# taz.de -- Asylrechtsverschärfungen: Mit Anlauf gegen die Wand | |
> Die neue Bundesregierung ignoriert ein eindeutiges Gerichtsurteil – und | |
> auch Bundestag und Bundesrat will sie jetzt zum Zweck der Abschottung | |
> umgehen. | |
Bild: Legen sich mit dem Rechtsstaat an: Bundesinnenminister Alexander Dobrindt… | |
Berlin taz | Was Geschwindigkeit und Härte angeht, hält die Union ihre | |
Versprechen. Die von Parteichef Friedrich Merz im Wahlkampf angekündigte | |
„[1][Asylwende]“ nahm in den letzten Wochen Form an. Keine schöne. | |
Kern der Aktion sind die Zurückweisungen von Asylbewerbern. | |
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte sie schon an seinem | |
ersten Amtstag Ende April angeordnet. Kein Interview, kaum ein | |
Talkshowauftritt von Unions-Politiker*innen kam in der Folge ohne stolzen | |
Verweis darauf aus, dass Bundespolizist*innen an den Grenzen jetzt | |
auch Menschen zurückschicken, die verzweifelt nach Schutz suchen. Seht her, | |
so die Botschaft, wir sind nicht mehr die Partei von Angela Merkel, die | |
2015 rund eine Million Syrer*innen ins Land ließ. | |
Bis zum Montag. Da holte Merkel die Union gewissermaßen ein, als [2][das | |
Berliner Verwaltungsgericht entschied, dass die Zurückweisung von drei | |
Somalier*innen Anfang Mai unrechtmäßig gewesen sei]. So lernten | |
Dobrindt und Merz, was Merkel schon 2015 klar sah. | |
Damals, zu Beginn des Flüchtlingssommers, war schon alles vorbereitet. Die | |
Bundespolizist*innen standen an der Grenze bereit, die Weisung lag | |
fertig auf dem Tisch. Aber – zum Entsetzen der Hardliner in der Union – | |
entschied sich Merkel in letzter Sekunde um. Zu groß war die Angst vor | |
unerträglichen Bildern, Polizisten, die Frauen und Kinder mit Tränengas | |
vertreiben. Noch größer waren aber offenbar die rechtlichen Zweifel damals, | |
so kann man es etwa in Robin Alexanders Buch „Die Getriebenen“ nachlesen. | |
Merkel erkannte, dass das EU-Recht die Zurückweisungen einfach nicht | |
hergab. | |
## Absehbar in Konflikt mit dem Rechtsstaat | |
Fast zehn Jahre schimpften die Rechtskonservativen in CDU und CSU | |
anschließend von einer angeblichen „Grenzöffnung“ Merkels und träumten v… | |
dem, was die Kanzlerin ihnen vorenthalten hatte. All das sollte nun unter | |
Merz und Dobrindt anders werden. Wurde es auch, zumindest ein bisschen. | |
Dann aber kam der Berliner Gerichtsbeschluss. Mit zehn Jahren Anlauf gegen | |
die Wand. | |
Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass der Beschluss des | |
Verwaltungsgerichts sich rein rechtlich nur auf den Einzelfall dreier | |
Geflüchteter bezieht, die Anfang Mai aus Polen kamen. Mit sehr hoher | |
Wahrscheinlichkeit dürfte auch jedes andere Gericht bei jeder anderen | |
Zurückweisung zum gleichen Ergebnis kommen. | |
Jetzt könnte man sich darüber freuen, dass Alexander Dobrindt mal wieder | |
abgewatscht wurde. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass der Mann | |
groß tönte und anschließend von Gerichten in die Schranken gewiesen wurde. | |
Stichwort „Ausländer-Maut“. Man kann sich aber auch gruseln, wenn man hör… | |
wie Dobrindt seitdem klingt: „Wir sehen, dass die Rechtsgrundlage gegeben | |
ist und werden deswegen weiter so verfahren – ganz unabhängig von dieser | |
Einzelfallentscheidung.“ Und Kanzler Merz sagt: „Die Spielräume sind nach | |
wie vor da. Wir wissen, dass wir nach wie vor Zurückweisungen vornehmen | |
können.“ Einfach weitermachen, das ist die Botschaft. Egal, was die | |
Rechtslage ist. Es ist ein Weg, der die Bundesregierung absehbar in | |
Konflikt mit dem Rechtsstaat führen wird. | |
Insgeheim wissen alle, dass die Zurückweisungen unrechtmäßig sind. Mag | |
sein, dass die Union diese Einsicht noch ein bisschen verdrängen kann, | |
vielleicht, bis einige weitere Fälle ähnlich entschieden werden, aber dann | |
wäre wirklich Schluss. Die Union müsste sich entscheiden, ob sie nachgibt | |
oder sich offen gegen die Gerichte stellt. Dabei wäre der jüngste | |
Gerichtsbeschluss eine hervorragende Möglichkeit gewesen, um die | |
Zurückweisungen noch gesichtswahrend zu beenden und stattdessen auf | |
gemeinsame europäische Abschottung zu setzen. Die ist auch brutal und | |
menschenverachtend, kollidiert aber nicht so offensichtlich mit dem | |
geltenden Recht. | |
## Kein Pflichtbeistand mehr | |
Die neue Bundesregierung demonstriert allerdings auch an anderen Stellen | |
eine gewisse Geringschätzung der gängigen Spielregeln einer Demokratie. Mit | |
einem Trick will Schwarz-Rot den Bundesrat künftig umgehen, wenn es um die | |
Einstufung sogenannter sicherer Herkunftsländer geht. | |
Geflüchtete, die aus so eingestuften Staaten stammen, haben fast keine | |
Chance auf Schutz in Deutschland, sie können schneller abgeschoben werden | |
und sich nur schwer gegen ihre Ablehnung wehren. Normalerweise muss der | |
Bundesrat zustimmen, wenn ein neues Land auf die Liste der „sicheren | |
Herkunftsländer“ wandern soll, so steht es im Grundgesetz. Doch weil | |
Landesregierungen mit grüner und linker Beteiligung dort immer wieder | |
solche Einstufungen verhinderten, wollen Union und SPD jetzt kurzerhand | |
eine zweite Liste schaffen, die nicht auf deutschem Recht basiert, sondern | |
auf EU-Recht. | |
## Rechtsverordnung der Regierung würde ausreichen | |
Damit ein Land auf dieser Liste landet, bräuchte es dann nur noch eine | |
einfache Rechtsverordnung der Regierung. Nicht nur der Bundesrat, sondern | |
auch der Bundestag bliebe außen vor. Im Koalitionsvertrag haben Union und | |
SPD auch schon festgehalten, welche Länder es zuerst treffen soll: Marokko, | |
Algerien, Tunesien und Indien. So richtig rechtswidrig ist all das wohl | |
nicht, aber ein schäbiger Trick. | |
Kritikwürdig ist auch, dass die Bundesregierung künftig Personen in | |
Abschiebehaft oder -gewahrsam nicht mehr automatisch Anwält*innen zur | |
Seite stellen will. Die Ampelkoalition hatte diesen Pflichtbeistand erst im | |
Herbst vorigen Jahres festgeschrieben, es ist also keine altehrwürdige | |
Tradition, die hier gestürzt werden soll. | |
Aber es ist doch das allererste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, | |
dass eine derartige Pflichtbeiordnung von Anwält*innen wieder | |
zurückgedreht wird, nachdem sie einmal eingeführt war. Das hat der grüne | |
Bundestagsabgeordnete Helge Limburg recherchiert. Noch dazu zeigen | |
Statistiken, dass Abschiebehaft in vielen Fällen tatsächlich zu Unrecht | |
verhängt wird. | |
## Eine gewisse moralische Wahlblindheit | |
Und auch die vom Bundeskabinett beschlossene [3][Aussetzung des | |
Familiennachzugs für Geflüchtete] mit subsidiärem Schutzstatus offenbart | |
eine gewisse Bereitschaft, über rechtliche und moralische Grundsätze | |
hinwegzusehen. Im Grundgesetz heißt es schließlich: „Ehe und Familie stehen | |
unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“ Anders als oft | |
dargestellt, geht es beim Familiennachzug nicht ausschließlich um männliche | |
Geflüchtete, die nun ihre Familie herholen. Es gibt auch den gegenteiligen | |
Fall: geflüchtete Kinder, die auf ihre Eltern warten. | |
Schon bisher ist in all diesen Fällen der Nachzug nach Deutschland auf | |
1.000 Personen pro Monat begrenzt, für Betroffene bedeutet das teils | |
jahrelange Wartezeiten. Die geplante vollständige Aussetzung ist zwar | |
vorerst auf zwei Jahre befristet, doch ob der Nachzug danach wirklich | |
nochmal anlaufen wird, weiß niemand. Anzeichen dafür, dass die | |
Unionsparteien vom Kurs der Härte auf Humanität schwenken, gibt es nicht. | |
Wie war das noch gleich mit dem C im Namen? | |
7 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Frederik Eikmanns | |
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