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# taz.de -- Bodo Ramelow über Kirche und Religion: „Ich bin der Kieselstein …
> Thüringens Ministerpräsident ist Christ. Ein Gespräch über göttliche
> Hilfe, die Bibel und wie sich Nächstenliebe mit Abschiebungen verträgt.
Bild: Christ und Linker: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow
Herr Ramelow, haben Sie heute schon gebetet?
Bodo Ramelow: Darüber rede ich nie öffentlich. Ich bin meinem christlichen
Glauben sehr verbunden. Ich lasse mich aber nicht begleiten, wenn ich in
den Gottesdienst gehe. Das ist meine Angelegenheit, weil es um mein
Verhältnis zu meinem Glauben und meinen Gott geht.
Haben Sie deshalb auch auf die Gottesformel „So wahr mir Gott helfe“ bei
Ihrem Amtseid verzichtet?
Unter anderem. Es gibt noch einen zweiten Grund: Die Gottesformel, wie sie
sich bei uns in der Verfassung ausprägt, steht im Bezug auf das
„christliche Abendland“. Daran störe ich mich. Ich will meinen Glauben und
meinen Gott, auf den ich vertraue, nicht von meinen jüdischen oder meinen
muslimischen Freunden abgrenzen. Man muss aufpassen: Ist die Gottesformel
so universell, dass sie alle Menschen mitnimmt, oder ist sie nur die
Formel, die ein Christ in der Vereidigung zu einem Staatsamt macht? Wir
sollten das staatliche Amt an die staatlichen Verfassungsgrundsätze binden
und diese nicht auf ein christliches Bild einengen.
Spüren Sie in Ihrer täglichen Arbeit trotzdem manchmal die Hilfe Gottes?
Ich habe sie an Stellen gespürt, wo man Kraft nötig hatte. Es gibt auch
Situationen, bei denen ich spüre, dass es eine Gottesnähe gibt, die ich als
jüngerer Mensch gar nicht gemerkt hätte. Ich war vor kurzem bei der
Wiedereinweihung der Kirchenburg in Walldorf. Nachdem sie abgebrannt war,
hat die Gemeinde sie sieben Jahre wieder aufgebaut. Heute ist sie ein
wunderbarer Ort der Natur und Menschen, und zwar aller Menschen. Die Kirche
wurde so weiterentwickelt, dass man dort klettern kann, es gibt
Raststationen für Fahrradfahrer und einen biologischen Garten. Das ganzen
Kirchenportal ist mit Vogelnistkästen ausgestattet. Sowas tolles habe ich
noch nie gesehen. Ich war so gerührt, ich hatte Tränen in den Augen. Das
ist göttliche Performance, die man spürt.
Wie sehr vertragen sich christliche Ideale und Realpolitik? Für Christen
gilt das Gebot der Nächstenliebe und gleichzeitig muss das Land Thüringen
Abschiebungen durchsetzen.
Diese Frage treibt mich oft um. Im Kanzleramt sage ich immer: Wir brauchen
eine andere Form von Asylrecht. Wir brauchen keine Verschärfung und keine
Erweiterung des Asylrechts. Stattdessen brauchen wir ein modernes
Staatsbürgerschaftsecht, ein modernes Zuwanderungsrecht und darin
eingebettet ein Grundecht auf Asyl. Wir schieben zur Zeit Menschen ab, die
wir dringend brauchen, die sich längst integriert haben. Ich leide unter
jeder einzelnen dieser Abschiebungen. Christ sein, hin oder her.
Auf dem Kirchentag diskutieren Sie über „Marktkonforme Demokratie“. Ist das
ein besonders christliches Thema?
Nein. Es läuft was schief in diesem Land, wenn Menschen sich in
Ballungsräumen die Mieten nicht mehr leisten können und mit ihrer Arbeit
ihre Familien nicht mehr unterhalten können. Wir brauchen eine Erneuerung
des Sozialstaats und eine Sozialstaatsgarantie, damit das Soziale nicht
marktförmig gemacht wird. Das ist kein christliches Thema, sondern ein
gesellschaftspolitisches.
Während Sie hier auf Podien über gesellschaftspolitische Themen
diskutieren, dürfen Akteure der AfD das nicht. In Thüringen sind sie mit
der AfD von Björn Höcke konfrontiert. Finden Sie die Entscheidung des
Kirchentags richtig?
Wer in Thüringen aus Protest AfD wählen will, bekommt damit Björn Höcke,
also jemanden, der in modernisierter Form faschistoide Thesen in die
Gesellschaft bringt. Er hat die Hemmschwellen nach Rechtsaußen komplett
niedergewalzt. Das ist die Herausforderung in Thüringen. Ich kann gut
nachvollziehen, dass der Kirchentag auf Podien keine Menschen sprechen
lässt, wenn sie sich an die Grundregeln unserer Mitmenschlichkeit nicht
halten und wenn sie – wie Björn Höcke es gerade vorgemacht hat – die Kirc…
mit der NS-Kirche gleichsetzt. Wer sowas sagt, will brandschatzen.
Wie reagieren Ihre Genossen darauf, dass Sie so offen mit ihrem
christlichen Glauben umgehen?
Das findet nicht jeder lustig. Ich kam 1999 zur PDS. Ich finde es
interessant, dass die Partei aus der Konsequenz aus der SED-Zeit ein
höheres Maß an Toleranz für Christen hatten, als das bei den Westdeutschen
der Fall war, die über die WASG dazukamen. Es gibt in Westdeutschland ein
viel engeres Weltbild, wenn es um Kirche geht. Man freut sich zwar über die
großen politischen Debatten auf dem Kirchentag, aber möchte mit der Kirche
nicht verbunden sein. Ich bin froh, dass ich zumindest respektiert werde.
Ich bin der Kieselstein im Schuh meiner Partei, und das bin ich gerne.
Sind Sie von notorischen Atheisten manchmal genervt?
Es gab ein paar Diskussionen, die unangenehm waren. Ich habe mal einen
Parteitag erlebt, bei dem meine Parteiführung ziemlich schockiert war, weil
ich einer von Dreien war, der gegen das Wahlprogramm gestimmt hat. Dabei
ging es unter anderem um Religionsunterricht. Das ist eigentlich
Ländersache. Wenn so etwas in einer antikirchlichen Konnotation in ein
Bundestagswahlprogramm hinein manipuliert wird, dann wird das immer meinen
offenen Widerspruch auslösen. Dabei haben mir 99% des Wahlprogramms
gefallen. Aber ich war nicht bereit, dieses eine Prozent
herunterzuschlucken. Da bin ich sehr prinzipiell.
In der Linken hört man oft den Satz: „Der Sonntag gehört der Partei.“ Wo
sind Sie Sonntag öfter, auf Parteitagen oder in der Kirche?
Ich habe lange eine Gewerkschaft geführt, die mit Sonntagsarbeit
konfrontiert ist: Handel, Banken und Versicherungen. Ich habe etwas gegen
die Vermarktlichung aller Tage, unabhängig davon, ob ich Christ bin oder
nicht. Eine Gesellschaft, in der alles vermarktlicht wird hat keine
Ankerorte mehr, wo es gesellschaftliche Berührung gibt. Deshalb gab es die
DGB-Kampagne in Westdeutschland, „Samstags gehört Papi mir.“ Heute müssen
wir sogar den Sonntag als Schutzraum verteidigen. Das halte ich für eine
gefährliche Entwicklung.
Welches Buch nehmen Sie öfter in die Hand – die Bibel oder „Das Kapital“…
Es ist recht überschaubar, wann ich das Kapital mal in die Hand genommen
habe. Mit der Bibel arbeite ich wenigstens, wenn ich mich auf den
Kirchentag vorbereite. Die ein oder andere Bibelarbeit sollte man vorher
schon machen. Ich habe auf meinem Handy eine App, die heißt Losungen des
Tages. Bei den Schlichtungsgesprächen bei der Deutschen Bahn haben wir zu
Beginn immer zusammen die Losungen gehört. Wir haben sie uns vorgelesen und
ab und an sogar darüber geredet. Insofern: Ich habe nichts zu verlieren,
außer meiner Bibel.
21 Jun 2019
## AUTOREN
Alexander Nabert
## TAGS
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