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# taz.de -- Lettischer Pastor über Krieg: „Das ist Russophobie“
> Die lettische anglikanische Kirche sei liberal, sagt Pastor Valdis
> Tēraudkalns. Er ist gegen ein Schwarz-Weiß-Denken im Krieg.
Bild: Die Wahl Edgars Rinkevics zum lettischen Präsidenten euphorisiert die LG…
taz: Herr Tēraudkalns, mit Edgars Rinkēvičs wurde in Lettland ein Mann zum
Präsidenten gewählt, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt. Ist
das eine kleine Revolution?
Valdis Tēraudkalns: Der Präsident ist vor allem eine symbolische Figur.
Deshalb sollte man nicht zu viel erwarten. Dennoch ist diese Wahl ein
gutes, positives Zeichen. Sie zeigt eine gewisse Offenheit und das in einem
Land, wo sich der Staat und die Gesellschaft lange Zeit Debatten über eine
eingetragene Partnerschaft oder eine gleichgeschlechtlichen Ehe widersetzt
haben. Rinkēvičs hat bereits angekündigt, Menschenrechte zu einer seiner
Prioritäten zu machen. Doch die Entscheidung hängt nicht von ihm allein ab.
Die Nachricht hat übrigens auch Widerhall in vielen internationalen Medien
gefunden. Einige haben jedoch Lettland mit Estland verwechselt, wo es die
eingetragene Partnerschaft bereits gibt.
Bei den großen Kirchen in Lettland dürfte sich die Freude über die Wahl von
Edgars Rinkēvičs wohl eher in Grenzen halten.
Die großen Kirchen stehen für konservative Werte. Diese Hinwendung zum
Konservatismus ist eine allgemeine Tendenz. Anfang der 90er Jahre gab es in
Lettland eine kurze Periode der Öffnung mit vielen neuen Ideen. Das ist
vorbei. Viele Menschen suchen eher nach Stabilität, Autoritäten, aber auch
nach Antworten auf ihre Fragen. Das alles finden sie in konservativen
Bewegungen und eben auch in den Kirchen, zum Beispiel der orthodoxen
Kirche, aber auch bei den Protestanten. Ab den 70er Jahren, das heißt noch
zu Sowjetzeiten, wurden in der evangelisch-lutherischen Kirche Lettlands
Frauen ordiniert. Das ist mittlerweile nicht mehr der Fall. Was
LGBTQ-Belange oder die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen betrifft – das
sind rote Linien.
Demgegenüber war die Anglikanische Kirche Lettlands 2016 Mitunterzeichnerin
eines offenen Briefes, in dem klar Position für die
[1][Istanbul-Konvention] bezogen wird.
Unsere Kirche ist liberal und inklusiv. Dort gibt es Menschen mit
unterschiedlichen Nationalitäten und sexuellen Orientierungen. Diese
liberale Ausrichtung war immer stark. Sie spricht Menschen an, die nach
einer Form des Christentums suchen, die nicht dogmatisch ist. Das Prinzip
lautet: Du sollst selbst auf die Suche gehen. Natürlich kann die Kirche
dabei Hilfestellung leisten. Aber auf die wichtigen Fragen des Lebens kann
es nicht nur eine Antwort geben. Dass die Kirche Druck ausübt und den
Menschen ihre Wahrheit aufzwingt, das braucht niemand.
Wie ist das Verhältnis zwischen der Anglikanischen Kirche und den anderen
Kirchen?
Es gibt Beziehungen, zum Beispiel die Nacht der offenen Kirchen. Da nehmen
auch wir teil. Anfangs gab es Probleme, weil einige Kirchen dagegen waren.
Diese Aura des Liberalismus gefiel ihnen nicht. Jetzt hat sich das etwas
entspannt. Doch da vor allem Fragen wie Homosexualität oder die Rolle von
Frauen nach wie vor eine wichtige Rolle spielen, werden wir nicht überall
sehnsüchtig erwartet. Und überhaupt: Außer der Nacht der Kirchen gibt es
keine ökumenischen Veranstaltungen.
Die orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchiat wird in vielen Nachfolgestaaten
der Sowjetunion als Instrument des Kremls gesehen, um auch politisch
Einfluss zu nehmen. Wie sieht das in Lettland aus – vor allem vor dem
Hintergrund von Moskaus Krieg in der Ukraine?
In Lettland ist die Situation etwas komplizierter. Hier hat die orthodoxe
Kirche immer versucht, gute Beziehungen zur politischen Elite zu
unterhalten. Jetzt will sie ein Szenario [2][wie in Estland] vermeiden, wo
es zwei orthodoxe Kirchen gibt. Eine untersteht dem Moskauer Patriarchiat,
die andere dem Patriarchen in Konstantinopel. In Lettland hatte die Kirche
Moskauer Patriarchiat immer eine starke Lobby. Viele Jahre war es
unmöglich, eine zweite orthodoxe Kirche zu registrieren. Doch dann hat das
Verfassungsgericht den Weg dafür frei gemacht. Jetzt gibt es auch eine
lettische orthodoxe autonome Kirche. Sie ist unabhängig, untersteht nicht
Konstantinopel und hat einige hundert Gemeindemitglieder.
Wie positioniert sich die Kirche Moskauer Patriarchiat zu dem
Ukraine-Krieg?
Anfangs war es aufschlussreich, sich die Webseite anzusehen. Da fanden sich
so allgemeine Sätze wie „Wir beten für den Frieden.“ Interessanterweise g…
es in dem russischen Text andere Formulierungen, als in der lettischen
Version, ein gefundenes Fressen für kritische Journalist*innen. Schließlich
wurden die Texte geändert und der Krieg verurteilt. Auf Initiative des
damaligen Präsidenten Egils Levits hat das Parlament im vergangenen Jahr
ein Gesetz über die Unabhängigkeit der Kirche angenommen und der
Justizminister einen entsprechenden Brief an den Moskauer Patriarchen
Kirill geschrieben. Auf ihrer Synode hat die Kirche Moskauer Patriarchiat
einen Beschluss gefasst, der in die gleiche Richtung geht.
Den Anstoß für diese Entwicklung hat der Staat gegeben. Was halten Sie
davon?
Nichts, denn das fühlt sich sehr sowjetisch an. Doch das Argument der
Regierung war, dass die Kirche eine Bedrohung darstelle und vielleicht ein
moskauhöriger Bischof aus Russland kommen werde. Laut Gesetz kann aber nur
jemand Bischof werden, der lettischer Staatsbürger ist und eine bestimmte
Zeit lang in Lettland gelebt hat. Im Großen und Ganzen hat sich nichts
geändert. Die Kirche bemüht sich um Neutralität, öffentliche Diskussionen
über dieses Thema finden nicht statt. Die Kirche schweigt, auch in den
Medien ist das kein großes Thema.
Wie ist das Schweigen der Kirche zu erklären?
Das ist so etwas wie eine Art Selbsterhaltungstrieb. Es geht darum,
Kontroversen und Konflikte innerhalb der Kirche zu vermeiden – auch wegen
der Gläubigen, die sich daran gewöhnt haben, dass ihre Kirche Teil des
Moskauer Patriarchiats ist. Die Orthodoxie in Lettland ist jedoch nicht nur
ein russisches Phänomen. Es gibt auch lettische Gemeinden. Für diese
Menschen wäre die [3][Autokephalie] kein Problem, weil sie auf keinen Fall
mit Russlands Krieg gegen die Ukraine und dem, was Kyrill dazu sagt und
tut, in Verbindung gebracht werden wollen.
Von religiösen Fragen einmal abgesehen: Hat der Krieg an den Beziehungen
zwischen Lett*innen und Angehörigen der russischen Minderheit etwas
verändert?
Das hängt von den einzelnen Personen ab. Meine engsten Freunde sind
Russ*innen, deshalb spüre ich das im persönlichen Bereich nicht. Doch in
der Gesellschaft nehme ich eine wachsende Aggressivität wahr. Das hat viel
mit der Politik zu tun. Vor kurzen wurde in Riga eine Statue für Alexander
Puschkin entfernt.
Keine gute Idee?
Ich stehe dem negativ gegenüber, das ist Russophobie. Was sollte Puschkin
mit Russlands aktueller Aggression zu tun haben? Wenn er jetzt leben würde,
würde er wohl auch unter diesem Regime leiden. Dieser Krieg lässt uns nur
noch in den Kategorien schwarz und weiß denken. Das ist schade. Es
entwickelt sich eine Art von Selbstzensur, die Menschen haben Angst, sich
zu äußern. Zu Sowjetzeiten wurde dasselbe gemacht – etwas wurde verboten
oder verschwand in der Versenkung. Offensichtlich haben wir aus der
Geschichte nichts gelernt.
Kommt der Kirche in Kriegszeiten eine besondere Bedeutung zu?
Unbedingt. Sie ist ein Ort, wo die Menschen offen über ihren Schmerz
sprechen können und auch gehört werden.
Gibt es spezielle Aktivitäten seitens der Anglikanischen Kirche?
Wir haben öffentliche Debatten zwischen ukrainischen und russischen
Geflüchteten organisiert. Wichtig sind uns Menschlichkeit, dass wir
zuallererst den Menschen sehen, dass die Menschen ins Gespräch kommen.
Nicht jemanden ausschließen, sondern versuchen, den bzw. die andere/n zu
verstehen, den großen Schmerz. Dieses Projekt hat das Rigaer Stadtparlament
finanziert. Zudem machen wir Ukrainer*innen konkrete Hilfsangebote.
Einen Raum schaffen, wo sie hinkommen, Tee trinken und einfach reden
können.
In vielen Ländern ist eine wachsende Kriegsmüdigkeit festzustellen, das
könnte sich auch auf die Solidarität mit der Ukraine auswirken. Zeichnet
sich das auch in Lettland ab?
Ja. Dennoch sind viele Menschen immer noch bereit, ukrainischen
Geflüchteten zu helfen. Solidarität ist da und es wird sie auch weiter
geben, vor allem unter denjenigen, die sich noch gut an die Sowjetzeit
erinnern.
7 Jun 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Barbara Oertel
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