Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Deutsche Asypolitik: Sichere Herkunftsstaaten? Einfach per Dekret!
> Die Regierung will Abschiebungen erleichtern und Länder künftig per
> Verordnung als unbedenklich einstufen. Menschenrechtsorganisationen
> kritisieren das.
Bild: Neue Härte in der Asylpolitik: Teil eines Einsatzes wegen temporärer Gr…
Berlin taz | Das Kabinett hat weitreichende Verschärfungen bei der
Einstufung angeblich [1][„sicherer Herkunftsländer“ auf den Weg gebracht].
Nach dem beschlossenen Entwurf soll dafür künftig eine Rechtsverordnung der
Bundesregierung genügen. Bundestag und Bundesrat wären von der Entscheidung
ausgeschlossen. Geflüchtete aus so eingestuften Staaten haben fast keine
Chance auf Schutz in Deutschland.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) sagte, mit dem [2][Beschluss
setze die Bundesregierung die „Asylwende“] weiter um. Implizit richtet sich
der Entwurf vor allem gegen die Landesregierungen mit grüner Beteiligung.
Sie hatten im Bundesrat immer wieder Einstufungen von Staaten blockiert.
Das Grundgesetz schreibt in Artikel 16 a vor, dass die Einstufung „sicherer
Herkunftsstaaten“ durch ein Gesetz erfolgen muss, „das der Zustimmung des
Bundesrates bedarf“.
Um das zu ändern, fehlt der Bundesregierung die nötige Zweidrittelmehrheit.
Der neue Gesetzentwurf umgeht die Vorgabe im Grundgesetz aber einfach,
indem er eine zweite Liste „sicherer Herkunftsländer“ schafft. Die soll
nicht auf dem Grundgesetz basieren, sondern auf EU-Recht, wo ebenfalls das
Konzept so eingestufter Staaten existiert. Um ein Land auf diese neue Liste
zu setzen, wird dann eine Rechtsverordnung reichen. Besonders praktisch:
Der Bundesrat muss dem Gesetzentwurf über seine Teilentmachtung nicht
einmal zustimmen.
Am Ende könnten allerdings absurde Szenen drohen, wenn Geflüchtete per
Flugzeug kommen und deshalb Anspruch auf Asyl nach dem Grundgesetz geltend
machen können. Sie würden wohl der alten Liste unterliegen. Wer über Land
kommt, hat seit 1993 kein Anrecht auf Schutz nach dem Grundgesetz mehr und
ist deshalb auf internationalen Schutz, etwa nach der Genfer
Flüchtlingskonvention, angewiesen. Hier würde dann die neue Liste gelten.
Ist das Herkunftsland nur nach einer der beiden Liste ein sogenannter
sicherer Herkunftsstaat, könnte das dazu führen, dass die Chancen auf
Schutz je nach Einreiseweg dramatisch schwanken.
## Verfassungswidrig und Gefährlich
Die deutschen Behörden gehen prinzipiell davon aus, dass in den
eingestuften Ländern keine Verfolgung oder Ähnliches droht. Nachzuweisen,
dass die persönliche Situation von der angenommenen allgemeinen Lage
abweicht, ist sehr schwer, fast alle Anträge werden als „offensichtlich
unbegründet“ abgelehnt. Das schränkt auch Möglichkeiten ein, juristisch
gegen die Entscheidung vorzugehen.
Nicht festgeschrieben ist im [3][neuen Gesetzentwurf], welche konkreten
Länder eingestuft werden sollen. Bislang sind insgesamt 28 Staaten
gelistet, darunter alle EU-Länder, aber auch die Balkanstaaten genauso wie
etwa Senegal, Ghana oder Georgien. Im Koalitionsvertrag hatten Union und
SPD bereits angekündigt, Marokko, Algerien, Tunesien und Indien zu
„sicheren Herkunftsstaaten“ zu erklären. Menschenrechtsorganisationen
warnen, dass insbesondere in den genannten drei Maghrebstaaten vulnerablen
Gruppen sehr wohl Verfolgung drohe, etwa queeren Personen. ProAsyl betonte
zudem, dass mit der Umgehung von Bundestag und Bundesrat auch die
öffentliche Debatte abgewürgt werden könne.
Neben den „sicheren Herkunftsländer“ beschloss das Kabinett am Dienstag
auch noch, den verpflichtenden Rechtsbeistand für Abzuschiebende zu
streichen. Auch hierüber sind Menschenrechtsorganisationen entsetzt. Die
Ampel hatte die automatische Unterstützung durch Anwält*innen erst im
Herbst 2024 eingeführt. Regierungssprecher Stefan Kornelius sagte auf
Nachfrage der taz, dass man explizit darauf abziele, Abschiebungen zu
erleichtern. Die geltende Rechtslage sei eine „große Mehrbelastung der
Justiz“.
Die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage des
Grünen-Abgeordneten Helge Limburg weckt aber Zweifel an der Sinnhaftigkeit
des Gesetzentwurfs – selbst wenn man dessen grundsätzliches Ziel gutheißt.
Man habe „keine Kenntnisse darüber, ob und gegebenenfalls wie häufig sich
eine anwaltliche Vertretung auf die Durchführung einer Abschiebung
zeitlich auswirkt“, heißt es in dem Dokument, das der taz exklusiv
vorliegt.
Limburg, der auch rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion ist, sagte der
taz: „Es gibt keinen einzigen belegten Fall, in dem der Pflichtanwalt eine
rechtmäßige Abschiebung verhindert hätte.“ Es müsse „selbstverständlich
sein, dass Menschen in Haft ein Anwalt an die Seite gestellt wird“. Und
Limburg zog eine Parallele zu dem „beschämenden Umgang dieser Regierung mit
gerichtlichen Entscheidungen in Asylsachen zu Beginn dieser Woche“.
Gemeint ist die Reaktion von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU)
und Kanzler Friedrich Merz (CDU) auf einen Gerichtsbeschluss, der die
Zurückweisung von drei Asylsuchenden für unrechtmäßig erklärt hatte. Obwohl
der Fall die Zurückweisung insgesamt infrage stellt, hatten Merz und
Dobrindt angekündigt, die Praxis weiterlaufen zu lassen.
Es war nur der letzte Schritt in einer ganzen Reihe von drastischen
Entscheidungen der neuen Bundesregierung in der Asyl- und
Einwanderungspolitik. Letzte Woche hatte das Kabinett bereits einen
Gesetzentwurf beschlossen, der den Familiennachzug für subsidiär geschützte
Geflüchtete vorerst aussetzen soll. Außerdem sollen die erst 2024
eingeführten schnelleren Einbürgerungen für besonders gut integrierte
Ausländer wieder gestrichen werden.
4 Jun 2025
## LINKS
[1] /Urteil-zu-Asylpolitik/!6088379
[2] /Zurueckweisungen-an-der-Grenze/!6088484
[3] /Urteil-zu-Zurueckweisungen-an-den-Grenzen/!6092006
## AUTOREN
Frederik Eikmanns
## TAGS
Asylrecht
Alexander Dobrindt
Schwarz-rote Koalition
wochentaz
Asylpolitik
Dublin-II-Verordnung
Grenzkontrollen
Neue Bundesregierung
Asylrecht
## ARTIKEL ZUM THEMA
EU-Rechtsprechung zu Migration: Bis das Menschenrecht am Boden liegt
Der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sollte verhindern, dass
Europa jemals autoritär wird. Rechte Kräfte setzen ihn jetzt unter Druck.
Asylrechtsverschärfungen: Mit Anlauf gegen die Wand
Die neue Bundesregierung ignoriert ein eindeutiges Gerichtsurteil – und
auch Bundestag und Bundesrat will sie jetzt zum Zweck der Abschottung
umgehen.
Warnschuss für Asylpolitik: Dublin statt Dobrindt
Die Zurückweisungen der Bundesregierung an den deutschen Grenzen sind
rechtswidrig. Wer die Dublin-Verordnungen versteht, wusste das schon
vorher.
Zurückweisungen an der Grenze: „Fatal“, „beschämend“, „verfassungsw…
Die Union will trotz Gerichtsurteil an den Zurückweisungen von Geflüchteten
an der Grenze festhalten. Grüne und Linke kritisieren den Plan scharf.
Urteil zu Zurückweisungen an den Grenzen: Dobrindt hätte die Wahl
Ein Gericht erklärt die Zurückweisung von Asylsuchenden an der Grenze für
rechtswidrig. Der Innenminister könnte nun den Spuk gesichtswahrend
beenden.
Urteil zu Asylpolitik: Zurückweisungen sind rechtswidrig
Das Berliner Verwaltungsgericht gibt der Klage von drei Somalier:innen
statt. Der Eilbeschluss ist nicht anfechtbar.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.