# taz.de -- Kirchenasyl in der Krise: David gegen Goliath | |
> Eine alte Tradition der Kirche ist in Gefahr: das Kirchenasyl. Bedroht | |
> wird es vom Staat. Auf dem Kirchentag spielt das Thema kaum eine Rolle. | |
Bild: Flüchtlinge schlafen in einer Kirche in Hamburg | |
Man sucht vergebens. Unter den über 2.000 Veranstaltungen des Kirchentags | |
findet sich in diesem Jahr keine einzige zu dem Thema, das Kirchengemeinden | |
bundesweit intensiv beschäftigt: das Kirchenasyl. Und das, obwohl sich | |
Veranstaltungen unter dem Label „Migration, Integration, Anerkennung“ als | |
roter Faden durch das Programm ziehen. | |
Auf der Veranstaltung „Recht auf Asyl!?“ am Donnerstag in der Dortmunder | |
Pauluskirche fällt das Stichwort dennoch schon nach 15 Minuten. Ulf | |
Schlüter, Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen, spricht es | |
an: „Früher hatten wir 80 Prozent positive Fälle“, sagt er. Und: „Das | |
Instrument wird heute auf kaltem Weg abgestellt.“ Er meint die schrittweise | |
Verschärfung für Kirchenasyl-Gesuche seitens des Bundesamts für Migration | |
und Flüchtlinge (Bamf). | |
Kurz vor dem Kirchentag wurde bekannt: Nur 2 von 250 gemeldeten | |
Kirchenasyl-Fällen in den ersten vier Monaten 2019 hat das Bamf positiv | |
entschieden, eine Abschiebung wurde verhindert, ein Asylverfahren in | |
Deutschland eröffnet. 2018 lag die Quote noch bei 12 Prozent, jetzt bei 1,4 | |
Prozent. Die Linke, die die Anfrage bei der Bundesregierung gestellt hatte, | |
warf der Behörde vor, „humanitäre Grundsätze“ würden „dem um sich | |
greifenden Abschiebewahn geopfert“. | |
Kirchenasyl wird nur Geflüchteten gewährt, die einen Härtefall darstellen, | |
also deren Leib und Leben im Falle einer Abschiebung gefährdet wäre. Die | |
meisten Fälle sind sogenannte Dublin-Fälle. Also Geflüchtete, für deren | |
Asylverfahren das Land zuständig ist, in dem sie die EU betreten haben. | |
Also sollen sie dorthin abgeschoben werden. Das Problem: Dort sind die | |
Lebensbedingungen für Geflüchtete meist deutlich schlechter als hier. Oft | |
ist sind ihre Traumata so gravierend, dass eine Abschiebung eine Gefahr für | |
Leib und Leben darstellt– Suizide sind keine Seltenheit. | |
Kirchenasyl funktioniert so: Ein Geflüchteter oder eine ganze Familie | |
bekommt einen Abschiebungsbescheid. Die Betroffenen bitten eine | |
Kirchengemeinde um Asyl. Die berät, ob ein Härtefall vorliegt und ob sie in | |
der Lage ist den Schutz zu bieten, also ob Räume und Ehrenamtliche für die | |
Versorgung verfügbar sind. | |
## Wenig Zeit für Entscheidungen | |
Oft kommen die Geflüchteten im letzten Moment. Dann ist der | |
Abschiebungstermin etwa schon am nächsten Tag, und der Gemeinde bleibt | |
wenig Zeit für eine Entscheidung. Wird Kirchenasyl gewährt, muss das die | |
Gemeinde dem Bamf melden. Das bedeutet keinen Abschiebestopp, die Behörde | |
nimmt die Meldung nur zur Kenntnis. | |
Die Geflüchteten ziehen aus ihrer Unterkunft aus und in die Räume der | |
Kirchengemeinde ein. Der Pfarrer oder die Pfarrerin müssen nach der Meldung | |
ein Härtefalldossier schreiben. Das ist aufwendig und hat sich in der | |
Vergangenheit oft über Monate hingezogen. Auf dieses Vorgehen haben sich | |
Staat und Kirche 2015 geeinigt. | |
In Dublin-Fällen hat das Bamf eine „Überstellungsfrist“ von sechs Monaten, | |
in denen die Abschiebung theoretisch geschehen muss. Verstreicht die Frist, | |
muss das Bamf das Asylverfahren in Deutschland eröffnen, und nicht mehr das | |
Erst-Eintrittsland. Das Kirchenasyl wäre dann beendet, die Chance auf ein | |
Bleiberecht bestünde wieder. Die Kirche verschafft also vor allem Zeit: dem | |
Geflüchteten im Schutzraum der Kirche. Der Behörde für die Prüfung, So die | |
Theorie. | |
Doch das schien den Innenministern nicht zu gefallen. Im August 2018 | |
beschlossen sie – ohne die Kirchen – neue Regeln für das Kirchenasyl: Nach | |
der Meldung beim Bamf hat die Gemeinde fortan nur vier Wochen Zeit für das | |
Härtefalldossier. Schafft sie das nicht, wird die Überstellungsfrist auf 18 | |
Monate verlängert. Um also zu erwirken, dass das Bamf noch mal seine | |
Entscheidung überdenkt, muss eine Kirchengemeinde unter Umständen bis zu | |
eineinhalb Jahre für die Versorgung des oder der Geflüchteten im | |
Kirchenasyl aufkommen: vom Bett über das Einkaufen und Bringen von | |
Lebensmitteln, Medikamenten hin zur seelsorgerischen Begleitung. | |
Für Pfarrer Helge Hohmann vom Institut Kirche und Gesellschaft ist das eine | |
„Politik der Nadelstiche“. Die Gemeinden würden zudem systematisch | |
„verwaltungstechnisch torpediert“. Zum Beispiel, in dem die Kommunikation | |
erschwert werde: Telefonnummern der Sachbearbeiter blieben unbekannt, | |
Nachreichungen von Dokumenten seien nicht möglich. Das Bamf agiere wie eine | |
Maschine, mit einem unberechenbaren Eigenleben, das die Maßstäbe der | |
Humanität immer weiter verschiebe. | |
Immer häufiger geht der Staat auch juristisch gegen Gemeinden vor. In | |
Rheinland-Pfalz wurden Pfarrerinnen und zwei Pfarrer im Herbst 2018 | |
angezeigt.: Der Vorwurf: Beihilfe zum illegalen Aufenthalt. Pfarrerin | |
Sandra Menzel war eine von ihnen. Sie hatte zwei Sudanesen Kirchenasyl | |
gewährt. Das habe diese darin bestärkt, den unerlaubten Aufenthalt | |
fortzusetzen, so die Staatsanwaltschaft. | |
## „Pure Schikane“ | |
Dann, an einem Donnerstag im Februar: Hausdurchsuchung. Staatsanwältin, | |
Rechtshelfer, Polizeibeamte – fünf Personen betreten das Haus der Familie | |
und blättern für eineinhalb Stunden in Aktenordnern. Menzel habe gefragt, | |
was sie bräuchten, sie könne alles rausgeben. „Aber die wussten selbst | |
nicht, wonach sie suchten“, erzählt sie am Rande des Kirchentags. Auf | |
Wirken ihrer Anwältin zog das Landgericht den Durchsuchungsbeschluss | |
zurück. Letzte Woche wurde das Verfahren eingestellt. Auf dem Kirchentag | |
kommentieren Pfarrer und Ehrenamtliche die Vorgänge mit „purer Schikane“, | |
„Kriminalisierung“ und der „Entkernung des Kirchenasyls“. | |
Nur selten wird über Kirchenasyl berichtet, weil die Gemeinden die Fälle | |
oft nicht publik machen. Man wolle es möglichst „still“ halten, um die | |
Behörde nicht zu provozieren, erzählen einem beinahe alle, mit denen man | |
beim Kirchentag über das Thema spricht. Man will dem Bamf keine Argumente | |
liefern für den implizit geäußerten Vorwurf des politischen Aktivismus. | |
Für Helge Hohmann geht es beim Kirchenasyl nicht um zivilen Ungehorsam, | |
sondern um den Schutz von Menschen in Not als christlichen Akt der | |
Nächstenliebe. Natürlich habe das politische Implikationen, aber die | |
stünden nicht im Vordergrund. | |
Die Zahl der Kirchenasyle ist zurückgegangen – 2018 waren es noch 1.520 | |
gemeldete Fälle. Hinter dem Streit steht eine symbolische Wendung und eine | |
politische Botschaft: Gottes Gnade ist dem Staat nichts mehr wert. „Was für | |
ein Vertrauen“, das Motto des Kirchentages, kann in dieser Beziehung mit | |
einem Fragezeichen versehen werden. | |
22 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Nora Belghaus | |
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