| # taz.de -- Sänger Pankow über Punk in der DDR: „Mit einem Mal war alles m�… | |
| > In den 1980ern war Pankow Sänger der Ost-Berliner Punkband Planlos. | |
| > Gespräch über die Selbstbehauptung sensibler Kinder in einer groben | |
| > Gesellschaft. | |
| Bild: „Für mich war Punk ein Riesengeschenk.“: Michael „Pankow“ Boehlk… | |
| taz: Pankow, wie fühlt sich das an, die erste eigene Platte in der Hand zu | |
| halten? Und das nach vier Jahrzehnten, mit den alten Songs Ihrer Punkband | |
| Planlos, nun eingespielt in neuer Besetzung? | |
| Pankow: Komischerweise war es gar nicht so, wie ich es erwartet habe, dass | |
| ich in Tränen ausbreche. [1][Als Punk im Osten] hast du nicht einmal eine | |
| Idee davon gehabt, jemals deine Musik in einem Studio aufnehmen zu können. | |
| Ich hatte auch für mich nie in Anspruch genommen zu sagen: Ich bin Musiker. | |
| taz: Wenn man Sie heute auf der Bühne stehen sieht, hat man den Eindruck, | |
| Sie hätten nie etwas anderes gemacht. | |
| Pankow: Nach den Konzerten in jüngerer Zeit und den vielen Proben habe ich | |
| mich manchmal gefreut: So, jetzt bist du irgendwie doch ein richtiger | |
| Musiker. Toll! Als wir in Leipzig das Album aufgenommen haben, stand ich | |
| zum ersten Mal in einem Studio am Mikro – und dann musst du liefern. Da | |
| merkte ich: Komisch, ich hab eine starke Präsenz! Wenn es darauf ankommt, | |
| bin ich extrem fokussiert. Als ich damit durch war, war das ein sehr | |
| emotionaler Moment für mich. Als ich aber die Platte dann das erste Mal in | |
| der Hand hatte, war ich eher beruhigt: Okay. | |
| taz: In der DDR in den 1980er-Jahren konnte Ihre Band nur [2][in der Kirche | |
| und in privaten Räumen auftreten]. Es war damals undenkbar, eine Platte | |
| aufzunehmen, obwohl viele Ihre Songs auswendig mitsingen konnten. Sie haben | |
| als Physiotherapeut Ihr Geld verdient. Hatten Sie in den vergangenen | |
| vierzig Jahren das Gefühl, um etwas betrogen worden zu sein? | |
| Pankow: Wir haben uns 1983 nach drei Jahren aufgelöst. Ich habe mich lange | |
| darauf ausgeruht, dass wir daran keinen Anteil hatten, bin lieber in die | |
| passive Rolle gegangen: Wir sind verfolgt worden, und das ging nicht | |
| anders. Aber das stimmt eben nicht ganz. Andere haben trotzdem | |
| weitergemacht. Wir hatten immer eine Wahl. Doch wir hatten innerhalb der | |
| Band Kämpfe. Was da so abging, hat mich geschockt und gelähmt. Bei mir war | |
| der Wunsch verschüttet, nach der Band mit der Musik weiterzumachen. Der war | |
| da, aber er war verschüttet. | |
| taz: Worüber haben Sie in der Band gestritten? | |
| Pankow: Es war ja riskant, was wir gemacht haben. Meine Haltung war: Es ist | |
| egal. Wir machen trotzdem weiter. Ich singe weiter staatskritische oder | |
| auch staatsfeindliche Lieder. | |
| taz: In Ihrem Song „Schlange“ wird Überwachung und Zersetzung durch die | |
| Stasi so beschrieben: „Du stehst neben mir, sitzt mir im Genick. In der | |
| U-Bahn streift mich dein Blick. Ich weiß nicht mehr, wohin ich soll. | |
| Gerüchte killen wundervoll.“ | |
| Pankow: Die Band war gespalten. Die beiden im anderen Lager wollten mal | |
| raus aus dieser ewigen Gefahrenzone. Sie wollten eine Einstufung machen, | |
| und dagegen habe ich mich gewehrt. | |
| taz: Einstufung hieß, vor einer staatlichen Jury aufzutreten, die dann | |
| festgelegt hätte, ob und wo die Band auftreten darf. Öffentliche Auftritte | |
| hätten Zensur oder Selbstzensur der Texte bedeutet. | |
| Pankow: Ich war da sehr engstirnig. Aber ich glaube, ich brauchte eine | |
| klare Grenze. Ich musste mich vor mir selbst positionieren: Wir sind gegen | |
| den Staat. Das hat mich stark gemacht. Wenn ich das aufgeweicht hätte, | |
| hätte ich nicht mehr gewusst, wo gehöre ich denn noch hin? Deswegen kam es | |
| zum Bruch. | |
| taz: Der Staat hat mit Härte auf junge Leute reagiert, die er provokant | |
| fand. Haben diese Erfahrungen Sie zum Punk gemacht? | |
| Pankow: Ich glaube das alles überhaupt nicht mehr, mit dem Punk. | |
| taz: Das müssen Sie erklären. | |
| Pankow: Ich hätte diese Frage früher ganz einfach mit Ja beantwortet. Das | |
| kann ich heute nicht mehr. Ich habe mich mittlerweile intensiv mit Punk in | |
| der DDR beschäftigt. Wir haben eine Ausstellung und [3][einen Film | |
| gemacht], ein Buch veröffentlicht. Fünfzehn Jahre meines Lebens habe ich | |
| diesem Thema gewidmet. Ich glaube nicht mehr daran, dass man das reduzieren | |
| kann auf die Punkzeit, die bei mir drei Jahre gedauert hat. Das ist ja in | |
| mir angelegt gewesen: also Widerstand, Skepsis, aber auch so Gefühle wie | |
| Trauer und Zweifel. Die Angst, die sich dann als Wut gezeigt hat, kommt | |
| nicht aus der Punkzeit, wenn man 16 ist. | |
| taz: Sondern? | |
| Pankow: Die Punks, mit denen ich gesprochen habe, waren oftmals | |
| hochsensible Kinder. Weil etwa Gewalt in der Familie herrschte, mussten sie | |
| in Habachtstellung sein. Das alles noch gepaart mit dem [4][Leben in einer | |
| Diktatur], wo sich keiner traut, die Wahrheit zu sagen, und Gewalt | |
| allgegenwärtig ist. Mein Elternhaus war eher kritisch eingestellt der DDR | |
| gegenüber. Da habe ich schon viel gelernt, und in der Schule dann gemerkt: | |
| Nein, das darf ich nicht sagen. Da wird man schon skeptisch. Für mich war | |
| Punk ein Riesengeschenk. Mit einmal durfte ich meine Hilflosigkeit und Wut | |
| äußern, ungefragt. Das war ein Befreiungsschlag. Das hieß jetzt Punk, okay, | |
| aber es hätte auch anders heißen können. | |
| taz: Punk war eine Ausdrucksform für sensible Kinder? | |
| Pankow: Wir kommen aus einer groben Gesellschaft, im Osten wie im Westen. | |
| Das waren oft kritische Verhältnisse, selbst wenn die Eltern in der Partei, | |
| bei der Stasi oder Funktionäre waren. Dann war vielleicht keine | |
| unmittelbare Gewalt da, aber dafür halt andere Themen, beispielsweise | |
| extremer Leistungsdruck. | |
| taz: Woher kamen bei Ihnen die Angst und die Wut? | |
| Pankow: Meine Eltern haben ganz schön miteinander zu tun gehabt. Wir | |
| Kinder, meine Schwester und ich, standen immer in diesem Spannungsfeld. | |
| Damit kam ich in die Schule und wurde als Linkshänder auf rechts umerzogen. | |
| Ich habe nie ein großes Selbstbewusstsein gehabt. Die anderen konnten alle | |
| schon schreiben in der 2. Klasse, und ich konnte das immer noch nicht. Dann | |
| habe ich angefangen zu stottern, also einen Sprachfehler entwickelt, und | |
| war eh immer schon so dünn. Es kam eine Menge zusammen. | |
| taz: Sie waren ein Außenseiter? | |
| Pankow: Ein bisschen schon. Dieses Defizit, das ich im Elternhaus hatte, | |
| habe ich ja überall mit hingenommen. Ein erhöhtes Energielevel hatte ich | |
| auch immer. Dazu kam die Ästhetik. Mein Vater hat immer über mich gesagt: | |
| Der ist nicht ehrgeizig, aber eitel. Ich wollte gut aussehen. Ja, und dann | |
| sehe ich dieses Foto von Johnny Rotten. | |
| taz: Das war ein Foto in der „Bravo“, noch bevor Sie einen Ton Punk gehört | |
| hatten. | |
| Pankow: Ja, dieses Foto von den Sex Pistols in der Bravo kursierte auf dem | |
| Schulhof. Das hat mich sehr beeindruckt. Johnny Rotten, die Klamotten, die | |
| Haare, der ganze Style, das war erst mal mein Vorbild. Ich wusste gar | |
| nicht, was Punk musikalisch ist, aber das fand ich toll. | |
| taz: Ich glaube, das ist vielen so gegangen in Ost wie West: Wie die | |
| aussehen, drückt aus, wie ich mich fühle. [5][Die tragen den Widerstand, | |
| den man der Welt gegenüber empfindet, nach außen.] | |
| Pankow: Ich hatte noch nicht viel mehr Eindrücke als dieses Bravo-Poster. | |
| Aber da war mir schon klar, ich will jetzt Klamotten haben, die andere | |
| nicht tragen, und auch meine Haare anders tragen. Die ersten paar Wochen | |
| war ich als Punk allein in Pankow. Da habe ich sogar einen eigenen Gang | |
| entwickelt: Ich wollte auch anders laufen als alle. Ich wollte | |
| grundsätzlich und komplett anders sein. | |
| taz: Was haben Sie getragen? | |
| Pankow: Von meinem Opa hatte ich eine alte Anzughose. Da habe ich Löcher | |
| reingeschnitten und Reißverschlüsse reingenäht. Dann habe ich so ein | |
| Jugendmodesakko – ich hatte nicht das Geld – geklaut und habe ein | |
| Anarchiezeichen draufgesprüht. Ich war aber noch Udo-Lindenberg-Fan und | |
| hatte an meinem Sakko einen Lindenberg-Badge. Dann dachte ich, ich sehe ja | |
| selber cool aus. Ich habe ein Foto von mir auf einen Knopf geklebt. Der | |
| ABV, also der Abschnittsbevollmächtigte der Volkspolizei, hat mich mal | |
| befragt: Mensch, wie läufste denn rum? Dann hat er den Badge gesehen und | |
| gefragt, was das ist. Ich habe gesagt: Dit bin ick selber. Die Idee, dass | |
| man sich selbst als Foto auf dem Anzug rumträgt, fand er phänomenal. | |
| taz: Bevor Sie Sänger von Planlos wurden, gab es die Band schon, sie hieß | |
| Antifaschistischer Schutzwall. Der Name stellte den Mythos infrage, dass | |
| die DDR durch und durch antifaschistisch war. | |
| Pankow: Meine Oma und Opa waren Kommunisten. Mein Opa war in der Komintern | |
| und meine Oma war eine frühe Feministin. Ich habe das alles auch | |
| mitbekommen und fand die Idee des Kommunismus oder des Sozialismus immer | |
| gut. Aber wir sind in der Schule ja indoktriniert worden die ganze Zeit. Du | |
| hast permanent gehört, die Bösen sind die Faschisten, und die Bösen, das | |
| ist der Westen. Da drüben ist noch Faschismus, [6][und bei uns ist gar | |
| nichts]! Ich habe die Staatsbürgerkundelehrerin gefragt: Okay, aber wenn es | |
| den Faschismus bei uns nicht mehr gibt, wo ist er denn dann? „Der | |
| Faschismus ist ausgerottet.“ Sie haben wirklich dieses Wort benutzt, das | |
| fiel mir schon in der 5. Klasse auf. | |
| taz: Die Wortwahl ist in der Tat auffällig. | |
| Pankow: Mit der Schule waren wir im KZ Ravensbrück und ich bin alleine nach | |
| Buchenwald gefahren, weil es mich interessiert hat, und war da schon schwer | |
| geschockt. Aber im Unterricht wurde anders drüber gesprochen. Ich habe die | |
| Lehrerin gefragt: Okay, viele Leute haben den Faschismus aber doch gelebt | |
| und daran geglaubt? Ich weiß nicht, ob so eine Glaubensrichtung so schnell | |
| verschwindet. Sie darf sich im Sozialismus nicht zeigen, [7][aber | |
| vielleicht ist sie ja noch da?] Das ging natürlich gar nicht. Man konnte | |
| spüren, dass sie das Thema nicht haben wollten. | |
| taz: Die Stasi hatte Schwierigkeiten mit der politischen Einordnung von | |
| Punk. „Negativ-dekadent“ war eine der Bezeichnungen für die Szene. | |
| Pankow: Dieses Im-Moment-sein lag mir schon, aber ich hatte immer auch | |
| Ideen, wie eine Gesellschaftsordnung aussehen könnte. Ich hatte häufig | |
| Gespräche mit meinem Stasivernehmer, in der Regel war das immer derselbe. | |
| Die haben uns anfangs nicht zuordnen können und dachten, wir sind rechts. | |
| Ich habe ihm immer wieder erklärt, dass wir uns als links verstehen. Er | |
| dachte, ich will ihn verarschen. Als ich ihm erzählt habe, dass ich Marx | |
| lese, wie wir Sozialismus sehen, war der ein bisschen geschockt, weil er | |
| nicht mehr wusste: Sind die wirklich eine Gefahr für uns? Punks haben sich | |
| behauptet. [8][Sie gingen nicht auf in Angst, in Zweifeln, in Unsicherheit | |
| oder was auch immer.] Diese Angst war aber im gesamten System. Die DDR war | |
| ein unsicheres Gebilde, immer abhängig von der Sowjetunion. Dazu kam die | |
| Bedrohung vom Westen, der Kalte Krieg. Der erste Aufstand war 1953. Es ging | |
| also schon früh los, dass die eigene Bevölkerung im Widerstand war. Als sie | |
| gemerkt haben, so glatt läuft das alles nicht. Und dann müssen wir sogar | |
| eine Mauer bauen, damit uns das Volk nicht abhaut. Das war ja auch ein | |
| Ausdruck von Hilflosigkeit und Angst. | |
| taz: Alle überwachen sich gegenseitig, damit keiner was Falsches sagt. | |
| Pankow: Das haben wir genial genutzt. Wir wussten: Klar traut sich keiner, | |
| was zu sagen, aber wir trauen uns das. | |
| taz: Eines Ihrer Stücke endet mit den Zeilen: „Deutschland, Deutschland, | |
| Polizei. Deutschland, Deutschland ist entzwei. Russland und Amerika, bald | |
| ist der Atomkrieg da.“ | |
| Pankow: Könnte sein, dass er im Zusammenhang mit der Stationierung von | |
| SS-20 im Osten und Pershing-Raketen im Westen entstanden ist. Ich hatte | |
| damals erfahren, dass in Gransee die SS-20 stationiert werden. Wir sind in | |
| Punkmanier bei dem Armeegelände dort vorgefahren, die Scheiben | |
| runtergekurbelt. Dann habe ich den Armeetypen gefragt, ob hier die SS-20 | |
| stehen. Wir wollten uns die mal ankieken. Die haben uns sofort rausgeholt, | |
| Handschellen angelegt, festgenommen. Wir waren kurz inhaftiert, bis sie | |
| verstanden hatten, dass das nur ein Joke war. Wir hatten aber den Nagel auf | |
| den Kopf getroffen und sind genau da gelandet, wo die Dinger stationiert | |
| waren. | |
| taz: Oft ist es nicht so glimpflich ausgegangen. In Ihrer Zeit als | |
| Planlos-Sänger war immer irgendeiner Ihrer Punkfreunde im Knast. Waren Sie | |
| selbst länger inhaftiert? | |
| Pankow: Nee, ich hatte Glück. Ich war immer wieder mal so ein paar Tage | |
| drin, aber nicht wirklich im Knast. Kann Glück gewesen sein, kann aber auch | |
| sein, weil ich als IMV geführt wurde. Die Stasi hat ja sehr patriarchal | |
| gedacht. Sie sind davon ausgegangen, dass der Sänger einer Band auch der | |
| Chef ist und da also der beste Zugriff ist. | |
| taz: Was heißt IMV? | |
| Pankow: „IM-Vorläufer“. Ein informeller Mitarbeiter, also IM, war jemand, | |
| der für die Stasi gearbeitet hat. Wenn die jemand haben wollten, der für | |
| sie arbeitet, dann haben sie den erst mal als IM-Vorläufer geführt in den | |
| Akten und versucht, den zu werben. Das haben sie bei mir über acht Monate | |
| gemacht. Dann kam raus, ich bin auf gar keinen Fall bereit. Dann sollten | |
| die Kriminalisierungsversuche losgehen, das hat auch alles nicht geklappt, | |
| und dann haben sie uns zur Armee einberufen. | |
| taz: Sie haben mal geschrieben, dass Ihre Punkzeit von Nervosität, | |
| Tatendrang und Aufbruchstimmung gekennzeichnet war. Hatten Sie das Gefühl, | |
| dass Sie was verändern können? | |
| Pankow: Absolut. Es gab nur sehr wenige, die so rumliefen. Du kriegst von | |
| jedem auf der Straße Feedback, in welcher Form auch immer. Dann kommt auch | |
| noch der Staat und nimmt dich wichtig. Wir haben uns als politische Band | |
| empfunden und ich mich als Sprachrohr dieser Band. Wir haben uns für die | |
| Speerspitze einer Bewegung gehalten. Wir sind sehr schlau, sehen gut aus. | |
| Wir wollen was verändern in dem Staat zum Besseren hin. Sobald ich morgens | |
| aufgewacht bin, hatte ich ein Sendungsbewusstsein. Ich bestand nur aus | |
| Politik. Ich hab den ganzen Tag mit Leuten diskutiert, gesprochen. Überall. | |
| Von 1980 bis 1983 herrschte Aufbruchstimmung. Der Schritt, sich neu zu | |
| erfinden, hat viel Energie freigesetzt. Mit einem Mal war alles möglich. | |
| Jede Zelle hat geflimmert, es schien drei Jahre lang die Sonne. Trotz der | |
| Verhaftungen, trotz dieses ganzen Irrsinns. | |
| taz: Wie ging diese Zeit zu Ende? | |
| Pankow: So Mitte 1983 ging die Ausreisewelle los. Auf einmal sind die Leute | |
| wirklich gegangen. Meine eigene Freundin ist ausgereist. 1984, als ich zur | |
| Armee kam, war ein großer Teil meines Freundeskreises schon weg. Entweder | |
| im Westen oder eben nicht mehr in dieser Gemeinschaft von Andersdenkenden. | |
| Da fing eine Depression an, das machte alles keinen Sinn mehr. | |
| taz: Sie waren dann in der Bürgerrechtsbewegung politisch aktiv. | |
| Pankow: Ich habe mein Potenzial ein bisschen überlegter eingesetzt und im | |
| politischen Untergrund mitgearbeitet. Ich war in der Polen-Gruppe. Wir | |
| wollten das Modell von der Solidarność abkupfern. Die Frage war, wie haben | |
| die das geschafft, in Danzig die Massen zu mobilisieren? Ich war auch in | |
| einer Gruppe, da ging es um Wehrdienstverweigerung. Meinen besten Kumpel | |
| Eule haben wir über Fluchthilfe in den Westen gebracht, weil der so ’n | |
| Schiss vor der Armee hatte. | |
| taz: Eines Tages haben Sie die DDR wegen Körperverletzung verklagt. Wie kam | |
| es dazu? | |
| Pankow: Ich hatte mal wieder eine Vorladung und da teilte mir ein Genosse | |
| mit, dass ich dieses Land nicht mehr verlassen werde. In keine Richtung, | |
| also auch nicht ins sozialistische Ausland. Ich und eine Freundin aus der | |
| Polen-Gruppe, das war eine russische Staatsbürgerin, haben eines Tages Visa | |
| nach Polen beantragt – und haben es bekommen. Kurz vor der Grenze sind wir | |
| aus dem Zug geholt und festgenommen worden. Sie haben mich ziemlich | |
| zugerichtet. Ich habe die Schnauze voll gehabt und das dokumentieren lassen | |
| von einem Arzt. Dann habe ich gedacht, ich verklage jetzt die Stasi und | |
| habe mit Rechtsanwälten gesprochen. Die haben alle gesagt: Das machen wir | |
| nicht. Dann bin ich an [9][Gregor Gysi] geraten und er sagte, er macht das. | |
| taz: Gysi hat die Stasi verklagt? | |
| Pankow: Du konntest in der DDR nicht die Staatssicherheit verklagen. Du | |
| konntest aber eine sogenannte Staatshaftung machen, so hieß es, glaube ich. | |
| Das hat er gemacht. Ich hatte ja formal ein Visum, bin aber festgehalten | |
| und geschlagen worden. Es gab einen Prozess ohne Beteiligte, der war | |
| gewissermaßen inoffiziell. Wenn ich mich recht erinnere, lief irgendwann | |
| jemand von den Genossen bei Gysi im Büro auf und hat ihm mitgeteilt, dass | |
| wir den Prozess gewonnen haben: Hier sind 300 Mark als Wiedergutmachung, | |
| aber keine schriftliche Bestätigung. Das war 1987. | |
| taz: Sie haben die DDR verklagt. Und gewonnen. | |
| Pankow: Das habe ich noch nie so betrachtet. Aber ja, so war’s. | |
| taz: Die DDR ist Geschichte, Planlos ist wieder da. Was bedeutet es Ihnen | |
| heute, die alten Texte zu singen? | |
| Pankow: Anfangs war ich gar nicht so begeistert von der Idee, die alten | |
| Aufnahmen zusammen mit neuen Interpretationen der alten Songs zu | |
| veröffentlichen. Dann aber habe ich mich intensiv mit den Texten von damals | |
| beschäftigt und merkte, dass der Großteil davon für mich heute noch | |
| funktioniert. Ein Text wie „Deutschland“ etwa hat eine Aktualität auf | |
| politischer Ebene. Ein Text wie „Schlange“ wiederum, der von der | |
| alltäglichen Überwachung in der DDR handelt, ist auf einer emotionalen | |
| Ebene für mich immer noch gegenwärtig. | |
| 13 Apr 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Subkultur-in-Leipzig/!5401777 | |
| [2] /Subkultur-in-der-DDR/!6020690 | |
| [3] /Doku/!5196073 | |
| [4] /DDR/!t5008124 | |
| [5] /Wie-der-Punk-nach-Hannover-kam/!5931145 | |
| [6] /Jugendliche-in-Ostdeutschland/!5536453 | |
| [7] /Punk-Musiker-Engler-ueber-Nazi-Lehrer/!5731137 | |
| [8] /Geschichte-von-Punk-in-der-DDR/!6009166 | |
| [9] /Gregor-Gysi/!t5012798 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Gutmair | |
| ## TAGS | |
| wochentaz | |
| Band | |
| Jugendkultur | |
| Stasi | |
| Widerstand | |
| DDR | |
| Punk | |
| GNS | |
| Bücher | |
| Underground | |
| Oper | |
| DDR | |
| Punk | |
| Punkband | |
| Punk | |
| Punk | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| 80 Jahre Aufbau-Verlage: Sekt und Mauerpogo | |
| Die Aufbau-Verlage feierten in Berlin ihren 80. Geburtstag mit Glitzer, | |
| Gregor Gysi und vielfältigen Stimmen der Gegenwart. | |
| Buch über Musik aus Diktaturen: Wie Musikfans die strikte staatliche Zensur um… | |
| Ein Sammelband ruft Musik aus der Zeit der totalitären Systeme in Ost- und | |
| Westeuropa in Erinnerung. | |
| Theatermacher über ihr Stück: „Der oppositionelle Geist ist nach der Wende … | |
| Das Kollektiv „Dritte Degeneration Ost“ fragt, wie man das System aufbricht | |
| und inszeniert in „Oper Otze Axt“ den Machtkampf zwischen Punk und Oper. | |
| Rockmusik zu DDR-Zeiten: Der Klassenfeind reichte Schnaps und Zigaretten | |
| Mit dem Schlauchboot über die Ostsee: In der Gedenkstätte Berliner Mauer | |
| teilten die Musiker Eberhard Klunker und Dietrich Kessler Erinnerungen aus | |
| der DDR. | |
| Doku über Frauenpunkbands: Wenn man nicht mehr hübsch und nett ist | |
| Sie sind Frauen und ihre Punkbands hießen Kleenex, Malaria und Östro 430. | |
| Der Dokumentarfilm „Einfach machen!“ lässt sie ihre Geschichte erzählen. | |
| Subkultur in der DDR: Punk lebt, Jesus klebt | |
| Das Berliner Humboldt Forum widmet sich den DDR-Punks, die eine Nische in | |
| der Kirche fanden. Zur Eröffnung spielte die legendäre Band Planlos. | |
| Geschichte von Punk in der DDR: Und das Treibholz nimmt uns mit | |
| In der Langspielplatte „eNDe – DDR von unten“, 1983 in Westberlin | |
| veröffentlicht, steckte die Geschichte von Punk in der DDR. Eine | |
| Rekapitulation. | |
| Konzert mit Ostpunkbands in Berlin: Bierdusche für die Discokugel | |
| Mit zwei Jahren Verspätung feierten Ostpunkbands von Betonromantik bis | |
| L’Attentat die Wiederauflage ihrer Musik aus DDR-Zeiten. |