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# taz.de -- Die „Bild“-Zeitung und Friedrich Merz: Wieder mitspielen
> Friedrich Merz will CDU-Vorsitzender werden. Es könnte ein
> Richtungswechsel werden für die Partei, das Land und auch für Axel
> Springers „Bild“.
Bild: Wenn es um den Journalismus der „Bild“ geht, fällt häufig das Wort …
Es ist 9.53 Uhr am Montag, den 29. Oktober 2018, als Spiegel-Redakteurin
Melanie Amann eine exklusive Nachrichtenmeldung twittert: „Merkel kündigte
offenbar gerade im CDU-Präsidium an, nicht wieder für den Parteivorsitz zu
kandidieren.“ Jeder Beobachter weiß sofort: Wenn die Meldung stimmt – und
sie stimmt –, ist das [1][der Anfang vom Ende der Ära Merkel].
Von diesem Zeitpunkt an bis zu einer weiteren exklusiven Meldung dauert es
exakt 29 Minuten. Um 10.22 Uhr vermeldet die Bild-Zeitung: „BILD EXKLUSIV –
Merz zur Kandidatur für CDU-Vorsitz bereit“. Das ist extrem guter
Journalismus: schnell, exklusiv, relevant. Oder sollte man besser sagen:
extrem gut vorbereiteter Journalismus?
[2][Friedrich Merz] – Alter: 63, Größe: 1,98 Meter, Beruf: Rechtsanwalt,
Sternzeichen: Skorpion, Vermögen: abgesichert – ist zurück auf der
politischen Bühne. Und mit ihm viele alte und neue Erzählungen: Merz, der
Merkel-Hasser; Merz, der Wirtschaftsliberale; Merz, der Millionär, der
Racheengel, Hobbypilot, Steuererklärer; Friedrich Merz, der Mann aus Brilon
im Sauerland.
Doch niemand, so scheint es in diesen Tagen, sucht so sehr die Nähe zu
Friedrich Merz wie die Bild-Zeitung. Und andersherum: Annegret
Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn, die im Kampf um den CDU-Vorsitz gegen
Merz antreten, nutzen für ihre ersten exklusiven Wortmeldungen die FAZ.
Merz geht zur Bild. Sein erstes TV-Interview gibt er im Livestream von
Bild-TV. Als er auf öffentlichen Druck hin schließlich offenlegen muss, wie
viel Geld er verdient, tut er es in der Bild am Sonntag, dem Schwesterblatt
der Bild, das ein bisschen weiblicher ist, krampkarrenbauerischer.
Die Bild jedenfalls stärkt Merz den Rücken. Mehrere Autoren der Zeitung
verteidigen ihn und seine Verflechtungen in die Wirtschaft, seine
Millionen, warnen vor einer „Neid-Debatte“. Der Leiter des
Bild-Parlamentsbüros, der für die CDU zuständige Redakteur Ralf Schuler,
meint via Twitter, die Merz-Kritiker [3][wollten einen „Normenkontrollrat
für korrektes Leben“ einführen]. Kommentare, die sich kritisch mit Merz’
Aufsichtsratsmandaten und seiner Tätigkeit für den weltgrößten
Vermögensverwalter Blackrock auseinandersetzen, findet man kaum, sieht man
von ein paar Beiträgen in einer Leserumfrage ab. Und das, obwohl es in der
Bild-Redaktion durchaus Leute gibt, die Merz und seine Beziehungen in die
Finanzbranche kritisch sehen.
## Medienunternehmen im Umbruch
Wenn es um den Journalismus der Bild-Zeitung geht, fällt häufig das Wort
„Kampagne“. Springer-Gegner benutzen es, Politiker auch, um zu beschreiben,
wie die Bild Stimmungen erzeugen und verstärken kann. Es läge, betrachtet
man nur die Merz-Berichte der Bild in den ersten Tagen nach dem 29.
Oktober, nahe, auch dahinter eine Kampagne zu vermuten: so nah dran, so
wohlwollend wie kein anderes Medium.
Der Axel-Springer-Konzern ist ein Medienunternehmen im Umbruch, die Bild
eine Zeitung mit Auflagenschwund. Die CDU ist eine Partei, und Deutschland
ein Land im Umbruch. Und Friedrich Merz ist ein Politiker, der diesen
Umbruch gestalten will. Merz und Springers Bild, das könnte also gut
zusammenpassen. Aber wie ist ihr Verhältnis zueinander? Wer bestimmt es?
Und welche Faktoren entscheiden?
Für diesen Text wurden Gespräche innerhalb und außerhalb der
Axel-Springer-Zentrale geführt, mit Redakteurinnen und Redakteuren von
Bild, BamS und Welt, Politikern, Beratern, Chefredakteuren und Verlagschef
Mathias Döpfner. Viele Gespräche fanden als „Hintergrund“ statt. Das ist
eine journalistische Redewendung und bedeutet, dass daraus nicht zitiert
werden darf.
## Reichelts Kampfblatt
Julian Reichelt, Alter: 38, Göße: unbekannt, Beruf: Kriegsreporter,
Sternzeichen: Scheißdrauf, „Millionär?“ – „Nein!“, ist der Chefreda…
der Bild-Zeitung mit einer Auflage von täglich rund 1,4 Millionen
Exemplaren, Tendenz: sinkend, aber immer noch die größte Tageszeitung
Deutschlands. Im 16. Stock der Konzernzentrale in Berlin liegen seine
beiden Joypads, mit denen er zocken kann. Sie sind in Tarnfarben gehalten.
Hier, im Büro des Bild-Chefredakteurs, saß früher Kai Diekmann. Fast 15
Jahre lang leitete er das Blatt. Die repräsentativen Kunstwerke, die
Diekmann in diesem Raum einst als lässig drapierte Understatements an die
Wände gelehnt hintereinanderreihte, sind weg. Jetzt stehen ein paar
Schnapsflaschen in der Ecke, an einer Wand hängt ein Poster, darauf steht
„Enteignet Augstein“.
Reichelt hat keinen Schreibtisch mehr, er hat ein Baugerüst aufstellen
lassen und mitten in den Raum einen rechteckigen Sofatisch mit ein paar
sandgrauen Hockern drum herum. Wenn es etwas zu besprechen gibt, zum
Beispiel vor Redaktionsschluss die wichtigen Texte, sitzen seine Leute hier
im Kreis mit ihm, und manche rauchen mit.
Reichelt raucht blaue Gauloises, Soft Pack, und zerknüllt nach der letzten
Zigarette die Packung in seiner Faust. Anfang des Jahres hat er den Kampf
gegen seine Co-Chefin Tanit Koch gewonnen. Koch gab auf und ging. Reichelt,
der erst Chef von bild.de war, dann Vorsitzender der Chefredaktion, wurde
nun auch Chefredakteur der gedruckten Bild. Er hat seine Zeitung wieder zum
Kampfblatt gemacht, zu einem, das so laut und aggressiv ist wie schon lange
nicht mehr. Auf der Seite eins schreien jetzt wieder häufiger Schlagzeilen
über kriminelle Ausländer, die „Abschiebe-Lüge“ oder „Hartz IV-Betrüg…
Aber, auch das, sagt er, habe er als Chef verfügt: Paparazzi-Fotos von
Prominenten drucken sie jetzt nur noch mit Einwilligung der Promis.
## Merz könnte genau der Richtige sein
Dennoch: Die Bild verliert weiter so schnell so viele Leser wie kaum eine
andere Tageszeitung in Deutschland. Sie war mal das auflagenstärkste,
mächtigste Boulevardblatt Europas. Gut 5 Millionen Exemplare verkaufte sie
täglich Anfang der 80er Jahre, heute sind es noch 1,4 Millionen, inklusive
der Fußball-Bild. Dazu kommen gut 400.000 Bildplus-Abos, so heißt das
Digitalangebot der Zeitung. Im Vergleich zu anderen Tageszeitungen sind das
immer noch sehr viele Leser – aber der Schwund ist stark.
Reichelt also braucht Erfolge. Die Geschichte mit Merz ist bisher einer:
„Diese Meldung als Erster zu haben war wochenlange harte Arbeit“, sagt
Reichelt. „Wir hatten für die Meldung drei Quellen. Ich war einer der
Autoren.“ Reichelt erzählt es mit Stolz, es ist für ihn Ausweis einer
Anstrengung, die sich gelohnt hat. Dem Spiegel, der geschrieben hatte, die
Meldung sei über einen „Mittelsmann“ bei der Bild gelandet, hat Reichelt
böse Mails geschrieben. Mittelsmann, „das klingt, als hätten wir keine
eigenen Quellen gehabt, als hätten wir nicht sauber gearbeitet.“
Ein Kandidat wie Friedrich Merz könnte also genau der Richtige sein, um der
Bild neuen Schwung zu geben. Reichelt sieht das so: „Solche Zeiten führen
zu einer permanenten Nachrichtenlage. Das ist gut für alle.“
Das ist einer der Gründe dafür, warum die Bild so viele Merz-Geschichten
geschrieben hat. Merz klickt sich gut, das beobachtet man in der Redaktion.
Und wenn sich ein Thema gut klickt, dann wird nachgelegt. So war das in den
letzten Tagen auch bei Malle-Jens, dem Star aus dem Privatfernsehen, der
gerade gestorben ist.
Aber es wäre zu kurz gegriffen, diese Geschichte nur entlang von Friedrich
Merz zu erzählen. Denn wichtig für die Frage, wie die Bild zu Friedrich
Merz steht, ist auch die Frage, wie sie zur noch amtierenden Kanzlerin
steht, Angela Merkel, Alter: 64, Größe: 1,65 Meter, Beruf: Auslaufmodell,
Sternzeichen: Krebs, Vermögen: Protestantin.
In ihrem Fall allerdings geht es der Bild schon lange nicht mehr um Nähe,
sondern nur noch um die Distanz. Und zwar auf oberster Ebene.
## Kampf gegen den Mindestlohn
Im 18. Stock des goldenen Axel-Springer-Turms in Berlin hat Mathias Döpfner
sein Büro. Döpfner, Alter: 55, Größe: 2,02 Meter, Beruf: Journalist,
Sternzeichen: Steinbock, Vermögen: Kunstsammler, kann von hier weit
blicken. Sitzt er an seinem Schreibtisch, hat er im Rücken einen riesigen
Davidstern, ein verstörendes Kunstwerk, von Günther Uecker, hellgelb, an
den Rändern beschlagen mit langen, verbogenen Nägeln; es ist ein Werk wie
ein Auftrag.
Die Entfremdung des Mathias Döpfner von Angela Merkel hat mit einem
Geschäft zu tun, das gescheitert ist. Es war das Jahr 2007, Döpfners größte
berufliche Niederlage, das Aus der PIN AG.
Nahezu täglich berichtete die Bild zu dieser Zeit über den Mindestlohn, den
es damals in Deutschland noch nicht gab. Es war ein Thema, das Bild-Leser
interessierte, die Mehrheit der Deutschen befürwortete damals die
Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Die Bild allerdings griff nicht
die Stimmung in der Bevölkerung auf, sondern die Stimmung des Verlagschefs.
Der hatte im Sommer 2007 über eine halbe Milliarde Euro in den
Briefzusteller PIN AG investiert und seinem Unternehmen damit die Mehrheit
an dem Post-Konkurrenten gesichert. Für Springer sollte der Einstieg in das
Postgeschäft eine neue Einkommensquelle erschließen und damit auch die
eigenen Produkte an die Leser bringen. Döpfners Risiko: Er setzte auf ein
Geschäftsmodell, das nur bei Niedriglöhnen profitabel wäre. Döpfners
Absicherung: Vor dem Kauf holte der Axel-Springer-Konzern eigens
Erkundigungen bei der Bundesregierung ein, um sicherzugehen, dass der
Mindestlohn nicht kommt. „Am Anfang“, sagt Döpfner heute, „können Sie e…
Monopolisten nur über den Preisvorteil angreifen.“
Herbst 2007, in der Bild werden jetzt Woche um Woche Argumente gegen den
Mindestlohn gedruckt.
Ein Ausriss: Am 19. September 2007 fragt Bild: „Mindestlohn: Ist das
wirklich gut für die Beschäftigten? Nein, sagen Experten.“
Am 20. September 2007 schreibt Bild: „Mindestlohn? Dann gehen wir pleite.“
Am 29. September 2007 warnt Bild: „Mindestlöhne vernichten Arbeitsplätze!“
Am 4. Oktober 2007 druckt Bild ein Interview mit Florian Gerster, dem
ehemaligen Chef der Bundesagentur für Arbeit, der inzwischen Präsident des
eigens gegründeten Arbeitgeberverbandes „Neue Brief- und Zustelldienste“
geworden war. Gerster: „Ein Mindestlohn von 9,80 Euro schützt nicht die
Arbeitnehmer, sondern vernichtet Arbeitsplätze.“
Besonders hübsch: Am 5. Oktober 2007 schreibt Bild schließlich:
„US-Nobelpreisträger warnt vor Mindestlohn.“ Aber auch das ist noch lange
nicht das Ende.
## Döpfner und die PIN AG
Dies also ist eine Bild-Kampagne gegen den Mindestlohn, Schandfleck eines
sich permanent für unabhängig erklärenden Volksjournalismus. Ex-Bild-Chef
Kai Diekmann sagt dazu heute: „Ordnungspolitisch war das sauber.“ Er meint
damit, dass es der Linie des Hauses entsprach: freie Marktwirtschaft. Auch
in den Springer-Blättern B.Z. und Welt wird ausführlich über die Nachteile
des Mindestlohns für Postzusteller berichtet. Allein: Es nützte nichts.
Am 14. Dezember 2007 beschließt der Bundestag: Der Mindestlohn im
Postzustellgewerbe wird kommen, auch für die PIN AG. Noch am selben Tag
lässt Döpfner verkünden, der Springer-Konzern sei nicht länger bereit,
weitere Verluste hinzunehmen, der PIN AG drohe nun die Insolvenz. Anfang
2008 tritt die Regelung in Kraft, da hat sich Döpfner längst von der PIN AG
verabschiedet.
Seit dieser Zeit, sagen Nahestehende, mache Döpfner in vertraulichen Runden
keinen Hehl mehr daraus, dass er von der Kanzlerin nicht viel hält. Einer,
der ihn gut kennt, sagt: Das war der „Nukleus des Zerwürfnisses“, der Kern
also. Döpfner selbst sagt: Er habe auch vorher kein übermäßig gutes
Verhältnis zu Angela Merkel gehabt.
## Streit ums Dschungelcamp
Elf Jahre später, bei ihm in der Vorstandsetage. „Dass das ein verdächtiger
Fall ist, das kann ich nicht bestreiten“, sagt Mathias Döpfner im Rückblick
auf die Schlagzeilen von damals. „Dass dies das Resultat einer Vermischung
von Verlags- und Redaktionsinteressen war, bestreite ich allerdings
vehement.“ Döpfner sagt auch: „Niemals dürfen Journalisten versuchen,
Politik zu machen.“
Am Ende dieser Geschichte verkaufte Döpfner die Anteile an der PIN AG. Sein
Vertrauen in Politikerzusagen, sagte er damals dem Spiegel, sei nie sehr
groß gewesen. Jetzt liege es unter null. Damit dürfte Angela Merkel gemeint
gewesen sein.
Verlag und Redaktion, so lautet eine journalistische Grundregel, sind
strikt getrennt. Das soll so sein, damit Redaktionen sich inhaltlich etwa
nicht an dem orientieren, was ihre Werbepartner wollen. Es ist bei Springer
aber gar nicht so einfach, Redaktion und Verlag getrennt zu denken, denn
der Verlagschef an der Spitze sagt, er schreibe beim Einchecken ins Hotel
noch immer „Journalist“ ins Anmeldeformular. Der Anspruch, auch
publizistisch mitzureden, ging so weit, dass er sich mit Diekmann energisch
über die Bild-Berichterstattung zum Dschungelcamp stritt und selbst über
die Länge von Politikerinterviews.
Dieses Prinzip, nah dran zu sein, pflegt Döpfner auch heute noch. Als wir
an einem Abend im Büro von Julian Reichelt sitzen, wird der Verlagschef
angemeldet, kurze Zeit später tritt er ein, um Reichelt zu sagen, was ihm
an der letzten Ausgabe besonders gut gefallen habe. Später wird Reichelt
dazu sagen: „Das ist in meiner ganzen Amtszeit exakt einmal passiert.“
Nun ist all das ja – die PIN AG, Döpfners Enttäuschung – schon Jahre her,
und Angela Merkel ist noch immer Kanzlerin. Das zeigt vielleicht, dass die
Bild nicht alles kann.
Man muss aber auch wissen, das sich das Blatt seit je mit Angela Merkel
schwergetan hat. Ihr war die Bild-Zeitung über all die Jahre ganz einfach
egal. Wie anders es laufen könnte zwischen dem Blatt und der Politik, sieht
man, wenn man andere Politiker dagegenhält, als Kontrastfolie.
## „Spahn-Sinn – was der alles ändern will!“
Jens Spahn zum Beispiel, Gesundheitsminister, schon länger ein interner
Merkel-Gegner, wie Friedrich Merz Bewerber um den Parteivorsitz. Es ist
kein Geheimnis, dass sich Julian Reichelt und Jens Spahn seit vielen Jahren
duzen und einander schätzen. Beide hegen die gemeinsame Bekanntschaft zu
dem umstrittenen US-Botschafter Richard Grenell oder mit Österreichs
Bundeskanzler Sebastian Kurz, auch er ein Duzfreund Reichelts. Spahns
Sprecher im Gesundheitsminsterium ist der frühere Bild-Redakteur Hanno
Kautz. Zwei Wochen bevor er im Frühjahr seinen Job bei Spahn antrat,
schrieb Kautz über Spahn noch: „Spahn-Sinn – was der alles ändern will!“
Ähnlich gut ist das Verhältnis zu CSU-Bundesverkehrsminister Andreas
Scheuer. Auch dessen Sprecher, Wolfgang Ainetter, wechselte in diesem
Sommer aus der Bild-Redaktion in das Ministerium. Scheuer persönlich hatte
Reichelt gefragt, ob er Ainetter abwerben könne. Scheuer selbst ist oft in
der Bild-Zentrale zu Gast und im Blatt präsent. Dafür ist sich der Minister
dann auch nicht zu schade, an der Bild-Hotline die Fragen von
Dieselgeschädigten zu beantworten. Alles in Ordnung – wenn man Lust darauf
hat.
Und so saßen beim exklusiven Willkommensdinner von Reichelt für
US-Botschafter Grenell in der Springer-Zentrale natürlich
Gesundheitsminister Jens und Verkehrsminister Andreas mit am Tisch,
außerdem Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Döpfner auch.
Solche Spielchen machte Angela Merkel nie mit. Vergessen die Zeiten, in
denen Kanzler Schröder sagte, zum Regieren brauche er „Bild, BamS und
Glotze“.
Der enge Draht zu Spahn ist komfortabel für die Bild: Bei der Wahl zum
neuen CDU-Vorsitzenden kann für sie wenig schiefgehen – solange es nur
nicht Annegret Kramp-Karrenbauer wird. „Ich bin der festen Überzeugung“,
sagt Julian Reichelt, „rechts von der CDU darf nur noch die Wand kommen und
nicht die AfD.“
Wenn es jedoch einen unter den drei Kandidaten für Merkels Nachfolge an der
Parteispitze gibt, der die Präambel des Axel-Springer-Konzerns quasi
eingeatmet hat, dann ist es Friedrich Merz: das Bekenntnis zu Freiheit,
Rechtsstaat, Demokratie und Europa, Solidarität mit Israel und den
Vereinigten Staaten von Amerika, den Einsatz für eine freie Marktwirtschaft
und die Ablehnung von politischem und religiösem Extremismus. Friedrich
Merz’ politische Agenda ist in vielem fast deckungsgleich mit den
Standpunkten des Axel-Springer-Verlags. Ein Mindestlohn wäre für Merz
vermutlich kein Thema gewesen.
Nur: Nützt das noch viel im Jahr 2018, in einer Zeit, in der Politiker
nicht selten bei Facebook und Twitter präsenter sind als in der Presse? Und
nachdem Angela Merkel gezeigt hat, dass es sich eigentlich auch ganz gut
ohne Bild regieren lässt?
## Kulturelle Entfremdung
Auch andere Politiker waren vor und nach Angela Merkel anfällig dafür, die
Nähe zur Bild und zur Bild am Sonntag zu suchen und zu pflegen. Gerhard
Schröder, der spätere Bundespräsident Christian Wulff natürlich; Martin
Schulz zuletzt. Das allerdings ist das Unberechenbare an Angela Merkel,
einer Frau, die sich von den Jungs bei Springer nie beeindrucken ließ.
Zwar interessierte sich Merkel für ihre Bekanntschaft zur
Axel-Springer-Witwe Friede, die den überwiegenden Anteil am Konzern hält.
Aber nicht für Austauschgeschäfte oder irgendwelche Absprachen, die die
Bild-Zeitung ansonsten auch macht.
Das also ist der zweite Teil einer auch kulturellen Entfremdung. Sie geht
bis ins Persönliche, etwa weil Angela Merkel, das war gerade erst im
September, nicht zu einer Feier der Bild-Zeitung kam. Man darf erstaunt
sein darüber, als wie ehrabschneidend es bei Springer empfunden wird, dass
Merkel nicht erschien – obwohl der Termin eigens auf ihren Kalender
abgestimmt worden war.
Welchen der drei Anwärter bevorzugt Julian Reichelt? „Ich glaube, dass es
unter den CDU-Kandidaten welche gibt, die eine Eindämmung der AfD
wahrscheinlicher machen als andere.“ Und: „Die wichtigste Eigenschaft des
künftigen CDU-Vorsitzenden ist es, all die Leute von der AfD
zurückzugewinnen, die man zurückgewinnen kann. Das halte ich für
übergeordnet wichtig.“
Er ist nicht der Einzige aus der Springer-Führungsetage, der das so sieht.
Auch in der Welt feiert Chefredakteur Ulf Poschardt Friedrich Merz wie eine
Ikone.
Es ist Mittwoch, der 14. November 2018, als Friedrich Merz in Bild-TV das
erste Videointerview gibt seit seiner Ankündigung, für den
CDU-Parteivorsitz zu kandidieren. ARD und ZDF hatten ihn nach seiner
Ankündigung mehrmals um Interviews gebeten, er hat immer wieder abgesagt.
„Herr Merz, was können Sie eigentlich besser als Frau Merkel?“, fragt die
Bild-Politik-Journalistin Anna von Bayern und eröffnet damit die
Fragerunde. Eine halbe Stunde lang soll Merz hier gleich vor laufender
Kamera die Fragen von zwei Bild-Journalisten und Bild-Lesern beantworten.
Das Video wird auf bild.de und bei Facebook live gestreamt.
## „Sind Sie Millionär?“
Es ist schließlich ein Bild-Leser, der es schafft, Merz aus der Fassung zu
bringen. Ein Videoeinspieler zeigt den Schweizer, der ganz simpel fragt:
„Sind Sie eigentlich Millionär?“
Merz läuft rot an, lacht gequält jovial.
„Ich lebe in geordneten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen,
die mir eine hohe persönliche und politische Unabhängigkeit geben“, sagt
er.
„Sind Sie Millionär?“, schiebt Nikolaus Blome, der stellvertretende
Bild-Chefredakteur, nach.
„Das, äh, de, de, also was heißt …?“
„Wissen Sie nicht, ob Sie Millionär sind?“
„Ja, doch, also ich weiß das schon, ich kenne meine Einkommens- und
Vermögensverhältnisse …“
„Warum sagen Sie nicht einfach Ja?“, fragt von Bayern.
„Äh, äh, also ich liege jedenfalls nicht drunter“, antwortet Merz
schließlich – und lächelt.
Am Samstag, den 24. November 2018, vergleicht Michael Wolffsohn in der Bild
die Kandidaten. „Vor wem hätten Putin, Trump und Erdoğan den meisten
Respekt?“ Darin schreibt er: „Merz denkt strategisch. Ebenso Spahn. Doch
Merz hat mehr (Lebens-)Erfahrung.“ Und Annegret Kramp-Karrenbauer, die als
einzige von den Kandidaten schon mal Ministerpräsidentin war? „Ein Talent
aus der Provinz, das den Job im Job lernen könnte.“
Die Umfragewerte sprechen derzeit für Kramp-Karrenauer. Bis Freitag sind es
noch vier Tage. Das sind vier Tage Chance.
Mitarbeit: Brigitte Marquardt
3 Dec 2018
## LINKS
[1] /Kommentar-Merkels-Vorsitz-Verzicht/!5543968
[2] /Friedrich-Merz/!t5546388
[3] https://twitter.com/drumheadberlin/status/1064807865863626752
## AUTOREN
Anne Fromm
Martin Kaul
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