# taz.de -- Doku über Frauenpunkbands: Wenn man nicht mehr hübsch und nett ist | |
> Sie sind Frauen und ihre Punkbands hießen Kleenex, Malaria und Östro 430. | |
> Der Dokumentarfilm „Einfach machen!“ lässt sie ihre Geschichte erzählen. | |
Bild: Martina Weith und Bettina Flörchinger gründeten mit zwei anderen Frauen… | |
Was haben Sara Schär, Martina Weith, Klaudia Schifferle, Bettina Köster, | |
Bettina Flörchinger und Gudrun Gut gemein? [1][Sie gehören zur ersten | |
Generation von Punk in der Schweiz, der Bundesrepublik und Westberlin, sie | |
sind Frauen und sie machen noch heute Musik]. Im Dokumentarfilm „Einfach | |
machen! She-Punks von 1977 bis heute“, der jetzt im Kino zu sehen ist, | |
erzählen sie davon, was Punk für sie bedeutet hat – „die Welt fing neu an | |
für mich, das war Punk“, wie eine der Protagonistinnen wohl stellvertretend | |
für alle sagt – und wie sie heute noch im Geist von Punk leben und kreativ | |
sind. | |
Der Film war ursprünglich ein Projekt von Christine Franz, die sich durch | |
ihre Langzeitbeobachtung der britischen Sleaford Mods einen Namen gemacht | |
hat. Franz fing an, das Duo aus Nottingham bei ihren Auftritten zu | |
begleiten, als die noch vor zehn Leuten in irgendeinem Pub spielten. | |
[2][Wie man dem üblicherweise gut informierten Punk-Fanzine Ox entnehmen | |
kann], lautete der Arbeitstitel ihres Filmprojekts „Jung kaputt spart | |
Altersheime – der Film“, nach dem Untergrundhit der Hannoveraner Band | |
Bärchen und die Milchbubis von 1980. Die Milchbubis sind nach langer | |
Bühnenabsenz heute wieder aktiv. Sängerin Annette Simons hat mit neuer Band | |
wieder ein Album aufgenommen, im Film tritt sie nicht in Erscheinung. Auch | |
Annette Benjamin von Hans-A-Plast, ebenfalls aus Hannover, ist nicht dabei. | |
Christine Franz und ihre Produktionsfirma zerstritten sich, Franz machte | |
einen eigenen Film, „Punk Girls. Die weibliche Geschichte des britischen | |
Punk“, der 2024 erstmals gezeigt wurde. Dort porträtierte Franz wichtige | |
Künstlerinnen aus Großbritannien – plus Annette Benjamin. Der Schweizer | |
Dokumentarfilmer Reto Caduff übernahm die Regie des Projekts und lud dazu | |
Elisabeth Recker vom Berliner Label Monogam Records und Carmen Knoebel ein, | |
die den Ratinger Hof und das Plattenlabel Pure Freude in Düsseldorf | |
betrieb. | |
## „Die Leute haben uns angegafft“ | |
Elisabeth Recker erzählt, wie sie ihren Freund heiratete, um ein | |
Ehestandsdarlehen und ein Wohnungsgründungsdarlehen zu bekommen. Mit dem | |
Geld gründeten die beiden ihre Plattenfirma und veröffentlichen unter | |
anderem die erste EP von Mania D. Allein das Wort Ehestandsdarlehen wirft | |
ein Licht auf die patriarchal geprägten Verhältnisse. Frauen auf der Bühne, | |
als Chefinnen von Labels und Veranstalterinnen waren die Ausnahme: „Immer | |
wieder musste man sich rechtfertigen für das, was man tat“, sagt Gudrun | |
Gut, die bei Mania D und Malaria in Westberlin Schlagzeug spielte. | |
Die Antwort darauf war unter anderem ein provokatives Auftreten. Auch für | |
die Frauen fing Punk oft damit an, sich die Haare ab- und Löcher in Hosen | |
und T-Shirts zu schneiden. Klaudia Schifferle von Kleenex aus Zürich | |
erzählt, wie sie auf einer Reise mit ihrer Bandkollegin Lislot Ha ihre | |
Haare ohne Spiegel schnitten: „Als wir zurückkamen, haben uns die Leute | |
unglaublich angegafft.“ Beide hatten zusammen in einer Boutique gearbeitet, | |
jetzt flogen sie raus. Ihre Instrumente hätten sie nicht beherrscht, aber | |
von Anfang an eigene Songs gemacht, sagt Schifferle. In Zürich seien sie | |
belächelt worden. | |
Anderswo wurden ihre Qualitäten sofort erkannt. Ihre erste EP hatten sie | |
schon 1978 auf einem Schweizer Label veröffentlicht, Teile davon wurden | |
wenig später bei Rough Trade in England wiederveröffentlicht. Einer der | |
frühen Chronisten des Punk, Greil Marcus, zählt Kleenex noch heute zu | |
seinen Lieblingsbands. (Die Deutschen unterschlagen gern, dass die | |
Schweizer Punkszene generell früher dran war. Kleenex war nicht nur die | |
vermutlich erste Punkband auf dem Kontinent, in der nur Frauen spielten, | |
sondern eine der ersten Punkbands überhaupt.) | |
## „Das Feminine war verschrien“ | |
Nachdem er das Projekt übernommen hatte, entschied sich Regisseur Reto | |
Caduff dafür, Frauen zu befragen, die in reinen Frauenbands spielten, was | |
sich bei den einen schnell ergab, wie im Fall von Kleenex, bei den anderen | |
aber Programm war, wie bei Östro 430. Das war eine gute Entscheidung | |
Caduffs, weil Bands, die nur aus Frauen bestanden, auch in der Punkszene | |
für manche Machomänner eine Provokation waren. | |
Was uns zum nicht unproblematischen Begriff der „She-Punks“ bringt, den | |
Vivien Goldman durch ihr Buch „Revenge of the She-Punks“ popularisiert hat. | |
Sind „She-Punks“ keine Punk-Punks, gehören die einem Untergenre an? Punk | |
als Bezeichnung für eine Person ist auch im Deutschen nicht gegendert, und | |
es passte gut dazu, dass Punk häufig mit Genderbending spielte. Jungs gaben | |
sich Mädchennamen und Frauen traten genauso aggressiv auf wie ihre | |
männlichen Kollegen. | |
Sara Schär sagt, im Nachhinein wohl nicht ohne Bedauern, dass sich die | |
Frauen an einem männlichen Gestus orientierten, um sich durchzusetzen. | |
„Das Feminine war verschrien.“ Die Düsseldorferinnen Östro 430 sangen: | |
„Weiber wie wir, Randale und Bier.“ Klaudia Schifferle erklärte in einem | |
TV-Interview: „Kleenex ist ein Alltagsprodukt. Man kann es einmal benutzen, | |
dann wirft man es weg. Das fanden wir gut für unsere Musik.“ | |
## Züri brännt | |
Die Stärke des Films ist das Archivmaterial – Liveaufnahmen, Videoclips, | |
Fotos, Auftritte in Talkshows. Auch die Musik von Kleenex, Liliput, Mania | |
D, Malaria und Östro 430 hat nichts von ihrer Energie eingebüßt. „Züri | |
brännt“ von TNT, wo die 14-jährige Sara Schär sang, entstand 1979, und wie | |
sein Titel klingt das Stück auch. Ein Jahr später wurde er zum Schlachtruf | |
der Jugendunruhen, über die der Film auch erzählt, was leider die einzige | |
ausführlichere historische Einordnung bleibt. | |
„Einfach machen!“ schlägt aber auch den Bogen ins Heute. [3][Östro 430 | |
treten nach gut vierzig Jahren Pause inzwischen wieder auf] und haben ein | |
neues Album aufgenommen. Klaudia Schifferle, Sara Schär und Madlaina Peer | |
von Knonows sind im Film mit ihrem Trio Onetwothree zu sehen, alle drei | |
spielten Bass. Kurz nach den ersten Aufnahmen für den Film starb Madlaina | |
Peer. | |
So handelt der Film von Verlusten einerseits und wiedergewonnener Freiheit | |
andererseits. Nachdem man Kinder großgezogen und „sein bürgerliches Soll“ | |
erfüllt hat, wie Martina Weith sagt, könne man jetzt wieder sein eigenes | |
Ding machen. Klaudia Schifferle ergänzt, es sei ein Statement, als Frau auf | |
der Bühne zu stehen, „wenn man nicht mehr so hübsch und nett ist. Als Frau | |
finde ich das wichtig heute.“ | |
Die immer noch unterbelichtete Geschichte von Frauen in Punkbands kann | |
nicht oft genug erzählt werden. [4][Schade nur, dass die Punkmetropole | |
Hannover und die beiden Annettes fehlen]. | |
19 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Feministische-Frauenbands-der-70er/!5918483 | |
[2] https://www.ox-fanzine.de/interview/she-punks-von-1977-bis-heute-10957 | |
[3] /Punkband-Oestro-430-wieder-live/!5872046 | |
[4] /Wie-der-Punk-nach-Hannover-kam/!5931145 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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