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# taz.de -- Vermögen gerecht verteilen: Wann kommt das Erbe für alle?
> Für einen gerechten Start ins Leben schlägt Volkswirt Stefan Bach ein
> Grunderbe für alle vor. Ähnliche Modelle im kleinen Stil gibt es anderswo
> bereits.
Bild: Ein Grunderbe würde gerechtere Chancen beim Start ins Leben ermöglichen
wochentaz: Herr Bach, wer erbt, bekommt Geld, ohne selbst etwas geleistet
zu haben. Wenn manche viel erben und viele nichts, wie verändert das die
Gesellschaft?
Stefan Bach: Ob man in eine arme oder reiche Familie geboren wird, ist
reiner Zufall, sozusagen Spermalotterie. Wer Vermögen in der Familie hat,
kann größere Risiken eingehen, eine längere Ausbildung machen, eine Auszeit
nehmen, mal ganz abgesehen vom kulturellen Kapital, vom Habitus, den man
mitbekommt. Wenn Menschen in der Gesellschaft beim Start ins Leben [1][sehr
ungleiche Chancen haben], kann man das auch als Neo-Feudalismus bezeichnen.
Ist den Menschen die Ungleichheit inzwischen stärker bewusst? In einer
Umfrage haben 58 Prozent der Teilnehmenden kürzlich gesagt, dass sie die
Verhältnisse in Deutschland „eher ungerecht“ finden, so viele wie seit
Jahren nicht.
Schon seit Längerem wird soziale Ungleichheit stärker wahrgenommen. In den
zehner Jahren hatten wir eine recht günstige wirtschaftliche Entwicklung,
auch untere und mittlere Einkommen sind wieder real gestiegen, die
Einkommensungleichheit hat nicht zugenommen. Corona hat einige hart
getroffen. Dann kamen der Krieg und die Inflation, die hohen Preise bei
Energie und Lebensmitteln belasten Arme deutlich stärker als Reiche. Die
Ungleichheit wird im Alltag spürbar.
Wenn die Vermögen in Deutschland gleicher verteilt wären, hätten mehr
Menschen einen Puffer.
Ja. Die Ungleichheit beim Vermögen ist hierzulande traditionell groß und
hat in den letzten Jahrzehnten noch zugenommen. Die Hälfte der Bevölkerung
besitzt so gut wie nichts, weder größere Ersparnisse geschweige denn Aktien
oder vermietete Immobilien. Die reichsten zehn Prozent dagegen besitzen
ungefähr zwei Drittel des Vermögens. Wohlstand für alle gibt es beim
Vermögen nicht.
Die Seite zu wechseln und durch Arbeit selbst Vermögen zu bilden, ist
schwieriger geworden?
Die Leute können natürlich sparen, wenn sie halbwegs verdienen. Aber auf
dem Wohnungsmarkt in Ballungsräumen kommt man allein mit dem Einkommen
nicht mehr weit. Mietwohnungen sind teuer, beim Kauf einer
100-Quadratmeter-Wohnung muss man inzwischen eine halbe Million Euro
zahlen.
Ohne Eigenkapital kann man so eine Summe selbst mit einem gut bezahlten Job
nur schwer refinanzieren. Da ist Geld in der Familie sehr hilfreich.
[2][Die Ungleichheit beim Vermögen setzt sich] durch Erbschaften und
Schenkungen über die Generationen fort. Sehr viele erben in Deutschland
nichts oder nur sehr wenig. Etwa ein Viertel einer Generation erhält
Beträge über 100.000 Euro.
Um gerechtere Verhältnisse zu schaffen, gibt es die Idee eines Erbes für
alle. Sie haben [3][ein Modell entwickelt] für ein solches „Grunderbe“, wie
Sie es nennen. Wie sieht das konkret aus?
Die Idee ist, dass der Staat allen jungen Erwachsenen ein Grunderbe in Höhe
von 20.000 Euro zahlt. Damit können sie zum Beispiel eine Ausbildung
finanzieren, ein Unternehmen gründen, eine Wohnung kaufen oder das Geld bei
Arbeitslosigkeit oder Krankheit nutzen. Ob das nun zum 18. Geburtstag
passiert oder mit 21 oder 25, wenn die Leute schon etwas trockener sind
hinter den Ohren, darüber kann man diskutieren.
Das Geld soll nicht einfach an alle verteilt werden, sondern an einen Zweck
gebunden sein. Trauen Sie den Menschen nicht zu, ein Grunderbe sinnvoll zu
verwenden?
Es gibt die Sorge, dass junge Erwachsene mit so viel Geld nicht umgehen
können. Die Frage ist, ob man ein wenig Paternalismus braucht, damit die
Menschen das Grunderbe vernünftig verwenden. Man kann das Geld natürlich
auch zur freien Verfügung stellen und [4][auf Eigenverantwortung setzen].
Wenn dann jemand durch Südostasien tourt, dann kann das ja auch gut sein
für die Lebensplanung. Aus einer liberalen Perspektive – jeder ist seines
Glückes Schmied – wäre das okay. Auch darüber müsste man reden.
Eine Zweckbindung würde mehr Bürokratie mit sich bringen.
Ja, die Verwendung des Geldes müsste geprüft werden, das bedeutet einen
gewissen Aufwand.
Auch der französische Ökonom Thomas Piketty setzt sich für ein Erbe für
alle ein. Er hat vorgeschlagen, an alle 25-Jährigen 60 Prozent des
nationalen Durchschnittsvermögens auszuzahlen, das wären in Deutschland
120.000 Euro. Dagegen nimmt sich Ihr Vorschlag geradezu bescheiden aus.
Wie hoch man die Summe ansetzt, ist vor allem eine Frage der Finanzierung.
Man kann das leicht durchrechnen: Momentan gibt es in Deutschland zirka
750.000 junge Erwachsene pro Jahrgang. Bei 20.000 Euro pro Person bräuchte
man jedes Jahr 15 Milliarden Euro. Das wäre ein Betrag, den man über höhere
Steuern auf große Einkommen und Vermögen realistisch finanzieren könnte.
Wie genau?
Es werden derzeit bis zu 400 Milliarden Euro jährlich vererbt, der Staat
bekommt davon aber nur 10 Milliarden Euro. Man könnte Privilegien bei der
Erbschaftssteuer abschaffen, etwa durch eine Mindestbesteuerung bei
Unternehmensübertragungen. Man könnte auch Immobilienbesitz stärker
besteuern, [5][eine Steuer für Superreiche] einführen oder den
Spitzensteuersatz erhöhen. 15 Milliarden zusätzlich im Jahr wären damit
aufzubringen, ohne dass das zu größeren wirtschaftlichen Problemen führen
würde.
Bei einem deutlich höheren Grunderbe würde das schon schwieriger. Es gibt
immer wieder auch radikale Forderungen, Erbschaften komplett umzuverteilen.
Dann bekäme jeder junge Erwachsene bis zu einer halben Million.
Das wäre tatsächlich radikal…
…und nicht realistisch. Die Verfügung über das Eigentum auch über den Tod
hinaus ist ein legitimer und wichtiger Teil des Eigentumsrechtes und eine
wesentliche Grundlage unserer Wirtschaftsordnung. Daher kann man
Erbschaften nicht vollständig besteuern und damit abschaffen. Das wäre
weder rechtlich noch politisch umsetzbar.
Kleine Summen umzuverteilen ist eher machbar. In Großbritannien gab es bis
2011 ein Programm mit einer ähnlichen Stoßrichtung, den Child Trust Fund.
Der Staat zahlte für alle Neugeborenen bis zu 1.000 Pfund auf ein Konto
ein, auf das sie als Erwachsene Zugriff bekommen.
Ja, in Großbritannien wurde beim Child Trust Fund eine Art Grunderbe im
Kleinen eingeführt, auch da ging es um mehr Chancengleichheit für junge
Erwachsene. Die britische Regierung wollte mit dem Programm vor allem zum
Sparen anregen, Angehörige sollten zusätzlich Geld einzahlen. Die
staatlichen Prämien wurden 2011 allerdings abgeschafft, seitdem gibt es nur
noch steuerfreie Sparkonten für die Kinder.
KritikerInnen Ihres Grunderbes sagen, man sollte das Geld besser direkt in
Schulen und Kitas oder in bezahlbaren Wohnraum stecken, das sei eine
effektivere Unterstützung armer Menschen. Zu Recht?
Natürlich sollte der Staat auch bei seinen Kernaufgaben der Bildungs-,
Wirtschafts- und Sozialpolitik besser werden. Wenn junge Menschen keine
Ausbildung haben oder schlecht integriert sind, bringen ihnen die 20.000
Euro nicht viel. Die Einführung eines Grunderbes darf auf keinen Fall dazu
führen, dass andere staatliche Leistungen verschlechtert werden. Bildung
und Integration zu verbessern ist aber nicht leicht. Ein Grunderbe hätte
deshalb als Ergänzung durchaus seine Berechtigung.
Weil es zusätzlich sein müsste, sollte es auch durch neue Steuern und nicht
aus den bestehenden Mitteln finanziert werden?
Ja. Ein Grunderbe würde [6][eine höhere Besteuerung] auch eher
legitimieren. Es ist besser zu begründen, dass man Geld für eine solche
Umverteilung des Erbes braucht, als für den Staatshaushalt allgemein. Für
viele Menschen ist das plausibel.
Steuern werden nicht zweckgebunden erhoben.
Das ist richtig. Es müsste politisch verabredet werden, dass man das Geld
dafür verwendet. Gesetzlich ließe sich das nicht festschreiben.
Ein anderer Kritikpunkt ist das Gießkannenprinzip: Warum sollten alle, auch
Kinder von Wohlhabenden, so ein Grunderbe erhalten?
Für ein Erbe für alle spricht, dass es nicht nur einfacher umzusetzen wäre,
es hätte auch einen universalistischen Charakter. Grob gesprochen: Erben
ist leistungslos und zufällig verteilt, also sollen auch alle was davon
bekommen. Würde man sich stattdessen auf bestimmte Problemgruppen
fokussieren, ist das immer selektiv. Junge Erwachsene aus wohlhabenden
Familien brauchen ein Grunderbe zwar nicht unbedingt. Aber wenn sie selbst
erben, tragen sie mit den höheren Steuerbelastungen zur Finanzierung bei.
Der US-Staat Connecticut hat 2021 sogenannte Baby Bonds eingeführt. Dabei
werden bis zu 3.200 Dollar für Neugeborene angelegt, auf das Geld können
sie als Erwachsene zugreifen. Anders als Ihr Grunderbe-Modell beschränkt
sich das Programm allerdings auf Kinder aus armen Familien.
Natürlich kann man sich auf ärmere Gruppen konzentrieren. Das reduziert den
Finanzierungsaufwand erheblich, wird aber in der Abwicklung aufwändiger und
auch konzeptionell schwieriger. Misst man die Bedürftigkeit am Einkommen
oder auch am Vermögen der Eltern? Auch beim Child Trust Fund in
Großbritannien bekamen [7][Kinder aus bedürftigen Familien] mehr staatliche
Zuschüsse als andere, auch da gab es also eine stärkere sozialpolitische
Komponente als in unserem Modell. Die Frage ist, ob ein solches Programm
einfacher oder schwerer zu vermitteln wäre.
Bisher ist ein Grunderbe im größeren Stil eine Utopie. Warum ist es so
schwer, dafür eine politische Mehrheit zu bekommen?
Weil es ein neues Konzept ist. Es passt ganz gut zum progressiven
Neoliberalismus, der in den Eliten verbreitet ist und der die
Chancengleichheit in der Wettbewerbsgesellschaft verbessern will.
Konservative und traditionelle Wirtschaftsliberale sind aber skeptisch,
wenn an den bestehenden Eigentumsordnungen und Privilegien gerüttelt wird.
Sie befürchten auch negative wirtschaftliche Folgen der Steuererhöhungen.
Traditionelle Linke wiederum wollen zwar die Steuern für Reiche erhöhen,
aber mit dem Geld die Leute lieber direkt ertüchtigen und staatliche
Leistungen ausbauen. Daher sitzt man mit dem Grunderbe zwischen allen
Stühlen. Aber es gibt Kompromisslinien. Wir haben ein Modell entwickelt,
das noch gut zu finanzieren wäre und nicht an den Grundfesten der sozialen
Ordnung rüttelt.
Wie würde sich ein Grunderbe von 20.000 Euro auf die Vermögensverteilung
auswirken?
Kurzfristig kaum, aber über die Jahrzehnte hätte es schon einen spürbaren
Effekt. Es würde die starke Vermögenskonzentration über höhere Steuern für
Reiche in der Spitze verringern und in die Breite verteilen. Zur Zeit
besitzen die reichsten 1 Prozent im Durchschnitt 466 Mal so viel wie die
untere Hälfte der Bevölkerung. Dieser Wert würde sich unseren Berechnungen
zufolge in 30 Jahren mehr als halbieren. Die Vermögen der unteren Hälfte
würden sich wiederum beinahe verdoppeln.
In der aktuellen Regierung sind Steuererhöhungen für Reiche mit der FDP
nicht machbar.
Wir wollen mit unserem Vorschlag eine Diskussion anregen, die über das
Alltagsgeschäft hinausgeht. Die Argumentation vieler Liberaler lautet: Der
Staat hat genug Geld, er muss es nur effektiver einsetzen. Das mag
teilweise so sein, aber es ignoriert die große Ungleichheit bei den
Lebenschancen. Chancengleichheit ist ein Markenkern des Liberalismus. Nur
mit guten Startchancen können junge Menschen etwas aus ihrem Leben machen.
Der prominenteste Politiker, der Ihren Vorschlag unterstützt, ist der
Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, SPD. Weil es ein
Ost-West-Thema ist?
Sicherlich auch. Im Westen wird das Vermögen der Wirtschaftswunderzeit
vererbt, im Osten nur wenig. Ein Grunderbe könnte das etwas ausgleichen
zwischen den Regionen. Eine dezidierte SPD-Position ist das Grunderbe
bisher nicht, die Partei hält sich da eher zurück, obwohl viele
linksliberale und jüngere Sozialdemokraten das interessant finden.
Was glauben Sie: Wird es in 10 Jahren ein Grunderbe in Deutschland geben?
Die Erbschaftswelle rollt, in den nächsten Jahren wird immer mehr Vermögen
von einer Generation an die nächste gehen. Angesichts der großen
Ungleichheit dabei droht eine Refeudalisierung zur Erbengesellschaft. Die
Menschen nehmen soziale Ungleichheit heute stärker wahr als in früheren
Jahrzehnten, gerade bei den Lebenschancen. Und viele reiche Erben fühlen
sich mit ihren Privilegien unwohl und sind bereit, mehr davon abzugeben.
Angesichts dieser Trends kann es durchaus sein, dass das Grunderbe stärker
in den Fokus rückt und zumindest Elemente davon umgesetzt werden.
7 Mar 2023
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## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
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