# taz.de -- Imame in Deutschland: Deutsche Ausbildung nicht gefragt | |
> Das Islamkolleg in Osnabrück hat ein Problem: Die dort ausgebildeten | |
> Imame will niemand einstellen. Einer der Gründe ist eine | |
> Finanzierungslücke. | |
Bild: Setzt auf Innovation: Imam-Ausbildung am Islamkolleg | |
OSNABRÜCK taz | Muhamed Memedi ist frustriert. „Unsere Zukunft sieht düster | |
aus“, sagt der angehende Imam. „Es ist höchst fraglich, ob wir eine | |
Anstellung finden. Das ist eine große Belastung, die Existenzängste weckt.“ | |
Ein paar Wochen noch, dann ist Memedi mit seiner Bachelor-Arbeit in | |
Islamischer Theologie fertig, für die Goethe-Universität in Frankfurt am | |
Main. | |
Parallel dazu absolviert er am [1][Islamkolleg Deutschland (IKD)], das vom | |
niedersächsischen Osnabrück aus dezentral operiert, eine Ausbildung in | |
Gemeindepraxis, von der Seelsorge bis zur Rezitationsästhetik, von der | |
Frauen- und Jugendsozialarbeit bis zur interreligiösen Handlungskompetenz. | |
Eineinhalb Jahre noch, dann ist er auch damit fertig. | |
Das IKD ist das muslimische Gegenstück zu den Prediger- und | |
Priesterseminaren der christlichen Kirchen. Mitte 2021 hat es seine Arbeit | |
aufgenommen, verbandsübergreifend und modern. „Ich erlebe es als guten | |
Mehrwert“, sagt Memedi. „Wenn du ein Theologiestudium abgeschlossen hast, | |
bedeutet das ja nicht unbedingt, dass du auch gute Gemeindearbeit | |
verrichten kannst. Hier lernst du, worauf es dabei ankommt.“ | |
Memedi baut auf Veränderung: „Dass es das IKD gibt, ist ein großer Schritt, | |
auch weil es konsequent auf Deutschsprachigkeit setzt, was der Lebenswelt | |
der Jüngeren entgegenkommt. Aber leider werden wir Absolventen | |
ausgebremst.“ | |
## Vielfältige Gründe | |
Das Problem: Viele der rund 2.500 Moscheegemeinden in Deutschland scheuen | |
davor zurück, die IKD-Absolventen einzustellen. Die Gründe sind vielfältig. | |
Manche fürchten, durch deutschsprachig arbeitende Imame könne ein zu | |
westlicher Islam entstehen, fern von orientalischen Kulturwerten und | |
Traditionen. Viele können sich einen eigenen Imam nicht leisten und greifen | |
daher auf Imame zurück, die ihnen kostenlos zur Verfügung gestellt werden, | |
staatsfinanziert aus der Türkei. | |
Fünf Moscheeverbände arbeiten mit dem IKD zusammen, vom Zentralrat der | |
Muslime (ZDM) bis zum Zentralrat der Marokkaner in Deutschland (ZRMD). Aber | |
sie kommen insgesamt auf nur 500 Gemeinden. Große Verbände wie die | |
Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), eine | |
Organisation der türkischen Religionsbehörde Diyanet mit rund 900 | |
Gemeinden, die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) mit rund 450 und | |
der [2][Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ)] mit rund 300 lehnen das | |
IKD ab – aus Sorge, Einfluss zu verlieren. Sie haben eigene | |
Ausbildungsstätten gegründet, teils türkischsprachig. | |
Bülent Uçar, Professor für Islamische Theologie und Religionspädagogik und | |
Leiter des Instituts für [3][Islamische Theologie] an der Universität | |
Osnabrück sowie Wissenschaftlicher Direktor des IKD, wird deutlich: | |
„Derzeit ist unklar, was aus den Absolventen unserer Einrichtung wird.“ | |
Viele, die sich für eine Tätigkeit als Imam interessiert haben, weichen | |
daher auf die Lehramts-Variante aus, den Schuldienst als Religionslehrer. | |
„Aber wichtig ist ja gerade die Verzahnung von Theologiestudium und | |
Gemeindearbeit“, sagt Uçar. „Auch im Namen der Integrationsarbeit.“ | |
Uçar mahnt Nachhaltigkeit an. Klar, das IKD wird mit einem Millionenbetrag | |
gefördert, im Schulterschluss vom Bundesinnenministerium bis zum | |
niedersächsischen Kultusministerium. Aber die Finanzierungszusage steht nur | |
bis 2025. „Hier brauchen wir eine Entfristung“, sagt Uçar. „Und die | |
Moscheegemeinden müssen finanziell endlich den christlichen und jüdischen | |
Gemeinden gleichgestellt werden, die ja hohe staatliche Hilfen erhalten. So | |
könnten sie sich Imame eigener Wahl leisten, und die Abhängigkeit vom | |
Ausland fiele weg.“ | |
Gut, der Staat zahlt auch keine Gehälter für Pastoren und Rabbiner. Aber er | |
fördert ihre Kirchen, ihre Gemeinden, institutionell. Das Geld, das dadurch | |
frei wird, kann so in Gehälter fließen. Bei Moscheegemeinden ist das | |
anders. Sie gehen leer aus. | |
Eine Folge der schlechten Berufsaussichten: Die Zahl der Studierenden der | |
Islamischen Theologie geht bundesweit zurück. Rund 2.000 sind es insgesamt, | |
rund 400 am Institut für Islamische Theologie in Osnabrück, dem größten | |
Deutschlands, programmatisch auf Innovation bedacht. | |
Uçar hofft jetzt auf die Koalitionsverhandlungen in Berlin. „Unser Modell | |
erfährt interfraktionell Zustimmung. Leider ist Deutschland sehr | |
strukturkonservativ: ältere Strukturen aufzulösen ist schwer, neue | |
einzuführen nicht minder. Aber erst wenn die Beseitigung dieser | |
Finanzierungslücke es in die Koalitionsvereinbarung schafft, setzen die | |
Ministerien sie auch um.“ | |
Und dann stellt er eine Rechnung auf: pro Imam würden rund 60.000 Euro pro | |
Jahr anfallen. Selbst mal 500 wäre das im Bundesmaßstab nicht viel. „Das, | |
was sich die Türkei seit Jahrzehnten mit 1.000 Imamen hier bei uns erlaubt, | |
muss auch in Deutschland möglich und wert sein.“ | |
## Frustrierende Berufsaussichten | |
Und es würde viel helfen. „Die Debatte, wie wichtig in Deutschland | |
ausgebildete, deutschsprachige Imame sind, ist unüberhörbar“, sagt Ender | |
Cetin, auch er derzeit in Ausbildung beim IKD. „Aber im politischen Handeln | |
schlägt sich das nur sehr verspätet nieder. Eine institutionelle Förderung | |
der Gemeinden ist dringend notwendig.“ | |
Aber nicht nur in Gemeinden sind Imame tätig. Cetin ist ein Beispiel dafür: | |
Er arbeitet bereits als Imam, im Jugendstrafvollzug, in interreligiösen | |
Schulprojekten. Trotzdem wollte er beim IKD dabei sein, bei der ersten | |
Generation dieses „historischen Wandels“ zu mehr Offenheit. Die | |
Berufsaussichten für Imame frustrieren auch ihn: „Es ist schon schwer, da | |
voller Hoffnung zu sein.“ | |
Deutschsprachige Imam-Arbeit, wie das IKD sie definiert, versteht sich, im | |
Nebeneffekt, übrigens auch als Prävention: „Zuweilen werden Jugendliche ja | |
ganz gezielt auf deutsch radikalisiert“, sagt Cetin. „Dem können wir mit | |
eigenen Angeboten entgegentreten.“ | |
12 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Muslime-in-Deutschland/!5775079 | |
[2] https://vikz.de/index.php/ueber-uns.html | |
[3] /ExpertInnen-zu-islamischer-Theologie/!5736609 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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