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# taz.de -- Antiziganismus: „Rom*nja tragen Entrechtung als Erbe mit sich“
> Auch heute noch sind Sinti und Roma Diskriminierung ausgesetzt. Sieben
> Protokolle aus dem deutschsprachigen Raum.
Bild: Roma-Day in Berlin am 08.04.2023
Mit rund 12 Millionen Menschen bilden Rom*nja und Sinti*zze die größte
Minderheit Europas und sind gleichzeitig eine Gruppe, die stark von
rassistischer Diskriminierung betroffen ist. Hier erzählen eine Pädagogin,
ein Dichter, eine Pflegekraft und weitere in Deutschland oder Österreich
lebende Rom*nja und Sinti*zze von ihrem Alltag.
Isidora Randjelović, Jahrgang 1975, ist Sozialpädagogin und Mitgründerin
des feministischen RomaniPhen e. V.
Heute ist der 8. April, der internationale Tag der Rom*nja. Vor allem ist
er für mich mit dem Gefühl der transnationalen politischen romani
Solidarität und Hoffnung verbunden. Als Teil der romani feministischen
Gruppe inirromnja als auch des RomaniPhen e. V. ist mir heute das
Zusammenkommen mit anderen Romnja* und Sintizze* wichtig, die als
politische Subjekte in kollektiven Zusammenhängen agieren. Wir bringen
ganzjährig unsere Erfahrungen und Analysen der Weltverhältnisse zusammen,
deuten miteinander Geschichte und Gegenwart, arbeiten an der Herstellung
von politischer und sozialer Gerechtigkeit. An diesem 8. April 2024 kommen
wir im Verein zusammen, reflektieren gemeinsam das letzte Jahr, trauern um
die Verluste, aber feiern auch die Erfolge.
Gemeinsam mit „With Wings und Roots“ hat RomaniPhen e. V. am 28. März die
Premiere des Dokumentarfilms „Das Recht, Rechte zu haben. Kämpfe von
Migrant*innen, PoC, Sinti*zze & Rom*nja für gleiche Rechte“
veranstaltet. Die Protagonist*innen des Dokumentarfilms thematisieren
ihre Erfahrungen mit dem eingeschränkten Zugang zur Staatsangehörigkeit und
verhandeln darüber hinaus auch komplexere Zusammenhänge wie etwa
Zugehörigkeit, die (Un-)Möglichkeiten politischer Partizipation,
historische Strukturen von Nationalstaatlichkeit, Kolonialismus und
NS-Entrechtung.
In Deutschland leben aktuell über 12 Millionen Menschen ohne deutsche
Staatsangehörigkeit und somit mit den Folgen dieser rechtlichen
Einschränkungen auf allen Ebenen des Lebens. Das Migrationsregime, die
Kontrolle und Verhinderung von Migration, die Aufrüstung von Grenzbehörden
und Polizei hat Folgen an den Außengrenzen und auch Effekte innerhalb
Europas und der jeweiligen Nationalstaaten. Rom*nja tragen diese Politiken
der Vertreibungen, Ausbürgerungen und nationalstaatlicher Entrechtung als
historisches Erbe mit sich und insbesondere Frauen* und queere Personen
sind dabei Mehrfachdiskriminierungen ausgesetzt.
In den Empfehlungen sowohl der [1][Rassismusstudie „Unter Verdacht“] (2022)
als auch der [2][Antiz***ismuskommission] sind konkrete Vorschläge zum
Abbau der Diskriminierung gegen Rom*nja und Sinti*zze als auch zu
Bleiberechtsregelungen formuliert, etwa eine aufenthaltsrechtliche
Anerkennung von Rom*nja als Opfer des Nationalsozialismus und
Erleichterung des Zugangs zur deutschen Staatsangehörigkeit, ebenso wie die
die Legalisierung von Menschen ohne Aufenthaltspapiere bzw. von Geduldeten,
die sich zu einem festzulegenden Stichtag in Deutschland befunden haben und
sich seit mehr als sechs Monaten hier aufhalten. In Bezug auf
Diskriminierung wird die [3][Verabschiedung eines
Bundesantidiskriminierungsgesetzes empfohlen], das den öffentlich-
rechtlichen Bereich mit umfasst.
Das sind Beispiele für grundlegende strukturelle Maßnahmen, die den
Menschen ein würdevolles Leben und eine gesellschaftliche Beteiligung
ermöglichen könnten. Dazu müssten aber auch in dem aktuell durch rechten
Populismus geprägten politischen Klima Diskurse über Gerechtigkeit
überhaupt wieder an Wert gewinnen. Hier ist noch viel zu tun!
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Ruždija Sejdović, Jahrgang 1966, ist Dichter, Dramaturg und im Vorstand von
Rom e. V. in Köln.
Ich bin in Montenegro geboren und seit 1988 in Deutschland. Heute habe ich
eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung, meine Tochter hat einen deutschen
Pass, sie studiert und macht gerade einen Bachelor-Abschluss. Ich liebe
auch Montenegro, mache da Urlaub, und dort liegt der Schwerpunkt meines
literarischen Schaffens auf Romanes. Aber weil wir Roma kein eigenes Land
haben, spüren wir auch nicht diesen nationalen Patriotismus. Für einen Rom
hängt die Heimat mehr an den Menschen. Wir haben unsere Loyalität gegenüber
unserer fiktiven Heimat und in meinem Fall ist das Köln. Köln ist meine
Heimat.
Für die meisten Roma hat sich die Lage in Europa in den letzten Jahrzehnten
nicht verbessert. Schon 1990 habe ich in Nordrhein-Westfalen an dem
berühmten „Bettelmarsch“ teilgenommen, der von der Rom und Cinti Union
organisiert wurde. Es war eine Bürgerbewegung, bei der Hunderte Roma von
Stadt zu Stadt gezogen sind, um für ein Bleiberecht zu demonstrieren.
Zurzeit kommen viele Roma aus dem Balkan nach Deutschland. Es heißt, sie
kämen aus „sicheren Herkunftsländern“, aber für Roma sind diese Länder
nicht sicher. Sie werden nicht ernst genommen und nicht als Flüchtlinge
gesehen, die vor Diskriminierung Schutz suchen. Ihnen droht die Abschiebung
oder ein jahrelanger Duldungsstatus. So wird verhindert, dass die Familien
sich integrieren können. Für Kinder besteht die Gefahr, dass sie in
angebliche „Heimatländer“ der Eltern abgeschoben werden, die sie nie
gesehen haben und deren Sprache sie nicht sprechen.
Das ist ein europäisches Problem. Das muss die Politik verändern – aber
nicht ohne unsere Roma- und Sinti-Vereine. Die Roma-Community muss in der
Politik mehr Sichtbarkeit erhalten, die Expertise sollte aus den eigenen
Reihen kommen und die Menschen mehr für sich reden und kämpfen. Wir
versuchen das mit dem Rom e. V., wo ich seit Jahrzehnten aktiv bin. Wir
haben ein Roma-Archiv und eine -Bibliothek aufgebaut und sind auch mit
pädagogischen Projekten aktiv. Eines heißt Angle Dikhas, was auf Romanes
„nach vorne schauen“ bedeutet. Wir begleiten Eltern und bieten Mediationen
in Schulen an. Die Angst vor Demütigung und vor Antiziganismus ist ein sehr
großes Trauma, das ganze Familien belastet. Generationen von Roma wurden
von einem Land ins andere abgeschoben und konnten deshalb keine Ausbildung
schaffen. Die Kinder von diesen Eltern, die nie in der Schule waren, müssen
den Sinn des Lernens neu verstehen. Alle Eltern wollen eine Perspektive für
ihre Kinder.
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Milena Ademović, 49 Jahre, aus Niś/Serbien.
Mein damaliger Mann und ich sind 1998 nach Deutschland gekommen, wie viele
andere aus meiner Stadt wegen des Kosovokriegs, der sechs Monate später
begann – aber auch, weil wir ein besseres Leben wollten für unsere Tochter,
sie war damals drei Jahre alt. Es war sehr schwierig am Anfang, ohne
Deutsch, ohne die eigenen Rechte zu kennen. Aber ich hatte großes Glück:
Ich bekam ein Jahr Duldung von der Ausländerbehörde, mit Arbeitserlaubnis.
Alle anderen, die ich kannte, bekamen nur drei Monate ohne
Arbeitserlaubnis. Ich habe mir sofort Arbeit gesucht – und hatte wieder
Glück. Mein erster Anruf auf eine Stellenanzeige war bei einer slawischen
Reinigungsfirma, sie haben mich eingestellt, und beim Arbeiten, in den
Pausen, habe ich Deutsch gelernt von einem Kollegen. Vier Jahre später habe
mich beim RAA beworben (Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration
und Demokratie e. V.; Anm. d. Red.), die suchten eine Roma-Frau für
verschiedene Projekte. Dort habe ich Roma-Aktivisten kennengelernt und bin
selber Aktivistin geworden, heute engagiere ich mich vor allem im Verein
RomaTrial.
Ich bin stolz auf mich, dass ich es alleine geschafft habe, meine zwei
Töchter großzuziehen. Zwei Männer haben mich sitzen lassen, ich musste viel
arbeiten, hatte zeitweise mehrere Jobs – und ich hatte viele Jahre Angst,
abgeschoben zu werden. Dieser Druck und die Angst haben mich psychisch und
physisch kaputt gemacht. Ich mache mir auch Sorgen um meine Kinder und
Enkel – vor kurzem bin ich Oma geworden – wegen der Diskriminierung hier,
etwa in der Schule. Das kannte ich gar nicht von zu Hause in Niś. Aber hier
kam meine älteste Tochter schon in der ersten Klasse weinend nach Hause,
sagte, keiner will mit ihr spielen. Ich bin zur Lehrerin gegangen und
wollte das mit ihr besprechen. Aber sie sagte nur: „Ausländer sind
bescheuert!“ Ja, wirklich! Ich habe mein Kind von der Schule genommen.
Leider wurde es auf der nächsten Schule wieder von einem Lehrer gemobbt,
auch er war ein Rassist. Auch ich habe immer wieder Diskriminierung
gespürt. So viele Wohnungen bekam ich nicht, obwohl mein Lohn reichte.
Diese Verfolgung der Roma macht mich wütend, seit Jahrhunderten ist das so
und geht immer weiter. Ich arbeite heute als Beraterin für Roma aus der EU
– was ich da alles zu hören bekomme! Manche Behörden verlangen zum Beispiel
Informationen von Roma, die sie von Deutschen niemals verlangen würden, für
die es nicht mal Formulare gibt! Wir Frauen haben es besonders schwer, auch
wegen der alten Roma-Traditionen, die Frauen keine eigenen Rechte lassen.
Positiv ist: Viele Frauen sind mutiger geworden, können auf eigenen Beinen
stehen, ihre Kinder erziehen, sich Ausbildung und Arbeit suchen. Auch
darauf bin ich stolz.
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Marlo Thormann, Jahrgang 1960, Neumünster, ist ehrenamtlicher Vorsitzender
der Sinti-Union Schleswig-Holstein.
Wie es mir geht? Mir geht es eigentlich gut im Moment. Wir alle, die wir
uns in der Sinti-Union Schleswig-Holstein engagieren, haben in den
vergangenen Monaten sehr viel Arbeit gehabt. Unser Verein mit Sitz in
Neumünster will die Sinti und Roma sichtbar machen und auf Diskriminierung
hinweisen. Dazu sind wir an einer ganzen Reihe Gremien beteiligt, gestern
zum Beispiel war ich bei einem Treffen des Landesaktionsplans gegen
Antisemitismus. Wir arbeiten oft mit jüdischen Organisationen zusammen,
denn viele Formen der Diskriminierung sind identisch. Abends merke ich oft
die Anstrengung, aber am Tag während der Arbeit nicht. Denn alles, was wir
tun, empowert uns auch selbst, und wir merken, dass unser Einsatz Früchte
trägt. Sorge macht mir aber, dass Meinungen, die früher als rechts galten,
heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Wenn sich die Diskurse
verschieben, ist das gefährlich für uns. Darum lassen wir nicht nach, die
Leute darüber aufzuklären, was mit den Sinti und Roma in der NS-Zeit
passiert ist und welchen Rassismus wir heute noch erleben.
Was ich mir wünsche, ist eigentlich ganz einfach: normale Teilhabe und
Akzeptanz, also das, was jedem Bürger, jeder Bürgerin zusteht. Unsere
Kinder sollen behandelt werden wie andere, unsere Jugendlichen sollen
Ausbildungsplätze kriegen. Ich selbst wollte Bankkaufmann werden und wurde
mit einem rassistischen Spruch abgelehnt – das ist lange her. Aber vor
wenigen Monaten wurde hier in Neumünster einer jungen Sinteza gesagt, dass
sie mit ihrem Namen keinen Vertrag bekäme. Das ist nicht 1940 oder 1960
passiert, sondern im Jahr 2023! Ich denke, um das allmählich zu ändern,
braucht es Bildung und Aufklärung von der Kita bis in die Berufsschulen und
Universitäten.
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Romani Rose, Jahrgang 1946, ist Vorsitzender des Zentralrats Deutscher
Sinti und Roma.
Die Entwicklung in unserem Land und der neue Nationalismus und
Rechtsextremismus machen mir Sorgen. Mit Fassungslosigkeit habe ich das
Treffen in Potsdam wahrgenommen. Rechtsextremismus und Nationalismus zeigen
sich mit Gewalt. Auch Sinti und Roma waren in der Vergangenheit Opfer. Die
Bundesrepublik hat über lange Jahrzehnte hinweg den Rechtsextremismus und
Nationalismus verharmlost und klein geredet, weil viele in unserem Land es
gleichtun mit Patriotismus.
Ich betrachte mich als Patrioten. Deutschland ist meine Heimat, auch mein
Land und das Land meiner Kinder und Enkelkinder. Die Verteidigung der
Demokratie und des Rechtsstaats steht für mich im Vordergrund – vor allem
anderen. Die Minderheitenrechte werden nur über die Demokratie und über den
Rechtsstaat garantiert. Wenn Demokratie und Rechtsstaat beseitigt werden –
was einige dieser Leute, die von einer Renaissance der Vergangenheit
träumen, als krankhafte Vorstellung haben –, dann hat das massive
Auswirkungen auf unsere gesamte Gesellschaft. Was wir als Zentralrat
erreicht haben, hätte ich mir vor 40 Jahren nicht vorstellen können. Vor
allen Dingen: die Anerkennung als nationale Minderheit 1995. Ebenso die
Anerkennung des Holocaust, des Völkermords an den 500.000 Sinti und Roma im
NS-besetzten Europa, die natürlich erst 1982, fast 40 Jahre verspätet, kam.
Auch die Errichtung des Denkmals in Berlin, für die wir viele Jahre
eingetreten sind, und dass in Städten und Gemeinden in unserem Land
Erinnerungstafeln und Gedenksteine angebracht werden. Das sind wichtige
Zeichen für eine gemeinsame Verantwortung und für eine allgemeine
Aufarbeitung der Geschichte.
Erinnern hat für uns dabei nichts mit einer Schuldübertragung auf die
heutige Generation zu tun. Erinnern heißt, Verantwortung zu übernehmen für
das Vermächtnis der Opfer von Auschwitz, der 6 Millionen Juden und der
500.000 Sinti und Roma und für die Situation des Unrechts in Europa.
Nationalismus sollte in unserem Land keinen Platz haben.
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Amela, Jahrgang 1988, Amela heißt eigentlich anders. Sie ist in Skopje
geboren, in Deutschland aufgewachsen und macht eine Ausbildung zur
Pflegekraft in einer norddeutschen Großstadt.
Heute bin ich glücklich, wir sind glücklich, meine Kinder gehen zur Schule,
mein Mann arbeitet, und auch ich habe ein gutes Auskommen. Ich bin im
zweiten Lehrjahr meiner Ausbildung zur Pflegefachkraft in einem
Krankenhaus. Die Stelle hat mir meine Schwägerin vermittelt, die dort als
Reinigungskraft angestellt ist. Seit 2019 bin ich dort und habe erst mal
drei Jahre als Pflegehelferin gearbeitet. Vorher musste ich monatelang auf
ein Arbeitsvisum warten.
Bei der Arbeit erwähne ich nicht, dass ich Romani bin. Deshalb möchte ich
auch nicht mit Namen in der Zeitung stehen. Als ich neu war, hörte ich in
der Pause die Kolleginnen miteinander reden. Eine sprach über ihre
Nachbarn, die „Zigeuner“ seien, viel Geld und teure Autos hätten und
kriminell seien. Die anderen stimmten ihr zu. Da dachte ich mir: Ich sage
einfach nur, dass ich aus Mazedonien komme, sonst haben sie gleich ein
schlechtes Bild von mir. Aber es ärgert mich: Wir sind keine schlechten
Leute. Von jeder Nationalität gibt es solche und solche Menschen. Es gibt
auch Deutsche, die klauen. Aber wenn einer einen Fehler macht, dann werden
gleich alle aus der Gruppe diskriminiert.
Ehrlich gesagt ist das in Mazedonien aber noch ein bisschen schlimmer. Dort
ist es für Roma sehr schwierig, eine Arbeit zu finden, sie werden in allen
Bereichen des Lebens diskriminiert, auch wenn es in den letzten Jahren
kleine Verbesserungen gab. Für eine gute Schule oder um zu studieren,
brauchst du Kontakte, die viele Roma nicht haben. Die Ethnie spielt eine
riesige Rolle, bei Jobs haben Mazedonier oder Albaner den Vorrang.
Schon meine Tante kam vor Jahrzehnten als Gastarbeiterin nach Deutschland
und lebt noch immer hier. Ich selbst bin in Deutschland aufgewachsen. Meine
Eltern waren mit uns als Asylbewerber hergekommen. Deshalb spreche ich
Deutsch, ich war hier bis zur dritten Klasse in der Grundschule. Danach
wurden wir abgeschoben. Es war immer mein Traum, zurückzukehren, der sich
nun nach vielen Jahren erfüllt hat.
Wir haben hier die Chance auf ein besseres Leben, wir verdienen mehr, und
meine Kinder haben eine Zukunft. Klar: Zu Hause reden wir Romanes, aber mit
den Kindern haben wir jetzt einen Sprachmix, wo neben Mazedonisch auch
Deutsch dabei ist, damit sie es gut lernen.
Wenn ich in die Zukunft schaue, dann wünsche ich mir, dass ich meine
Ausbildung abschließe und eine gute Fachkraft werde. Noch in diesem Jahr
stelle ich einen Antrag auf eine unbefristete Niederlassungserlaubnis. Dann
könnte ich hier bleiben. Ich wünsche mir, dass wir irgendwann vielleicht
ein Haus kaufen können. Wenn ich das Gefühl hätte, dass die Kollegen nicht
rassistisch sind, könnte ich mir auch vorstellen offen zu sagen, dass ich
Romani bin.
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Anna-Gleirscher-Entner, Jahrgang 1970, ist Psychotherapeutin in Kasten bei
Böheimkirchen, Österreich.
Ich bin in einer Sinti-Familie mit elf Geschwistern in Linz aufgewachsen.
Schon immer hat mich eine gewisse Schwere begleitet. Ich bin überzeugt,
dass Traumata von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden können
und dass dies auch in meiner Familie der Fall war. Mein Vater ist 1936
geboren, er musste sich während dem Nationalsozialismus jahrelang vor den
Nazis verstecken. Meine Mutter verbrachte drei Jahre im KZ Lackenbach, das
war das größte Lager für die Verfolgung und Deportation von Sinti und Roma
im Deutschen Reich und Österreich. Über diese Zeit haben meine Eltern in
meiner Kindheit nie geredet, es war ein Tabu, darüber zu sprechen.
Das war für mich sehr schwierig, da ich unglaublich neugierig war und die
Welt verstehen wollte. Es fühlte sich immer so an, als würden Geister über
meiner Familie schweben, die ich nicht greifen konnte. Erst später habe ich
durch meinen Beruf gelernt, dass dies eine Überlebensstrategie meiner
Eltern war, sie konnten einfach nicht über das Erlebte sprechen, sie
mussten sich davor schützen. Aufgrund ihrer Geschichte konnten sie nicht
wirklich Eltern sein, deshalb war ich früh auf mich allein gestellt. Durch
meine Ausbildung zur Psychotherapeutin konnte ich meine Familiengeschichte
immer besser verstehen. Zwar ist die Schwere immer noch präsent, aber
mittlerweile habe ich sie als Teil von mir akzeptiert.
Neben der Schwere zeichnete meine Eltern auch eine wahnsinnige
Überlebenskraft aus, die sie auch an mich weitergetragen haben. Ich wollte
das Schweigen meiner Eltern brechen, ich habe deshalb ein Buch über den
Umgang mit Traumata von Sinti und Roma geschrieben. Auch in meiner Arbeit
versuche ich mit einem kultursensiblen Ansatz, immer auch die Herkunft
meiner Patienten miteinzubeziehen, ihnen zu helfen, sich selbst und ihre
Erfahrungen besser zu verstehen. All dies sind Dinge, die mir geholfen
haben, mich in gewisser Weise auch aus einer Opferrolle zu befreien.
Gleichzeitig gibt es in Österreich immer noch sehr viel Diskriminierung
gegenüber Sinti und Roma. Sie werden immer noch nicht als Bürger dieses
Landes gesehen, es gibt die gleichen Vorurteile der faulen, stehlenden und
ungebildeten Z* wie vor hunderten von Jahren, das hat sich kaum verändert.
Damals wie heute wird Menschen ihr Menschsein abgesprochen, und das ist der
Ursprung von allem Gräuel.
Dass es heutzutage Menschen gibt, die den Überfall auf Jüd:innen feiern,
besorgt mich auch als Sintizza. Ich habe immer diese latente Angst, dass es
auch mich wieder treffen könnte. Auch dass es in Österreich mittlerweile
Sinti und Roma gibt, die die FPÖ wählen, ist für mich völlig
unverständlich. Sie scheinen unsere Geschichte vergessen zu haben und sind
blind dafür, welcher Diskriminierung wir noch immer ausgesetzt sind.
Ich würde mir wünschen, dass die Gesellschaft jenseits der Stereotype von
Sinti und Roma die Biografien der Menschen sehen und ihnen endlich mit
Respekt und Wertschätzung begegnen würde. Aber ich habe wenig Hoffnung,
dass dies in naher Zukunft passieren wird.
8 Apr 2024
## LINKS
[1] https://www.romnja-power.de/unter-verdacht-rassismuserfahrungen-von-romnja-…
[2] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/heimat…
[3] https://dserver.bundestag.de/btd/20/097/2009779.pdf
## AUTOREN
Isidora Randjelović
Ruždija Sejdović
Milena Ademović
Marlo Thormann
Romani Rose
Amela
Anna Gleirscher-Entner
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