# taz.de -- Kultband Pankow auf Abschiedstournee: Viel rumgerannt, gestritten, … | |
> Die Berliner Band Pankow, 1981 in der DDR gegründet, trat in Pankow auf. | |
> Ein Heimspiel auf ihrer Abschiedstour. Große Klasse! Und einfach zum | |
> Heulen. | |
Bild: Dresden, 1983: André Herzberg von der Band Pankow gibt Autogramme | |
Berlin taz | Die berühmte [1][Berliner Band Pankow], 1981 in Ostberlin | |
gegründet, ist gerade auf Abschiedstour. Im Februar wollte sie in der | |
Kulturbrauerei in Berlin-Pankow auftreten. Es musste verschoben werden. Der | |
neue Termin war der vergangene Sonntag, Showtime pünktlich 20 Uhr. | |
Dummerweise kollidierte das mit einer anderen Veranstaltung in Köpenick. | |
Dort spielte der 1. FC Union gegen den VfL Wolfsburg. Die | |
TV-Profitmaximierer von der Deutschen Fußballliga hatten die Partie erst | |
auf 17.30 Uhr gelegt. Der Konzertbeobachter musste also vor Abpfiff los, | |
was einen Gesetzesbruch bedeutete, denn für Union-Fans gilt die | |
ungeschriebene Regel, das Stadion nicht vor Abpfiff zu verlassen, egal wie | |
schlimm es steht. | |
Während ich in der S-Bahn den Rest des Spiels am Liveticker verbrachte, | |
erinnerte ich mich der These, dass es keine Zufälle gibt. Wolfsburg, Pankow | |
– das passt so was von nicht zusammen, dass es Absicht gewesen sein muss, | |
als Pankow-Fan das Wolfsburg-Spiel nicht zu Ende sehen zu dürfen. Der | |
Begriff Wolfsburg steht für ein Leben (eigentlich mehr Arbeiten) in | |
Westdeutschland, von dem ernsthaft niemand träumen kann. Auf jeden Fall | |
niemand, der mit der Musik von Pankow groß und glücklich geworden ist. Das | |
heißt, in der DDR. | |
Wenn man durch das Eingangstor zur [2][Kulturbrauerei] geht, kommt man an | |
einem kleinen Museum vorbei, einer Zweigstelle der Stiftung Haus der | |
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Es beherbergt eine | |
Dauerausstellung mit dem Titel „Alltag in der DDR“. In der Werbung dafür | |
heißt es: „Durch Inszenierungen wie einen originalen DDR-Zeitungskiosk, | |
einer Kneipe aus Brandenburg oder einem Konsum-Laden gewinnen die Besucher | |
einen lebendigen Eindruck von der alltäglichen Lebenswirklichkeit der | |
Ostdeutschen.“ Eine nachgebaute Kneipenecke verschafft einen Eindruck von | |
der Lebenswirklichkeit der Ostdeutschen? Ein Prosit auf die | |
Museumsgemütlichkeit. | |
## Metal-Schallplatten waren Goldstaub | |
Aktuell gibt’s noch eine Ausstellung in der Ausstellung: „Metal in der | |
DDR“. Mit Musik geht ja alles besser, auch das Erklären von Geschichte. | |
Metal-Schallplatten waren in der DDR richtig Goldstaub, von allen | |
Westplatten die teuersten. Das lag daran, dass insbesondere junge Männer | |
aus der Arbeiterklasse auf Krachmusik standen. Weil sie in ihren | |
Malocherjobs ordentlich verdienten, trieben sie die Preise auf dem | |
Schwarzmarkt hoch. | |
Zu den begehrten Platten gehörten auch die der Scorpions. Ihr Sänger Klaus | |
Meine hat mir in einem Interview vor etlichen Jahren mal berichtet: „Wir | |
waren ja unerwünscht in der DDR.“ Anekdoten, wie verboten sie drüben waren, | |
haben Westpromis nach der Wende gern erzählt. Der Hinweis, dass die | |
staatliche Plattenfirma Amiga ein Scorpions-Album veröffentlicht hat, hat | |
Klaus Meine echt überrascht. Tja, DDR, seltsames Land. | |
Und das traf erst recht für den staatlichen Umgang mit Musik, speziell | |
Rockmusik, zu. Warum welcher Song, welche Platte, welche Band verboten war, | |
ist nicht immer nachvollziehbar gewesen. Auf den Wellen an Absurditäten, | |
Vorgaben und Verboten ist auch die Band Pankow hin- und hergeschaukelt. Mal | |
war sie obenauf, mal drohte der Untergang. Gleich ihr erstes Album, das | |
Rockspektakel [3][„Paule Panke]“, fiel bei Amiga aus dem | |
Veröffentlichungsplan, obwohl es im Radio gesendet worden war. | |
Die zumeist Ü50-Frauen und -Männer, die am Sonntag ins Kesselhaus der | |
Kulturbrauerei gekommen sind, dürften die ganzen Eiertänze der | |
DDR-Kulturpolitik größtenteils aus eigenem Erleben gekannt haben. Nach den | |
Reaktionen auf die Ansagen von Sänger André Herzberg haben sie überwiegend | |
DDR-Sozialisationshintergrund. So wie vier der fünf reifen Herren auf der | |
Bühne. Nur Keyboarder Andreas Dziuk war nie DDR-Bürger. Die beiden einzigen | |
Pankow-Urmitglieder sind Gitarrist Jürgen Ehle (mit Schiebermütze) und | |
Sänger André Herzberg (mit Hütchen). | |
## Ein Drei-in-eins-Streich | |
Den Bandnamen hatten sie mit ihren damaligen Kollegen pfiffig gewählt. Ein | |
Drei-in-eins-Streich. In der alten BRD war Pankow ein Synonym für die | |
Machthaber in der DDR. Zudem lebten die Musiker in der Pankower Ecke. Und | |
nach etwas Punk klang der Name auch. Eine Punkband waren Pankow jedoch nie. | |
Sie streiften zwar New Wave, standen aber vor allem für stonigen Rock ’n’ | |
Roll. | |
Vielen galt die Gruppe um die Ostberliner Glimmer Twins Herzberg/Ehle in | |
den 1980ern als einzig wirkliche Rock-'n'-Roll-Band in der DDR-Rockelite. | |
Underground war sie nie, genoss aber einen gepflegten Rebellenruf, weil sie | |
den verspießerten DDR-Alltag ohne lyrische Girlanden besang. Herzberg, der | |
den gängigen Ostrock „schon immer scheiße“ fand, sang rotzige Texte auf | |
rotzigen Gitarrensound. Manchmal ging es, wie in der Rockoper „Paule | |
Panke“, um den Alltag eines Lehrlings, oft um Tagträume aus dem Leben | |
Pubertierender, gern auch um das Ausleben sexueller Triebe. Was die jungen | |
Menschen halt so umtreibt im wahren Leben, das es selbstverständlich auch | |
im falschen gab, sprich in der sozialistischen Gängelrepublik. | |
Man fragt sich ja manchmal, ob eine Band alter Männer noch Songs voller | |
Teenagergedanken singen sollte. Das ist natürlich müßig, weil ihre größten | |
Hits in der Regel halt von früher sind. Auch bei Pankow. Das gebiert | |
zuweilen lustige Momente. So, als dem Sänger beim Lied „Doris“ kurz der | |
Text entfällt, als würde sein Gehirn signalisieren: „Jeder kleine Junge | |
träumt von seiner Prinzessin / Meine sollte blond sein und große Brüste | |
haben“ – das kannst du mit 69 nicht singen, lächerlich. Herzberg muss dann | |
auch selbst lachen, als ihm die textsicheren Fans aushelfen. Ironie ist ihm | |
ohnehin nicht fremd, gern mit einem Schuss Melancholie. „Heute wollen ja | |
alle anders sein“, sagt er nach dem Song „Er will anders sein“, dessen | |
banale Aussage im kollektivistischen Staat eine ganz andere Wucht | |
entfaltete als heute. | |
Auch „Die wundersame Geschichte von Gaby“, in der ein Mädchen traumhaft | |
durch ein Disco-Fenster in die Welt fliegt, wirkt heute semioriginell. | |
Damals war es ein „Lied über Freiheit, eingepackt in ein Märchen“, wie | |
Herzberg sagt. | |
## Unvergessliche Momente | |
Einerseits wirkt es lustig, wenn ältere Menschen, die seit Jahrzehnten | |
nicht mehr in die Disco gehen, die Zeilen inbrünstig mitsingen. | |
Andererseits ist es nicht lächerlicher, als wenn alte Stones-Fans beim | |
Konzert „Satisfaction“ mitgrölen. Man kann es Nostalgie nennen oder | |
schlicht einen kurzen Rückruf in die Jugendzeit, die einen geprägt hat. | |
Songzeilen von Pankow legen unvergessliche Momente nach Jahrzehnten frei. | |
1988, Studentenbude in Leipzig. Das frische Album [4][„Aufruhr in den | |
Augen“] auf einem ollen Plattenspieler und mit dem Kumpel das erste Mal den | |
Song „Langeweile“ gehört: „Ich bin rumgerannt, zu viel rumgerannt, ist d… | |
nichts passiert.“ Man musste kein Oppositioneller sein, um abgetörnt zu | |
sein von der bleiernen Schwere in der DDR. Und weiter: „Dasselbe Land zu | |
lange gesehn … Zu lange die alten Männer verehrt“. Ein Hammer. Wie konnten | |
diese Worte durch die Zensur gehen?! Die gemeinten alten Männer sind so gut | |
wie alle tot, aber das Publikum singt die Zeilen auch nach 37 Jahren | |
inbrünstig mit, als würden sie noch leben. | |
Es gibt Rockzeilen, die durch die Umstände der Zeit ikonisch werden, weil | |
sie ein Lebensgefühl ausdrücken und für ewig festhalten. Als Rio Reiser | |
1988 in der Ostberliner Seelenbinderhalle auftrat, fragte er 6.000 junge | |
DDRler in seinem Song „Der Traum ist aus“ mit einer Liedzeile: „Gibt es e… | |
Land auf der Erde, wo der Traum Wirklichkeit ist?“ Der aus dem Songtext | |
abgeleitete Antwortschrei war die ultimative Ankündigung vom Ende der DDR: | |
„Dieses Land ist es nicht! Dieses Land ist es nicht!“ | |
„Langeweile“ flog 1988 aus dem Radioprogramm. Auch für Pankow waren alle | |
Illusionen verflogen. Sie durften zwar im Westen spielen, aber die vor | |
allem bei André Herzberg vorhandene Hoffnung auf eine bessere, gerechtere | |
DDR war längst weg. Ihr kurzes Aufflackern mit dem Mauerfall – geschenkt. | |
Im Konzert erinnert der Song daran, dass es diese Hoffnung tatsächlich gab. | |
„Über politische Sachen haben wir oft gestritten“, spricht Herzberg, der | |
Sohn kommunistischer Eltern, der seit Kindheit an viel Wut in sich trug. | |
„Aber am Ende ging es immer um Liebe.“ | |
Das bezeugt auch ihr aktuellster Song „Bis zuletzt“: „Wir haben geliebt u… | |
uns gehasst / Das ist heute Schnee von gestern, spielt keine Rolle mehr / | |
Etwas hat uns hier zusammengebracht“. | |
Nur noch einmal, auf der Parkbühne Weißensee im Juli, werden sie in Berlin | |
gemeinsam auf der Bühne stehen. | |
12 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] http://www.pankow.band/ | |
[2] https://kulturbrauerei.de/ | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Paule_Panke_(live_1982) | |
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Pankow_(deutsche_Band) | |
## AUTOREN | |
Gunnar Leue | |
## TAGS | |
wochentaz | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Musikgeschichte | |
Berlin-Pankow | |
DDR | |
Social-Auswahl | |
GNS | |
DDR | |
Pankow | |
Punkband | |
Abschied | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Rockmusik zu DDR-Zeiten: Der Klassenfeind reichte Schnaps und Zigaretten | |
Mit dem Schlauchboot über die Ostsee: In der Gedenkstätte Berliner Mauer | |
teilten die Musiker Eberhard Klunker und Dietrich Kessler Erinnerungen aus | |
der DDR. | |
Neues Quartier in Pankow: Pankow schießt ein Tor | |
Sechzehn Jahre hat es gedauert, bis sich Investor, Bezirk und Senat | |
geeinigt haben. Nun wurden drei Verträge für das „Pankower Tor“ | |
unterschrieben. | |
Subkultur in der DDR: Punk lebt, Jesus klebt | |
Das Berliner Humboldt Forum widmet sich den DDR-Punks, die eine Nische in | |
der Kirche fanden. Zur Eröffnung spielte die legendäre Band Planlos. | |
„Pankow“ geht auf Abschiedstournee: Bis zuletzt und nicht mehr weiter | |
Im Jahr 1998 hat Pankow schon mal den Abschied verkündet. Und nun noch | |
einmal – aber endgültig. 2025 nimmt die Band mit einer Tournee Abschied. |