# taz.de -- Sänger Pankow über Punk in der DDR: „Mit einem Mal war alles m�… | |
> In den 1980ern war Pankow Sänger der Ost-Berliner Punkband Planlos. | |
> Gespräch über die Selbstbehauptung sensibler Kinder in einer groben | |
> Gesellschaft. | |
Bild: „Für mich war Punk ein Riesengeschenk.“: Michael „Pankow“ Boehlk… | |
taz: Pankow, wie fühlt sich das an, die erste eigene Platte in der Hand zu | |
halten? Und das nach vier Jahrzehnten, mit den alten Songs Ihrer Punkband | |
Planlos, nun eingespielt in neuer Besetzung? | |
Pankow: Komischerweise war es gar nicht so, wie ich es erwartet habe, dass | |
ich in Tränen ausbreche. [1][Als Punk im Osten] hast du nicht einmal eine | |
Idee davon gehabt, jemals deine Musik in einem Studio aufnehmen zu können. | |
Ich hatte auch für mich nie in Anspruch genommen zu sagen: Ich bin Musiker. | |
taz: Wenn man Sie heute auf der Bühne stehen sieht, hat man den Eindruck, | |
Sie hätten nie etwas anderes gemacht. | |
Pankow: Nach den Konzerten in jüngerer Zeit und den vielen Proben habe ich | |
mich manchmal gefreut: So, jetzt bist du irgendwie doch ein richtiger | |
Musiker. Toll! Als wir in Leipzig das Album aufgenommen haben, stand ich | |
zum ersten Mal in einem Studio am Mikro – und dann musst du liefern. Da | |
merkte ich: Komisch, ich hab eine starke Präsenz! Wenn es darauf ankommt, | |
bin ich extrem fokussiert. Als ich damit durch war, war das ein sehr | |
emotionaler Moment für mich. Als ich aber die Platte dann das erste Mal in | |
der Hand hatte, war ich eher beruhigt: Okay. | |
taz: In der DDR in den 1980er-Jahren konnte Ihre Band nur [2][in der Kirche | |
und in privaten Räumen auftreten]. Es war damals undenkbar, eine Platte | |
aufzunehmen, obwohl viele Ihre Songs auswendig mitsingen konnten. Sie haben | |
als Physiotherapeut Ihr Geld verdient. Hatten Sie in den vergangenen | |
vierzig Jahren das Gefühl, um etwas betrogen worden zu sein? | |
Pankow: Wir haben uns 1983 nach drei Jahren aufgelöst. Ich habe mich lange | |
darauf ausgeruht, dass wir daran keinen Anteil hatten, bin lieber in die | |
passive Rolle gegangen: Wir sind verfolgt worden, und das ging nicht | |
anders. Aber das stimmt eben nicht ganz. Andere haben trotzdem | |
weitergemacht. Wir hatten immer eine Wahl. Doch wir hatten innerhalb der | |
Band Kämpfe. Was da so abging, hat mich geschockt und gelähmt. Bei mir war | |
der Wunsch verschüttet, nach der Band mit der Musik weiterzumachen. Der war | |
da, aber er war verschüttet. | |
taz: Worüber haben Sie in der Band gestritten? | |
Pankow: Es war ja riskant, was wir gemacht haben. Meine Haltung war: Es ist | |
egal. Wir machen trotzdem weiter. Ich singe weiter staatskritische oder | |
auch staatsfeindliche Lieder. | |
taz: In Ihrem Song „Schlange“ wird Überwachung und Zersetzung durch die | |
Stasi so beschrieben: „Du stehst neben mir, sitzt mir im Genick. In der | |
U-Bahn streift mich dein Blick. Ich weiß nicht mehr, wohin ich soll. | |
Gerüchte killen wundervoll.“ | |
Pankow: Die Band war gespalten. Die beiden im anderen Lager wollten mal | |
raus aus dieser ewigen Gefahrenzone. Sie wollten eine Einstufung machen, | |
und dagegen habe ich mich gewehrt. | |
taz: Einstufung hieß, vor einer staatlichen Jury aufzutreten, die dann | |
festgelegt hätte, ob und wo die Band auftreten darf. Öffentliche Auftritte | |
hätten Zensur oder Selbstzensur der Texte bedeutet. | |
Pankow: Ich war da sehr engstirnig. Aber ich glaube, ich brauchte eine | |
klare Grenze. Ich musste mich vor mir selbst positionieren: Wir sind gegen | |
den Staat. Das hat mich stark gemacht. Wenn ich das aufgeweicht hätte, | |
hätte ich nicht mehr gewusst, wo gehöre ich denn noch hin? Deswegen kam es | |
zum Bruch. | |
taz: Der Staat hat mit Härte auf junge Leute reagiert, die er provokant | |
fand. Haben diese Erfahrungen Sie zum Punk gemacht? | |
Pankow: Ich glaube das alles überhaupt nicht mehr, mit dem Punk. | |
taz: Das müssen Sie erklären. | |
Pankow: Ich hätte diese Frage früher ganz einfach mit Ja beantwortet. Das | |
kann ich heute nicht mehr. Ich habe mich mittlerweile intensiv mit Punk in | |
der DDR beschäftigt. Wir haben eine Ausstellung und [3][einen Film | |
gemacht], ein Buch veröffentlicht. Fünfzehn Jahre meines Lebens habe ich | |
diesem Thema gewidmet. Ich glaube nicht mehr daran, dass man das reduzieren | |
kann auf die Punkzeit, die bei mir drei Jahre gedauert hat. Das ist ja in | |
mir angelegt gewesen: also Widerstand, Skepsis, aber auch so Gefühle wie | |
Trauer und Zweifel. Die Angst, die sich dann als Wut gezeigt hat, kommt | |
nicht aus der Punkzeit, wenn man 16 ist. | |
taz: Sondern? | |
Pankow: Die Punks, mit denen ich gesprochen habe, waren oftmals | |
hochsensible Kinder. Weil etwa Gewalt in der Familie herrschte, mussten sie | |
in Habachtstellung sein. Das alles noch gepaart mit dem [4][Leben in einer | |
Diktatur], wo sich keiner traut, die Wahrheit zu sagen, und Gewalt | |
allgegenwärtig ist. Mein Elternhaus war eher kritisch eingestellt der DDR | |
gegenüber. Da habe ich schon viel gelernt, und in der Schule dann gemerkt: | |
Nein, das darf ich nicht sagen. Da wird man schon skeptisch. Für mich war | |
Punk ein Riesengeschenk. Mit einmal durfte ich meine Hilflosigkeit und Wut | |
äußern, ungefragt. Das war ein Befreiungsschlag. Das hieß jetzt Punk, okay, | |
aber es hätte auch anders heißen können. | |
taz: Punk war eine Ausdrucksform für sensible Kinder? | |
Pankow: Wir kommen aus einer groben Gesellschaft, im Osten wie im Westen. | |
Das waren oft kritische Verhältnisse, selbst wenn die Eltern in der Partei, | |
bei der Stasi oder Funktionäre waren. Dann war vielleicht keine | |
unmittelbare Gewalt da, aber dafür halt andere Themen, beispielsweise | |
extremer Leistungsdruck. | |
taz: Woher kamen bei Ihnen die Angst und die Wut? | |
Pankow: Meine Eltern haben ganz schön miteinander zu tun gehabt. Wir | |
Kinder, meine Schwester und ich, standen immer in diesem Spannungsfeld. | |
Damit kam ich in die Schule und wurde als Linkshänder auf rechts umerzogen. | |
Ich habe nie ein großes Selbstbewusstsein gehabt. Die anderen konnten alle | |
schon schreiben in der 2. Klasse, und ich konnte das immer noch nicht. Dann | |
habe ich angefangen zu stottern, also einen Sprachfehler entwickelt, und | |
war eh immer schon so dünn. Es kam eine Menge zusammen. | |
taz: Sie waren ein Außenseiter? | |
Pankow: Ein bisschen schon. Dieses Defizit, das ich im Elternhaus hatte, | |
habe ich ja überall mit hingenommen. Ein erhöhtes Energielevel hatte ich | |
auch immer. Dazu kam die Ästhetik. Mein Vater hat immer über mich gesagt: | |
Der ist nicht ehrgeizig, aber eitel. Ich wollte gut aussehen. Ja, und dann | |
sehe ich dieses Foto von Johnny Rotten. | |
taz: Das war ein Foto in der „Bravo“, noch bevor Sie einen Ton Punk gehört | |
hatten. | |
Pankow: Ja, dieses Foto von den Sex Pistols in der Bravo kursierte auf dem | |
Schulhof. Das hat mich sehr beeindruckt. Johnny Rotten, die Klamotten, die | |
Haare, der ganze Style, das war erst mal mein Vorbild. Ich wusste gar | |
nicht, was Punk musikalisch ist, aber das fand ich toll. | |
taz: Ich glaube, das ist vielen so gegangen in Ost wie West: Wie die | |
aussehen, drückt aus, wie ich mich fühle. [5][Die tragen den Widerstand, | |
den man der Welt gegenüber empfindet, nach außen.] | |
Pankow: Ich hatte noch nicht viel mehr Eindrücke als dieses Bravo-Poster. | |
Aber da war mir schon klar, ich will jetzt Klamotten haben, die andere | |
nicht tragen, und auch meine Haare anders tragen. Die ersten paar Wochen | |
war ich als Punk allein in Pankow. Da habe ich sogar einen eigenen Gang | |
entwickelt: Ich wollte auch anders laufen als alle. Ich wollte | |
grundsätzlich und komplett anders sein. | |
taz: Was haben Sie getragen? | |
Pankow: Von meinem Opa hatte ich eine alte Anzughose. Da habe ich Löcher | |
reingeschnitten und Reißverschlüsse reingenäht. Dann habe ich so ein | |
Jugendmodesakko – ich hatte nicht das Geld – geklaut und habe ein | |
Anarchiezeichen draufgesprüht. Ich war aber noch Udo-Lindenberg-Fan und | |
hatte an meinem Sakko einen Lindenberg-Badge. Dann dachte ich, ich sehe ja | |
selber cool aus. Ich habe ein Foto von mir auf einen Knopf geklebt. Der | |
ABV, also der Abschnittsbevollmächtigte der Volkspolizei, hat mich mal | |
befragt: Mensch, wie läufste denn rum? Dann hat er den Badge gesehen und | |
gefragt, was das ist. Ich habe gesagt: Dit bin ick selber. Die Idee, dass | |
man sich selbst als Foto auf dem Anzug rumträgt, fand er phänomenal. | |
taz: Bevor Sie Sänger von Planlos wurden, gab es die Band schon, sie hieß | |
Antifaschistischer Schutzwall. Der Name stellte den Mythos infrage, dass | |
die DDR durch und durch antifaschistisch war. | |
Pankow: Meine Oma und Opa waren Kommunisten. Mein Opa war in der Komintern | |
und meine Oma war eine frühe Feministin. Ich habe das alles auch | |
mitbekommen und fand die Idee des Kommunismus oder des Sozialismus immer | |
gut. Aber wir sind in der Schule ja indoktriniert worden die ganze Zeit. Du | |
hast permanent gehört, die Bösen sind die Faschisten, und die Bösen, das | |
ist der Westen. Da drüben ist noch Faschismus, [6][und bei uns ist gar | |
nichts]! Ich habe die Staatsbürgerkundelehrerin gefragt: Okay, aber wenn es | |
den Faschismus bei uns nicht mehr gibt, wo ist er denn dann? „Der | |
Faschismus ist ausgerottet.“ Sie haben wirklich dieses Wort benutzt, das | |
fiel mir schon in der 5. Klasse auf. | |
taz: Die Wortwahl ist in der Tat auffällig. | |
Pankow: Mit der Schule waren wir im KZ Ravensbrück und ich bin alleine nach | |
Buchenwald gefahren, weil es mich interessiert hat, und war da schon schwer | |
geschockt. Aber im Unterricht wurde anders drüber gesprochen. Ich habe die | |
Lehrerin gefragt: Okay, viele Leute haben den Faschismus aber doch gelebt | |
und daran geglaubt? Ich weiß nicht, ob so eine Glaubensrichtung so schnell | |
verschwindet. Sie darf sich im Sozialismus nicht zeigen, [7][aber | |
vielleicht ist sie ja noch da?] Das ging natürlich gar nicht. Man konnte | |
spüren, dass sie das Thema nicht haben wollten. | |
taz: Die Stasi hatte Schwierigkeiten mit der politischen Einordnung von | |
Punk. „Negativ-dekadent“ war eine der Bezeichnungen für die Szene. | |
Pankow: Dieses Im-Moment-sein lag mir schon, aber ich hatte immer auch | |
Ideen, wie eine Gesellschaftsordnung aussehen könnte. Ich hatte häufig | |
Gespräche mit meinem Stasivernehmer, in der Regel war das immer derselbe. | |
Die haben uns anfangs nicht zuordnen können und dachten, wir sind rechts. | |
Ich habe ihm immer wieder erklärt, dass wir uns als links verstehen. Er | |
dachte, ich will ihn verarschen. Als ich ihm erzählt habe, dass ich Marx | |
lese, wie wir Sozialismus sehen, war der ein bisschen geschockt, weil er | |
nicht mehr wusste: Sind die wirklich eine Gefahr für uns? Punks haben sich | |
behauptet. [8][Sie gingen nicht auf in Angst, in Zweifeln, in Unsicherheit | |
oder was auch immer.] Diese Angst war aber im gesamten System. Die DDR war | |
ein unsicheres Gebilde, immer abhängig von der Sowjetunion. Dazu kam die | |
Bedrohung vom Westen, der Kalte Krieg. Der erste Aufstand war 1953. Es ging | |
also schon früh los, dass die eigene Bevölkerung im Widerstand war. Als sie | |
gemerkt haben, so glatt läuft das alles nicht. Und dann müssen wir sogar | |
eine Mauer bauen, damit uns das Volk nicht abhaut. Das war ja auch ein | |
Ausdruck von Hilflosigkeit und Angst. | |
taz: Alle überwachen sich gegenseitig, damit keiner was Falsches sagt. | |
Pankow: Das haben wir genial genutzt. Wir wussten: Klar traut sich keiner, | |
was zu sagen, aber wir trauen uns das. | |
taz: Eines Ihrer Stücke endet mit den Zeilen: „Deutschland, Deutschland, | |
Polizei. Deutschland, Deutschland ist entzwei. Russland und Amerika, bald | |
ist der Atomkrieg da.“ | |
Pankow: Könnte sein, dass er im Zusammenhang mit der Stationierung von | |
SS-20 im Osten und Pershing-Raketen im Westen entstanden ist. Ich hatte | |
damals erfahren, dass in Gransee die SS-20 stationiert werden. Wir sind in | |
Punkmanier bei dem Armeegelände dort vorgefahren, die Scheiben | |
runtergekurbelt. Dann habe ich den Armeetypen gefragt, ob hier die SS-20 | |
stehen. Wir wollten uns die mal ankieken. Die haben uns sofort rausgeholt, | |
Handschellen angelegt, festgenommen. Wir waren kurz inhaftiert, bis sie | |
verstanden hatten, dass das nur ein Joke war. Wir hatten aber den Nagel auf | |
den Kopf getroffen und sind genau da gelandet, wo die Dinger stationiert | |
waren. | |
taz: Oft ist es nicht so glimpflich ausgegangen. In Ihrer Zeit als | |
Planlos-Sänger war immer irgendeiner Ihrer Punkfreunde im Knast. Waren Sie | |
selbst länger inhaftiert? | |
Pankow: Nee, ich hatte Glück. Ich war immer wieder mal so ein paar Tage | |
drin, aber nicht wirklich im Knast. Kann Glück gewesen sein, kann aber auch | |
sein, weil ich als IMV geführt wurde. Die Stasi hat ja sehr patriarchal | |
gedacht. Sie sind davon ausgegangen, dass der Sänger einer Band auch der | |
Chef ist und da also der beste Zugriff ist. | |
taz: Was heißt IMV? | |
Pankow: „IM-Vorläufer“. Ein informeller Mitarbeiter, also IM, war jemand, | |
der für die Stasi gearbeitet hat. Wenn die jemand haben wollten, der für | |
sie arbeitet, dann haben sie den erst mal als IM-Vorläufer geführt in den | |
Akten und versucht, den zu werben. Das haben sie bei mir über acht Monate | |
gemacht. Dann kam raus, ich bin auf gar keinen Fall bereit. Dann sollten | |
die Kriminalisierungsversuche losgehen, das hat auch alles nicht geklappt, | |
und dann haben sie uns zur Armee einberufen. | |
taz: Sie haben mal geschrieben, dass Ihre Punkzeit von Nervosität, | |
Tatendrang und Aufbruchstimmung gekennzeichnet war. Hatten Sie das Gefühl, | |
dass Sie was verändern können? | |
Pankow: Absolut. Es gab nur sehr wenige, die so rumliefen. Du kriegst von | |
jedem auf der Straße Feedback, in welcher Form auch immer. Dann kommt auch | |
noch der Staat und nimmt dich wichtig. Wir haben uns als politische Band | |
empfunden und ich mich als Sprachrohr dieser Band. Wir haben uns für die | |
Speerspitze einer Bewegung gehalten. Wir sind sehr schlau, sehen gut aus. | |
Wir wollen was verändern in dem Staat zum Besseren hin. Sobald ich morgens | |
aufgewacht bin, hatte ich ein Sendungsbewusstsein. Ich bestand nur aus | |
Politik. Ich hab den ganzen Tag mit Leuten diskutiert, gesprochen. Überall. | |
Von 1980 bis 1983 herrschte Aufbruchstimmung. Der Schritt, sich neu zu | |
erfinden, hat viel Energie freigesetzt. Mit einem Mal war alles möglich. | |
Jede Zelle hat geflimmert, es schien drei Jahre lang die Sonne. Trotz der | |
Verhaftungen, trotz dieses ganzen Irrsinns. | |
taz: Wie ging diese Zeit zu Ende? | |
Pankow: So Mitte 1983 ging die Ausreisewelle los. Auf einmal sind die Leute | |
wirklich gegangen. Meine eigene Freundin ist ausgereist. 1984, als ich zur | |
Armee kam, war ein großer Teil meines Freundeskreises schon weg. Entweder | |
im Westen oder eben nicht mehr in dieser Gemeinschaft von Andersdenkenden. | |
Da fing eine Depression an, das machte alles keinen Sinn mehr. | |
taz: Sie waren dann in der Bürgerrechtsbewegung politisch aktiv. | |
Pankow: Ich habe mein Potenzial ein bisschen überlegter eingesetzt und im | |
politischen Untergrund mitgearbeitet. Ich war in der Polen-Gruppe. Wir | |
wollten das Modell von der Solidarność abkupfern. Die Frage war, wie haben | |
die das geschafft, in Danzig die Massen zu mobilisieren? Ich war auch in | |
einer Gruppe, da ging es um Wehrdienstverweigerung. Meinen besten Kumpel | |
Eule haben wir über Fluchthilfe in den Westen gebracht, weil der so ’n | |
Schiss vor der Armee hatte. | |
taz: Eines Tages haben Sie die DDR wegen Körperverletzung verklagt. Wie kam | |
es dazu? | |
Pankow: Ich hatte mal wieder eine Vorladung und da teilte mir ein Genosse | |
mit, dass ich dieses Land nicht mehr verlassen werde. In keine Richtung, | |
also auch nicht ins sozialistische Ausland. Ich und eine Freundin aus der | |
Polen-Gruppe, das war eine russische Staatsbürgerin, haben eines Tages Visa | |
nach Polen beantragt – und haben es bekommen. Kurz vor der Grenze sind wir | |
aus dem Zug geholt und festgenommen worden. Sie haben mich ziemlich | |
zugerichtet. Ich habe die Schnauze voll gehabt und das dokumentieren lassen | |
von einem Arzt. Dann habe ich gedacht, ich verklage jetzt die Stasi und | |
habe mit Rechtsanwälten gesprochen. Die haben alle gesagt: Das machen wir | |
nicht. Dann bin ich an [9][Gregor Gysi] geraten und er sagte, er macht das. | |
taz: Gysi hat die Stasi verklagt? | |
Pankow: Du konntest in der DDR nicht die Staatssicherheit verklagen. Du | |
konntest aber eine sogenannte Staatshaftung machen, so hieß es, glaube ich. | |
Das hat er gemacht. Ich hatte ja formal ein Visum, bin aber festgehalten | |
und geschlagen worden. Es gab einen Prozess ohne Beteiligte, der war | |
gewissermaßen inoffiziell. Wenn ich mich recht erinnere, lief irgendwann | |
jemand von den Genossen bei Gysi im Büro auf und hat ihm mitgeteilt, dass | |
wir den Prozess gewonnen haben: Hier sind 300 Mark als Wiedergutmachung, | |
aber keine schriftliche Bestätigung. Das war 1987. | |
taz: Sie haben die DDR verklagt. Und gewonnen. | |
Pankow: Das habe ich noch nie so betrachtet. Aber ja, so war’s. | |
taz: Die DDR ist Geschichte, Planlos ist wieder da. Was bedeutet es Ihnen | |
heute, die alten Texte zu singen? | |
Pankow: Anfangs war ich gar nicht so begeistert von der Idee, die alten | |
Aufnahmen zusammen mit neuen Interpretationen der alten Songs zu | |
veröffentlichen. Dann aber habe ich mich intensiv mit den Texten von damals | |
beschäftigt und merkte, dass der Großteil davon für mich heute noch | |
funktioniert. Ein Text wie „Deutschland“ etwa hat eine Aktualität auf | |
politischer Ebene. Ein Text wie „Schlange“ wiederum, der von der | |
alltäglichen Überwachung in der DDR handelt, ist auf einer emotionalen | |
Ebene für mich immer noch gegenwärtig. | |
13 Apr 2025 | |
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