# taz.de -- Rechtsruck nach den Landtagswahlen: Wie man die AfD groß macht | |
> In Bayern und Hessen wurde gewählt – mit deutlichem Trend nach rechts. | |
> Das Ergebnis sollte Anlass sein, in der Asyldebatte verbal abzurüsten. | |
Bild: Jubel bei der AfD in Hessen mit Bundessprecherin Alice Weidel (Mitte) | |
Der Rechtsruck ist unübersehbar. Auch wenn die bisherigen | |
Regierungskoalitionen in Hessen und [1][Bayern] bestätigt wurden, haben | |
sich die politischen Gewichte doch verschoben. Die Ampelparteien verloren | |
deutlich an Stimmen, die Linkspartei fliegt in Hessen nach 15 Jahren aus | |
dem Parlament. Deutlich zugelegt haben in Hessen und Bayern nur die | |
Unionsparteien, die AfD und die Freien Wähler. Die AfD ist in Hessen jetzt | |
zweitstärkste und in Bayern, nach den Freien Wählern, die drittstärkste | |
Kraft. Ihre Erfolge lassen sich nicht mehr als ein Ostphänomen abtun, das | |
mit regionalen Besonderheiten zu erklären wäre. | |
Corona, Inflation, die Energiepolitik – die Gründe für den [2][Erfolg der | |
AfD] sind vielfältig. Besonders genutzt hat ihr die aufgeheizte | |
Asyldebatte, das ist nun einmal eine Domäne der Rechtspopulisten. Weil | |
Union und FDP, viele Medien und zuletzt auch die SPD und Bundespräsident | |
Steinmeier den Eindruck erweckten, die Aufnahme von Flüchtlingen sei | |
derzeit das größte Problem und die Bundesrepublik stehe kurz vor dem | |
Kollaps, leisteten sie unfreiwillige Wahlkampfhilfe für die AfD. Der | |
Alarmismus und der Überbietungswettbewerb der etablierten Parteien, die in | |
den vergangenen Wochen ständig neue Verschärfungen aus dem Hut zauberten, | |
hat den Rechtspopulisten Auftrieb gegeben. | |
Die AfD konnte sich entspannt zurücklehnen und zusehen, wie andere ihr | |
Geschäft mit der Panikmache betrieben. Die aktuell diskutierten Ideen – | |
mehr Grenzschutz und mehr Abschiebungen, Sachleistungen und Ausweitung der | |
Liste angeblich „sicherer Herkunftsstaaten“ – stehen alle in ihrem | |
Wahlprogramm. Nur in der letzten Woche vor den Wahlen machte die AfD kurz | |
auf sich aufmerksam, indem sie sich mit Klagen über angebliche Übergriffe | |
in eine Opferrolle warf. | |
Man stelle sich vor, die anderen Parteien hätten mit der gleichen Inbrunst | |
die Klimakrise zum Hauptproblem erklärt und sich mit Vorschlägen überboten, | |
wie der zunehmenden Erderwärmung begegnet werden kann – wahrscheinlich | |
hätten die Grünen davon profitiert. Da sich die Debatte aber nur darum | |
dreht, wie sich die Aufnahme von Geflüchteten begrenzen lässt, und nicht | |
darum, wie man ihnen am besten helfen kann, sind die Grünen in der | |
Defensive. Auch die Linke konnte, obwohl sie in humanitären Fragen noch die | |
reine Lehre vertritt, nicht davon profitieren, dass die Grünen immer mehr | |
Konzessionen auf Kosten der Menschenrechte machen mussten. | |
Es liegt ja nicht an ihren politischen Leistungen, dass die AfD nun auch im | |
Westen so gut abgeschnitten hat: Ihr Personal ist blass, in Bayern wird sie | |
vom Verfassungsschutz beobachtet, in Hessen zerlegte sich die | |
Landtagsfraktion fast an internen Querelen. Doch den Wählern:innen war | |
das egal. Dass die Freien Wähler in Bayern ein Rekordergebnis erzielten, | |
ist ebenfalls eine Zäsur. Den Skandal um ein rechtsextremes Flugblatt | |
wusste ihr Vorsitzender Hubert Aiwanger für sich zu wenden, indem er sich | |
als verfolgte Unschuld gerierte. Es ist dies übrigens das erste Mal in der | |
jüngeren Geschichte der Bundesrepublik, dass Antisemitismusvorwürfe einem | |
Politiker nicht geschadet, sondern sogar genutzt haben. Das liegt auch am | |
Versagen der konservativen politischen und medialen Meinungsführer in | |
diesem Land. Hätten Merz und Söder, FAZ und Bild anders reagiert, wäre | |
Aiwanger damit nicht durchgekommen. | |
Für die FDP hat es sich nicht ausgezahlt, sich in Migrationsfragen als „AfD | |
light“ anzudienen. Mit Mühe hat sie es in Hessen wieder gerade so in den | |
Landtag geschafft. Aber auch Markus Söder ist mit seinem Populismus nicht | |
so weit gekommen, wie er gehofft hatte, denn Aiwanger und die AfD konnte er | |
damit nicht übertrumpfen. Das sollte alle zum Umdenken bewegen und dazu, in | |
der Asyldebatte verbal abzurüsten. Doch wird das passieren? Vermutlich | |
nicht. Denn zumindest für Friedrich Merz und die Union ist die Rechnung | |
aufgegangen: Der politische Gegner links der Mitte ist dezimiert, an der | |
Union führt kein Weg vorbei. Den gesellschaftlichen Schaden nimmt er in | |
Kauf. | |
Die Ampelparteien wären gut beraten, sich auf einen gemeinsamen Kurs zu | |
einigen, wie sie es einst in ihrem Koalitionsvertrag getan haben. Würde der | |
Finanzminister von seinem Fetisch, der Schuldenbremse, ablassen, wäre | |
Städten und Kommunen sehr geholfen, denn die fordern schon seit Monaten | |
mehr Geld. Sinnvoll wäre es auch, dafür zu sorgen, dass mehr Flüchtlinge | |
schneller in Arbeit kommen. Hilfreich wäre es aber auch, auf Schlagworte | |
wie „Migrationskrise“, „illegale Migration“ und „Belastungsgrenze“ … | |
verzichten, um nicht ständig den Eindruck der eigenen Überforderung zu | |
vermitteln. | |
Doch wird die Union der Versuchung widerstehen, die geschwächte Konkurrenz | |
mit dem Flüchtlingsthema weiter vor sich herzutreiben? Wohl kaum, denn Merz | |
kann sich bestätigt fühlen: Das Ampelbündnis ist geschwächt und wird, wenn | |
die Stimmung im Land so bleibt, wie sie ist, auch im Bund bei den nächsten | |
Wahlen keine Mehrheit mehr haben. In dieser Situation könnten sich vor | |
allem SPD und FDP bereit zeigen, dem Druck der Union nachzugeben und sich | |
auf einen neuen, nationalen Schulterschluss in der [3][Asylpolitik] | |
einzulassen. | |
Signale in diese Richtung häuften sich zuletzt. Politiker der Union drängen | |
seit Wochen den Kanzler dazu, seinen „Deutschlandpakt“ mit Bund, Ländern | |
und der Union um das Thema „Migration“ zu erweitern, wenn nicht sogar | |
darauf zu konzentrieren. Bundespräsident Frank-walter Steinmeier und | |
Christian Lindner äußerten sich in den vergangenen Tagen zudem verdächtig | |
positiv zum „Asylkompromiss“ von vor dreißig Jahren: 1993 einigten sich | |
Union und FDP mit der damals oppositionellen SPD darauf, das Asylrecht | |
drastisch einzuschränken. Heute liegt wieder ein ähnlicher Deal in der | |
Luft. | |
Für Flüchtlinge ist das keine gute Nachricht. | |
9 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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