# taz.de -- Friedensarbeit in der Kirche: Die Christen und der Krieg | |
> Seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine ringen viele | |
> Christen um ihre Haltung zu Waffenlieferungen. Was bedeutet das für den | |
> Pazifismus? | |
Bild: Friedensgebet in der St.-Lorenzkirche in Erfurt | |
STENDAL/ERFURT/BERLIN taz | Friedrich Kramer, Pfarrerskind und | |
friedensbewegt seit seiner Jugend in Wittenberg, kommt in den Saal, Papiere | |
unter dem Arm. Der Raum, Balkendecke, viel Backstein, hat etwa achtzig | |
Plätze und ist gut gefüllt, gesetztes Publikum, gepflegtes Auftreten, viel | |
weißes Haar. Der Abend wird vom Kantor am Flügel umrahmt. Es gab schon | |
Bach. Ein Heimspiel für Kramer. | |
Er ist Bischof der Mitteldeutschen Kirche und nach Stendal gekommen, einer | |
40.000-Einwohner-Stadt im Norden Sachsen-Anhalts, um über den Frieden zu | |
reden. Neben der Auferstehung ist Frieden schließlich der Markenkern der | |
Kirche und Kramer im Nebenamt so etwas wie sein Botschafter. Kramer ist | |
[1][Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland, der EKD]. | |
Im Januar 2022 ist er ins Amt gekommen. Sein Auftrag: Die Friedensarbeit | |
der evangelischen Kirche zu repräsentieren und sich dazu zu äußern. Bis | |
Februar 2022 war das ein übersichtliches Feld: Kramers Vorgänger geißelte | |
Atomwaffen und Landminen, er forderte gewaltfreie Konfliktlösungen und die | |
Eindämmung deutscher Rüstungsexporte. Als „wichtiger und unbequemer Mahner�… | |
wurde der Beauftragte in den Ruhestand verabschiedet. Kramer übernahm. | |
Einen Monat später überfiel Russland die Ukraine. Der oberste Friedensmann | |
der Protestanten muss seitdem das thematisieren, was er doch überwinden | |
will. Das Thema des Abends ist nicht der Frieden, sondern sein alter böser | |
Feind, der Krieg „als theologisch-kirchliche Herausforderung“. | |
Wer heute alles das Wort Frieden im Munde führe, wundert sich Kramer, und | |
ruft: „Frieden schaffen ohne Waffen!“ Neulich musste er sich in Halle | |
anhören, wie ein Neonazi diese Losung brüllte, die jeder junger Pazifist im | |
SED-Staat laut oder auch leise rief und dafür viel in Kauf nahm. | |
[2][Friedrich Kramer], 58 Jahre alt, hat als junger Mann in der DDR den | |
Militärdienst an der Waffe verweigert, war als „Bausoldat“ in Prora auf | |
Rügen stationiert und musste in den 18 Monaten beim Bau des Hafens Mukran | |
schuften. Bausoldaten waren nichts anderes als Zwangsarbeiter. Und jetzt | |
bemächtigen sich Rechtsradikale Kramers Idealen. | |
## Biblischer Pazifismus und tätige Nächstenliebe | |
Es ist schon eine verkehrte Welt. Die Falschen sagen das Richtige. Und den | |
Richtigen wird Falsches vorgeworfen. Die EKD-Ratsvorsitzende Annette | |
Kurschus gelte seit einem Statement in der ARD im März als Fürsprecherin | |
von Waffenlieferungen. Dabei habe sie doch nur gesagt, „sie akzeptiert | |
Waffenlieferungen als Ultima Ratio“, beteuert Kramer. Tatsächlich kann man | |
Kurschus seit ihrem Auftritt bei „Anne Will“ immer wieder dabei zusehen, | |
wie sie als oberste Protestantin händeringend versucht, den biblischen | |
Pazifismus mit der tätigen Nächstenliebe für ein überfallenes Land und | |
seine Menschen zusammenzuführen. Und man kann dabei hören, wie dieser | |
Spannungsbogen ächzt. | |
Die evangelische Kirche, die sich 1945 lossagte von Kriegsrhetorik, | |
Waffensegnung und Hurrapatriotismus und sich stattdessen auf den | |
neutestamentlichen Pazifismus besonnen hat, ringt seit dem Überfall auf die | |
Ukraine um eine eindeutige Position. | |
Da findet sich [3][die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käsmann an der | |
Seite von Linken-Ikone Sahra Wagenknecht wieder], aber auch neben dem | |
AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla. Und die Ratsvorsitzende der EKD Anette | |
Kurschus ruft deutschen Waffenlieferungen ein verschämtes Okay hinterher. | |
Kathrin Göring-Eckart von Bündnis90/Die Grünen, auch eine prominente | |
Protestantin, vier Jahre lang Vorsitzende der EKD-Synode, konnte es mit den | |
deutschen Panzern für die Ukraine dagegen nicht schnell genug gehen. | |
Ja, die evangelische Kirche rede mehrstimmig, bekennt Friedrich Kramer. | |
„Wir finden uns in Zerrissenheit wieder“, sagt er seufzend. Und immer | |
wieder diese arg verkürzte Frage nach Waffen – ja oder nein? Er ist strikt | |
dagegen und empfiehlt das Gebet um Frieden, Gespräche mit der Gegenseite | |
und humanitäre Nothilfe, selbstverständlich ohne Waffen. „Die Waffen, die | |
wir liefern, werden Tod bringen.“ Habe Jesus nicht Gewalt abgelehnt? „Wer | |
zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.“ | |
Mit diesem Herrenwort unterlegt Kramer seine Rede und schließt mit zwei | |
fast weihevollen Verheißungen: „Wir Deutschen werden uns nicht mehr an | |
Krieg beteiligen.“ Und: „Wir Deutschen haben verlernt, Krieg zu führen.“ | |
Viele der sechzig, siebzig Zuhörer klatschen. „Ihre Rede war grandios, ich | |
bin tief berührt“, bedankt sich einer. „Herr Landesbischof, wie schätzen | |
Sie die Ursachen des Krieges ein“, fragt ein anderer. „Können wir nicht | |
alle einen Brief an die russische Duma schreiben, in dem steht, wir | |
bedrohen euch nicht“, regt ein Dritter an. Die Friedensrede geht in eine | |
Diskussion über, viel Kopfnicken, zwischendurch Applaus. Der Ortspfarrer | |
sitzt abseits und streicht sich über den Bart. | |
Da plötzlich steht ein Mann im Saal und stellt ihm, als wäre er der | |
biblische Versucher, eine Falle: Was soll man tun, wenn einem Fünftklässler | |
auf dem Schulhof von zwei Achtklässlern das Handy weggenommen wird? Kramer | |
antwortet zunächst, die Eltern sollten informiert werden, keinesfalls | |
jedoch sollte man Knüppel reichen. Dann aber weist er die Frage ab. Für den | |
Krieg in der Ukraine würde dieses Gleichnis nicht passen, sagt er und will | |
den Disput beenden. Der Mann, mit weißem Bart und weißem Haupthaar, bleibt | |
stehen und spricht vernehmbar ins Rund: „Ich bin der Meinung, es können gar | |
nicht genug Waffen in der Ukraine sein!“ | |
Einen Augenblick lang scheint dem ganzen Saal der Atem zu stocken. Unsicher | |
blicken Christen einander an. Applaus gibt es keinen, Protest allerdings | |
auch nicht. Erleichterung macht sich breit, als der Störenfried sich wieder | |
gesetzt hat. „Ich bin Diplom-Militärwissenschaftler“, sagt ein anderer zu | |
Kramer. „Sie waren in Prora, ich war auf der anderen Seite. Jetzt sind wir | |
zusammen!“ Ein Absolvent der DDR-Militärakademie und ein ehemaliger | |
Bausoldat, vereint im Kampf für den Frieden in der ehemaligen Sowjetunion – | |
Kramer dürfte innerlich zusammenzucken. Gut, dass der Kantor bald den | |
Schlussakkord setzt und alle singen: „Gib Frieden Herr, gib Frieden, die | |
Welt nimmt schlimmen Lauf …“ | |
Zweihundert Kilometer weiter südlich, in Erfurt, kommt es nicht zu solchen | |
Überraschungen. Zwei Kerzen auf dem Altar, ein Kruzifix, an der Wand | |
geschnitzte Heilige, der Vorbeter, ein Laie, beginnt: „So wollen wir | |
Fürbitte halten – für die Ukraine, für den Jemen, für Syrien, für | |
Bergkarabach. Für die über 100 Millionen Flüchtlinge und Heimatlosen, Herr | |
im Himmel, wir bitten dich …“ Das Friedensgebet in der Erfurter Innenstadt | |
nimmt alle Kriegsschauplätze mit auf. Etwa zwanzig Menschen sind gekommen, | |
evangelische und katholische Christen. Viele kennen sich. Es ist eine Art | |
Szenetreffen, wobei die Szene in die Jahre gekommen ist. | |
„Schwerter zu Pflugscharen“ ruft es vom Emblem am Portal, in der Mitte eine | |
Figur, die das tut, was der Prophet Micha von 2.700 Jahren verheißen hat: | |
Mit kraftvoller Geste schmiedet sie ein Schwert zur Pflugschar um. | |
In Erfurt ruft das Symbol zum ökumenischen Friedensgebet, das hier jeden | |
Donnerstag um fünf Uhr in der Lorenzkirche stattfindet. Friedensgebete, so | |
hatte Kramer gesagt, seien ein Schatz der Kirche. Das bekannteste lädt | |
montags in die Leipziger Nikolaikirche ein, das älteste aber in die | |
Lorenzkirche in Erfurt. „Seit 1978“, sagt Dieter Oberländer. Mehr als ein | |
halbes Leben lang ist er schon dabei. | |
Initiiert haben das zwei Mütter, berichtet Oberländer. 1978 erreichte die | |
Militarisierung der DDR einen neuen Höhepunkt. In Schulen führte die SED | |
verpflichtend das Fach „Wehrkundeunterricht“ ein. Politoffiziere kamen in | |
die Klassen und geißelten die Nato. Halbwüchsige lernten, wie sie | |
provisorische Gasmasken fertigten und sich beim Atomschlag vor der | |
tödlichen Strahlung schützten. Um dem etwas entgegenzusetzen, haben die | |
Mütter am zentralen Erfurter Anger das wöchentliche Gebet initiiert, | |
Protestanten und Katholiken gemeinsam. | |
In einem Café in der Nähe erzählt Oberländer, wie er als Fünfjähriger das | |
verbrannte Dresden erblickte, wie er und seine Mutter den Bombenhagel auf | |
Erfurt überstanden. Als er als junger Mann im VEB Starkstromanlagenbau | |
Erfurt die Gründung der NVA, der DDR-Armee, bejubeln sollte, weigerte er | |
sich, kündigte, absolvierte eine kirchliche Ausbildung und begann in seiner | |
Heimatstadt Erfurt als „Jugendwart“ zu arbeiten. Oberländer gehörte seitd… | |
zu der Handvoll kirchlicher Mitarbeiter, die junge Männer wie Friedrich | |
Kramer vor und während des Bausoldatendienstes seelsorgerlich begleiteten. | |
Man kann Oberländer, Jahrgang 1939, als standfesten Senior der Erfurter | |
Friedensbewegung bezeichnen. Dennoch hat er angesichts des russischen | |
Überfalls seine Überzeugung überprüft. Die beiden Initiatorinnen lassen | |
sich nicht mehr treffen, bedauert Oberländer. Eine der Frauen sei verzogen, | |
die andere leider verstorben. Leute wie Oberländer, meist Männer, allesamt | |
Rentner, haben die Fackel weitergetragen. | |
„Vater im Himmel, wir bitten dich …“, sagt der Vorbeter in der | |
Lorenzkirche, ein alter katholischer Friedensmann. Es ist eine schlichte | |
Liturgie, nichts Besonderes, etwa zwanzig Minuten Gebet, die Lieder sind | |
ohne Begleitung. Es geht um die Vision, dass aus Schwertern Pflugschare | |
werden, um ihre Wiederholung und um Beständigkeit. | |
Ist Oberländer, inzwischen über achtzig Jahre, selbst beständig? „Schwerter | |
zu Pflugscharen ist eine hilfreiche Utopie, ein Zielgedanke“, beginnt er. | |
„Aber was bedeutet das, wenn Menschenleben direkt bedroht sind?“ Jetzt | |
müssten Leben gerettet werden, und das schließe Gewalt nicht aus. „Ich bin | |
nicht gegen Waffenlieferungen“, formuliert er vorsichtig. Die Spirale der | |
Gewalt könne allerdings nicht ins Unendliche weitergehen. „Wir sind jetzt | |
mittendrin.“ Es klingt sorgenvoll. | |
Gibt es Streit unter den Friedensfreunden? „Nein.“ Man rede. „Es gibt | |
welche, die sagen: ‚Schluss, wir können da nicht mitmachen!‘“, erzählt | |
Oberländer. Doch was wäre die Alternative? Sollten sich die Ukrainer | |
ergeben? Und sollten sie anschließend gewaltfreien Widerstand leisten? | |
„Gewaltfrei müsste es bleiben und der Widerstand müsste wachsen“, sinniert | |
er. | |
Oberländer kommt auf die Gewaltfreiheit in der DDR zu sprechen. „Bei uns | |
hat das vierzig Jahre gedauert, bis zu den Kerzen im Herbst 1989.“ Man | |
merkt, wie sich da einer herantastet an den Riss, der die Kirche | |
durchzieht. Dann bekennt Oberländer: „Ich lasse mir nicht sagen: Jetzt | |
gibst du deinen Pazifismus auf!“ Er klingt, als antworte er auf | |
Anfechtungen. Leicht sind die Gespräche unter alten Freunden wohl nicht. | |
Erfurt ist nicht nur die Stadt des Friedensgebetes, sie ist auch die Stadt | |
des jungen Luthers. 1505 trat er hier ins Augustinerkloster ein. Mit | |
Kriegen hatte er weniger Probleme. Gewissenszweifel plagten ihn beim | |
Seelenheil, Krieg und Gewalt galten als Folgen einer unerlösten Welt. Und | |
diese muss von der Obrigkeit mit dem Schwert regiert werden. Die | |
Zwei-Reiche-Lehre, die sich auf Luther beruft, baut darauf auf. Die | |
evangelische Kirche hat in den Jahrhunderten auch mit dieser Lehre alles | |
praktiziert, was ihr Kritiker vorwerfen: Sie hat Waffen gesegnet, hat | |
Menschen töten und Länder überfallen lassen, sie hat Feindbilder gepredigt, | |
zum Krieg gehetzt und zum Feldzug gerufen. | |
Sie hat sich aber auch mit den Mächtigsten im Staat angelegt, hat den | |
Erniedrigten beigestanden, sie hat Feindesliebe verkündet und Pazifismus. | |
Kurzum – sie hat Großes geleistet und Verachtenswertes getan. Es gibt | |
Protestanten, die in sich beides vereinen. | |
Das [4][Martin-Niemöller-Haus in Berlin-Dahlem] erinnert an so einen Geist. | |
Namensgeber Martin Niemöller hat als U-Boot-Kommandant im Ersten Weltkrieg | |
Schiffe versenkt, trat als Deutschnationaler 1918 einem Freikorps bei und | |
hat die Weimarer Republik bekämpft. Nach 1933, da war er schon Pfarrer in | |
Dahlem, hat er die NS-treuen Deutschen Christen bekämpft, war persönlicher | |
Gefangener Adolf Hitlers, hat acht Jahre im KZ überlebt und ist nach 1945 | |
zu einer Leitfigur der Friedensbewegung geworden. | |
Niemöller war ein scharfer Kritiker der Wiederbewaffnung der | |
Bundesrepublik, wurde Präsident der deutschen Friedensgesellschaft, | |
protestierte gegen die Stationierung von Atomwaffen und hat als greiser | |
Mann gegen den Nato-Doppelbeschluss demonstriert. 1979 hat er seine | |
Dahlemer Grabstelle an der Annenkirche an Rudi Dutschke abgetreten. Der | |
einstige Studentenführer, auch stark von evangelischen Denkern geprägt, war | |
Heiligabend an den Spätfolgen eines Attentats gestorben. | |
Ulrich „Uli“ Sonn kommt die Treppe zum Niemöller-Haus hoch. Schnell | |
schließt er den Kreis von Niemöller zu Dutschke und den Protestbewegungen | |
der achtziger Jahre – Frauenbewegung, Friedensbewegung, Öko-Bewegung. Die | |
evangelische Kirche, jedenfalls ihr linker Flügel, war immer mittendrin. | |
„Das schlägt sich in der Tür nieder.“ Sonn weist auf eine schmucklose gra… | |
Innentür. Sie ist übersät mit Aufklebern, die alle nach einer friedlichen | |
Welt rufen: Atomwaffenfreie Zone! – Kein Blut für Öl! – Nie wieder Krieg!… | |
Frieden schaffen ohne Waffen! Der Erfurter Schmied ist auch mit dabei: | |
Schwerter zu Pflugscharen! | |
Solche Türen kennt man aus Studenten-WGs. Das Niemöller-Haus war in den | |
Achtzigern selbst so etwas wie eine Friedens- und Öko-WG, beschreibt Sonn. | |
Die politischen Forderungen der jungen Leute – viele studierten nebenan an | |
der Freien Universität – und die urchristliche Sehnsucht nach | |
Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung ergänzten sich. „Es war | |
unheimlich viel Bewegung.“ | |
Dieser intensiven Zeit bereitete der Mauerfall ein jähes Ende. Die | |
Aufmerksamkeit wanderte nach Berlin-Mitte, die jungen Leute zogen mit. | |
Dahlem wurde wieder Randlage und ist heute wieder das, was es zu Niemöllers | |
Zeiten war – ein beschaulicher Stadtteil mit herrschaftlichen Häusern. | |
Es sei der Dahlemer Gemeinde hoch anzurechnen, dass sie die Immobilie nicht | |
verkauft habe, sondern sanieren ließ, sagt Katja von Damaros. Die | |
ehrenamtliche Vorsitzende des Trägervereins ist zum Gespräch hinzugekommen. | |
Unter ihrer Federführung wurde das Haus grundlegend erneuert. Die graue Tür | |
blieb allerdings verschont. Mit dem Abschluss der Bauarbeiten 2019 kam es | |
zu einer Neuausrichtung, erzählt Katja von Damaros. Das Haus erinnert | |
weiterhin an den NS-Kirchenkampf, aber ist auch Lernort mit Workcamps, | |
Seminaren und Bibliothek, es ist Heimat des Friedenszentrums, für dessen | |
Programm Uli Sonn verantwortlich ist, Veranstaltungsort der Kirchengemeinde | |
und Kindergarten. [5][Und seit einem Jahr ist es ein wöchentlicher | |
Anlaufpunkt, wo ukrainische Flüchtlinge Beratung finden]. Hat sich dadurch | |
etwas verändert? | |
Die Grundfrage, wie Zukunft gemeinsam friedlich gestaltet werden soll, habe | |
sich nicht verändert, sagt Uli Sonn. Es gehe nicht um die Frage, Waffen | |
liefern oder nicht. Die Aufgabe beginne früher. „Unsere Aufgabe ist es, | |
präventiv zu arbeiten.“ Da habe man Erfahrung. „Wir haben jahrelang | |
Versöhnungsarbeit auf dem Balkan geleistet.“ | |
Irgendwann müssten Russen und Ukrainer wieder miteinander reden. „Natürlich | |
ist es eine völkerrechtswidrige Invasion,“ keine Frage. Aber Russen und | |
Ukrainer blieben doch Nachbarn. Sei es nicht Irrsinn, dass man keine | |
russischen Komponisten mehr spielen wolle? „Wir müssen entgiften.“ Uli | |
Sonn, er hat schon die siebzig überschritten, redet sich langsam in Fahrt. | |
Der alte Niemöller hatte eine einfache Botschaft: Wer Frieden will, muss | |
mit dem Feind reden! „Das Plakat hing lange am Haus“, erzählt Sonn und hebt | |
die Arme. „Ich würde es gern wieder aufhängen.“ Niemöllers Lebensprinzip, | |
sagt Katja von Damaros, war noch einfacher. „Er fragte: Was würde Jesus | |
dazu sagen? Und nicht: Was würde der Bundespräsident dazu sagen?“ Oder eben | |
die Medien, ergänzt Sonn. „Die Mentalität des Kalten Krieges wird wieder | |
hochgeholt,“ gepflegt von Leuten, die deutlich später geboren wurden. Das | |
beunruhige ihn. „Diese Mentalität erinnert mich an die fünfziger Jahre.“ | |
Ja, die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus ringt sichtlich um ihre | |
Position zu Waffenlieferungen. Aber sie ringt nur mit sich, nicht für die | |
Kirche. „Sie kann das gar nicht dekretieren“, sagt Sonn. Und auch ein | |
Bischof könne das nicht. „Das ist das Erbe des NS-Kirchenkampfes.“ Die | |
Kirche soll sich vom Staat fernhalten. „Und sie soll das Gewissen | |
schärfen.“ | |
Die Kirche tat es in der DDR, sie tat es in der alten Bundesrepublik. Und | |
sie soll es heute tun. „Wie sich diese Gewissensentscheidung dann | |
manifestiert“, schließt der alte Pazifist Uli Sonn, „ist Sache eines jeden | |
Einzelnen“. Und diese Entscheidung ist schwer genug. | |
6 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ekd.de/kramer-friedrich-13555.htm | |
[2] /Diskussion-ueber-Ukrainekrieg/!5846803 | |
[3] /Ostermaersche-der-Friedensbewegung/!5926953 | |
[4] https://www.niemoeller-haus-berlin.de/ | |
[5] /Ukrainekrieg-und-Kirchen-in-Berlin/!5856624 | |
## AUTOREN | |
Thomas Gerlach | |
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