| # taz.de -- Interview mit Musikkabarettist: „Kirchentag ist Ausnahmezustand“ | |
| > Bodo Wartke kritisiert in seinen Liedern religiösen Fanatismus und geht | |
| > nicht regelmäßig in die Kirche. Auf Kirchentage dafür umso lieber. | |
| Bild: Auf dem Kirchentag werden die großen Fragen unserer Zeit verhandelt, sag… | |
| taz: Herr Wartke, Sie schreiben religionskritische Lieder und treten | |
| wiederholt beim Deutschen Evangelischen Kirchentag auf. Ist das ein | |
| Widerspruch? | |
| Bodo Wartke: Nein, denn auf dem Kirchentag wird nicht die Religion | |
| abgefeiert, wie sie schon vor 2.000 Jahren war, nach dem Motto: Was damals | |
| gut war, kann heute ja nicht schlecht sein, sondern es wird sich akut mit | |
| den Problemen der Welt auseinandergesetzt: Klimawandel, | |
| Bevölkerungswachstum, Umweltschutz. Auf der Höhe der Zeit wird diskutiert. | |
| Es finden Podiumsdiskussionen statt, und das ist keine weltfremde, | |
| entrückte Veranstaltung, ganz im Gegenteil. | |
| Das erste Mal sind Sie 2011 beim Kirchentag in Dresden aufgetreten. Wie ist | |
| das Publikum dort? | |
| Seit ich das erlebt habe, möchte ich da auch gerne immer wieder auftreten, | |
| weil mir das sehr positiv vor Augen geführt hat, was Christentum eben auch | |
| sein kann. Die Leute dort gehen sehr achtsam miteinander um. Das war ein | |
| positiver Ausnahmezustand. | |
| Inwiefern? | |
| Damals bei der Eröffnungsveranstaltung in Dresden war das Elbufer | |
| illuminiert in den Farben des Kirchentags und gesäumt mit Tausenden von | |
| Menschen. Auf der Elbe trieben etwa genauso viele Schiffchen mit | |
| Teelichtern herab – ein fantastisches Bild. Die wurden danach alle von | |
| freiwilligen Helferinnen und Helfern wieder eingesammelt, denn Umweltschutz | |
| wird dort großgeschrieben. Während man da mitten im Getümmel stand, passten | |
| die Leute auf, dass sie sich nicht anrempeln, lächelten sich an, gaben sich | |
| Feuer für ihre Kerzen, waren gut drauf. Normalerweise ist es ja so, dass | |
| wenn man in so einem Pulk von Leuten steht, es unangenehm ist: Menschen | |
| sind besoffen und latent-aggressiv. Das habe ich auf dem Kirchentag kein | |
| einziges Mal erlebt. | |
| Auf dem Kirchentag 2017 haben Sie unter anderem Ihr religionskritisches | |
| Lied „Nicht in meinem Namen“ gespielt. Wie war die Reaktion des Publikums? | |
| Breite Zustimmung. Leute, die zum Kirchentag gehen, sind keine religiösen | |
| Fanatiker. Das sind die Guten, sag ich mal. Das sind nicht diejenigen, die | |
| die Religion für niedere Zwecke missbrauchen. Sondern Menschen, die | |
| versuchen, die Religion in Einklang zu bringen mit den Menschenrechten und | |
| mit einem friedlichen Zusammenleben. Ich glaube, ich werde da nicht als | |
| Nestbeschmutzer gesehen, sondern ich kritisiere in dem Lied Dinge, wo ein | |
| Großteil der Kirchentagsbesucher sagt: Ja, das sind Probleme, die wir | |
| angehen müssen. Ich denke, mit meiner Kunst kann ich da noch einen | |
| zusätzlichen Beitrag zum Diskurs liefern, weil sie Menschen anders erreicht | |
| als etwa eine Podiumsdiskussion. Weil die emotionale Komponente, gerade | |
| durch Musik, uns noch mal profunder berührt in unserem Menschsein. Nicht | |
| umsonst ist kritische Kunst in autoritären Regimen oft verboten. | |
| Können Sie sich damit identifizieren, etwa durch den Mottosong, Sprachrohr | |
| für die evangelische Kirche zu sein? | |
| Wenn ich mich damals damit nicht hätte in Einklang bringen können, hätte | |
| ich es nicht gemacht. Als ich gefragt wurde, den Mottosong für den | |
| Kirchentag 2011 zu schreiben, habe ich gesagt, dass sie einen | |
| Bodo-Wartke-Song bekommen. Das heißt: sehr textlastig. Es wurde damals | |
| kritisiert, dass man den nicht so gut mitsingen kann, aber mir ist Klarheit | |
| in all meinen Texten sehr wichtig. Ich habe versucht, das Kirchentagsmotto | |
| zu durchdringen. Das Bibelzitat war damals: „Wo dein Schatz ist, da wird | |
| auch dein Herz sein.“ Das ist im Prinzip genau mein Motto, dem sich mein | |
| aktuelles Klavierkabarett „Was, wenn doch?“ widmet. Ich hatte als | |
| Schaffensmotto für mich selbst erkannt: Tu, was du tust, aus Liebe, tu es | |
| nicht aus Angst. Tu, was dich glücklich macht, dann machst du auch andere | |
| Menschen glücklich. Das sagte auch das Kirchentagsmotto aus. Aber ich mache | |
| mir ja ganz gerne einen eigenen Reim auf die Dinge | |
| Welcher ist das in Bezug auf Glauben und Religion? | |
| Für mich ist Kirche und Glauben das, was man daraus macht. Man kann was | |
| Gutes daraus machen, aber auch was Schlechtes. Es gibt vieles, was ich | |
| kritisch sehe im katholischen wie im evangelischen Glauben, aber da muss | |
| man ja nicht mitmachen. Gleichzeitig gibt es viele positive Dinge, die | |
| meinen Blick auf den Glauben gewandelt haben. Ich war lange ein passiver | |
| Christ. Getauft, konfirmiert, aber selten in der Kirche, eigentlich fast | |
| nie, weil ich es meistens nicht sehr unterhaltsam dort finde … | |
| … auch nicht musikalisch? | |
| Nein. Die Songs rocken nicht so richtig und die Gemeinde schleppt beim | |
| Singen. Aber wie Religionsausführung auch sein kann, habe ich vor ein paar | |
| Jahren in Harlem in New York erlebt. Dort bin ich zufällig in einen | |
| Gospelgottesdienst in einer kleinen Gemeinde gekommen. Keine große | |
| Tourikirche, sondern eine für die Nachbarschaft. Die haben dort jeden | |
| willkommen geheißen. Ich wurde von der ganzen Gemeinde total freundlich | |
| begrüßt und dann fand eine vierstündige Show mit einer fantastischen Band | |
| statt und die Pastorin hat einfach locker davon gesprochen, wie man in | |
| dieser kapitalistischen Welt im Alltag besser miteinander umgehen sollte. | |
| Da hätte ich hinter jedes Wort einen Haken machen können. Die Leute haben | |
| sich dort gegenseitig getröstet, zugehört. Das war kurze Zeit nachdem meine | |
| Mutter gestorben ist. Da habe ich gedacht: In einer vermeintlich anonymen | |
| Metropole wie New York, wo man denken könnte, die Leute sind sich | |
| gegenseitig völlig egal und versuchen sich bestenfalls nicht auf den Sack | |
| zu gehen – da waren die Menschen plötzlich füreinander da. Das kann Glauben | |
| und Kirche auch sein, das hat mich begeistert. | |
| In Ihrem Lied „Das Land, in dem ich leben will“ singen Sie: „Je mehr die | |
| Menschen wissen, desto weniger müssen sie glauben.“ Klingt nach klarer | |
| Abgrenzung zum Glaubensgrundsatz von Religionen? | |
| Ich sehe es so: Wenn der Glaube dafür sorgt, dass Menschen gut miteinander | |
| umgehen, dann gerne. Es kann aber auch etwas anderes dafür sorgen, dass | |
| Menschen gut miteinander umgehen, es muss keine Religion sein. Das kann zum | |
| Beispiel die tiefe Überzeugung sein, dass die Erklärung der Menschenrechte | |
| eine gute Sache ist. Auch wenn es in dem Song so klingt: Für mich sind | |
| Glauben und Wissen kein Widerspruch. Im Idealfall schafft der Glauben für | |
| mich die Voraussetzung für Wissen. Etwa der Glaube daran, dass es anders | |
| geht, dass es eine Lösung gibt, die wir noch nicht kennen und nach der es | |
| sich lohnt, Ausschau zu halten. Schwierig finde ich die toxische, ignorante | |
| Form des Glaubens, die dogmatisch ist und Menschen abhängig macht, Gewalt | |
| ausübt. Das ist ein Missbrauch des Glaubens, den man leider in allen | |
| Religionen findet. | |
| Welche Rolle spielt Religion und Glauben in Ihrem alltäglichen Leben? | |
| Ich finde, man muss nicht in der Kirche sein, um christlichen Werten zu | |
| folgen. Ich saß neulich in Berlin am U-Bahn-Gleis und kam mit einem | |
| Obdachlosen ins Gespräch. Der erzählte mir, dass er neue Socken braucht, | |
| weil sein einziges Paar nass geworden ist und er dadurch wunde Füße | |
| bekommt. Das war kein auswendig gelernter Text, sondern ein zutiefst | |
| menschlicher Moment. Wir haben dann angefangen zu fachsimpeln, wo er in der | |
| Gegend am besten Socken herbekomme. Ich habe gefragt, wie viel Geld ihm | |
| noch fehle für neue Socken, und dann zückt der Mann, der neben mir saß, | |
| fünf Euro, gibt sie ihm und sagt: Hier, weil du mir so sympathisch bist. In | |
| der U-Bahn bin ich mit dem anderen Mann noch ins Gespräch gekommen. Das war | |
| ein schöner Moment zwischen uns dreien. Wir haben uns alle gegenseitig den | |
| Tag mit geringem Aufwand besser gemacht. Und es fing mit einfachem Zuhören | |
| an. | |
| 20 Jun 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Linda Gerner | |
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