# taz.de -- Subkultur in der DDR: Punk lebt, Jesus klebt | |
> Das Berliner Humboldt Forum widmet sich den DDR-Punks, die eine Nische in | |
> der Kirche fanden. Zur Eröffnung spielte die legendäre Band Planlos. | |
Bild: Punks vor HO-Geschäften in Ostberlin. Das Foto entstand zwischen 1983 un… | |
Erst ist es nur ein Punk, dann sind es zwei. Nach ein paar Takten sind es | |
schon vier Frauen und Männer, junge und alte, die vor der Bühne tanzen. Das | |
ist nicht weiter verwunderlich. Denn auf der Bühne stehen die fünf Männer | |
der Punkband Planlos, deren Musik willige Körper und Seelen schnell in | |
Bewegung zu setzen vermag – mit längeren Pausen seit 1980. | |
Insofern also alles normal. Nur dass die Ostberliner Punks, die einst von | |
der Stasi verfolgt wurden, einmal im von der DDR abgerissenen und nun | |
wieder aufgebauten Berliner Stadtschloss spielen würden, war nicht zu | |
erwarten. Es wäre auch nicht passiert, wenn Planlos-Musiker Pankow sich das | |
nicht ausbedungen hätte. Er gebe gern Material für die Ausstellung, aber | |
dann müsste seine Band auch auftreten, habe er Kuratorin Ulrike Rothe | |
gesagt, erzählt er. | |
Denn der Auftritt von Planlos an diesem denkwürdigen Sonntagnachmittag im | |
Juli 2024 findet anlässlich der Eröffnung der Schau „Punk in der Kirche. | |
Ost-Berlin 1979–89“ statt. Sie befindet sich in der vom Berliner | |
Stadtmuseum bespielten Abteilung „Berlin Global“ [1][im ersten Stock des | |
Humboldt Forums.] | |
Schon unten vor der Tür waren einige Punks zu sehen, noch mehr drängeln | |
sich nun drinnen mit vielen anderen, weniger eindeutig zu identifizierenden | |
Menschen um zwei der drei Kuratorinnen und die freie Autorin und Zeitzeugin | |
Anne Hahn, die ebenfalls mitgewirkt hat. | |
Die drei erklären, worum es geht. Der Titel „Punk in der Kirche“ erzählt | |
davon, dass Punkkonzerte in der DDR nur in Wohnungen oder in Kirchenräumen | |
stattfinden konnten. Trafen sich die Ostberliner Punks auf dem | |
Alexanderplatz oder im Kulturpark Plänterwald, mussten sie darauf gefasst | |
sein, von staatlichen Organen überwacht und drangsaliert zu werden. | |
Die Behörden sprachen Platzverweise gegen einzelne Punks aus, die dann den | |
Alexanderplatz nicht mehr betreten durften, oder, wenn sie von außerhalb | |
kamen, gleich Berlinverbot bekamen. Um Punks für längere Zeit in den Knast | |
stecken zu können, [2][wurden sie wegen staatsfeindlicher Hetze oder | |
anderer Gummiparagrafen angeklagt]. | |
## Angst vor Punks mit Bier | |
Punk konnte sich also nur in Nischen ausleben, und die Nische Kirche gab es | |
nur, weil mutige Pfarrer ihre Räume zum Teil gegen den Widerstand ihrer | |
Kirchenleitungen für die Punks öffneten. Eines der Ausstellungsstücke ist | |
ein Schlagzeug, das vor einem groß aufgezogenen Foto eines Altars steht. | |
Darauf der Slogan: „Punk lebt, Jesus klebt.“ | |
Hier liest man das als Kommentar zum kürzlich auf dem Humboldt Forum | |
angebrachten Kreuz und der dazugehörigen Aufschrift, die fordert, „dass in | |
dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf | |
Erden und unter der Erde sind“. | |
Vor Altar und Schlagzeug hätte man gerne ein paar Bierflaschen kullern | |
lassen und auch ein bisschen Bier verschüttet, sagt Anne Hahn. Das wäre in | |
der Tat eine alle Sinne ansprechende und der Sache angemessene Installation | |
gewesen. Durften die Kuratorinnen aber nicht. Man hat im Humboldt Forum | |
anscheinend Angst vor Punks mit Bier. Denn auch beim anschließenden Konzert | |
von Planlos gibt es weder Bier noch Wein. Könnte ja was danebengehen. | |
## Zu lustig für die Polizei | |
Das alles tut der guten Laune keinen Abbruch, weil sich Planlos als gut | |
geölte Maschine präsentieren. Das erste Lied, das sie zum Besten geben, | |
heißt „Deutschland“. Ein klassisches Punkstück, das mit minimalen Mitteln | |
die Lage der Nation auf den Punkt bringt: „Deutschland, Deutschland, | |
Stacheldraht / Deutschland, Deutschland, Militär / Deutschland, | |
Deutschland, Zucht und Drill / Deutschland, Deutschland, Bürger still.“ | |
Das Stück ist um 1982 entstanden, erzählt Pankow später, als die | |
Sowjetunion SS-20-Raketen in der DDR stationiert hatte und in der | |
Bundesrepublik amerikanische Pershings das atomare Schreckensgleichgewicht | |
aufrechterhalten sollten. „Deutschland“ endet so: „Deutschland, | |
Deutschland, Polizei / Deutschland, Deutschland ist entzwei / Russland und | |
Amerika / Bald ist der Atomkrieg da.“ | |
Pankow und seine Freunde hatten gehört, dass SS-20-Raketen in Gransee | |
aufgestellt worden seien. Kurzerhand – „in Punkmanier“, wie Pankow sagt �… | |
fuhren sie hin. „Wir haben tatsächlich ein Armeegelände gefunden. Ich habe | |
die Scheibe runtergekurbelt und gefragt, ob hier die SS-20 seien, wir | |
würden uns die mal gern ankieken.“ Sie kamen stattdessen vier Tage in | |
Gewahrsam, bis auch die Polizei verstand, dass die Punks nur einen Witz | |
gemacht hatten. | |
Als Zugabe spielen Planlos noch mal „Deutschland“. Das ist eine runde | |
Sache, auch wenn das Stadtschloss noch steht, was für Pankow okay ist. Er | |
findet die Räume des Humboldt Forums schön, obwohl der Palast der Republik, | |
der einige Jahrzehnte lang hier gestanden hatte, bevor man ihn abriss, für | |
ihn und seine Freunde historischen Wert besessen habe. Das rabiate | |
Wegwischen von DDR-Geschichte ärgert auch ihn, der wahrlich genug Stress | |
mit der DDR hatte. | |
## Aufgepasst, du wirst überwacht | |
Jetzt ist Zeit, sich die „Schau“ anzusehen, die sich allerdings über eine | |
gerade mal grob sechs Quadratmeter große Ecke in einem der Räume von | |
„Berlin Global“ verteilt. Sie ist – für den beschränkten Platz, den man… | |
zugestanden hat – sehr gut und anschaulich geworden. Wer mag, kann sich | |
hier vier Punk-Stücke von Feeling B, Die Beamten, Rosa Beton und Namenlos | |
in voller Länge anhören. | |
Einige Texttafeln und eine Slideshow klären in der durch die Umstände | |
gebotenen Kürze über die Geschichte von Punk in der DDR auf. In einer | |
Vitrine werden ein Kassettenrekorder und eine Kassette mit Musik von Bands | |
aus der DDR, Ungarn und Polen sowie einige selbst gemachte Badges und | |
Nietenarmbänder gezeigt. | |
Daneben hängt eine Lederjacke, hinten steht drauf: „Aufgepasst du wirst | |
überwacht.“ Wie hatten Planlos eben gesungen? „Du steigst in meinen Freund | |
und horchst mich aus / Berichtest die Lügen, wie du sie brauchst.“ | |
Jungen Leuten und Touristen, die wenig über den „ersten sozialistischen | |
Staat auf deutschem Boden“ wissen, könnte man vom Scheitern der DDR | |
erzählen, [3][indem man ausführlicher vom Umgang ihrer Organe mit den Punks | |
berichtet und vor allem darüber, was diese jungen Leute damals umgetrieben | |
hat]. | |
Dafür müsste man aber mutiger sein und einige der locker in diesem Raum von | |
„Berlin Global“ verteilten Filmchen, von denen manche doch stark nach City | |
Marketing riechen, aus dem Weg räumen, um den Punks den Raum geben zu | |
können, der ihnen gebührt: 60 statt 6 Quadratmeter. Dort könnte Pankow dann | |
erzählen, wie er der Stasi vergeblich zu erklären versuchte, dass die Punks | |
links von ihr stünden. | |
Dazu am besten jeden Monat ein weiteres Konzert, als nächste Band schlage | |
ich Rosa Beton vor. Die singen dann: „In rosa Mauern sind wir gefangen / | |
Satt und zufrieden, es fehlt uns an nichts.“ | |
13 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Palast-der-Republik-im-Berliner-Schloss/!6008694 | |
[2] /Punk--Rebellion-gegen-den-Stasistaat/!5715658 | |
[3] /Geschichte-von-Punk-in-der-DDR/!6009166 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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