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# taz.de -- Islam in Ostdeutschland: Beten unterm Radar
> Etwa 30.000 Muslim:innen leben in Brandenburg. Ihnen fehlt es oftmals
> an Räumen, um ihren Glauben ausleben zu können.
Fürstenwalde / Neuruppin taz | Nur ein kleiner Ventilator surrt, als der
Imam anfängt, ein kurzes Gebet auf Arabisch zu sprechen. Das melodische
Flüstern bricht mit der Stille im Raum, es ist das Nachmittagsgebet, das
dritte und letzte Gebet vor dem Sonnenuntergang. Neben dem Imam kniet Maher
Azzam auf einem roten Teppich in einem etwa dreißig Quadratmeter großen
Raum. Fenster gibt es hier keine, zwei Deckenlampen spenden weißes grelles
Licht.
Der Raum ist Teil des Gebäudes des christlichen Vereins Esta Ruppin, eine
klassizistische Stadtvilla direkt am Bahnhof von Neuruppin gelegen. Azzams
Blick ist konzentriert auf den Boden gerichtet, vor ihm liegt ein kleiner
grüner Gebetsteppich – ausgerichtet nach Mekka. Das Gebet ist ein Moment
des Innehaltens, um kurz der Hektik des Alltags zu entkommen. An der Wand
hängt eine weiße Tafel, auf der arabische Buchstaben zu lesen sind, daneben
eine elektronische Anzeige mit den Gebetszeiten, es ist gerade kurz nach
halb sechs.
In den Gebetsraum kommen unter der Woche nur wenige Muslim:innen, freitags
versammeln sich jedoch sechzig bis siebzig Menschen für das Freitagsgebet.
Manche reisen hierfür bis zu einer Stunde aus dem Umland an. An großen
Feiertagen wie dem Zuckerfest besuchen bis zu 150 Menschen den Verein, die
Frauen beten dann in den Innenräumen, die Männer draußen. „Wir hätten gern
unsere eigene Moschee mit mehr Platz, aber es ist schwierig, eine Immobilie
zu finden“, sagt Azzam. Der 50-jährige trägt Jeans und Sneakers, hinter
einer schmalen Brille blicken freundliche Augen hervor.
Azzam arbeitet bei dem christlichen Verein Esta Ruppin, er unterstützt
hauptsächlich Geflüchtete bei der Arbeitssuche, Behördengängen oder anderen
bürokratischen Herausforderungen. Er ist zudem Vorsitzender des Vereins Al
Salam, der Muslim:innen in Neuruppin vernetzt. Er hat auch den
Gebetsraum auf die Beine gestellt. Dass die Gemeinde keinen größeren Raum
findet, hängt einerseits mit fehlenden finanziellen Ressourcen zusammen.
Andererseits hat Azzam aber auch das Gefühl, dass viele Vermieter:innen
Vorbehalte hätten, einem muslimischen Verein Räumlichkeiten zur Verfügung
zu stellen. Mit seinem Verein versucht er, diese Vorbehalte aus dem Weg zu
räumen.
Neuruppin ist ein Ort in Brandenburg, an dem sich in den vergangenen Jahren
immer mehr Muslim:innen niedergelassen haben. Etwa 30.000 bis 35.000
leben mittlerweile in dem säkular geprägten Bundesland. Wie viele Gemeinden
es insgesamt gibt, ist nicht bekannt. Die Gebetsräume erlauben
Muslim:innen, ihre Religion auszuüben. Für viele ist es auch ein Ort der
Begegnung, an dem man sich austauschen und neue Kontakte knüpfen kann. Dass
Muslim:innen nicht genügend dieser Räume haben, ist ein strukturelles
Problem in Brandenburg. Besonders auf dem Land müssen sie teils lange
Fahrten auf sich nehmen. Auch fehlt es an finanzieller Unterstützung und
Sichtbarkeit der Gemeinden. Woran liegt das? Und was hat das für Folgen?
Szenenwechsel in die Kita Kunterbunt, in der Maher Azzam wenige Stunden vor
dem Gebet ein Sommerfest besucht. Auf einer Bühne haben sich etwa fünfzehn
Kinder mit orangefarbenen T-Shirts und glitzernden Kronen auf dem Kopf
versammelt, um einen Bienensong zu performen. Links neben der Bühne sind
Bierbänke und Tische aufgestellt, Kinder rennen mit Zuckerwatte durch die
Gegend, an einem Stand kann man an einem Dinosaurier lernen, wie man sich
ordnungsgemäß die Zähne putzt.
Mitten in der Kindergartenidylle hat Maher Azzam seinen Stand aufgestellt,
er will bei dem Kindergartenfest das muslimische Leben Neuruppins sichtbar
machen. Auch seine Tochter sowie weitere Gemeindemitglieder sind gekommen.
Azzam wirkt bemüht, hat permanent ein kleines Lächeln auf den Lippen. Der
gebürtige Syrer möchte mit Bürger:innen aus Neuruppin ins Gespräch
kommen und bei Interesse Fragen über den Islam beantworten.
„Was kostet das?“ fragt ein kleines Mädchen Azzams 15-jährige Tochter
Jasmina und zeigt auf ein paar Bulgurbällchen, die auf einem Biertisch
liegen. „Ein Euro“, antwortet sie. Das Mädchen schaut weiter verdutzt, weil
sie womöglich nicht genau weiß, was da auf dem Teller vor ihr liegt, bleibt
noch einen Moment stehen, zischt dann ab Richtung Waffelstand.
„Mein Vater arbeitet zu viel“, erzählt Jasmina lachend. Fast zwei Stunden
täglich widmet Azzam seiner Arbeit für die Gemeinde. Auch die 15-Jährige
ist dort aktiv, samstags trifft sie sich regelmäßig mit anderen Muslima, um
sich zu Religionsfragen auszutauschen. Sie wohnt seit 2017 in Neuruppin.
Ihr Vater kam bereits Mitte 2015, eineinhalb Jahre später holte er die
Familie nach. Zwei Monate verbrachte er in einem Erstaufnahmelager in
Eisenhüttenstadt, bevor er in einem Wohnheim in der Nähe von Neuruppin
landete. Fast ein Jahr war er dort, wartete auf die Genehmigung seines
Asylantrags.
„Mir war damals wahnsinnig langweilig, deshalb packte ich mit an“, sagt er.
In Hama, seinem Heimatort in Syrien, hatte er als Englischlehrer
gearbeitet, das kam ihm jetzt zugute. Er half den Mitarbeiter:innen
des Wohnheims mit Übersetzungen. In dieser Zeit lernte er auch Christiane
Schultz kennen, Geschäftsführerin des christlichen Vereins Esta Neuruppin.
Die beiden freundeten sich an, 2016 erhielt er einen festen Arbeitsvertrag
bei Esta. Anfangs leistete er hauptsächlich Übersetzungsarbeiten, später
startete er ein interkulturelles Sprachcafé, mittlerweile unterstützt er
hauptsächlich Geflüchtete. Der Verein stellt nicht nur den Gebetsraum zur
Verfügung, er gestaltet auch regelmäßig Veranstaltungen der Stadt mit, erst
kürzlich waren sie bei den „Toleranzräumen“ vertreten, einem
Veranstaltungsformat, bei dem Menschen aus ganz unterschiedlichen Milieus
über gesellschaftliches Zusammenleben diskutieren. Sonntags können Kinder
und Jugendliche in den Gebetsräumen Arabisch lernen.
Das ist vielen Gemeindemitgliedern wichtig, denn auch wenn viele zu Hause
Arabisch sprechen, ist der Unterricht nötig, um richtig lesen zu lernen.
Genau wie die Freitagsgebete wird auch der Arabisch-Unterricht von
Ehrenamtlichen gestemmt, die keine offizielle Ausbildung haben. Die
fehlende Ausbildung erschwert es dem Verein, Fördermittel zu beantragen.
Und ausgebildete Arabischlehrer kann sich der Verein nicht leisten.
Bisher werden vom Land Brandenburg hauptsächlich Gemeinderäume bezahlt, für
Personalkosten wird bislang nichts beigesteuert. Das Ministerium für
Wissenschaft, Forschung und Kultur hat im Jahr 2023 etwa sieben muslimische
Gemeinden mit insgesamt 100.758 Euro unterstützt. Eine davon ist die
Gemeinde in Neuruppin, sie bekommt das Geld für die Miete vom Ministerium
bezahlt. Anders als bei der Kirche gibt es keine Steuer, die
Muslim:innen zahlen, um Imame oder Moscheen zu finanzieren. Deshalb sind
die Gemeinden auf Mitgliedsbeiträge oder Spendengelder angewiesen. Fehlt
das Geld, sind es oftmals Privatpersonen, die sich ehrenamtlich engagieren.
Inwieweit Spendengelder aus dem Ausland an die muslimischen Gemeinden
fließen, ist weder in Brandenburg noch bundesweit erfasst.
„Die Gemeinden werden vor allem bei der Suche nach geeigneten Räumen zu
wenig unterstützt. Das sorgt für Unverständnis. Sie haben das Gefühl,
alleine gelassen zu werden“, sagt Doris Lemmermeier. Sie war elf Jahre lang
Integrationsbeauftragte im Land Brandenburg. Sie sieht die Verantwortung
dafür auch bei der Politik, die sich wenig für die Belange von
Muslim:innen zu interessieren scheint.
## Nur Grüne wollen mehr Gebetsräume
Das zeigt auch ein Blick in die Wahlprogramme der Parteien vor den
Landtagswahlen in diesem Jahr. Lediglich die Grünen erwähnen knapp, dass
sie die „Einrichtung von Gebetsräumen unterstützen“. Die AfD nennt
Muslim:innen nur, um ihre rassistische Politik zu propagieren: Sie will
das Tragen von Kopftüchern in Schulen sowie anderen öffentlichen
Einrichtungen unterbinden sowie eine angebliche Islamisierung der Städte
aufhalten. Bei SPD, Linke und CDU werden Muslim:innen mit keinem Wort
erwähnt. „Die Politiker:innen trauen sich oftmals nicht, auf der Seite
der Muslime zu stehen. Sie haben Angst, dass sie dafür bei den Wahlen
abgestraft werden.“
Dabei wäre es wichtig, da die meisten ihren Glauben einfach nur friedlich
ausleben wollen, so Lemmermeier. Auch könnte man durch mehr finanzielle
Unterstützung verhindern, dass islamistische Geldgeber aus dem Ausland
versuchen, das Gemeindeleben zu beeinflussen. Und womöglich besser
kontrollieren, welche Imame in den Gebetsräumen Predigten halten.
Warum das wichtig ist, zeigt sich an der muslimischen Gemeinde in
Fürstenwalde. Dort knallt an einem Freitagnachmittag Ende Juni in einem
Industriegebiet die Sonne auf den Beton eines Parkplatzes, im Hintergrund
sind Straßengeräusche zu hören. Hinter einem vergitterten Fenster eines
einstöckigen weißen Gebäudes ist von außen ein Regal zu erkennen, in dem
sich unzählige Schuhe stapeln. Hinter einer angelehnten Tür knien ein paar
Männer auf einem Teppich, nach ein paar Minuten erheben sie sich nach und
nach, strömen dann eilig aus dem Gebäude. Im Islamischen Zentrum in
Fürstenwalde endete gerade das Freitagsgebet. Die meisten gehen direkt zu
ihrem Auto oder Fahrrad, andere schütteln einander die Hände und trinken
noch gemeinsam ein Glas Tee.
Darunter ist auch Islam Al Najjar, der Vorsitzende des Vereins Al Salam,
der die Moschee betreibt. Durchschnittlich 150 Menschen kommen pro Woche
hierher, um gemeinsam zu beten, sagt er. An Feiertagen sind es auch mal
doppelt so viel, dann werden auch auf dem Parkplatz Teppiche ausgelegt. In
den letzten Jahren seien es sehr viel mehr geworden, [1][vor allem seit
Tesla 2022 hier im Landkreis seine Produktion gestartet hat], erzählt Al
Najjar.
Doch Ende des Jahres muss der Gebetsraum schließen. „Die Stadt hat uns zu
einem politischen Ort erklärt und damit plattgemacht“, sagt er. Die
Gemeinde wurde vergangenen Sommer als extremistische Bestrebung eingestuft,
laut dem Brandenburger Verfassungsschutz ist sie die erste und bisher
einzige Gemeinde in Brandenburg. Insgesamt gibt es in dem Bundesland 220
Personen, die der islamistischen Szene zugeordnet werden. Die Stadt hat
nach der Einstufung das Grundstück gekauft, auf dem sich die Moschee
befindet, der Pachtvertrag läuft Ende des Jahres aus.
Laut dem Brandenburger Verfassungsschutz haben der Vereinsvorsitzende sowie
der Imam antisemitische Narrative verbreitet und das Existenzrecht Israels
negiert, wie aus einer Klageerwiderung des Innenministeriums hervorgeht,
die der taz vorliegt. Der Verfassungsschutz wirft den beiden zudem eine
Nähe zur Hamas sowie der Muslimbruderschaft vor. Grundlage für die
Einstufung sind verschiedene Facebook-Beiträge des Vereinsvorsitzenden und
des Imams. Dem Imam Maher El-Chooli wird unter anderem vorgeworfen, den
Terrorangriff vom 7. Oktober, mit „Was für ein schöner Tag“, kommentiert …
haben. Er bestritt dies später öffentlich, sagte gegenüber dem RBB, dass er
sich auf einen islamischen Ehevertrag bezogen habe, den er für seinen
Stiefsohn abgeschlossen habe.
An diesem Freitag hat Al Najjar die Gemeinde informiert, dass sie Ende des
Jahres schließen soll und der Verein aufgelöst wird. Nach dem Gebet sitzt
er mit ein paar Gemeindemitgliedern an einem kleinen Tisch im Gebetsraum.
Die Luft ist stickig und heiß, man spürt, dass hier gerade Dutzende
Menschen auf engem Raum miteinander gebetet haben. Auch hier ist eine Tafel
mit arabischen Buchstaben zu sehen, an der Kinder und Jugendliche am
Wochenende Arabisch lernen. Al Najjar findet es falsch, welche Konsequenzen
aus dem Bericht gezogen wurden. „Die gesamte Gemeinde sollte nicht für die
Fehler von Einzelnen bestraft werden“, sagt er. Ein junger Mann, der neben
Al Najjar am Tisch sitzt, nickt. „Die Leute sind wie eine Familie hier, wir
unterstützen uns gegenseitig, wir brauchen diesen Ort“, sagt er.
Der Anfang-dreißig-Jährige ist vor zwei Jahren nach Fürstenwalde gekommen,
um im 20 Kilometer entfernten Tesla-Werk in Grünheide zu arbeiten. Die
Gemeinde habe ihm ermöglicht, sozialen Anschluss zu finden, ohne sie hätte
er seine jetzige Wohnung nicht gefunden. Aber auch andere haben von der
Gemeinde profitiert. Vor der Nennung durch den Verfassungsschutz haben
einige Kinder und Jugendliche eine Förderung in Höhe von 15 Euro monatlich
zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben vom Landkreis Oder-Spree
erhalten. Damit wurde der Arabisch-Unterricht finanziert, dieser musste
seit vergangenem Sommer aufgrund der Einstufung des Verfassungsschutzes
ausfallen.
In der Gemeinde in Fürstenwalde beten Muslim:innen aus ganz
unterschiedlichen Herkunftsländern. Mit der Schließung wird für sie alle
ein Ort der Begegnung verloren gehen. Hätte das verhindert und eine andere
Lösung als eine komplette Schließung gefunden werden können?
Anruf beim Bürgermeister Matthias Rudolph, der vergangenes Jahr selbst von
dem Verfassungsschutzbericht überrascht wurde. Dass die Stadt das Areal
gekauft hat, war laut Rudolph die einzige Möglichkeit, sicherzustellen,
dass Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung
unterbunden werden. „Mir ist aber wichtig zu betonen, dass wir nicht alle
Gemeindemitglieder unter Generalverdacht stellen“, sagt er. Wird sich denn
darum bemüht, nächstes Jahr eine alternativen Raum für die Muslim:innen
zu finden? Der Frage weicht er aus, dafür fühle sich die Stadt nicht
zuständig, klingt es durch: „Wir unterstützen migrantische
Selbstorganisationen, aber wir versuchen vor allem Angebote und Strukturen
zu fördern, die losgelöst sind von jeder Religion.“ Als Beispiel nennt er
den Verein El Tarik, der sich in Fürstenwalde für den kulturellen Austausch
zwischen migrantischen Communities und der Stadtgesellschaft einsetzt.
Ein Fall wie in Fürstenwalde hätte womöglich vermieden werden können, wenn
die Imame nicht ehrenamtlich tätig wären, sondern es klare Förderstrukturen
für sie gäbe. Das wird bundesweit auch immer wieder diskutiert.
[2][Besonders der Einfluss des türkischen Staates auf den Islamverband
Ditib], der insgesamt 900 Moscheen in Deutschland betreibt, ist dabei
Thema. Vergangenes Jahr einigte sich die Bundesregierung mit der Türkei
darauf, dass keine Imame mehr aus der Türkei nach Deutschland entsandt
werden, um so deren ideologischen Einfluss einzudämmen. Die fehlenden Imame
sollen nun durch die Ausbildung von jährlich 100 Imamen in Deutschland
ersetzt werden, die ersten 27 [3][schlossen vergangenes Jahr ihre
Ausbildung in Osnabrück ab]. Wie diese künftig bezahlt werden, ist jedoch
unklar. Eine Idee wäre eine Moscheesteuer ähnlich der Kirchensteuer, das
ist aber mit einigen juristischen Hürden verbunden.
Imame für die muslimischen Gemeinden in Brandenburg auszubilden, wurde laut
Lemmermeier bislang nicht diskutiert. Sie sieht darin auch ein
Strukturproblem. „Es bringt nicht viel, Imame auszubilden, wenn man sie
danach nicht bezahlen kann. Und die Gemeinden im Osten haben noch viel
weniger Geld, da bei ihnen der Anteil von Geflüchteten sehr viel höher ist
als im Westen“, sagt sie. Es fehlt also vor allem an Geld. In einem säkular
geprägten Bundesland wie Brandenburg lässt sich dies wohl noch schwieriger
für Religionsgemeinschaften aufbringen.
## Die einzige Möglichkeit ist das Ehrenamt
Für Maher Azzam wäre es ein erster Schritt, wenn die Politik es ihm
vereinfachen würde, Fördermittel für Lehrer:innen und Imame ohne
Ausbildung zu beantragen. Bis dahin lastet die Verantwortung weiter auf
Menschen wie Mohammad Quadad, die das Amt des Imams ehrenamtlich ausfüllen.
Das ist keine einfache Aufgabe, in Neuruppin kommen die Muslim:innnen
aus Afghanistan, Libyen, Syrien, Sudan, Eritrea, Tschetschenien, Jordanien
und Russland zusammen. Sie sind Sunni und Shia, trotzdem beten sie hier in
Neuruppin unter einem Dach. Die Schiiten sind wie auch in der arabischen
Welt eine Minderheit der Gemeinde, für sie ist es aber kein Problem, von
einem sunnitischen Imam betreut zu werden. Denn in der Gemeinde wird viel
Wert darauf gelegt, ein Ort für alle Muslim:innen zu sein. „Die
Glaubenskonflikte müssen wir hier außen vor lassen, wir widmen uns in
unseren Predigten deshalb lieber anderen Themen“, sagt er.
In seinen Predigten fokussiere er sich deshalb eher auf Alltägliches wie
Familienbeziehungen oder den Umgang mit Geld. „Es geht viel darum, was als
haram gesehen wird und was nicht“, sagt Imam Mohammad Quadad, also was
verboten ist oder nicht. Fragen, die die Menschen beschäftigen, sind etwa,
ob sie einen Kredit bei einer Bank aufnehmen können, streng genommen sind
Zinsen im Islam nicht erlaubt. Oder aber es sind persönliche Probleme. „In
unserer Religion gibt es großen Respekt vor älteren Leuten, man muss deren
Meinung respektieren, das ist in Deutschland weniger der Fall“, sagt Azzam
vom Verein Al Salam. Wenn Kinder von Muslim:innen die Meinung ihrer
Eltern und Großeltern nicht mehr respektieren, dann führt das zu
Familienkonflikten. Viele Eltern von Muslim:innen hätten oftmals Angst,
dass dadurch der Familienzusammenhalt verloren geht. Im Islam sei die
Familie die wichtigste Institution, so Azzam.
Die Gebetsräume in Neuruppin sind wichtig für Muslim:innen, um sich zu
solchen Fragen auszutauschen. Eine gewisse Toleranz innerhalb der
Stadtgesellschaft hilft, um bessere Strukturen für die Gemeinden zu
schaffen. Wie läuft das bisher in Neuruppin? Spricht man mit Christiane
Schulz, klingt eine gewisse Unaufgeregtheit und ein Pragmatismus durch. Es
gäbe aus einer Unwissenheit heraus zwar Vorbehalte gegenüber der Gemeinde,
aber die gäbe es woanders auch, sagt sie. Insgesamt sei es in Neuruppin
friedlich, ihr seien keine größeren „Konfliktfelder“ bekannt.
Als der Gebetsraum kurz vor Eröffnung stand, wurde in dem Verein trotzdem
darüber diskutiert, wie sehr man dies in die Öffentlichkeit tragen soll.
Letztendlich entschied sich der Verein dazu, sich bedeckt zu halten – auch
um mögliche Anfeindungen zu vermeiden. „Manchmal ist es sinnvoller, Dinge
leise zu machen“, sagt sie. Denn es gebe die üblichen rechten
„Krachmacher“, die bei der Eröffnung womöglich Widerstand formiert hätte…
Aber läuft man damit nicht dem eigentlichen Ziel des Vereins entgegen,
muslimisches Leben in Neuruppin sichtbarer zu machen?
Für Azzam ist das kein Widerspruch. Er glaubt daran, dass Integration ein
langwieriger Prozess ist. Und dass der Verein langsam Teil der
Stadtgesellschaft werden kann. Auf dem Kindergartenfest sind mittlerweile
immer mehr Eltern anwesend. Immer wieder kommen Pärchen vorbei, mustern
kurz den Tisch, zischen dann wieder ab. Eine ältere Frau traut sich dann
doch mal näher ran. „Sie sind also ein Verein?“, sagt sie. „Ja, wir sind…
Salam, ein muslimischer Verein, wir unterstützen Geflüchtete und vernetzen
Muslime in Neuruppin“, antwortet Azzam freundlich. Die Frau nickt etwas
distanziert, beißt in ihr Brötchen und geht weiter. Ein richtiges Gespräch
kommt bei dem Kindergartenfest nicht auf, für Azzam war es trotzdem ein
Erfolg. Für ihn geht es darum, Präsenz zu zeigen und Vorurteile mit
Freundlichkeit aus dem Weg zu räumen. Auch wenn nicht immer zurückgelächelt
wird.
1 Aug 2024
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## AUTOREN
Sabina Zollner
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