…
dem politischen Widerstand.
Um mal indiskret zu werden: Wie ist es denn bei Ihnen? Wollen Sie das Haus
ihrer Eltern nicht erben?
Lassen sie es mich diplomatisch so sagen. Ich bin ein Bevorzugter, und
genau deshalb engagiere ich mich für das Thema. Erbschaften sind eine
offensichtliche Ungerechtigkeit.
8 Aug 2023
## LINKS
[1] https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-erbschaften-groesser-als-bislang…
[2] /Kritik-am-ungerechten-Erbschaftsrecht/!5890041
[3] /Vermoegen-gerecht-verteilen/!5918092
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Firmenerben
Schwerpunkt Armut
Reichtum
Erbe
IG
Kolumne Ernsthaft?
Oxfam
Erbschaftssteuer
Friedrich Merz
Zukunft
Erbschaftssteuer
Erbschaftssteuer
## ARTIKEL ZUM THEMA
Tricksen bei der Erbschaftssteuer: Bedürftige MilliardärInnen
Besitzen Unternehmens-ErbInnen mehr als 26 Millionen Euro, müssen sie
eigentlich Steuern zahlen. Ein Schlupfloch erlaubt ihnen, das zu umgehen.
Oxfam-Chef über globale Ungleichheit: „Weltweit hungern 800 Millionen“
Verbreitet Oxfam jedes Jahr die gleichen Hiobsbotschaften und ignoriert
Fortschritte? Fragen an Amitabh Behar, den Chef der
Entwicklungsorganisation.
Umverteilung gegen Armut: Reiche essen sich nicht selbst
Die Millionenerbin Marlene Engelhorn will Millionen verschenken und wird
dafür bejubelt. Das ist naiv. Der Fehler liegt schon in ihrer Perspektive.
Überblick zu Steuersenkungen: Weniger ist nicht unbedingt mehr
Stromsteuer, Mehrwertsteuer, Erbschaftsteuer – sie sollen runter oder unten
bleiben, fordert die Union. Doch es gibt gute Argumente dagegen.
Vermögen gerecht verteilen: Wann kommt das Erbe für alle?
Für einen gerechten Start ins Leben schlägt Volkswirt Stefan Bach ein
Grunderbe für alle vor. Ähnliche Modelle im kleinen Stil gibt es anderswo
bereits.
Publizist Yannick Haan über das Erben: „Ein Großteil erbt gar nichts“
Der Autor und SPD-Politiker Yannick Haan hat genug Geld für eine eigene
Wohnung geerbt. Das ist ungerecht, sagt er – und will ein Grunderbe für
alle.
Kritik am ungerechten Erbschaftsrecht: Reiche erben billig
Das Erbschaftssteuerrecht bevorzugt Vermögende, kritisiert die Organisation
Finanzwende. Sie fordert die Abschaffung der Privilegien.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.