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# taz.de -- Friedensbewegung und Ostermärsche: Kein Frieden in der Bewegung
> Die Friedensbewegung ist gespalten: Wie scharf soll man die russische
> Aggression verurteilen? Und wie soll man mit Querdenkern und Rechten
> umgehen?
Bild: Auf Friedenssymbole gibt es kein Copyright. Jeder kann sie nutzen. Hier b…
Kann es gute Nachrichten geben in so einer Zeit, mit Hunderttausenden
Toten, keinem Ende des Kriegs in der Ukraine in Sicht und Atomraketen, die
neu aufgestellt werden? Vielleicht diese hier: „Als neulich beide Seiten
sagten: Wir haben keine Munition mehr. Das war die einzige gute Nachricht“,
sagt Kristian Golla.
60 Jahre ist Golla alt. 42 dieser Jahre verbrachte er in der
Friedensbewegung, seit über 30 Jahren ist er Geschäftsführer des
[1][Netzwerks Friedenskooperative], dessen Jahr gewissermaßen von
Ostermarsch zu Ostermarsch verläuft. Diese vorzubereiten, ist Gollas
Aufgabe.
Das Büro des Friedens-Dachverbands liegt in einem Wohnbezirk von Bonn.
Golla, schwarzes Sakko, schwarze Mütze, zeigt alte Fotos: Bonner Hofgarten,
die berühmten Demos mit Hunderttausenden. Damals gab es keinen heißen
Krieg, nur einen kalten, aber die Friedensbewegung prägte eine ganze
Generation. Jetzt, da die Kriegsangst zurück ist, sind auch die
Ostermärsche wieder für Menschen interessant, die sie schon fast vergessen
hatten.
„Als wir mit unserer Anzeige in der taz für den Ostermarsch Reklame gemacht
hatten, da gab es so viele Rückmeldungen wie noch nie“, sagt Golla. „Was
wollt ihr denn in dieser Kriegstreiberzeitung?, haben die Leute zwar per
Mail gefragt. Aber gleichzeitig haben sich so viele Unterzeichnende
gemeldet wie noch nie.“
Vieles, was die Friedensbewegung seit jeher zu verhindern versuchte, ist
durch Putins Angriffskrieg eingetreten: Krieg in Europa, mehr
Rüstungsexporte, mehr Geld für die Bundeswehr. Und die Gefahr, dass alles
noch schlimmer wird, ist groß. „Die Menschen treibt die Frage um: Was ist
die richtige Reaktion?“, sagt Golla.
Seine Antwort steht in dem Aufruf, den das Netzwerk zum Ostermarsch
geschrieben hat. „Von Russland fordern wir das Ende des Krieges gegen die
Ukraine“, steht darin. Das klingt selbstverständlich, bloß sucht man diesen
Satz in anderen Friedensmanifesten bekanntlich oft vergebens. Und auch in
vielen der lokalen Ostermarsch-Aufrufe, etwa jenem aus Berlin, fehlt jede
Erwähnung Russlands. Das ist eine der Bruchlinien, die sich heute durch die
Friedensbewegung ziehen.
„Immer mehr Waffenlieferungen schaffen keinen Frieden und werden die
Spirale der Gewalt nicht durchbrechen“ – so hat Golla es im bundesweiten
Aufruf formuliert. Die Argumentation werfe Probleme auf, räumt er ein: „Wer
für Waffenlieferungen ist, macht sich moralisch-ethisch schuldig, weil
damit Leute zu Tode kommen. Wer als Pazifist gegen Waffenlieferungen ist,
macht sich schuldig durch Unterlassen, weil dann auch Menschen ums Leben
kommen. Diese Widersprüchlichkeit muss ich aushalten.“
Dass geflüchtete Ukrainer für Waffenlieferungen seien, sei legitim, findet
Golla: „Die sagen: Wir sitzen im Warmen, und das Einzige, was wir tun
können, ist für Waffenlieferungen zu sein. Nur so können sie ihre Heimat
unterstützen.“ Die klassische Friedensbewegung aber müsse auf andere
Lösungen drängen.
Von Bundeskanzler Olaf Scholz fordert Gollas Netzwerk deshalb, „endlich
wieder Friedensinitiativen“ zu starten. Denn da müsse mehr möglich sein,
findet Golla. „Dass alle maximal pokern, gehört dazu. Aber die reden ja
trotzdem. Wie sonst hätte es das Getreideabkommen geben können oder den
Gefangenenaustausch?“ Und so müsse eben noch mehr geredet werden. Das sei
die Botschaft, mit der die Friedensbewegung auf die Straße gehen werde.
Seit 1960 gibt es die Ostermärsche, noch nie in dieser Zeit war ein großer
Krieg so nah. Golla zeigt eine Karte auf einem riesigen Flatscreen an der
Wand. So viele Punkte sind zu sehen, dass sie sich gegenseitig überlappen:
alles geplante Kundgebungen an Ostern. Organisiert werden sie lokal. Die
Friedensbewegung funktioniere „bottom-up“, sagt Golla. „Jede Gruppe hat
eigene Schwerpunkte, und unser Job ist die bundesweite Klammer, das
zusammenzuführen.“
Diese Autonomie, ein Merkmal der politischen Kultur sozialer Bewegungen der
alten Bundesrepublik, machte lange ihre Stärke aus. Heute ist sie
gleichzeitig ihr Problem. Denn die Friedensbewegung stehe „aktuell so
uneins da wie schon lange nicht mehr“, [2][schreibt die Junge Welt], die
unverdächtig ist, die Bewegung spalten zu wollen.
## Angst vor „Querfront-Geschmuse“
Die Friedensbewegung muss in diesen Wochen mit zwei Schwierigkeiten
umgehen. Die erste: Die Standpunkte zum Ukrainekonflikt liegen unter jenen,
die heute mit Friedenstauben und Pace-Fahnen auf die Straße gehen, teils
meilenweit auseinander. [3][Strittig ist vor allem die Frage, wie viel
Schuld Russland am Krieg trägt und wie viel der Westen.]
Und die zweite Schwierigkeit: Selbst die AfD präsentiert sich heute als
„Friedenspartei“. Dass die politischen Milieu-Übergänge der traditionell
linken Friedensbewegung heute fließend geworden sind, zeigte sich unter
anderem daran, wer alles auf [4][das „Manifest für den Frieden“ von Alice
Schwarzer und Sahra Wagenknecht] ansprang.
Wo also die Grenze ziehen?
Andrea-Cora Walther findet, dass die Abgrenzung nicht deutlich genug ist.
Wann sie den Ostermarsch das letzte Mal ausgelassen hat, weiß die
friedensbewegte Oberhausener Steuerberaterin nicht mehr. Der Marsch steht
jedes Jahr fest in ihrem Kalender. Doch ausgerechnet dieses Mal wird sie
nicht hingehen. „Mir blutet ja auch das Herz“, sagt sie. Doch sie fürchtet
„Querfront-Geschmuse“ und „rechte Mitläufer“.
Auf den Vorbereitungstreffen in den Oberhausener Ortsgruppen habe sie dies
zum Thema gemacht, aber nur gehört: „Wir können uns doch nicht die
Mobilisierung auf der Straße von den Querschwurbelnden nehmen lassen.“ Bei
manchen gelte „Augen zu und durch“, sagt Walther. Andere „stimmen mit den
Füßen ab, indem sie nicht an den Aktionen teilnehmen“. So wie sie.
[5][Der Politologe Thorsten Gromes von der Hessischen Stiftung Friedens-
und Konfliktforschung] hat die Aufrufe zu Ostermärschen ausgewertet, die
das Netzwerk Friedenskooperative Anfang April auf seiner Website aufführte.
Von 48 Aufrufen forderten nur acht einen Rückzug Russlands aus der Ukraine.
Viele relativierten dagegen die russische Schuld am Blutvergießen.
Einige langjährige Ostermarsch-Demonstranten stören sich deshalb an einer
„schleichenden Täter-Opfer-Umkehr“. Die Ukraine werde von Teilen der
Friedensbewegung zunehmend als eigentliche Gefahr für den Frieden gesehen,
weil sie Russland keine Zugeständnisse machen wolle. Um einen Atomkrieg zu
verhindern, solle das angegriffene Land Russland Gebiete abtreten.
Nicht wenige stört auch, dass Querdenkergruppen wie die Partei Die Basis
oder die Freien Linken bei den Märschen dabei sind. In Hamburg und Fulda
zog der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) deshalb seine Unterstützung für
den Ostermarsch erstmals zurück, in Hamburg, Berlin, Potsdam und Magdeburg
auch Die Linke. „Klare Kante“, lobte der linke thüringische
Ministerpräsident Bodo Ramelow.
Kristian Golla weiß das alles – und versucht dagegenzuhalten. „Was wir tun
können, ist zu formulieren, dass diese Leute definitiv nicht eingeladen
sind“, sagt er. Es seien Trittbrettfahrer, die andere Ziele verfolgten.
„Coronaleugner wollen ihre Verschwörungsideologie verbreiten und suchen
dafür Mitstreiter. Denen geht es nicht um Frieden.“ Genauso die AfD: Die
wolle eine „starke Bundeswehr aus nationalistischen Gründen“. Die
Friedensbewegung aber sei „klar internationalistisch, für Ausgleich, für
Minderheitenschutz. Das ist das Gegenteil der AfD.“
Parteien wie Die Basis oder Team Todenhöfer seien „rechts offen, da sagen
viele Gruppen: Mit denen kann man nicht zusammenarbeiten“, sagt Golla. Die
Grenze verlaufe bei „Coronaleugnern, Faschismus, wenn es menschenverachtend
wird“.
Golla verweist auf einen in diesem Jahr erstmals verfassten Hinweis unter
einigen Aufrufen: „Wir distanzieren uns ausdrücklich von jeglicher Form von
Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Sexismus und
LGBTQ-Feindlichkeit“, heißt es darin.
Augenfällig wurde die politische Spreizung zuletzt in Nordrhein-Westfalen.
Obwohl es in dem Bundesland etliche jahrzehntealte Friedensgruppen gibt,
bildete sich dort im Februar ein Friedensbündnis NRW neu. Auf seinem
Telegram-Kanal ist die Rede von einem „neuen und großen Teil der
Friedensbewegung“, der „aus der Grundrechtebewegung gegen die
regierungsoffiziellen und höchst profitträchtigen Corona-Maßnahmen
hervorgegangen“ sei. Klarer kann man nicht sagen, dass man seine Wurzeln
bei den Querdenkern hat. Die „hauptamtlichen Ostermarschorganisatoren“
werden als „NATO-fromm“ kritisiert. Antifa-Recherchegruppen sprechen von
„weit nach rechts offenen Strukturen“ – mit Blick auf Teile des Bündniss…
wie etwa die Düsseldorfer Außerparlamentarische Opposition (APO) oder
„Oberberg bewegt sich“.
Als am 3. April in Sankt Petersburg der bekannte russische
Kriegspropagandist Maxim Fomin durch einen Bombenanschlag getötet wurde,
schrieb die APO auf Telegram, sie drücke „den Familien und Freunden des bei
diesem hinterhältigen Terroranschlag verstorbenen Korrespondenten unser
Beileid aus“. Der Kreml selbst hätte es wohl nicht anders formuliert. Auf
dem Telegram-Kanal von „Oberberg bewegt sich“ wird Robert Habeck als
„Auftragskiller zur Zerstörung deutscher Industrie“ bezeichnet, der
Holocaust als Lüge, die Pandemie als Märchen. Videos über den angeblichen
„Great Reset“ – den wichtigsten Verschwörungsmythos der extremen Rechten…
teilt die Gruppe munter.
Aus solchen Akteuren also besteht das Friedensbündnis NRW. Am 25. März
organisierte es in Düsseldorf eine Kundgebung unter dem Motto „Diplomaten
statt Granaten! Verhandeln jetzt!“. Hauptredner war das Ex-Linke-MdB
Diether Dehm, aufgerufen hatte unter anderem die Querdenkerpartei Die
Basis. Am Rande protestierten Antifas. Weil die Polizei sie nicht so
vertrieb, wie die Friedensfreunde sich das vorstellten, sprachen diese
hinterher von einer „anhaltenden Instrumentalisierung staatlicher
Exekutivorgane für Repressalien gegen eine unerwünschte regierungskritische
Opposition“ – gemeint waren sie selbst. Die Polizei sei ein „Handlanger d…
Antifa“. Rechtsextreme reden genauso.
Der Rechtsanwalt Jürgen Schütte ist Mitgründer des Friedensbündnisses NRW.
Vorwürfe gegen Gruppen wie „Oberberg bewegt sich“ kenne er nicht und habe
sie auch „in der praktischen Umsetzung unserer Arbeit nie erlebt“, sagt er
der taz. Das Bündnis distanziere sich von Rassismus, Antisemitismus und
Nationalismus, sei davon aber „absolut nicht betroffen“. Würde man bei
Teilnehmern solche Haltungen feststellen, würden diese sofort
ausgeschlossen.
Doch das nehmen dem Bündnis nicht alle ab. Die traditionsreiche Deutsche
Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) NRW
nannte die Entwicklung – offenkundig mit Blick auf Schüttes neues Bündnis �…
„bedenklich“. Die Zusammenarbeit mit ihren Gruppen sei abzulehnen, so die
DFG-VK in einem Rundschreiben: „Wir fragen, warum diese Kräfte eigene
Strukturen aufbauen, anstatt bei den seit Jahren bestehenden
Friedensgruppen vor Ort mitzuarbeiten.“ Offenbar werde bewusst die Nähe zu
sogenannten Querdenkern und „noch weiter rechts stehenden Gruppierungen
gesucht oder zumindest nicht ausgeschlossen“.
Der Leipziger Bewegungsforscher Andreas Leistner sieht im Kontext des
Ukrainekriegs drei Muster der Mobilisierung: Für die klassische
Friedensbewegung stehe unter dem Motto „Die Waffen nieder“ der
Gewaltverzicht im Vordergrund. Für die „Stand with Ukraine“-Mobilisierungen
sei Solidarität mit den Angegriffenen das Wichtigste. Und schließlich gebe
es die „Frieden mit Russland“-Kundgebungen der extremen Rechten und der
rechtsoffenen Teile der Friedensbewegung.
## Minderheit mit Russlandfahnen
Diese sind weiterhin eine Minderheit, keine Frage. Aber was tun, wenn sie
mit Russlandfahnen bei der Friedensdemo anrückt? „Wenn die lokalen
Veranstalter Hilfe brauchen, gebe ich denen eine Antwort,“ sagt Golla. Aber
letztlich müssten diese in regionaler Verantwortung entscheiden. „Sonst
funktioniert das nicht.“ Auf das Friedenssymbol gebe es „kein Copyright,
Frieden ist keine geschützte Bezeichnung“. Die [6][Ökumenische
Friedensdekade] habe ihr „Schwerter zu Pflugscharen“-Signet als Marke
eintragen lassen, um eine Instrumentalisierung zu verhindern. „Mit
der Friedenstaube und der Pace-Fahne kann ich das nicht machen.“
Was also bleibt? „Mit unserem Aufruf wollen wir Vereinnahmung erschweren“,
sagt Golla. „Natürlich können AfD-Leute kackfrech sagen: Das unterschreib
ich auch. Aber ich glaube, die meisten würden sich das gut überlegen.“ Ein
Problem sei, dass es Leute gebe, „die vielleicht anfangen zu glauben, dass
die AfD, weil sie ja für Russland ist, doch eine Friedenspartei sei. Da ist
einiges ins Rutschen gekommen“, räumt Golla ein. Das Manifest von Sahra
Wagenknecht und Alice Schwarzer habe „eine Art Graufeld“ geschaffen. Dass
dort so viele unterschrieben haben, liege auch daran, dass sie „das Gefühl
haben, die Friedensbewegung kommt nicht vor in der veröffentlichten
Meinung“. Schwarzer und Wagenknecht hingegen gelinge das: „Die Leute
denken: Die schaffen das, die dringen durch.“
Golla ärgert, dass Schwarzer auf der Kundgebung im Februar in Berlin
behauptete, es habe vorher nichts gegeben. Von wegen, sagt Golla. Er zeigt
auf seiner Website die Terminübersicht des Netzwerks: Über 1.400
Veranstaltungen mit dem Schlagwort Ukraine gab es in den vergangenen 18
Monaten.
Wohin manche Teile der Friedensbewegung driften, war aber schon vor
Russlands großflächigem Überfall absehbar. 2021 erschien der „[7][Neue
Krefelder Appell]“ – ein Manifest, das an die millionenfach unterzeichnete
Erklärung gegen den Nato-Doppelbeschluss von 1981 anzuknüpfen vorgab. In
der Neuauflage war von „immer aggressiver werdenden gegen Russland und
China gerichteten Manövern“ zu lesen. Und davon, dass die „Machthaber
dieser Welt“ Kriege auch an „neuen, andersartigen Fronten“ führten. So s…
die „ ‚Impf‘-Kampagne eine große Gefahr für Milliarden von Menschen“.
Dahinter stehe – Überraschung! – „die Strategie des ‚Great Reset‘ (�…
dem der Kapitalismus über einen gezielten Zusammenbruch (…) auf eine noch
perversere Stufe gehoben werden soll“.
Unterschrieben haben das rund 6.000 Menschen, darunter der Theologe Eugen
Drewermann, der AfD-Bundespräsidentschaftskandidat Max Otte und der
Demokratischer-Widerstand-Gründer Anselm Lenz. Mehr Querfrontsprache und
Unterstützerschaft sind nur schwer vorstellbar.
Verantwortlich für den Appell sind Anneliese Fikentscher und Andreas
Neumann von der Gruppe Arbeiterfotografie aus Köln, die sich selbst dem
Friedensbündnis NRW zurechnen. Fragen der taz möchten sie nur schriftlich
beantworten. Den Begriff Querfront nennen sie ein „strategisches
Instrument zur Zerschlagung einer kraftvollen, breiten
Friedensbewegung“. Wer auf der Seite des Friedens stehe, sei „uns
willkommen, auch wenn wir in anderen Fragen nicht einer Meinung sind“.
Führende Grüne seien allerdings als Bündnispartner ausgeschlossen: „Ihre
Befeuerung von Krieg erfüllt ganz eindeutig ein entscheidendes Kriterium
von Rechtsextremismus.“
Von Sahra Wagenknechts und Alice Schwarzers „Manifest für Frieden“ sind sie
nicht angetan. Der darin enthaltene Satz: „Die von Russland brutal
überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität“, sei
Nato-Propaganda. Große Teile der Friedensbewegung würden immer wieder das
Vorgehen Russlands verurteilen, ohne das in der UN-Charta verbriefte „Recht
auf kollektive Selbstverteidigung, das Russland und die Donbas-Republiken
für sich in Anspruch nehmen, in Betracht zu ziehen“. Es gebe die Tendenz,
den Konflikt am 24. Februar 2022 beginnen zu lassen, schreiben die beiden.
Tatsächlich habe der Konflikt „mit dem US-lancierten Putsch in der Ukraine
2014“ begonnen, der „daraus entstandene Krieg in der Ost-Ukraine“ werde
ignoriert, ebenso „das Vordringen der NATO bis an die Grenzen Russlands“.
Kurzum: Am Krieg sei der Westen ist schuld. Dem Netzwerk
Friedenskooperative raten die beiden, „sich der ‚neuen‘, aus der
Grundrechte- und Demokratie-Bewegung hervorgegangenen Friedensbewegung
nicht zu verschließen“.
Die Gruppe um Neumann und Fikentscher hatte im Februar auch an einer
Konferenz in Bremen teilgenommen, auf der die „unterschiedlichen
Einschätzungen des Ukraine-Krieges in der Bewegung“ diskutiert werden
sollten, so schrieben es die Organisatoren um das Bremer Friedensforum.
„Der russische Einmarsch wird in der Friedensbewegung verurteilt“, sagt
dessen Sprecher Ekkehard Lentz der taz. „Aber die Betonungen sind
unterschiedlich nuanciert. Ich verweise natürlich auch auf die
Vorgeschichte dieses Kriegs, ohne daraus aber eine Rechtfertigung
abzuleiten.“
Gleichwohl musste die Konferenz in eine Kirche verlegt werden, weil der DGB
die Erlaubnis zur Nutzung seiner Räume zurückgezogen hatte. „Wir haben
immer großen Wert auf die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften gelegt.
Aber es ist ja kein Geheimnis, dass die Führung des DGB den Kurs der
Bundesregierung unterstützt, was wir bedauern“, sagt Lentz.
Vergangenen Montag verschickte Lentz’ Gruppe eine Mitteilung und zitierte
darin die Wagenknecht-Vertraute und linke Bundestagsabgeordnete Sevim
Dağdelen: „Selbstbewusste Linke“ sollten „aufhören, ständig aufzuzähl…
wer alles nicht zu einer Antikriegskundgebung kommen darf, und in übler
Verfassungsschutzmanier einen Gesinnungs-TÜV zu veranstalten“.
Und so ist vor dem Osterfest wenig Frieden in der Bewegung zu erkennen. Mit
einer Reihe Linke-Politikern und Bewegungsgrößen hat Lentz gerade ein
Positionspapier veröffentlicht. Die Friedensbewegung, heißt es da, werde
seit jeher „von den Kriegstreibern und Militaristen politisch verfolgt,
diffamiert als Vaterlandsverräter, als ferngesteuert“. So sei auch die
aktuelle „Diffamierung als ‚rechtsoffen‘ (darunter auch ‚Querdenker‘ …
‚Antisemiten‘)“ zu verstehen. „Wir suchen bewusst die Zusammenarbeit mit
Kräften, die sich der Friedensfrage ‚neu‘ annähern“. Und: „Wir wenden…
entschieden gegen eine ‚Abgrenzeritis‘ “, schließt der Text.
Klare Linie gegen rechts und Russlandfans oder Warnungen vor
„Abgrenzeritis“ – das ist der Riss, der 2023 durch die Friedensbewegung
geht.
Vielleicht, sagt Kristian Golla, sei das auch ein Generationenkonflikt.
„Die Jungen in der Friedensbewegung wollen sich stärker abgrenzen. Wenn es
welche gibt, die sagen: Wir müssen zusammenstehen, sind das eher ältere
Leute.“ Er sieht sich gedanklich aufseiten der Jungen. So sei es nach 30
Jahren wohl sein Job, den „Kampf um die Köpfe der Leute“ zu führen, sagt
er. „Diesen Kampf geben wir nicht auf.“
7 Apr 2023
## LINKS
[1] https://www.friedenskooperative.de/
[2] https://www.jungewelt.de/artikel/448016.friedensbewegung-die-waffen-nieder.…
[3] /Friedensdemo-2023/!5923173
[4] /Wagenknecht-und-die-Rechten/!5915376
[5] https://blog.prif.org/2023/04/05/die-ostermaersche-2023-und-der-ueberfall-a…
[6] https://www.friedensdekade.de/
[7] https://peaceappeal21.de/
## AUTOREN
Christian Jakob
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