| # taz.de -- Klavierkabarettist über Kirchentag: „Ist die Bibel noch zeitgem�… | |
| > Auch beim Kirchentag in Nürnberg wird Bodo Wartke auftreten – und mit | |
| > Kritik an der Kirche nicht sparen. Ein zweites Gespräch über Gott und die | |
| > Welt. | |
| Bild: Tritt gerne auf dem Kirchentag auf, feiert Religionen aber nicht ab: Klav… | |
| taz: Herr Wartke, 2019 sagten Sie im taz-Interview vor dem Kirchentag in | |
| Dortmund [1][„Kirchentag ist positiver Ausnahmezustand“.] Kurz danach | |
| herrschte durch die Coronapandemie ein Ausnahmezustand. Wie haben Sie die | |
| Zeit erlebt? | |
| Bodo Wartke: Von „Ich weiß überhaupt nicht mehr weiter, absolute | |
| Katastrophe“ bis zu „Wie kann es gelingen, kreativ mit der Situation | |
| umzugehen?“ Mir ist das zum Glück gelungen. Zunächst mit dem Schreiben von | |
| Liedern, etwa eins über Christian Drosten. Aber auch das Erkunden von neuen | |
| Auftrittsmöglichkeiten, die man bisher nicht für möglich gehalten hat. Das | |
| fand ich spannend. Weiterhin kreativ sein zu können, hat mich künstlerisch | |
| am Leben gehalten. | |
| Als Künstler haben Sie mit Pandemie-Liedern und Zoomauftritten Antworten | |
| auf die Krise gefunden. Jetzt steht der Evangelische Kirchentag in Nürnberg | |
| an, wo Sie erneut auftreten. Dort wird auch Corona, der Angriffskrieg auf | |
| die Ukraine, die Inflation thematisiert werden. Denken Sie, die Kirche kann | |
| Antworten geben? | |
| Das wird sich zeigen. Ich denke, die Fragen sind noch komplexer und | |
| schwieriger geworden. Frieden ist ein gutes Beispiel. Vor dem Angriffskrieg | |
| auf die Ukraine war der Konsens: Krieg ist schlecht, Waffenlieferungen sind | |
| schlecht. Das kam auch in meinem Lied „[2][Das Land, in dem ich leben | |
| will“] vor. Darin beschreibe ich ein Land, was ich für wünschenswert halte. | |
| Vieles davon ist in Deutschland zum Glück der Fall. Im Lied hieß es: „In | |
| diesem Land ist man einander zu gewandt. Statt Hass und Gewalt regieren | |
| hier Herz und Verstand. Ein friedliches Land. Das nicht hintenrum zuhauf an | |
| andere Länder Waffen verkauft.“ Das war zu der Zeit, in der ich das Lied | |
| schrieb, breiter Konsens. Man sollte weniger Waffen verkaufen. Dieser | |
| [3][Konsens ist nun ins Wanken geraten]. Natürlich wollen alle Frieden, | |
| aber jetzt hast du diese Situation in der Ukraine. Was machst du da? Da bin | |
| ich sehr gespannt, welche Antworten die Kirche gefunden hat. | |
| Also „Jetzt ist die Zeit“… für Antworten, um auf die diesjährige Losung… | |
| Kirchentags Bezug zu nehmen. Im Markus-Evangelium heißt es weiter: „Gottes | |
| gerechte Welt ist nahe. Kehrt um und vertraut der frohen Botschaft!“ | |
| Die Losung des Kirchentags ist für sich genommen total zutreffend. Ich | |
| würde auch sagen: Jetzt ist die Zeit, um was zu machen, um unsere | |
| Lebensgrundlagen zu erhalten. Kritisch sehe ich es, wenn gesagt wird: | |
| „Vertraut auf die Bibel, vertraut auf das, was geschrieben steht.“ Das | |
| wurde zu einer Zeit mit ganz anderen Voraussetzungen und Lebensgrundlagen | |
| geschrieben. | |
| Manches in der Bibel ist zeitlos und universell, etwa zum Umgang von uns | |
| Menschen miteinander. Aber jetzt sind wir mit dem Klimawandel konfrontiert. | |
| Es ist klar: Wir können nicht so weitermachen wie bisher. Das hat was | |
| Anachronistisches, zu sagen: Wir machen das so, wie wir es immer schon | |
| gemacht haben. Wir machen, was hier im Buch steht. Ich finde wichtig, zu | |
| schauen: Ist das, was in der Bibel steht, noch zeitgemäß? Das passiert | |
| glücklicherweise auf dem Kirchentag auch. Es ist immer das Dilemma, dieses | |
| Buch ständig neu ausdeuten zu müssen. | |
| Sie sind seit ein paar Jahren Vater. Hat sich dadurch auch Ihr Blick auf | |
| Religion verändert? | |
| Ich selbst wurde als Kind getauft, alle Kinder aus meiner Familie hatten | |
| dasselbe Taufkleid, das war eine Tradition. Ich finde es inzwischen aber | |
| besser, wenn sich ein Mensch voll bewusst für oder gegen Kirche entscheiden | |
| kann. Also nicht mehr als Kind eine Taufe über sich ergehen zu lassen, | |
| sondern sich freiwillig zu entscheiden, dieser Gemeinschaft beizutreten. Da | |
| sollte es auch keinen gesellschaftlichen Druck geben. Hätte ich zu meiner | |
| Mutter damals gesagt ‚Nee, Konfirmandenunterricht ist nichts für mich‘, | |
| hätte meine Mutter, glaube ich, gesagt: ‚Das macht man aber so.‘ Ich finde | |
| es schöner, wenn man seinen Kindern die freie Wahl lässt, ihnen sagt, dass | |
| sie sich Religionen und Kirchengemeinden anschauen können und schauen, ob | |
| das was für sie ist. | |
| In einem Gespräch wurde ich neulich gefragt, warum mich das Thema | |
| Religionen überhaupt interessiert. Was antworten Sie, warum schreiben Sie | |
| so viele religionskritische Lieder? | |
| Einerseits glaube ich, dass alle Religionen aus einer guten Intention | |
| heraus entstanden sind und dass Religion auch nach wie vor Gutes bewirken | |
| kann. Pauschal abschaffen wäre nicht sinnvoll. Man sollte schauen, wie man | |
| sie mit den Herausforderungen der heutigen Zeit überein bekommt. Zum | |
| Beispiel mit dem Grundgesetz oder mit der Klimakrise. Wie können wir die | |
| guten Ideen von damals auf die Probleme von heute adaptieren? | |
| Und [4][Machtmissbrauch in der Kirche] kann man nicht genug anprangern. | |
| [5][Die heiligen Schriften] werden instrumentalisiert, um die schlimmsten | |
| Verbrechen, die man sich vorstellen kann, zu rechtfertigen. Es wird sich | |
| darauf berufen und gesagt: „Wir sind immer im Recht, wir sind gesandt von | |
| Gott. Deswegen müssen wir euch jetzt töten, massakrieren, foltern, | |
| verstümmeln.“ Das finde ich entsetzlich und denke immer: Wie konnte das so | |
| aus dem Ruder laufen? Und warum hat man anscheinend so wenig Handhabe | |
| dagegen? Als Künstler genieße ich es sehr, in einer Zeit zu leben, in der | |
| ich zumindest in Deutschland die christliche Religion kritisieren kann, | |
| ohne dafür enthauptet zu werden. | |
| Insbesondere den sexuellen Missbrauch an Kindern thematisieren Sie immer | |
| wieder. | |
| Die Frage, die ich mir da stelle, ist: Erleichtert Religion das Verbrechen? | |
| Macht es die Religion den Menschen leichter, Kindesmissbrauch zu begehen? | |
| Das gibt es ja auch nicht erst seit der Katholischen Kirche, sondern immer | |
| schon und auch außerhalb der Kirche. Nun ist aber die katholische Kirche | |
| dummerweise ein System, das den Missbrauch nicht nur vertuscht, sondern | |
| auch ermöglicht. Sie ist in meinen Augen eine Täterorganisation. Den Tätern | |
| wird es erstens sehr leicht gemacht, es zu tun, und zweitens straffrei | |
| davonzukommen. Weil mich das so empört, weil es sich so dringend ändern | |
| muss, [6][schreibe ich immer wieder darüber]. | |
| Erst jüngst einen Zungenbrecher: ‚Der plappernde Kaplan klebt klappbare | |
| Pappplakate an die Wand der klappernden Kapelle. Damit prangert er die | |
| katholische Kirche an und die zahlreichen Missbrauchsfälle. Ein bisschen | |
| wie seinerzeit Luther mit seinen 95 Thesen. Nur ist die Kirche heute noch | |
| kaputter, als sie damals schon gewesen. Bestimmt nimmt irgendein Abt die | |
| klappbaren Pappplakate wieder ab. Und kommentiert dann wieder nur knapp: | |
| Ach Missbrauch, papperlapapp.‘ | |
| Damit sprechen Sie die Deutungshoheit an, die viele sehr religiöse Menschen | |
| für sich beanspruchen. | |
| Genau, man könnte fast sagen, je religiöser, desto böser. Ich schreibe | |
| gerade einen Text, der davon handelt, dass Gott aus der Kirche austreten | |
| will. Einfach, weil es ihn zu sehr nervt. Aus bestimmten Kirchen ist er | |
| schon ausgetreten, weil er es überhaupt nicht mehr vertreten kann, mit | |
| anderen hadert er noch. Er wird dann von Jahwe getröstet, der ihm sagt: | |
| Ach, komm, es ist aber auch nicht alles schlecht an den Religionen. Wir | |
| verdanken ihr auch viel schöne Architektur und gute Musik zum Beispiel. | |
| Mit einem Kirchenaustritt läge Gott am Puls der Zeit. | |
| Ja, in einem neuen, bisher nicht veröffentlichten Lied zeigen meine | |
| Bühnenpartnerin Melanie Haupt und ich auch auf, wie man aus der | |
| katholischen Kirche austritt. Wir erklären in Liedform, wie das geht. Was | |
| man braucht, wo man hingehen muss, was es kostet. Da, wo wir es bisher | |
| gesungen haben, hat es großen Anklang gefunden. | |
| Klingt aktivistisch. | |
| Stimmt, aber es ist sehr freundlich. Es ist mehr eine Inspiration als eine | |
| Aufforderung. Das, was wir da singen, kann man ja auch nachlesen, wenn | |
| einen das interessiert. Ich würde es als Anstupsen, Nudging beschreiben. | |
| Wenn man sich bisher selbst noch nicht damit beschäftigt hat, weiß man | |
| danach, wie es geht. Und es geht erstaunlich einfach. | |
| Beim Kirchentag in Nürnberg wird es eine „FuckUp-Night“ geben, wo es um | |
| Scheitern in der Kirche geht. Was ist in Ihren Augen bei der Evangelischen | |
| Kirche in den letzten Jahren schiefgelaufen? | |
| Die Evangelische Kirche steht in Deutschland im direkten Vergleich zur | |
| Katholischen in vielen Punkten besser da. Das ist aber nichts, worauf sie | |
| sich ausruhen sollte. Auch in der Evangelischen Kirche gab es | |
| Missbrauchsfälle und auch in puncto Gleichberechtigung gibt es mit | |
| Sicherheit noch Handlungsbedarf. Persönlich als Künstler kritisiere ich die | |
| Unterhaltsamkeit von vielen Gottesdiensten. Da könnte man einiges tun. Auf | |
| Unterhaltung, Entertainment wird gesamtgesellschaftlich, nicht nur im | |
| religiösen Kontext, so herabgeschaut. | |
| In Deutschland schauen die verschiedenen Sparten aufeinander herab, etwa | |
| Theater und Oper blicken herab auf Musicals. Anstatt zu gucken, wo sind | |
| eigentlich die Potenziale und wo sind die Schnittmengen. Denn letztendlich, | |
| behaupte ich, wünschen wir uns alle ein Publikum, mit dem wir etwas teilen | |
| möchten. Im Idealfall eine Botschaft, in der Kirche meinetwegen ‚die | |
| frohe‘. Etwas unterhaltsam zu gestalten, ist ein sehr fruchtbares und | |
| wirksames Mittel. Wenn du Leute gut unterhältst, hören sie dir gerne zu. | |
| Das öffnet die Hirne und die Herzen. Unterhaltung ist dabei per se nicht | |
| flach, was ihr oft unterstellt wird, sondern ein Katalysator, den man sich | |
| zunutze machen sollte. Ich glaube, das ginge mit der Bibel und dem | |
| evangelischen Glauben auch. | |
| 8 Jun 2023 | |
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| [2] https://www.youtube.com/watch?v=WiCV4KKW6Nw | |
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| [6] https://www.youtube.com/watch?v=7Zcdxkvxi3M | |
| ## AUTOREN | |
| Linda Gerner | |
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