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# taz.de -- Bischöfin Petra Bahr über Pazifismus: „Waffenlieferungen sind g…
> Gibt es guten und schlechten Pazifismus? Bischöfin Petra Bahr über den
> Umgang der evangelischen Kirche mit dem russischen Angriffskrieg.
Bild: Erträgt an manchen Tagen keine Nachrichten: Bischöfin Petra Bahr
taz: Frau Bahr, seit mehr als einem Jahr tobt der Krieg in der Ukraine mit
Tausenden Toten, Hunderttausenden Geflüchteten, mit viel Leid und Schmerz.
Haben Sie sich an diese Lage gewöhnt?
Petra Bahr: Ich spüre, wie ich an manchen Tagen keine Nachrichten ertrage
und würde gerne mit den Medien, die ich zu viel konsumiere, auch die Welt
für eine Weile abschalten. Dann begegne ich Geflüchteten und der Krieg ist
sofort wieder da. All die abgebrochenen Lebensgeschichten, die Sorge um
Kinder, Eltern, Verwandte, das sind die Begegnungen, an denen mir deutlich
wird, dass sich in Europa etwas dramatisch verändert hat.
Der Krieg in unserer Nachbarschaft ist eine Zeitenwende – auch militärisch.
Undenkbar war zuvor, dass ausgerechnet Deutschland aufrüstet oder gar ein
Sondervermögen für die Bundeswehr einrichtet. Müssen Sie da nicht
schlucken?
Ich kenne keine halbwegs besonnenen Menschen, die da nicht schlucken. Aber
das, was im Hals stecken bleibt, ist doch die Wucht der Aggression, die
Brutalität, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Russland einsetzt,
um einen souveränen Staat dem Erdboden gleich zu machen.
Dennoch sind Sie für Waffenlieferungen?
Ich halte dies ethisch für geboten, auch mit Blick auf die christliche
Tradition des gerechten Friedens. In der Bibel hält sich die Hoffnung auf
Frieden mit der Rede von Recht und Gerechtigkeit die Waage. Dieser Krieg
hat genozidale Dimensionen angenommen und wird mit religiöser Propaganda
überhöht, und zwar nicht nur durch den Patriarchen der russisch-orthodoxen
Kirche, sondern auch als „heiliger Krieg“ gegen individuelle Freiheit und
echte Demokratie, gegen freie Medien, freie Wissenschaften, gegen gleiche
Rechte, übrigens auch gegen Religionsfreiheit.
Also Freiheit durch Panzerlieferungen?
Es geht weniger um die Frage, sind wir gegen Panzer oder nicht, sondern
darum, was eigentlich auf dem Spiel steht. Ethisch geboten im Sinne des
Völkerrechts ist deswegen, der Ukraine beizustehen – unter diesen Umständen
leider auch militärisch.
Es begann mit der Lieferung von Helmen, dann kamen Panzer, jetzt sprechen
wir von Zulieferungen für Kampfjets. Die Eskalationsspirale dreht sich
immer schneller. Warum sollen wir uns mitdrehen?
Viele haben gehofft, der Krieg sei sowieso bald vorbei. Manche waren sich
sogar sicher, dass die Ukraine Russland nichts entgegenzusetzen hat. Jetzt
hat sich in der Tat eine zermürbende Situation eingestellt. Die Ukraine
verteidigt sich auf eine Weise, mit der viele nicht gerechnet haben.
Russland hofft darauf, dass der Westen genau das tut, was jetzt auch immer
wieder passiert: zu sagen, das reicht jetzt mal. Parallel zur militärischen
Unterstützung durch Waffenlieferungen sind die diplomatischen Bemühungen
Dritter ja nicht abgebrochen. Sie haben nur bislang keinen Erfolg.
Vielen Menschen erscheint es aber so, dass über ein friedliches Ende des
Krieges gar nicht nachgedacht wird.
In der Friedens- und Konfliktforschung geht es nicht nur um die Frage,
welche Geschütze, welche Panzer, welche Luftabwehr geliefert wird, sondern
es geht gleichzeitig immer darum, wie dieser Krieg aufhört – und was danach
kommen kann. Der Einsatz für eine neue, rechtlich gesicherte
Friedensordnung kann gar nicht engagiert genug sein.
Auch in kirchlichen Organisationen gibt es Kritik an den Waffenlieferungen.
Es herrscht der Eindruck, dass etwa humanitäre Hilfe zu kurz kommt.
Verstehen Sie das?
Ich teile diese Ansicht, allerdings ist sie Teil der medialen Verkürzung.
Geistliche werden gefragt: „Sind Sie für Waffen oder dagegen?“ Das ethische
Ringen um eine verantwortliche Position fehlt. Was bedeutet es, wenn ein
souveräner Staat in dieser Souveränität nicht nur in Frage gestellt wird?
In diesem Krieg geht es um kulturelle Auslöschung, um Kriegsverbrechen, um
Angriffe auf zivile Ziele, die Entführung von Kindern. Da reicht humanitäre
Nothilfe nicht aus. Die Frage ist aber berechtigt: Was können wir sonst
noch tun, um die ukrainische Gesellschaft zu unterstützen, die zwischen
Resilienz und traumatischen Erfahrungen hin- und hergerissen ist? Die
Infrastruktur zu erhalten, Schulen, Krankenhäuser, Kirchen, Universitäten –
das ist genauso wichtig.
Diese Lücke haben Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht mit ihrem Manifest
genutzt und mächtig Zulauf bekommen. Auch [1][Friedensinitiativen oder
Organisationen] aus der Entwicklungszusammenarbeit hatten sich
angeschlossen. Wie erklären Sie sich das?
Der Pazifismus als Selbstbindung in einer Situation der Gewalt hat mir
immer schon imponiert. Zivile Konfliktstrategien zu erproben ist ein
wichtiges Anliegen. Hier wird der Pazifismus aber anders verordnet. Eine
große Triebkraft ist die Angst, die man nicht wegdiskutieren kann, die aber
politisch leicht instrumentalisierbar ist. Manche stützen offen die
Position Russlands und suchen die eigentlichen Kriegsursachen sogar im
Westen. Im Grunde stellt diese Bewegung die Souveränität der Ukraine und
seine zivilgesellschaftliche Freiheitsbewegung selbst in Frage. Dazu wird
mit moralischer Verve vorgebracht, dass die Deutschen, die Russland im
Zweiten Weltkrieg so unfassbares Leid zugefügt hätten, keine Waffen gegen
Russen richten dürften. Unter der Hand wird Russland mit der ehemaligen
Sowjetunion identifiziert – und die anderen postsowjetischen, souveränen
Staaten werden ein zweites Mal unsichtbar gemacht. Auch populistische,
antidemokratische Kräfte in Deutschland haben die Friedenssehnsucht
gekapert.
Warum schließen sich Menschen solchen Bewegungen dennoch an?
Ich würde als Christin und als Demokratin immer gucken: Unter welcher Fahne
verbünde ich mich? Es gibt in meinem Umkreis pazifistisch gesonnene
Menschen, die dieses Manifest niemals unterschrieben hätten.
Auch [2][Margot Käßmann] hat das Manifest unterschrieben.
Ja, und wir haben darüber auch gestritten. Und zwar deswegen, weil ich sie
selber auch als hochengagierte Pazifistin erlebe. Aber ich hätte sie nie an
der Seite von Sahra Wagenknecht vermutet. Dort will sie auch nicht
hingehören.
Feiern die Kirchen in der Krise ein Comeback?
Christen sind ja keine Popgruppe, die heute retro war und morgen wieder
angesagt sein könnte. Kirchen sind und bleiben Orte, in denen nach Gott
gefragt wird. Hier ist Platz für Gebete und Stille, für Ohnmacht,
Ratlosigkeit und Verzweiflung. Natürlich sind Kirchen auch Räume, in denen
gefragt wird: Was sollen wir tun? Was können wir lassen?
Dieser Tage findet der erste Kirchentag ohne Käßmann statt. Was fehlt, wenn
sie fehlt?
Margot Käßmann fehlt, ihr Charisma, ihre Freude an der Zuspitzung, die ja
oft wichtige Debatten nach sich zieht. Aber der Kirchentag lebt davon, dass
neue Generationen kommen, neue Gesichter, neue Stimmen, vielleicht auch in
ganz anderer Form. Das ist gut so, und das würde sie vermutlich auch gut
finden.
6 Jun 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Tanja Tricarico
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