# taz.de -- Interview mit Imam Ender Cetin: „Der Rechtsruck macht uns Sorgen�… | |
> Ender Cetin ist einer der ersten Absolventen des Osnabrücker Islamkollegs | |
> Deutschland. Er nennt es einen Wendepunkt der muslimischen Geschichte. | |
Bild: Ender Cetin arbeitet in Berlin mit Strafgefangenen und Schülern, nicht z… | |
taz: Herr Cetin, Sie gehören zum ersten Jahrgang des Islamkollegs | |
Deutschland. Macht Sie das stolz? | |
Ender Cetin: In gewisser Hinsicht ja. Für mich ist das wie ein Wendepunkt | |
der muslimischen Geschichte in Deutschland. | |
Inwiefern? | |
Es gibt [1][zum ersten Mal eine Imam-Ausbildung], die aus Deutschland | |
finanziert wird, vom Bundesinnenministerium. Das war längst fällig. Jetzt | |
muss die Politik mutig sein und diesen Weg fortsetzen. | |
Wie viele Absolvent*innen hatte der Jahrgang, der am Samstag vom | |
ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff die Abschlusszertifikate | |
bekommt? | |
Am Anfang waren es 25, am Ende 22, nationalitätsübergreifend. Es gab sowohl | |
männliche als auch weibliche Kollegiaten. | |
Was bleibt Ihnen aus Ihrer Zeit im [2][Kolleg] besonders in Erinnerung? | |
Bestimmt das Gefühl, dass die Ausbildung ruhig drei oder vier Jahre dauern | |
dürfte, denn der Stoff war umfangreich, und in vielen Fächern fühlt es sich | |
an, als sei noch viel zu tun, noch vieles offen. Wir waren | |
diskussionsfreudig, und das hat Spaß gemacht. Jetzt müssen wir | |
dranbleiben, uns weiterbilden. Auch bei den Koran-Rezitationen hat uns der | |
Dozent gesagt: Bitte immer weiterüben! | |
„Die Debatte, wie wichtig in Deutschland ausgebildete, deutschsprachige | |
Imame sind, ist unüberhörbar“, haben Sie [3][2021 in einem Gespräch mit der | |
taz gesagt]. Aber die Berufsaussichten für Imame seien schlecht: „Es ist | |
schon schwer, da voller Hoffnung zu sein.“ Wie ist es heute um Ihre | |
Hoffnung bestellt? | |
Noch wie damals. Gut ist, dass jetzt über die islamische Seelsorge in | |
Wohlfahrtsverbänden gesprochen wird, bei der Bundeswehr. Wir hoffen, dass | |
das ausgebaut wird. | |
Anfang November findet in Berlin die Fachtagung „Islamische | |
Militärseelsorge“ statt. Ist das eine Berufsperspektive? | |
Absolut. Islamische Militärseelsorge gibt es bis heute ja nicht. | |
Wäre das auch für Sie selbst vorstellbar? | |
Durchaus. Ich betreibe ja bereits Seelsorge, führe Einzelgespräche in | |
Berliner Strafanstalten. | |
„Derzeit ist unklar, was aus den Absolventen unserer Einrichtung wird“, hat | |
Professor [4][Bülent Uçar] beim Start Ihres Jahrgangs gesagt, Leiter des | |
Instituts für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück und | |
Wissenschaftlicher Direktor des Islamkollegs. Hat er Recht behalten? | |
Auf jeden Fall, leider. Uns Absolventen geht es jedoch in erster Linie um | |
eine anerkannte Zertifizierung. Das gibt uns das Gefühl, dass der Islam ein | |
Teil Deutschlands ist. Das ist für uns schon ein Erfolg. Noch vor ein paar | |
Jahren hätten wir nicht geglaubt, dass es so etwas mal geben wird. | |
Ist der Islam ein Teil Deutschlands? | |
Der Rechtsruck macht uns natürlich Sorgen. Und es gibt noch immer viele | |
Vorurteile, noch immer fehlt es sehr an Akzeptanz. Aber vielfach spüren wir | |
den institutionellen Willen, auch den staatlichen, die Muslime mit ins Boot | |
zu holen. | |
Warum scheuen so viele Moscheegemeinden davor zurück, IKD-Absolventen | |
einzustellen? | |
Das bisherige System hat sich bereits seit Jahrzehnten bewährt. Viele | |
Gemeinden stehen ihm sehr nahe, und sie haben sich daran gewöhnt, Imame aus | |
der Türkei geschickt zu bekommen. Manchmal spielt da auch die Staatstreue | |
zur Türkei eine Rolle. Dass man Angst vor einer Verwestlichung des Islam | |
durch uns hat, denke ich nicht; IKD-Imame sind auch in traditionellen | |
Moscheegemeinden gut vernetzt. Auf der lokalen Ebene gibt es gute | |
Absichten, aber mit den großen Dachverbänden ist es oft schwierig, die | |
haben ihre eigenen Strukturen. | |
Was unterscheidet einen IKD-Imam von Imamen dieser Dachverbände? | |
Es gibt Stärken, aber es gibt auch Schwächen. Manche Imame, die aus der | |
Türkei kommen, sind theologisch tiefgründiger. Der Vorteil bei uns ist, | |
dass wir eine größere Nähe zur Realität der modernen Gesellschaft haben, | |
gerade auch zur Jugend, durch politische Bildung, Gemeindepädagogik, | |
Sozial- und Projektarbeit, auch durch unsere Deutschsrprachigkeit. Das ist | |
effektiver. Und wir können viel freier agieren, auch in Predigten. In den | |
Dachverbänden ist alles sehr hierarchisch. | |
Eine Realitätsnähe, die auch potenziellen Radikalisierungstendenzen | |
entgegenwirkt? | |
Das kann ein Nebeneffekt sein. | |
Gibt es etwas, dass Ihnen Hoffnung macht? | |
Es gibt mehr und mehr kleinere Moscheevereine. Aber die sind noch nicht so | |
sichtbar wie die großen Dachverbände. Da braucht es Empowerment. | |
Hat es Auswirkungen auf Ihre Arbeit, dass sie jetzt zertifizierter Imam | |
sind? | |
Nein, ich mache da weiter, wo ich jetzt stehe. Ich arbeite weiterhin mit | |
Strafgefangenen. Und ich bin Teil eines interreligiösen Teams, mit dem wir | |
in Berlin in Grundschulen gehen, in Oberschulen, in Brennpunktschulen. Da | |
haben wir auch schon gefeiert, dass ich jetzt ein anerkannter Imam bin, | |
Made in Germany. | |
30 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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