# taz.de -- BDZV-Rücktritt von Mathias Döpfner: Beleidigte Leberwurstigkeit | |
> Springer-Chef Mathias Döpfner tritt als Präsident des Zeitungsverbands | |
> BDZV zurück. Damit macht er den Abgang, bevor er dazu gezwungen wird. | |
Bild: Döpfner ist das Scheitern eigentlich nicht gewohnt | |
Vielleicht denkt Mathias Oliver Christian Döpfner in diesen Tagen mal | |
wieder an seinen Vater. Der Architekturprofessor und spätere Direktor der | |
Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main war in den sechziger Jahren | |
von rebellischen Studierenden mit Tomaten beworfen worden, was Döpfner | |
immer mal wieder indigniert erzählte. Die Botschaft war klar: Da war einem | |
zutiefst Unrecht widerfahren, der sich doch so gar nichts hatte zuschulden | |
kommen lassen. | |
Diese mildbeleidigte Leberwurstigkeit quillt auch aus jeder Zeile von | |
Döpfners Abschiedsbrief, mit dem er Anfang dieser Woche dem Bundesverband | |
Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) seinen Abgang als dessen | |
Präsident ankündigte. Natürlich tritt Döpfner nicht ab, [1][weil er die | |
Übergriffe von Julian Reichelt] in der Bild-Chefredaktion viel zu lange | |
hinnahm und deckte. Oder weil er in satirisch gemeinten SMS-Botschaften den | |
deutschen Journalismus bis auf eben diesen Julian Reichelt im „neuen | |
DDR-Obrigkeitsstaat“ angekommen sah. | |
Sondern, weil ihm die Arbeit über den Kopf wächst. „Axel Springer ist mit | |
seinem Wachstum in den USA und dem Kauf von Politico, der größten | |
Akquisition in unserer Unternehmensgeschichte, in einer entscheidenden | |
Phase, die deutlich mehr Zeit und Präsenz von mir in Amerika erfordert“, | |
[2][schreibt Döpfner an seine Kolleg*innen im BDZV]. Übersetzt heißt das | |
wohl: Ätsch, macht euren Dreck dann eben alleine, ich bin ja eigentlich eh | |
viel zu erfolgreich für eure Lobbybude. | |
Die ringt aktuell schwer mit sich und um ihre künftige Verfassung. Denn der | |
eigentlich bis 2024 gewählte Präsident hat den BDZV zwar scheinbar zunächst | |
gestärkt, in den letzten anderthalb Jahren dann aber in seinen Grundfesten | |
erschüttert. Die schon sicher geglaubte Presseförderung fuhr im Sommer 2021 | |
vor die Wand, das von Döpfner als Heiliger Gral vor sich hergetragene | |
Leistungsschutzrecht für Presseverlage ist bis heute im eigenen Verband | |
umstritten. | |
## Worte, die nach Flucht klingen | |
Anfang des Jahres kündigte die Funke Mediengruppe dann auch noch ihren | |
Austritt aus dem BDZV an, weil sie sich mit ihren Forderungen zur künftigen | |
Arbeit und Struktur des Verbands nicht durchsetzen konnte. Die Empörung und | |
moralische Entrüstung im Verleger*innenlager über Döpfners Verhalten | |
im Fall Reichelt ist zwar größtenteils gespielt, kam aber noch erschwerend | |
hinzu. | |
Vor allem hat Döpfner das Grundschisma der Verlegerlobby nicht in den Griff | |
bekommen: Die Großen der Branche wie Funke, Madsack oder die | |
Südwestdeutsche Medienholding haben andere Interessen als familiengeführte | |
Traditionsverlage auf der Schwäbischen Alb. Das gibt Döpfner in seinem | |
Demissionsschreiben auch selbst zu. „Um stärker die Interessen kleinerer | |
und mittelgroßer, regionaler und lokaler Verlage zu vertreten, braucht es | |
eine Person bzw. Konstellation an der Spitze, die nicht für ein großes, | |
internationales und sehr digitales Verlagshaus steht“, schreibt Döpfner. | |
Das habe in der Vergangenheit immer wieder zu Missverständnissen geführt, | |
„Beispiel Leistungsschutzrecht: Während ich fest überzeugt bin, dass dieses | |
Recht vor allem die kleineren schützt, behaupteten manche, es nütze vor | |
allem den großen“, so Döpfner weiter. | |
Er empfiehlt dem BDZV künftig „andere Strukturen“ und vor allem „mehr | |
Repräsentanz der lokalen und regionalen, kleinen und mittleren Verlage“. In | |
anderen Worten: Da ist einer krachend gescheitert und macht jetzt den | |
Abgang, bevor er von der eigenen Branche dazu gezwungen wird. Seine Worte | |
klingen nach Flucht. | |
## Eine Schnapsidee | |
Denn Döpfner ist eigentlich nicht gewohnt, zu scheitern. „Ist ihm nicht | |
immer alles gelungen, dem Wunderkind der Verlagswirtschaft, dem | |
Aufsteiger?“, lästerte schon 2010 die Süddeutsche Zeitung, als sich das | |
Projekt „Schalom“ in Luft auflöste. Die schon sicher geglaubte Übernahme | |
der ProSiebenSat.1-Sendergruppe durch Springer scheiterte damals am Nein | |
der Kartellwächter. Aber das war höchstens eine kleine wirtschaftliche | |
Schlappe, auch wenn sie den Konzern teuer zu stehen kam. Genauso wie der | |
von Döpfner verantwortete Kauf des Postdienstleisters Pin AG ein paar Jahre | |
zuvor – ein paar Millionen Verlust, okay. Aber angesichts der von Jahr zu | |
Jahr steigenden Konzerngewinne verhältnismäßig leicht zu verschmerzen. | |
Ansonsten war [3][Döpfners Karriere bei Springer] ein einziger rasanter | |
Aufstieg. 1998 kam er als Chefredakteur zur Welt. Dass da einer mehr | |
vorhatte, als aus der strammkonservativen Pro-Kohl-Schleuder eine halbwegs | |
lesbare Zeitung zu machen, zeigte sich schon am Willkommensgruß. Döpfner | |
schenkte damals allen Menschen im Springer-Aufsichtsrat das Buch „Personal | |
History“ der US-Verlegerikone Katharine Graham von der Washington Post. | |
Die ganz unbescheidene Botschaft lautete: Das kann ich auch. | |
Seitdem arbeitete Döpfner, 2000 in den Springer-Vorstand gewechselt und | |
seit 2002 dessen Vorsitzender, an nichts Geringerem als der Reinkarnation | |
des Axel Cäsar Springer als er selbst. Dazu gehört natürlich auch die bei | |
Döpfner tief verwurzelte Überzeugung, Springer sei wie seinem Vater übel | |
mitgespielt worden. Auch wenn Döpfner die Studierendenrevolte nur aus der | |
Überlieferung kennt, wollte er die damaligen Schlachten nochmal schlagen | |
und das in seiner Sicht schiefe Bild vom hetzenden, zutiefst konservativen | |
Monopolverlag geraderücken. | |
Nichts verdeutlicht dies besser als Döpfners Schnapsidee, das | |
Springer-Tribunal mit über 40 Jahren Verspätung doch noch stattfinden zu | |
lassen. Das echte, im Februar 1968 vor dem Republikanischen Club begonnene, | |
wurde kurz nach Beginn vertagt und nie fortgesetzt. Hier wollte die | |
Studierendenbewegung dem Verlag und seinem Verleger den Prozess machen. | |
„Reden wir davon“, hieß es zu Beginn des Tribunals, „welche Verbrechen an | |
der Gesellschaft die Springer-Presse begeht, und warum Springer, den wir ja | |
nicht eigentlich aufhängen, noch nicht einmal ins Gefängnis stecken, den | |
wir ja nur in irgendeinem produktiven Beruf, beispielsweise als | |
Herrenschneider, beschäftigt sehen möchten, warum Springer enteignet werden | |
muss.“ | |
## Gekränkte Unschuld | |
Die Neuauflage sollte 2009 von Springers Gnaden im Springer-Hochhaus | |
stattfinden. Dass die damaligen „Gegner“ aufseiten der | |
Studierendenbewegung, darunter auch taz-Legende Christian Semler, dem | |
Ansinnen die kalte Schulter zeigten, hat Springer/Döpfner nicht verwunden. | |
„Bemerkenswert finden wir, dass ausgerechnet diejenigen, die immer den | |
offenen Diskurs gefordert haben, diesen nun verweigern“, ließ sich Döpfner | |
damals in der Verlagsmitteilung zur Tribunal-Absage zitieren. | |
Doch wer sich wie Springer bis heute zu Unrecht von der Studentenbewegung | |
verfolgt fühlt, kann eben keinen ganz freien Diskurs anzetteln. Döpfner | |
ließ aber nicht locker und verordnete seinem Laden ein Jahr später noch das | |
„Medienarchiv68“ im Netz. Knapp 6.000 Artikel sollten belegen, dass man von | |
Bild bis B.Z. gar nicht so schlimm war und endlich das Trauma von 1968 | |
verscheuchen. Geklappt hat das bekanntlich nicht. | |
Döpfners jüngste Eskapaden erinnern vielmehr an den echten Axel Springer | |
selbst, der sich auch über Recht und Anstand wähnte. Dass jetzt auch noch | |
sein Doktortitel wegen Plagiatsverdacht auf dem Prüfstand steht, fällt da | |
kaum mehr ins Gewicht. „Dank Ihrer sehr engagierten und kompetenten Arbeit | |
hat der Verband in den letzten Jahren sehr viel erreicht“, schließt der | |
Brief des Präsidenten an seine Verbandsgetreuen. Und kann sich in | |
gekränkter Unschuld doch ein „Wir sollten in dieser Geschlossenheit weiter | |
agieren. Gemeinsamkeit ist immer stärker als Partikularinteressen – vor | |
allem, wenn sie öffentlich ausgetragen werden“ nicht verkneifen. | |
Vielleicht sollte Döpfner einfach mal den Beruf wechseln und beispielsweise | |
– siehe Springer-Tribunal – Herrenschneider werden. Maßanzüge tragen kann | |
er ja schon ganz gut. | |
3 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Steffen Grimberg | |
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