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# taz.de -- Reform der Erbschaftssteuer: Die SPD will Erben ärgern
> Dem Staat fehlt Geld, etwa für eine Kindergrundsicherung. SPD-Politiker
> wollen Ausnahmen für Firmenerben streichen – die größte Steuersubvention.
Bild: Erben großer Vermögen sollen ein Stückchen abgeben – das hat 2016 ni…
Berlin taz | Zum Beispiel Mathias Döpfner. Vor gut zwei Jahren schenkte
Verlegerin Friede Springer dem Springer-Vorstandsvorsitzenden
Unternehmensanteile im Wert von über 1 Milliarde Euro. Davon hätte Döpfner
eigentlich mindestens 300 Millionen Euro an den Staat abtreten müssen. Doch
bis heute kann er höchstens einen Bruchteil gezahlt haben. Das Netzwerk
Steuergerechtigkeit hat sich die Einnahmen des Landes Brandenburg aus
Schenkungs- und Erbschaftsteuer seit 2020 angeschaut. Dort müsste die
Zahlung des Potsdamer Bürgers Döpfner zu Buche schlagen, doch die Einnahmen
des Fiskus lagen wesentlich niedriger.
Döpfner wandte wahrscheinlich einen Trick an. Kurz vor dem
Milliardengeschenk kaufte er im Wert von 276 Millionen Euro Aktien am
Springer-Konzern. Etwa die Summe, die er an den Fiskus hätte zahlen müssen.
Denn es gilt: Bei großen Vermögen ab 26 Millionen Euro müssen die
Begünstigten keine Steuern zahlen, wenn sie „bedürftig“ sind. Dazu müssen
sie nur nachweisen, dass sie kein privates Vermögen haben, um ihre
Steuerschuld zu begleichen. Aktienanteile in großem Umfang gelten als
Betriebsvermögen und werden geschont. Wer, wie Döpfner, Privatvermögen also
rechtzeitig in Betriebsvermögen umwandelt, muss nichts abgeben. Und zwar
völlig legal.
Weil sie diese und andere Schlupflöcher nutzen, können gerade die Erben und
Beschenkten großer Vermögen jedes Jahr Milliardensummen am Staat
vorbeischleusen. [1][Von den rund 400 Milliarden Euro, die hierzulande pro
Jahr vererbt oder verschenkt werden, erhält die Allgemeinheit nur einen
Bruchteil.] „Die Ausnahmen für Firmenerben bei der Erbschaftsteuer sind die
größte aller Steuersubventionen“, sagt Julia Jirmann vom Netzwerk
Steuergerechtigkeit. Laut Subventionsbericht der Bundesregierung entgehen
dem Staat dadurch mindestens 5 Milliarden Euro pro Jahr.
## Im Haushalt fehlen Einnahmen
Geld, das aktuell fehlt, etwa für eine Grundsicherung, die Kinder vor Armut
schützt. Familienministerin Lisa Paus (Grüne), die die Kindergrundsicherung
umsetzen soll, hat diese Woche Alarm geschlagen. „Die Zeit rennt“, sagte
sie dem Deutschlandfunk. Wenn die Kindergrundsicherung 2025 eingeführt
werden soll, müsse man jetzt drüber reden. [2][Der Grund für Paus’ Panik:
Finanzminister Christian Lindner blockt ab]. Die FDP hält die Pläne von
Paus für zu teuer. Denn schon der Haushalt fürs kommende Jahr ist überbucht
– noch ganz ohne Kindergrundsicherung.
Paus hatte sich bei ihrem Parteikollegen, dem grünen Vizekanzler Robert
Habeck, beschwert. Der schrieb dem „Kollegen Lindner“ am Valentinstag einen
Brief und erinnerte ihn an wichtige Projekte aus dem Koalitionsvertrag. Er
schlug Lindner auch vor, darüber zu beraten, wie man die Einnahmen des
Staates verbessern könne. Lindner antwortete, diese Anregung wolle er nicht
aufgreifen.
Bei den Koalitionsverhandlungen hatten sich die Liberalen mit der Forderung
durchgesetzt, dass die Ampel keine Steuern erhöht. Doch nicht nur Habeck,
auch die SPD würden gern nochmal über Staatseinnahmen, sprich Steuern für
Reiche und Krisengewinner, reden. Sie halten den Koalitionsvertrag durch
den Krieg in der Ukraine und dessen Folgen in diesem Punkt für
überarbeitungsbedürftig.
## SPD will umverteilen
Der Parteivorstand setzte zu Jahresbeginn eine Kommission „Steuern und
Finanzen“ ein. Ein Dutzend Genoss:innen aus Bund und Ländern bis ins
Kanzleramt soll bis zum Parteitag im Dezember ein Konzept für ein „solide
und vor allem gerechte Finanzierung von Krisenkosten und
Zukunftsinvestitionen“ erarbeiten.
Mit dabei im Arbeitskreis ist auch der finanzpolitische Sprecher der
SPD-Bundestagsfraktion Michael Schrodi. „Wenn man über den Abbau von
Subventionen spricht, dann kommt man an der größten Steuersubvention in
Deutschland, der Privilegierung größter Betriebsvermögen in der
Erbschaftsteuer, sicher nicht vorbei“, meint Schrodi. Auf weitere
Instrumente wolle er sich derzeit nicht festlegen, aber der Kasten sei ja
überschaubar.
Die Parlamentarische Linke der SPD hat schon mal vorgearbeitet. Ende
vergangenen Jahres verschickte sie intern ein Konzept für eine solidarische
Finanz- und Steuerpolitik in der Zeitenwende. Darin findet sich neben einer
Vermögensteuer oder einer Vermögensabgabe auch die Idee, die
Erbschaftsteuer zu reformieren. Schon im Wahlprogramm hatte die SPD
versprochen, die Überprivilegierung großer Betriebsvermögen abzuschaffen,
das aber in den Koalitionsverhandlungen ad acta gelegt.
## Erbschaften: Hauptrolle bei ungleicher Vermögensverteilung
Nun hat auch ein Trio aus der Fraktion erneut Anlauf genommen: Tim
Klüssendorf, Berichterstatter für Erbschafts- und Vermögensteuer, Armand
Zorn und Parsa Marvi, beide Mitglieder des Finanzausschusses. Nur
Klüssendorf gehört zur Parlamentarischen Linken, Zorn ist Mitglied der
Netzwerker und Marvi im Seeheimer Kreis, den Konservativen im SPD-Spektrum.
Alle drei verbindet, dass sie neu im Bundestag sind und eine Reform der
Erbschaftsteuer für dringend geboten halten.
Kurz vor dem Jahreswechsel machten sie ihr Papier „Fair erben“ öffentlich.
Dass die ganz großen Vermögen praktisch steuerfrei weitergegeben werden
könnten, sei ungerecht, argumentieren sie. [3][Es leiste der gravierenden
Ungleichverteilung von Vermögen Vorschub, gefährde den sozialen
Zusammenhalt und die wirtschaftliche Resilienz.]
Tatsächlich ist Vermögen in Deutschland extrem ungleich verteilt. Auf einer
Skala von 1 – einer Person gehört alles – bis 0 – allen gehört alles –
liegt Deutschland bei 0,8. Dieser sogenannte Gini-Koeffizient, der die
Vermögensverteilung misst, liegt im Kreis der westlichen Industrieländer
nur in Schweden und den USA noch höher.
„Erbschaften spielen die Hauptrolle, wenn es um extreme und wachsende
Vermögensungleichheit geht“, sagte die Ungleichheitsforscherin Martyna
Linartas auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung im November.
Mehr als die Hälfte der Privatvermögen werde nicht mehr selbst erarbeitet,
sondern vererbt oder verschenkt. „Deutschland ist eine Erben- und keine
Leistungsgesellschaft.“
## Von der Lobby an die Wand gedrückt
Um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, schlagen die drei
SPD-Bundestagsabgeordneten vor, die Vergünstigungen für große
Unternehmenserbschaften weitestgehend aufzuheben. Dazu zählt Döpfners
Trick. Aber auch die Möglichkeit, das Betriebsvermögen in eine Stiftung
umzuwandeln. Egal wie reich die Begünstigten sind – eine Stiftung gilt im
Sinne des Steuerrechts als bedürftig. „Der Trend geht gerade in Richtung
Stiftung“, berichtet Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit, die sich
Vermeidungsstrategien der letzten zehn Jahre angeschaut hat.
Die Schlupflöcher sind also bekannt, sie zu schließen wäre kein Hexenwerk.
Zumal das Bundesverfassungsgericht schon 2014 geurteilt hatte, dass die
Ausnahmen für Firmenerben zu weitreichend seien und gegen den
Gleichheitsgrundsatz verstießen.
Auch deshalb entschloss sich die damalige Große Koalition zu einer Reform
der Erbschaftsteuer – die das Problem allerdings verschlimmbesserte. „Wir
wurden damals von der Lobby an die Wand gedrückt“, berichtete der ehemalige
SPD-Vorsitzende und NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans auf dem
Podium der Ebert-Stiftung im November.
Es fehlte der politische Wille fürs Kräftemessen mit den Firmenerben. Und
heute, bei der Ampel? Die Grünen müssen nicht überzeugt werden. Deren
finanzpolitische Sprecherin im Bundestag Katarina Beck ist dafür, Fragen
nach der Einnahmseite „aus der Tabu- in eine Gestaltungsecke zu bringen.
„Wichtige Zukunftsprojekte für den sozialen Zusammenhalt, die
Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft und auch die immensen Folgekosten des
russischen Angriffskriegs müssen finanziert werden“, so Beck zu taz.
## Wie überzeugt man die FDP?
Doch aus der FDP kommen Vorbehalte. FDP-Haushälter Otto Fricke sagt auf
Anfrage, er hätte auch viele Ideen, wie man Geld einsparen könnte. „Eine
Erbschaftssteuer und eine Vermögenssteuer gehören aber definitiv nicht
dazu.“
Das SPD-Trio aus der Fraktion setzt vor allem auf Argumente. Bei der
Erbschaftsteuer gehe es ja nicht darum, Steuern zu erhöhen, sondern darum,
den Kreis der Zahler:innen auszuweiten und Schlupflöcher zu schließen.
Für ihre Vermögen hätten die Erben nichts getan, es handele sich also um
leistungsloses Einkommen. Und Arbeitsplätze seien durch eine Reform nicht
gefährdet.
„Wir müssen wegkommen von falschen Erzählungen“, sagt SPD-Mann Armand Zor…
„Niemand will Familienunternehmen und den Mittelstand kaputt machen.“ Er
und seine beiden Fraktionskollegen können sich sogar vorstellen,
Freibeträge für Betriebsvermögen zu erhöhen und den Firmenerben die
Möglichkeiten zu geben, ihre Steuerschuld über einen langen Zeitraum
abzuzahlen.
Man wüsste gern, was die Firmenerben von der aktuellen Diskussion halten.
Doch auf taz-Anfrage teilte der Verband der Familienunternehmer mit, es sei
nicht gelungen, einen geeigneten Ansprechpartner zu finden
Man hält sich bedeckt. Noch. Aber das kann sich ändern, wenn die Debatte
Fahrt aufnimmt.
26 Feb 2023
## LINKS
[1] /Streit-ueber-den-Haushalt/!5914230
[2] /Streit-mit-FDP-Finanzminister-Lindner/!5917940
[3] /Publizist-Yannick-Haan-ueber-das-Erben/!5901731
## AUTOREN
Anna Lehmann
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