# taz.de -- Antiziganistische Gewalt: „Wo bleibt der Aufschrei?“ | |
> In Koblenz wurden die Wahlplakate eines Sinto mit Gewaltfantasien | |
> beschmiert. In Flensburg zerstörten Unbekannte ein Mahnmal. | |
Bild: Marlon Reinhardt wurden die Augen aus dem Wahlplakat ausgekratzt | |
BERLIN taz | „Da möchte jemand mit allen Mitteln verhindern, dass jemand | |
wie ich in die Politik geht“, sagt Marlon Reinhardt. Vor ein paar Tagen sei | |
er morgens mit seinem Sohn auf dem Weg zum Sport gewesen und habe ihm eins | |
seiner Wahlplakate zeigen wollen, berichtet der Koblenzer Unternehmer und | |
Boxer. Am 9. Juni finden in Rheinland-Pfalz Kommunalwahlen statt, Reinhardt | |
will für die Freien Wähler in den Stadtrat. „Warum sind deine Augen | |
ausgestochen“, habe sein Sohn ihn gefragt. Da erst seien ihm der | |
Vandalismus und die antiziganistische Schmiererei aufgefallen. | |
Alle Sinti und Roma sollten „ab in die Gaskammer“, hatte jemand neben | |
Reinhardts Gesicht geschmiert, und dabei das rassistische Z-Wort benutzt. | |
Direkt Bezug nimmt die Schmiererei auch auf Reinhardts Vater, den Musiker | |
Django Heinrich Reinhardt. | |
Nur wenige Tage später wurden Plakate des Freie-Wähler-Spitzenkandidaten | |
Stephan Wefelscheid ebenfalls beschmiert, nachdem dieser sich mit Reinhardt | |
öffentlich solidarisiert und Strafanzeige gestellt hatte. Auch in diesem | |
Fall wurden dem Porträtfoto die Augen herausgeschnitten und das Z-Wort als | |
Beleidigung verwendet. Die Polizei ermittelt unter anderem wegen des | |
Verdachts der Volksverhetzung. | |
Für Reinhardt stehen die Vorfälle ganz klar in Zusammenhang mit der, wie er | |
es nennt, „aufgeheizten Stimmung“ in Deutschland, aber eben auch damit, | |
dass er als Sinto in den Stadtrat will. „Ich bin recht bekannt in Koblenz. | |
Aber weder auf meinen Werbeflächen noch auf den Boxplakaten gab es jemals | |
ähnliche Vorfälle, nie einen Strich. Nur jetzt, wo es um Politik geht.“ | |
## Mahnmal in Flensburg geschändet | |
Überhaupt habe ihn überrascht, dass so etwas in Koblenz passiere: „Die | |
Stadt ist in ganz Deutschland ein Vorbild für die Integration von Sinti und | |
Roma, so etwas in dieser Form gab es hier noch nie“, sagt er. Ihn | |
persönlich treffe der Angriff nicht. „Ich kann damit professionell | |
umgehen“, sagt Reinhardt. „Aber für manche andere in der Stadt muss das | |
schwierig sein. Es leben hier zum Beispiel auch noch einige | |
KZ-Überlebende.“ | |
Die rassistischen Parolen auf Reinhardts und Wefelscheids Wahlplakaten sind | |
nur zwei von mehreren antiziganistischen Übergriffen innerhalb kurzer Zeit | |
in Deutschland. In der Nacht zu Mittwoch war in Flensburg eine | |
[1][Metallstele aus dem Pflaster gerissen worden, die dort als Mahnmal an | |
die von den Nationalsozialisten deportierten Sinti und Roma erinnert]. Und | |
Anfang Mai war zum wiederholten Mal in Neumünster [2][Müll neben dem | |
dortigen Mahnmal für ermordete Sinti und Roma abgeladen worden]. | |
„In Anbetracht dieser Angriffe auf die Erinnerung und somit auf alle Sinti | |
und Roma frage ich mich, wo der gesellschaftliche Aufschrei bleibt“, | |
kritisierte der Antiziganismusbeauftragte der Bundesregierung, Mehmet | |
Daimagüler, am Freitag. In diesem Jahr am 2. August jähre sich die | |
Ermordung der letzten Sinti und Roma im Vernichtungslager | |
Auschwitz-Birkenau zum 80. Mal. Der [3][Bundestag habe im Dezember | |
gefordert], den Jahrestag würdig zu begehen und die Erinnerung insgesamt zu | |
stärken. | |
„Vor diesem Hintergrund ist es besonders erschreckend, dass sich Angriffe | |
auf das Gedenken an den Völkermord häufen“, so Daimagüler. „Wenn wir es … | |
den politischen Appellen für ein würdiges Gedenken ernst meinen und wenn | |
wir wollen, dass Sinti und Roma sich in dieser Gesellschaft sicher fühlen, | |
müssen wir klare Kante zeigen.“ | |
## Wählen gegen rechts | |
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma sprach von einem „alarmierenden | |
Zeichen des wachsenden Antiziganismus“ in Deutschland. „Diesen wieder | |
aufkommenden Gewaltphantasien müssen alle Mittel der wehrhaften Demokratie | |
und des Rechtsstaats entgegengesetzt werden“, erklärte Romani Rose, | |
Vorsitzender des Zentralrats. | |
Der [4][Bericht der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA)] | |
habe für das Jahr 2022 621 antiziganistische Vorfälle dokumentiert, | |
darunter auch Fälle extremer Gewalt. Der demnächst erscheinende Bericht für | |
2023 lasse angesichts des „erschreckenden Nationalismus“ eine Zunahme der | |
Fälle befürchten, so Rose. | |
Politik und Justiz müssten endlich anerkennen, dass Antiziganismus genauso | |
eine Gefahr für die innere Sicherheit sei wie Antisemitismus. „Auch die | |
Bevölkerung ist aufgerufen, gegen diese rechtsextremistischen Tendenzen ein | |
Zeichen an der Wahlurne zu setzen“, so Rose. | |
31 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Denkmal-fuer-Sinti-und-Roma-zerstoert/!6013883 | |
[2] https://www.shz.de/lokales/neumuenster/artikel/neumuenster-muell-am-holocau… | |
[3] /Kampf-gegen-Antiziganismus/!6002660 | |
[4] /Sintizze-und-Romnja-in-Deutschland/!5960763 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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