# taz.de -- Volkswirt über Erbschaftsteuer: „Viele Privilegien für Milliard… | |
> FDP und Union wollen höhere Freibeträge bei der Erbschaftsteuer. Sie | |
> mogeln sich um die eigentliche Debatte herum, sagt Finanzexperte Gerhard | |
> Schick. | |
Bild: „Der Ball liegt auf dem Elfmeterpunkt“: Christian Lindner, Bundesmini… | |
taz: Herr Schick, es gibt einen Kompromiss der Ampel, höhere Freibeträge | |
bei der Erbschaftsteuer mitzutragen, wenn es eine entsprechende | |
Gesetzesinitiative der Bundesländer gibt. Finanzminister und FDP-Chef | |
Christian Lindner hat dazu gesagt: [1][Der Ball liegt auf dem | |
Elfmeterpunkt.] Würden Sie den Ball reinschießen? | |
Gerhard Schick: So nicht. | |
Warum nicht? | |
Bisher diskutieren wir nur die Höhe der Freibeträge, die länger nicht | |
angepasst worden sind. Und diese Diskussion ist legitim. Aber es gibt einen | |
zweiten Punkt: Wir haben seit Jahren ein [2][verfassungswidriges | |
Erbschaftsteuerrecht.] Wenn man jetzt bei der Erbschaftsteuer | |
gesetzgeberisch tätig wird, dann muss auch dieses Thema gelöst werden. | |
Was müsste gelöst werden? | |
Dass wir Privilegien für Milliardäre in unserem Land haben. | |
Heißt, wir können über höhere Freibeträge sprechen, aber wir müssen dann | |
auch an anderer Stelle tätig werden? | |
Exakt. | |
Bleiben wir erst mal bei den Freibeträgen. Der Hintergrund der Aufregung | |
ist, dass nach einem Verfassungsgerichtsurteil die Wertermittlung bei | |
Immobilien angepasst wird. Erben von Immobilien müssten dann mehr | |
Erbschaftsteuer zahlen. Ist das denn verkehrt? | |
Es ist völlig richtig, dass jedes Vermögen zu seinem Marktwert einbezogen | |
wird. Das hat das Bundesverfassungsgericht schon mehrfach bestätigt: Der | |
Gesetzgeber darf Freibeträge einziehen und begründete Ausnahmen schaffen. | |
Aber was nicht geht: willkürlich einen Wert ermitteln. Dieser | |
verfassungsrechtlichen Vorgabe muss man folgen. Die Immobilienpreise sind | |
gigantisch gestiegen in vielen Orten in den letzten Jahren. Und das führt | |
jetzt bei der Erbschaftsteuer dazu, dass man mehr Steuern zahlen muss, wenn | |
man größere Vermögen vererbt. | |
Die FDP argumentiert so: Wenn man die Freibeträge nicht erhöht – seit 2009 | |
wurden sie nicht angepasst –, dann werden Miethäuser aus Familienbesitz in | |
die Hände von Investoren fallen. Das würde der gesamten Gesellschaft | |
schaden. | |
Erstens: Das ist überhaupt nicht belegt. Zweitens ist es schon merkwürdig, | |
von der FDP plötzlich Argumente gegen Finanzinvestoren zu hören. Ich habe | |
das mit einem Schmunzeln aufgenommen. Wissen Sie, was man thematisieren | |
müsste? Wenn jemand 300 Wohnungen erbt, wird das als Betrieb gewertet und | |
praktisch steuerfrei übertragen. Wenn jemand fünf Wohnungen erbt, muss er | |
es versteuern. Das kann nicht gerecht sein. Um diese Debatte mogelt sich | |
die FDP mit solchen Äußerungen herum. | |
Die FDP ist aber nicht allein. Der bayerische Ministerpräsident Markus | |
Söder (CSU) will auch die Freibeträge erhöhen und prüft eine | |
Verfassungsklage. Wie finden Sie das? | |
Seit 2006 haben wir ein verfassungswidriges Erbschaftsteuerrecht. Ich kenne | |
keine Initiative von Herrn Söder, diese Verfassungswidrigkeit zu | |
überwinden. Allein seit 2009 sparten Superreiche aufgrund der höchsten | |
Steuersubvention unseres Landes über 74 Milliarden Euro, dank der sie quasi | |
steuerfrei Vermögen an die nächste Generation weitergeben können. Das ist | |
eine Riesenungerechtigkeit. Aber bei den Freibeträgen will er vor das | |
Verfassungsgericht gehen, weil es ihm politisch in den Kram passt. Dieses | |
Rosinenpicken in der Verfassung, das muss jeder Demokrat im Rechtsstaat | |
ablehnen. Söder und FDP suchen sich nur einen kleinen Ausschnitt raus, wo | |
jetzt Vermögende stärker belastet werden. Wir müssen uns das Gesamtpaket | |
angucken. | |
Wie sieht das aus? | |
Die allermeisten Menschen [3][erben überhaupt nichts]. Auf der anderen | |
Seite haben wir Menschen mit Milliardenvermögen, die nichts zahlen, obwohl | |
sie Milliarden erben. Wenn wir diese beiden großen Felder in dieser | |
Erbschaftsdiskussion ausklammern, dann haben wir eine völlig schiefe | |
Debatte. | |
Was müsste sich denn ändern, damit das Erbschaftsteuerrecht wieder | |
verfassungskonform wird? | |
Es gibt zu viele Ausnahmen bei den ganz großen Vermögen. Sie betreffen die | |
[4][großen Betriebsvermögen in unserem Land und die großen | |
Immobilienbestände]. Diese Privilegien müssen abgeschafft werden, damit | |
unser Erbschaftsteuerrecht wieder verfassungskonform wird. Wie soll ich | |
jemandem erklären, dass auf kleinere Erbschaften und Schenkungen im Schnitt | |
ein höherer Steuersatz erhoben wird als auf größere? Das Prinzip der | |
Leistungsfähigkeit sagt uns doch: „Starke Schultern tragen mehr als | |
schwache Schultern.“ Im Erbschaftsteuerrecht ist dieses Prinzip aber | |
umgekehrt worden. Das müssen wir korrigieren. | |
Union und FDP argumentieren gegen eine höhere Besteuerung von | |
Betriebsvermögen, weil daran ja auch Arbeitsplätze hängen. | |
Dieses Argument ist aber in den Bereich der Fake News einzuordnen. Es | |
[5][gibt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim | |
Bundesfinanzministerium], das zu einem anderen Ergebnis kommt. Bei einer | |
Erbschaftsteuer für Betriebsvermögen gibt es auch Stundungsregelungen. In | |
Deutschland ist noch kein einziger Betrieb durch die Erbschaftsteuer ins | |
Schlingern gekommen. Das ist ein Scheinargument, um den Leuten Angst zu | |
machen. Die Stiftung Familienunternehmen, wo viele der größten | |
Milliardärsfamilien dieses Landes organisiert sind, hat systematisch | |
versucht, Angst zu schüren, dass bei einer sinnvollen Erbschaftsbesteuerung | |
Arbeitsplätze verloren gehen. Und dieses Argument ist weitverbreitet in | |
unserem Land, ist aber trotzdem falsch. | |
Die FDP möchte eine Erhöhung der Freibeträge um 25 Prozent und dann eine | |
künftige Anpassung an die Inflation. Für sie ist das eine Frage der | |
Anerkennung von Leistung. Jemand hat sich etwas erarbeitet und das darf der | |
Staat ihm dann nicht durch hohe Steuern wegnehmen. | |
Das ist eine völlig schiefe Debatte! Über die Hälfte des Vermögens, das es | |
heute in Deutschland gibt, ist nicht durch persönliche Leistung, sondern | |
durch Erben entstanden. Das heißt, wer sich für mehr Leistungsgerechtigkeit | |
einsetzen will, muss dafür sorgen, dass Erbschaften höher besteuert und | |
Einkommen weniger belastet werden. | |
Sie haben die Vermögensungleichheit in Deutschland angesprochen: Wie | |
verändert das unsere Gesellschaft? | |
Wenn Vermögen sich zu stark konzentrieren, ist das nicht gut für die | |
demokratische Gesellschaft, weil dann Menschen mit sehr viel Geld einfach | |
auch sehr viel Einfluss nehmen können. Deswegen steht in unserem | |
Grundgesetz: Eigentum verpflichtet. Deswegen sagt das Verfassungsgericht: | |
Wir dürfen nicht einfach Milliardäre willkürlich privilegieren. Das sind | |
Grundlagen unseres Rechtsstaates, die wir nicht ignorieren dürfen. | |
Sie haben selbst Ihr Bundestagsmandat niedergelegt. Sind Sie eigentlich | |
enttäuscht über die Kompromissbereitschaft von den Grünen? | |
Es ist ja klar, dass die Grünen in der Ampel Kompromisse machen müssen. | |
Spätestens bei der Verfassung muss aber Schluss sein. Und das ist ohnehin | |
ein parteiübergreifendes Thema. Winfried Kretschmann hat sich für die | |
verfassungswidrigen Privilegien genauso eingesetzt wie Markus Söder. Es ist | |
eine gesellschaftliche Diskussion: Wollen wir zulassen, dass sich das große | |
Geld durchsetzt gegen die Regeln unserer Verfassung? Ich habe im Bundestag | |
selbst erlebt, dass die Lobby so stark war, dass man da nichts erreichen | |
konnte. Das ist der Grund, warum wir die Bürgerbewegung Finanzwende als | |
Gegengewicht gegründet haben. | |
Das ist ja eine interessante Perspektive als Ex-Parlamentarier – wie genau | |
hat sich der Lobbyismus bemerkbar gemacht? | |
Wenn sich ein Milliardär, der ein großes Unternehmen leitet, meldet, dann | |
bekommt er sofort einen Termin bei vielen Politikern. Es hat über die Jahre | |
eine Art Brainwashing der gesellschaftlichen Diskussion stattgefunden. | |
Heute fragt doch kaum jemand nach dem Verhältnis zwischen denen, die erben, | |
und denen, die nichts erben. Alle haben einfach nur Angst, dass | |
Arbeitsplätze verloren gehen, wenn die Erbschaftssteuer erhoben wird. Davon | |
muss sich diese Gesellschaft wieder befreien. Wenn das Signal unserer | |
Gesellschaft ist: Du kannst nur gut leben, wenn du erbst, dann ist das | |
leistungsfeindlich. Und das ist der Weg, auf den uns FDP und CSU gerade | |
treiben. | |
Ein anderes Argument lautet: Die Erbschaftssteuer ist eine doppelte | |
Besteuerung. | |
Wenn ich mir ein Stück Kuchen kaufe, zahle ich darauf Mehrwertsteuer und | |
die zahle ich aus meinem bereits versteuerten Einkommen. Das ist oft so in | |
unserem Steuerrecht, erst recht bei einem Eigentumsübertrag. Das kann also | |
kein Argument gegen die Erbschaftssteuer sein. | |
Wie geht es jetzt politisch weiter? Werden sich die Bundesländer einigen | |
können? | |
Ich bin gespannt. Denn es ist auch eine Frage der Gerechtigkeit zwischen | |
einzelnen Landesteilen, zwischen Ost und West, zwischen reichen und ärmeren | |
Regionen in unserem Land. Mir ist wichtig, dass wir nicht nur über die | |
Freibeträge reden. Die Länder haben da teilweise in der Vergangenheit eine | |
problematische Rolle gespielt: Immer wieder haben sie geklagt, dass sie zu | |
wenig Geld haben, um ihren Aufgaben gerecht zu werden, und gleichzeitig bei | |
der Erbschaftssteuer immer wieder nette Ausnahmen ins Gespräch gebracht. | |
16 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/c_lindner/status/1602675584257097729 | |
[2] /Kommentar-Erbschaftssteuer/!5082111 | |
[3] /Erben-in-Deutschland/!5810657 | |
[4] /Soziale-Ungerechtigkeit/!5809290 | |
[5] https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Ministeri… | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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