| # taz.de -- Orthodoxie in Estland: Religion als Sicherheitsrisiko | |
| > Das Parlament stimmt Änderungen des Kirchengesetzes zu. Diese richten | |
| > sich an die orthodoxe Kirche im Land, die immer noch mit Moskau verbunden | |
| > ist. | |
| Bild: Kriegsbefürworter mit Friedenstaube: für Patriach Kirill kein Widerspru… | |
| Berlin taz | In ihrem Bemühen, einer weiteren Einflussnahme der Russischen | |
| Orthodoxen Kirche auf deren Gläubige in Estland einen Riegel vorzuschieben, | |
| macht die Regierung in Tallinn jetzt ernst: Am Mittwoch stimmte das | |
| estnische Parlament (Riigikogu), dem 101 Volksvertreter*innen | |
| angehören, für Veränderungen des mehr als 20 Jahre alten „Gesetzes über | |
| Kirchen und Pfarreien“. Von den 89 anwesenden Abgeordneten votierten 60 mit | |
| Ja und 13 mit Nein. 16 gaben ihre Stimme nicht ab. | |
| Innenminister Igor Taro zufolge, den der estnische öffentlich-rechtliche | |
| TV- und Radiosender Eeste Rahvusringhääling (ERR) zitiert, präzisiere der | |
| Gesetzentwurf die Regeln für die Verwaltung religiöser Vereinigungen. So | |
| würden beispielsweise wirtschaftliche Verbindungen zu religiösen Strukturen | |
| beschränkt, die mit Regierungen von Staaten verbunden seien, die Estland | |
| feindlich gesinnt seien. | |
| „Das Hauptanliegen des estnischen Staates ist es, die Sicherheit und | |
| verfassungsmäßige Ordnung zu gewährleisten und den hier lebenden Menschen | |
| Frieden und Ruhe zu garantieren. Wir werden dafür sorgen, dass die | |
| Religionsfreiheit gewahrt bleibt und dass Religion in Zukunft nicht gegen | |
| unseren Staat und unser Volk verwendet werden kann“, so Taro. | |
| Angesichts der veränderten Sicherheitslage bleibe den in Estland agierenden | |
| Strukturen keine andere Wahl, als die Verbindungen zum Moskauer Patriarchat | |
| abzubrechen und sich von den Narrativen und dem Einfluss des Kremls zu | |
| befreien. Als Bedrohung für Estland werden in diesem Zusammenhang Aufrufe | |
| zum Krieg, zu terroristischen Verbrechen, zur Gewalt oder Unterstützung | |
| militärischer Aggressionen angesehen. | |
| ## Stimmrecht bei Kommunalwahlen | |
| Des weiteren wird präzisiert, wer als Geistlicher in Estland tätig sein | |
| kann. Dies ist nicht möglich, wenn eine Person aus irgendeinem Grund keinen | |
| ständigen Wohnsitz in Estland hat oder ihr der Aufenthalt dort untersagt | |
| ist – zum Beispiel aus Sicherheitsgründen. Unabdingbar ist außerdem ein | |
| Stimmrecht bei Kommunalwahlen. Im März hatte das Parlament für eine | |
| Verfassungsänderung gestimmt, die die russische Minderheit (21,5 Prozent | |
| der Bevölkerung) und andere nicht-europäische Bürger*innen vom Wahlrecht | |
| bei Kommunalwahlen ausschließt. Laut Innenministerium müsse auch das | |
| Religionsgesetz entsprechend angepasst werden. | |
| Die religiöse Landschaft in dem baltischen Staat mit 1,37 Millionen | |
| Einwohner*innen ist komplex. Rund 60 Prozent sind konfessionslos. 16 | |
| Prozent sind orthodoxen Glaubens, acht Prozent Protestant*innen. Derzeit | |
| gibt es zwei orthodoxe Kirchen: Die Estnische Apostolische Orthodoxe | |
| Kirche, die autonom ist und dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel | |
| untersteht und die [1][estnisch-othodoxe Kirche Moskauer Patriarchiat | |
| (EPZMP)], die seit einer Namensänderung am 2. April 2025 jetzt | |
| Estnisch-orthodoxe christliche Kirche (EPCHZ) heißt. Sie untersteht laut | |
| Statut weiter dem Moskauer Patriarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche, | |
| Kyrill I. | |
| Spätestens seit dem Beginn von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine am | |
| 24. Februar 2022, den Kirill I. als „heiligen Feldzug“ preist, haben sich | |
| die Beziehungen zwischen der estnischen Regierung und der EPCHZ stetig | |
| verschlechtert. Mehr als einmal war deren Oberhaupt, Metropolit Ewgeni (mit | |
| bürgerlichem Namen Waleri Reschetnikow) aufgefordert worden, sich vom | |
| Moskauer Patriarchen zu distanzieren. | |
| Vergeblich. Im Januar 2024 wurde Ewgenis Aufenthaltserlaubnis nicht | |
| verlängert – aus Sicherheitsgründen. Er habe bei öffentlichen Auftritten | |
| die Taten des Aggressors weiterhin unterstützt, wie es offiziell hieß. | |
| [2][Der Metropolit musste Estland verlassen]. | |
| ## Metropolit schweigt | |
| Beim Weltkonzil des Russischen Volkes (WPNS) unter Kyrills Schirmherrschaft | |
| im März 2024 wurde ein Dokument verabschiedet. Das gesamte Gebiet der | |
| heutigen Ukraine müsse in die Einflusszone Russlands einbezogen werden, | |
| hieß es darin. Zudem erklärte Kirill, dass die postsowjetischen Länder | |
| (einschließlich Estland) sich in diesen Einflussbereich begeben sollten – | |
| was einer faktischen Forderung ihrer Auflösung als unabhängige Staaten | |
| gleichkommt. | |
| Die EPCHZ distanzierte sich von den Äußerungen, Metropolit Ewgeni hüllte | |
| sich in Schweigen. Kurz darauf kündigte der damalige Innenminister Lauri | |
| Läänemets die Möglichkeit an, dass der Staat die Einstellung der | |
| Aktivitäten jener Gemeinden und Klöster auf dem Rechtsweg anstreben werde, | |
| die weiter der direkten Gerichtsbarkeit der Russisch-Orthodoxen Kirche | |
| unterstünden. Eine Eskalation solle jedoch vermieden werden. | |
| Im vergangenen August nahm die EPCHZ eine Satzungsänderung vor und tilgte | |
| einen Passus über die Unterordnung unter Moskau. Das reichte einem | |
| Bezirksgericht in Tartu nicht aus. Kurz darauf stellte der Wortführer der | |
| EPCHZ, Bischof Daniel, klar, dass seine Kirche sich nicht der Estnisch | |
| Apostolischen Orthodoxen Kirche anschließen werde und an Metropolit Ewgeni | |
| festhalten wolle. | |
| Letzter Schritt in der Auseinandersetzung ist besagte Namensänderung vom 2. | |
| April. In einer Stellungnahme der EPCHZ heißt es: „Der neue Name | |
| unterstreicht unsere Mission – allen Einwohner*innen Estlands zu dienen | |
| und gleichzeitig die jahrhundertealten Traditionen der Orthodoxie in | |
| Estland kontinuierlich aufrechtzuerhalten. Wir streben danach, ein offener | |
| und integraler Teil der estnischen Gesellschaft zu sein.“ | |
| ## Das Gesetz könne zu Unruhen führen | |
| An kritischen Stimmen zu den jüngsten Gesetzesänderungen mangelt es nicht. | |
| Das neue Gesetz könne zu Unruhen oder sogar Ausschreitungen unter den | |
| russischsprachigen Einwohner*innen des Landes führen, glaubt Martin | |
| Helme, Vorsitzender der oppositionellen rechtspopulistischen Estnischen | |
| Konservativen Volkspartei EKRE. In Estland sei es in letzter Zeit normal | |
| geworden, dass jemand „Putin, Putin“ rufe und man sofort und mit | |
| Leichtigkeit die Verfassung mit Füßen trete. Doch darin sei ganz klar die | |
| Religionsfreiheit festgeschrieben. | |
| Wadim Belobrowzew von der sozialpopulistischen Estnischen Zentrumspartei | |
| (sie sieht sich als Vertreterin der Interessen russischspachiger | |
| Est*innen im Parlament) hält das Gesetzesprojekt für verfassungswidrig. | |
| Der Grundsatz der Religionsfreiheit werde verletzt, das führe zu einer | |
| Spaltung innerhalb der Gesellschaft. Der Staat solle sich nicht in die | |
| Angelegenheiten der Kirche einmischen, zietiert die Deutsche Welle | |
| Belobrowzew. | |
| Jetzt ist der Präsident Alar Karis am Zug, der das Gesetz unterzeichnen | |
| muss. Sollte es in Kraft treten, hat die EPCHZ zwei Monate Zeit, um ihre | |
| Statuten der neuen Gesetzeslage anzupassen. | |
| Laut des estnischen Webportals Postimees gehe die Anzahl derjenigen, die | |
| Maßnahmen zur Trennung der EPCHZ vom Moskauer Patriarchat für | |
| gerechtfertigt halten, zurück. Dies geht aus einer von der Staatskanzlei in | |
| Auftrag gegebenen Umfrage hervor. Waren 2024 noch 60 Prozent der Befragten | |
| dafür, lag dieser Wert im März bei 55 Prozent. | |
| 12 Apr 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Oertel | |
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