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# taz.de -- Warnschuss für Asylpolitik: Dublin statt Dobrindt
> Die Zurückweisungen der Bundesregierung an den deutschen Grenzen sind
> rechtswidrig. Wer die Dublin-Verordnungen versteht, wusste das schon
> vorher.
Bild: Das Verhalten der Polizei am deutschen Grenzübergang ist umstritten und …
Das Verwaltungsgericht Berlin hat am Montag über die Rückweisungen an den
deutschen Grenzen entschieden (VG 6 L 191/25): Der Antragstellerin in dem
Verfahren ist der Grenzübertritt zu gestatten. Sie hat einen Anspruch aus
der Dublin-III-Verordnung auf Durchführung eines Verfahrens zur Bestimmung
des zuständigen Mitgliedsstaats. Das derzeitige Vorgehen der Rückweisungen
wird als [1][rechtswidrig] angesehen.
Noch nicht lange im Amt, hatte die Bundesregierung aus Union und SPD
begonnen, Rückweisungen an den Grenzen vorzunehmen. Geflüchtete Menschen,
die an der Grenze stehen und nach Deutschland einreisen wollen, sollten
fortan nicht mehr einreisen. Es sei denn, sie gehören zu einer vulnerablen
Gruppe. Schon damals wiesen viele auf die [2][Gefährdung des Grundrechts
auf Asyl] und den Bruch europarechtlicher Vorgaben hin.
Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Wir werden in Abstimmung mit unseren
europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den Grenzen auch bei Asylgesuchen
vornehmen.“ Dass eine solche Abstimmung erfolgt ist, durfte schon
bezweifelt werden. Die Europäische Kommission in Brüssel jedenfalls sah
sich veranlasst, an die deutsche Bundesregierung zu appellieren, sich eng
mit ihren Nachbarn abzustimmen.
Innenminister [3][Alexander Dobrindt (CSU)] schrieb einen Brief an den
Präsidenten der Bundespolizei, dass Schutzsuchenden bei der Einreise aus
einem sicheren Mitgliedsstaat die Einreise verweigert werden kann. Da es
sich bei Deutschlands Nachbarstaaten um EU-Staaten und die Schweiz handelt,
betrifft [4][diese Weisung] alle Außengrenzen Deutschlands. Lediglich für
vulnerable Gruppen gilt diese sofortige Zurückweisung nicht.
## Ein kritischer Blick auf die Asylgesetze
Bei Rückweisungen geht es um die Anwendung einer Norm im Asylgesetz, die
der Grundgesetzänderung aus dem Jahre 1993 entspricht. „Dem Ausländer“,
heißt es in § 18 Abs. 2 Nr. 1 Asylgesetz, „ist die Einreise zu verweigern,
wenn er aus einem sicheren Drittstaat“ einreist.
Nach dem Grundgesetz genießen politisch Verfolgte Asyl, wenn sie nicht aus
einem sicheren Drittstaat einreisen. Um dies in der EU einheitlich zu
regeln, sind die Dublin-Verordnungen erlassen worden. Dort wird bestimmt,
wer für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
Die Dublin-III-Verordnung der EU legt fest, wo eine schutzsuchende Person
das Asylverfahren durchführen muss. Das ist meist der EU-Staat, der zuerst
betreten wurde. Dies herauszufinden, braucht Zeit und erfordert eine
Überprüfung. Danach erst kann eine Überstellung an den zuerst betretenen
Staat erfolgen. Seither darf an Deutschlands Grenzen nicht sofort
zurückgewiesen werden. Es ist vorher diese Prüfung durchzuführen.
## Keine Notlage in Sicht
Die Dublin-Verordnungen sind derzeit geltendes Recht. Teilweise wird
diskutiert, ob dieser Verstoß gerechtfertigt werden kann. Dabei wird auf
Art. 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU verwiesen. Danach geht es
um „die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der
inneren Sicherheit“.
Ein Aussetzen der Regeln mit dem Verweis auf die Aufrechterhaltung der
öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit erscheint
grundsätzlich nicht überzeugend. Weder die öffentliche Ordnung noch die
Sicherheit sind derzeit durch geflüchtete Menschen gefährdet.
Es steht eher andersherum infrage, ob der Umgang mit geflüchteten Menschen
dem Grundgesetz entspricht. Zum Beispiel mit Blick auf die geringen
Existenzsicherungsleistungen oder die Verbringung in Abschiebehaft, die der
Menschenwürde und dem Sozialstaatsgebot trotzen.
Die Behauptung eines kompletten Scheiterns des Systems, einer Notlage oder
ähnlichem dient eher [5][populistischen Zwecken]. Ein nationaler Notstand
wurde vom Bundeskanzler bisher auch nicht ausgerufen.
Gegenwärtig scheint dies angesichts sinkender Zahlen von schutzsuchenden
Menschen an deutschen Grenzen erst recht nicht plausibel, da es [6][früher
gelungen ist], einer erheblich größeren Zahl von Schutzsuchenden die
Einreise zu ermöglichen.
## Die Dublin-III-Verordnung gilt
Das Verwaltungsgericht Berlin ist klar in seiner Entscheidung. Weder auf §
18 des Asylgesetzes noch auf die Ausnahmevorschrift des Art. 72 des
Vertrags über die Arbeitsweise der EU könne sich die Zurückweisung stützen.
Die Regelung im Asylgesetz kann nicht als Rechtsgrundlage in Betracht
kommen, weil das Unionsrecht Vorrang hat.
Die Dublin-III-Verordnung gilt: Der zuständige Mitgliedsstaat muss
ermittelt werden. Das [7][Dublin-System] möchte so vermeiden, dass sich
kein Mitgliedsstaat für zuständig hält. Daraus folgt, dass kein
Mitgliedsstaat seine Nichtzuständigkeit rein negativ erklären kann, sondern
es muss eine positive Zuständigkeitsentscheidung erfolgen. Diese
Entscheidung muss gerichtlich voll überprüft werden können, denn jede
Person hat ein Recht auf die richtige Zuständigkeit.
Eine Rechtfertigung des Verstoßes gegen die Dublin-III-Verordnung erfolgt
auch nicht durch ein Berufen auf die Ausnahmeklausel des Artikel 72 des
Vertrags über die Arbeitsweise der EU.
Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im Sinne der
Vorschrift sieht das Gericht nicht. Im Übrigen scheitert ein Berufen darauf
schon daran, dass die Gefahr nicht hinreichend dargelegt ist.
## Rechtsbruch wird in Kauf genommen
Rechtlich dürfte das Vorgehen der Bundesregierung nicht haltbar sein.
[8][Politisch bleibt es ohnehin kritisch]. Forderungen von rechts-außen
werden übernommen, Rechtsbruch wird in Kauf genommen. Die vermeintliche
Rechtfertigung, damit populistische Stimmen zu „beruhigen“, sind
verheerend. So gelangen Rechts-außen-Positionen in die Mitte der
Gesellschaft.
Vor allem werden Menschen, die Schutz suchen, alleingelassen. Das
Grundrecht auf Asyl ist eine Lehre des deutschen Faschismus. Es ist ein
Ausdruck von Menschlichkeit, [9][Schutzsuchende nicht sich selbst zu
überlassen]. Vielleicht können zumindest die Gerichte die Bundesregierung
zum Umdenken bewegen.
6 Jun 2025
## LINKS
[1] /Urteil-zu-Asylpolitik/!6088379
[2] /Deutsche-Asypolitik/!6088565
[3] /Keine-Belohnung-fuer-besondere-Leistung/!6087118
[4] /Zurueckweisungen-an-der-Grenze/!6088484
[5] /Verschaerfte-Asylpolitik/!6086302
[6] /Zurueckweisungen-an-den-Grenzen/!6083322
[7] /Dublin-Zentrum-in-Deutschland/!6083670
[8] /Urteil-zu-Zurueckweisungen-an-den-Grenzen/!6092006
[9] /Fluechtlingsunterbringung-in-Berlin/!6090824
## AUTOREN
Franziska Drohsel
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